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Roland's Thurm.

Von Miß Landon.

Himmel! der Liebe tiefe Treue! –

Wo gleich dem Roß, das vor dem Sporn sich bäumt
Der dunkelblaue Strom des Rheins dahin rauscht,
Ruht eine kleine Insel: größtentheils
Entspringen nur Cypressen dort dem Boden,
Die schweren Zweige über Steine senkend,
Die Gräber, lang vergessene, bezeichnen.
Einst stand ein Kloster hier; es finden sich
Noch Trümmer and'rer Tage, Pfeiler, Mauern,
Verwittert und entfärbt, doch so bedeckt
Mit Epheukränzen, daß der Zahn der Zeit
Kaum sichtbar wird; wie ähnlich sind sie doch
Dem überfalschen Aeußern dieser Welt;
Die Außenseite zeigt sich frisch und schön,
Doch Brand und Wurm und Fäulniß wirken d'runter,
Bis endlich ganz zu Trümmern wird das Herz.
Dort zeichnet sich ein Grab vor Allen aus,
Nur durch ein ganz natürlich Monument;
Es wuchsen tausend dunkelblaue Veilchen
Ueber der Stätte – Veilchen lieb' ich sehr,
Sie künden uns die Mähr von Frauenliebe;
Sie öffnen sich dem ersten Frühlingshauch.
Aus Düften, Licht und Thau webt sich ihr Dasein,
Und sterben sie, so enden sie mit Seufzern,
Schön wie ihr Leben; – in des Juni Hitze
Versenden keine Wohlgerüche sie;
Die Blumen mögen bleiben, doch der Duft,
Der reiche Duft der Blätter ist dahin;
Das Köstlichste verloren sie, gleich Frauen,
Die sich der wilden Glut der Leidenschaft
Hingeben in verhängnißvoller Stunde; –
Die Reinheit ist der Liebe Veilchenhauch. –

Am Ufer gegenüber steht ein Thurm
In Trümmern, mit dem Trauerkleid von Moos,
Das auf den eingestürzten Mauern hängt,
Die ihren Schatten auf die Fluten werfen;
Er überzieht die sonnenhellen Wogen
Gleich jenem Dunkel, das ein traurig Schicksal
Wirft auf des Herzens junge Fröhlichkeit.

Ich sah den Fluß an einem Sommerabend,
Die Sonne ging in Korngefilden unter –
Sie glichen einer goldnen See; zur Linken
Sah man Weinberge: ihre Trauben glänzten,
Rubinen gleich – und jenseits breitete
Sich eine weite Haide, dicht bedeckt
Mit Ginster, dessen helle Blüten glichen
Den Freuden dieser Welt, schön in der Ferne,
Doch, wenn erreicht, nur von geringem Werth,
Und durch die festen Dornen ringsum dringend.
Es zeigte wilder noch und steiler sich
Das Ufer an des Flusses and'rer Seite;
Gleich Kriegern hoben hohe Fichten sich;
In ihrer Blüte ganzer Ueppigkeit
Wuchs dort die Rose, ausgesä't
Vom Wind, vom Thau genährt und von der Sonne.
Am Wege standen Kreuze, grau und alt,
Die armer Wand'rer Schicksal kündeten.
Zwergeichen füllten, Föhren rings die Schluchten.
Und auf den Höhen, die das Uebrige
Beherrschen, ragen Burgen hoch empor,
Von Eulen jetzt und Spinnen nur bewohnt;
Doch keine ohne alte Wundersage
Aus jener Zeit, wo Liebe, Tod und Leben;
Als Frauenhandschuh oder gold'ne Locke
Zum Banner dienten in der wilden Schlacht;
Von jenem Thurme auf der kleinen Insel
Berichtet meine Sage. –

In seiner Halle Herbert saß; das Feuer
Des Heerdes flammt', als spottet' es des Sturms
In seiner Gluten Lustigkeit; es streckten
Ringsum die Rüden sich: der alte Herr
Entledigte sich seines Jagdgewandes,
Und horchte auf die Laute und den Sang
Der Jungfrau, die zu seinen Füßen saß –
In jener ersten Frühlingszeit des Lebens,
Wo Regenbogen Regenschauer bringen,
Und wo das Herz in voller Kraft und Blüthe,
War Isabelle; eine Reihe Perlen,
Weiß, wie die holde Stirne, die sie schmückten,
Hielt ihre Locken ab vom Antlitz, doch
Sie wallten bis zu ihren Füßen nieder,
Ein gold'ner Guß; die Farbe wechselte
Auf ihrer Wange, die so deutlich zeigt,
Was sich im Herzen regt; die blauen Augen,
So dunkel wie der Sonnenhimmel, waren
Jedoch so fröhlich nicht; zu leidenschaftlich
Erschienen sie, um reines Glück zu zeigen.
Es strahlt' ihr Blick, und ihre Wange blühte;
Ihr Lied erweckte ihres Stammes Geist
Auf ihrer Stirn; des jungen Rolands Thaten
Beendigte sie eben, wie ein Heer
Er ganz allein bekämpft' und überwand.
Da trat ein Pilger in die Halle – nie
Bat dort ein Fremder um den Schutz vergebens!
Man spendete das Mahl; der Rheinweinbecher
Ward froh geleert; dann sammelten sie wieder
Sich um den Heerd; die Jungfrau sang von Neuem,
Und als das Lied geendet, rief sie aus:
»Ich gäbe Welten d'rum, den Held zu sehn,
Den tapfern Roland; er vereint in sich,
Was Männer ehren, Frauen lieben müssen.«
»O Herrin, nimm die Rede nicht zurück,
Denn ich bin Roland« – und von seinem Antlitz
Riß er die Kappe, warf das Kleid von sich.
Vor Isabelle knie't ein junger Ritter.

Sie liebten, mit Erwiederung der Liebe. –
Was man Glück nennen kann, ich sprach es aus,
Das junge Herz in seinen wilden Schlägen
Hat solchen Reichthum, und die Liebe bringt
Der Liebe Schätze an das Licht. – Einst liebt' ich
Wie Jugend, Frauen, Genius lieben – jetzt
Ist kalt und wüst mein Herz, und hat gelernt,
Der falschen Dinge Falschestes zu tragen.
Ein lächelnd Antlitz – eine Larve nur,
Doch jeder Puls stürmt bei dem Angedenken
Vergang'ner Zeiten. Lieb' ist wie ein Glas,
Das Alles nur in seiner Farbe zeigt
Und es verschönt. – Am herrlichsten des Morgens,
Wenn hold sein frischer Hauch die Wange färbte,
Die uns entzückt; der heiße Mittag flieht
So schnell vorüber, wenn geliebte Augen
Mit uns die Blätter überfliegen, die
Des Dichters Liebesgruß enthalten; dann
Das Wandeln in der stillen Dämmerung,
Wenn der verschlung'ne Arm des Herzens Schlagen
Kann fühlen; dann ruh'n Klänge in der Luft,
Die man noch nie vorher vernahm, ein Licht,
Das nimmer wieder unsre Augen schauen;
Ein jeder Stern bringt süße Hoffnungskunde,
Und jede Sage, jedes Lied, die uns
Von Liebe reden, scheinen nur ein Echo
Des eig'nen Inneren. –

Die Zeit verfloß,
So wie sie stets verfließt, wenn ihr die Liebe
Die bunten Flügel leih't – es hatte Frühling
Mit Sommer sich vermählet, – als ein Roß
Vor Herbert's Pforte stand – und Isabelle
Ihr Lebewohl in Thränen Roland sagte
Und eine blaue Schärpe ihm geschenkt. –
Fort zog er, die Vasallen aufzubieten,
Denn Herbert's Thürmen droht Belagerung,
Und Roland schwur bei Isabellens Hand,
Als Sieger nur um sie sich zu bewerben.
Der Herbst lag auf den Feldern, als der Rhein
Mit Blut sich färbte. – Herbert's Banner wallt,
Und tapfer halten seine Mannen sich.
Doch wo weilt er, der ihm zur Rechten wollte
Im Felde kämpfen – Roland?

Isabelle
Wacht Tag für Tag, wacht Nacht auf Nacht vergebens,
Bis hoffnungslos sie bittre Thränen weinte,
An alte Sagen dachte, rief mit ihnen: –
Auf Mannes Treue baut sich keine Hoffnung!
Sie stand allein auf ihrem hohen Thurm
Und sah, als sich der Abendstern erhob,
Ein siegreich Banner rücken in die Burg.
Sie eilt hinab, die Kämpfer zu begrüßen,
Die Krieger waren in der Halle schon –
Doch was erblickt sie dort? – weh, eine Bahre
Und auf der Bahre lag ihr theurer Vater,
An seiner Seite knie'te Roland nieder,
Das Angesicht verhüllend mit den Händen –
Doch Isabelle kennt sein Lockenhaupt,
Die stattliche Gestalt, und warf in Trauer
Sich an sein Herz – er aber wich zurück,
Als brächte sie Verzweiflung, Krankheit, Tod.
»Ich war es, der den Vater dir erschlug.«
Ohnmächtig sank sie auf den Leichnam hin.
Ach, es war nur zu wahr! – In Liebeshast
Stürzt Roland sich ins dichteste Gefecht;
Das Feld erreichend, als der Kampf begann,
Und seine Farben nicht erkennend, traf
Sein wildes Schwert den Vater Isabellens.

Sie sahen sich noch ein Mal – Isabelle
Erschien, als wäre lange Zeit vergangen;
Sie war so bleich, so hager, ihre Thränen
Verwischten ihrer Augen reichen Glanz.
Sie hatte ihre Locken abgeschnitten,
Und trug ein schwarzes, finsteres Gewand
Mit einem weißen Kreuz; es kündete
Ihr Loos; dem Himmel weiht' sie ihre Jugend;
An diesem Tage trat sie in das Kloster.
Wie Marmor, starr und bleich und regungslos
Stand Roland dort – des Lebens einzig Zeichen
War nur der kalte Schweiß auf seiner Stirn. –
Endlich ergriff er die geliebte Schärpe,
Die Isabelle einst um seinen Nacken schlang,
Und gab sie ihr – und bat sie, hinter'm Gitter
Der Zelle jeden Abend sie zu schwingen,
Damit er wisse, daß sie noch am Leben.
Dann schieden sie, und kamen nimmermehr
Zusammen. – Roland baute einen Thurm
Jenseits des Rheins und wohnte dort und sah
Die weiße Binde jeden Abend flattern,
Und hörte Isabellens Abendhymnus
Im süßen Ton zu ihm herüber dringen. –
Doch eines Abends sah er nicht die Schärpe.
Er wartete vergebens, bis zuletzt
Sich seine Hoffnung in Verzweiflung wandelt'.
Er ahnte, daß ihn Isabelle möchte
Vergessen haben – es war Mitternacht,
Und mit ihr tönt des Klosters dumpfe Glocke,
Für eine Abgeschiedene geläutet. –
Da wußt' er, Isabelle sei gestorben;
Am andern Tage senkt man sie in's Grab. –
Der Mond beschien, als er am Himmel aufging
Mit seinem bleichen Strahl, auf jener Stätte
Dort einen Trauernden – und jenes Grab
War Rolands Todesbett.

O. L. B. Wolff.

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