Sagen aus Bayern
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Das Obernauer Kapellchen

Zu Obernau lebte ein Mann, den Gott reichlich mit Gütern gesegnet hatte. Er genoß aber seinen Reichtum nicht mit dankbarem Herzen gegen den Geber, sondern trachtete nur darnach, immer mehr Geld aufzuhäufen; er schlief kaum, um nur früh und spät bei der Arbeit zu sein.

An Mariä Geburt hatte er sich vorgenommen, des folgenden Tages Ohmet zu mähen. Um gewiß nicht zu spät zu kommen, stand er lange vor Tags auf und begab sich hinaus auf seine Wiese, die an den Wald stieß. Unter einer Eiche dängelte er im hellen Mondscheine seine Sense. Es war noch nicht Mitternacht vorbei, und es wurde der Feiertag durch seine Habsucht entweiht.

Als er noch bei dem unheiligen Werke war, kam ein Nachbar vorüber, mit dem er in langer Feindschaft lebte. Der Nachbar hatte bis spät in die Nacht in einem nahen Dorfe gezecht, und der Kopf war ihm warm. Da war der Streit schnell entbrannt; sie warfen sich rauhe Worte und Schimpfreden zu, von Worten kam es zu Tätlichkeiten, und der Nachbar erschlug den reichen Mann mit seiner eigenen Sense.

Zur Sühne der doppelten Untat stifteten die Verwandten des Erschlagenen ein Muttergottesbild, welches an dem Eichbaum, dem Zeugen des Mordes, aufgestellt wurde. Keiner ging vorüber, der nicht ein Vaterunser für die Seele des Erschlagenen betete. Als der Jahrestag der Tat herannahte, hörten die Frommen in der Nähe des Bildes von unsichtbaren Händen dängeln und dieses wiederholte sich jedes Jahr acht Tage vor und acht Tage nach Mariä Geburt. Es wurde nun ein Kapellchen unter der Eiche erbaut und das Muttergottes-Bild dort aufgestellt. Das ist das Obernauer Kapellchen an dem Wege von Obernau nach Geilbach – und dort hört man das wundersame Dängeln noch jedes Jahr acht Tage vor und acht Tage nach Mariä Geburt.

 


 


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