Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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50. Kapitel

Ankunft in Jemal und Beschluß dieser Geschichte

Als Danischmend mit seinen Reisegefährten zu Lahor ankam, trafen sie in dem Karawanserai, wo sie abstiegen, ein paar Derwische an, in welchen sie bei näherer Beaugenscheinigung, zu ihrer aller großen Freude, Sadik und Aruja erkannten.

Perisadeh glaubte in der Letztern eine jüngere, so wie Aruja in Perisadeh eine ältere Schwester zu sehen, und die Zuneigung, die sie beim ersten Anblicke für einander fühlten, endigte nicht eher als mit ihrem Leben. Was ihnen das entflohene Ehepaar von den Umständen seiner Entweichung entdeckte, klärte Danischmenden das Geheimnis seiner eigenen Entfernung von Dehly auf; und, um von aller Furcht vor Nachsetzung entbunden zu werden, fehlte ihnen nichts, als zu wissen, was für gute Anstalten die Sultanin für ihre Ruhe getroffen hatte.

Sie setzten nun die Reise nach den Tälern von Jemal mit einander fort; nur Faruk eilte voraus, um einige Tage früher anzukommen, damit er seinen Brüdern von dem Erfolge seiner Absendung Bericht erstatten, und alles zu Danischmends Empfang vorbereiten könnte.

Feridun und die wenigen Anhänger, die ihm geblieben waren, hatten inzwischen alles mögliche versucht, um sich vom Hofe zu Kischmir Unterstützung zu verschaffen: als aber eine öffentliche Erklärung der Einwohner von Jemal erschien, daß sie sich unter den unmittelbaren Schutz des großen Sultans von Indostan begeben hätten, fand man bedenklich jenen länger Gehör zu geben; und der bald darauf angelangte kaiserliche Firman, der die Einwohner von Jemal von aller Abhängigkeit von dem Könige in Kischmir frei erklärte, und dem letztern untersagte sich in ihre inneren Angelegenheiten zu mischen, bewog diesen Fürsten, den Flüchtlingen andeuten zu lassen, daß er ihnen keinen längern Aufenthalt in seinem Lande gestatten könne. Was hierauf aus Feridun und seiner Bayadere und den beiden Kalendern, die sich in ihren Besitz mit ihm teilten, geworden sei, weiß man nicht: die übrigen aber suchten sich mit ihren Landesleuten auszusöhnen, und kehrten unter der Bedingung, deren wir sogleich erwähnen werden, in ihr Vaterland zurück.

Danischmend wurde von dem ganzen Volke von Jemal eingeholt und mit hohem Jubel in seine alte Wohnung eingeführt. Kassim und Zeineb waren vor Freude außer sich, ihm alles, was sie von seiner Freigebigkeit empfangen hatten, wieder zurück zu geben, und konnten, eben so wie der brave Faruk, nur mit vieler Mühe bewogen werden, eine reichliche Vergütung dessen, was sie dadurch verloren, von ihm anzunehmen.

Er erklärte hierauf dem Volke in einer allgemeinen Versammlung: Daß er nicht als Statthalter des Königs der Könige, sondern als ein Bruder zu seinen Brüdern, zu ihnen zurück komme, und von seiner Vollmacht keinen andern Gebrauch zu machen gedenke, oder machen zu müssen hoffe, als ihre alte glückliche Verfassung und Lebensweise, die ihnen, wie er nicht zweifle, durch alles Vorgegangene nur desto lieber geworden sein müsse, wieder herzustellen, und dann unter ihnen als unter seinesgleichen zu leben, ohne ein anderes Ansehen geltend machen zu wollen, als was ihr eigenes Vertrauen in seine Redlichkeit und Liebe zu ihnen allen ihm freiwillig zugestehen werde.

Das erste Geschäft, welchem er sich nun, mit Beiziehung der Ältesten aller Gemeinen, und derjenigen, die sich in den Zeiten der Betörung durch ihre Anhänglichkeit an die alten Sitten ausgezeichnet hatten, unterzog, war, alle Spuren jenes unglücklichen Zeitraums in Jemal, so viel nur immer möglich war, auszulöschen. Eine allgemeine Verzeihung und Vergessenheit des Geschehenen sollte hierzu den Grund legen: nur Feridun und die mit ihm verbundenen Ausgewanderten wurden davon ausgenommen; es wäre denn, daß sie sich gefallen lassen wollten, auf alle an sich gezogene Grundbesitzungen Verzicht zu tun, und sich an ihren angestammten Gütern zu begnügen. Alles übrige, was sie auf Kosten ihrer Brüder erworben hatten, wurde für Eigentum der Nation erklärt, und mit allgemeiner Genehmhaltung dergestalt verteilt, daß der vierte Teil davon gemeines Gut verbleiben, und unter öffentlicher Verwaltung gemeinnützig verwendet, das übrige aber unter die ärmsten Jemalitter, nach Proportion der Stärke ihrer Familien, verteilt werden sollte.

Alle noch übrig gebliebene Gegenstände, Werkzeuge und Werkstätten der Hoffart und Üppigkeit wurden teils vernichtet, teils außer Landes zum Vorteil der ganzen Gemeinheit verkauft. Zwar ließ sich Danischmend von Perisadeh und Aruja erbitten, eine Manufaktur beizubehalten, welche Frau Zeineb mit großer Emsigkeit errichtet hatte, um sich selbst und ihren guten Freundinnen Kalessons und Hemden von feinerem Gespinst und Gewebe, als ehmals in Jemal üblich war, zu verschaffen: aber diese Ausnahme wurde nur unter der Einschränkung zugestanden, daß diese Manufaktur ein Eigentum der ganzen Gemeinheit sein, und der reine Ertrag, den sie bei einem festgesetzten sehr mäßigen Preise abwerfen könnte, zum Nutzen der darin arbeitenden Kinder und zu andrer Arbeit untüchtigen Personen verwendet werden sollte. Die gute Zeineb glaubte das Vergnügen, Vorsteherin dieser Anstalt, an welcher ihr ganzes Herz hing, zu bleiben, auf diese Bedingung nicht zu teuer zu erkaufen: und da doch manche Hände, die sonst müßig geblieben wären, dadurch beschäftigt wurden; so glaubte Danischmend in diesem einzigen Stücke der Weiblichkeit der jemalischen Frauen, zu deren Gebrauch die Produkte dieser Manufaktur ausschließlich bestimmt waren, nachgeben zu können, ohne den Vorwurf einer allzu weit getriebenen Gelindigkeit zu verdienen.

So bald die Gleichheit unter den Bewohnern von Jemal, so weit als es ohne jemanden unrecht zu tun anging, wieder hergestellt, und die Verfassung der Gemeinen sowohl als des ganzen Volkes wieder auf den ehmaligen Fuß gesetzt war, glaubte Danischmend, alles übrige werde sich unvermerkt von selbst wieder in das vorige Geleis zurück schieben. Anstatt die Zahl der Gesetze zu häufen, die er unter einem kleinen Volke für ein sehr unzulängliches Surrogat des Mangels guter Sitten hielt, begnügte er sich, durch sein eigenes und Perisadehs Beispiel, welches zugleich die Regel aller ihrer Freunde war, die gute alte Sitte, die Einfalt der Lebensweise, und alle die häuslichen und geselligen Tugenden, welche die Grundlage der menschlichen Glückseligkeit sind, sichtbar darzustellen und nach und nach wieder allgemein zu machen: und da die Betörung dieses gutartigen Volkes nicht lange genug gedauert hatte, daß das Gift der Verderbnis bis in den Grund des Herzens hätte eindringen können; so hatte er die Freude, den Geist der Mäßigung, des Fleißes, der Eintracht und der Zufriedenheit eher wieder in Jemal herrschen zu sehen, als er selbst gehofft hatte.

Wir zweifeln sehr, ob im ganzen ungeheuern Reiche des großen, gerechten und vielgeliebten Schach-Gebal noch ein so glücklicher Mann lebte als Danischmend. Er konnte ohne Unbescheidenheit das wieder hergestellte Glück der Jemalitter als sein Werk betrachten; aber dies war ein Gedanke, der ihm nur selten in den Sinn kam: sie wieder glücklich zu sehen, weil sie wieder gut waren, und am Anschauen des äußerlichen und sittlichen Wohlstandes, der dieses kleine Volk auszeichnete, sein Herz zu laben, dies war es, was dem Genuß seines eigenen Glückes einen so großen Zuwachs gab. Denn auch für sein Privatglück ließ ihm das Schicksal nichts zu wünschen übrig. Er erlebte die Zeit, da alle seine Kinder in diesem Boden, den er zu ihrem Vaterland erwählt hatte, gleichsam eingewurzelt und auf eben dieselbe Art glücklich waren, die er selbst als die einzig wünschenswürdige erfahren hatte. Er hatte die Freude, sich selbst in seinen Söhnen, Perisadeh in seinen Töchtern wieder aufblühen zu sehen; er lebte lange genug, um die Kinder seiner Enkel auf seinen Knieen zu wiegen; und ihm wurde endlich das beneidenswerte Glück zu Teil, an eben demselben Tage mit Perisadeh in ein besseres Leben hinüber zu schlummern.

Sadik und Aruja fanden sich durch den gerechten Spruch des Sultans Gebal und die eigennützige Freigebigkeit der Sultanin Nurmahal in den Stand gesetzt, in Jemal auf einem Fuße zu leben, der ihnen das Glück gewährte, auch zur Beförderung des allgemeinen Wohlstandes ihrer neuen Mitbürger mitzuwirken. Sie schlossen mit der Danischmendischen Familie einen Freundschaftsbund, der bis auf ihre späte Nachkommenschaft fortdauerte. Eine Tochter, mit welcher Aruja ihren in Jemal sich wieder verjüngenden Alten beglückte, wurde in der Folge mit einem von Danischmends Söhnen, so wie zwei würdige Söhne des wackern Faruk mit seinen beiden Töchtern vermählt; und diese Verbindungen, wodurch die drei liebenswürdigsten Familien von Jemal in eine einzige zusammen geschlungen wurden, konnten nicht anders als das gemeinschaftliche Glück ihrer aller vollkommen machen.

 
Ende des Danischmend


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