Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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21. Kapitel

Eine seltsame Begebenheit. Man bittet die Leser, ernsthaft zu sein

Unterdessen daß Danischmend und sein philosophischer Kalender so harmlos und so vergeblich über Dinge schwatzten die sie nicht ändern konnten, waren die Fakirn und ihre Lingams nicht müßig gewesen; und die Hälfte der Bewohner dieser glücklichen Täler befand sich binnen wenig Tagen mit einem desto gefährlichem Gift angesteckt, weil dessen erste Wirkungen angenehm, die verderbenden Folgen hingegen einem so unerfahrnen Völkchen unmerklich waren. Die Männer ließen sich mit fünfköpfigen Bildern und die Weiber mit Lingams begaben, welche sie, um dereinst an Rutrens Paradiese Teil zu haben, nach der Vorschrift der Fakirn alle Morgen in reinem Wasser badeten, dieses Wasser sodann tranken, und den Lingam, nachdem sie ihn andächtig geküßt hatten, in Musselin sauber eingewickelt, an einer seidnen Schnur auf ihrem Busen trugen. Eine Närrin machte die andre; denn, außerdem daß ihnen die Fakirn Wunderdinge von Rutrens Paradies erzählten, war so ein – ich weiß nicht was in dem Lingam, das sich besser empfinden als sagen ließ. – »Wenigstens« (sagten diejenigen, die für klüger als andre angesehen sein wollten) »wenigstens sehen wir nicht, was er sollte schaden können.«

Der Fehler war, daß die guten Evatöchterchen nicht weiter sahen als ihre Nase reichte.

Aber eines Morgens, als Danischmend und der Kalender, ihrer Gewohnheit nach, aufs Feld spazieren gingen, wurden sie von einem gräßlichen Geschrei, das aus einer benachbarten Wohnung kam, von ihrem Wege abgerufen. Sie eilten dem Orte zu, drangen hinein, und fanden – sollen wir's sagen? – fanden – – – wie gern wollten wir's verheimlichen, wenn es, ohne das Folgende durch die Lücke unverständlich zu machen, geschehen könnte! – fanden – um uns so kurz als möglich aus der Sache zu ziehen – den Mann einer schönen jungen Frau schäumend vor Wut, im Werke, einem der Fakirn, den er zappelnd und schreiend unter seinen Knieen hatte, mit einem großen Gartenmesser – seinen Lingam abzumähen. Die schöne Frau, halb nackend, mit fliegenden Haaren, und vor Angst außer sich, bestrebte sich umsonst des Mannes Arm aufzuhalten; der Schnitt war in demselben Augenblicke, da Danischmend in die Kammer trat, vollbracht, und der Fakir lag ohnmächtig in seinem Blute. Kaum hatten Danischmend und der Kalender noch Zeit, den wütenden Mann, dessen Grimm sich nun gegen seine Frau kehrte, mit aller ihrer Stärke von ihr zurück zu reißen. Er schwor mit brüllender Stimme, daß er gerochen sein wollte; aber die arme Frau rief laut weinend Himmel und Erde zu Zeugen ihrer Unschuld an.

Unterdessen hatte der Lärm das ganze Dorfe um die Hütte versammelt. Die Ältesten drangen herein; man brachte den wütenden Ehemann ein wenig zu sich selbst: und der Kalender, der einige Kenntnis von der Wundarznei hatte, bemühte sich, das Verbluten des leidenden Fakirs zu stillen, verband ihn, und rief ihn wieder ins Leben zurück.

Die Ältesten führten hierauf den Mann und die schöne Frau heraus vor die Hütte, unter eine Linde, um die sich das Volk in einem Kreise herum zog. »Rede«, sagten sie zu dem Manne: »was bewog dich diese rasche Tat zu tun?«

»Ich war«, sprach der Mann, »mit Sonnenaufgang hinaus gegangen, in meinem Garten zu arbeiten; mein Weib schlummerte noch. Nach einer Stunde komm ich zurück, um sie mit einem Kuß aufzuwecken; denn ich liebte sie, wie ihr alle wißt. Aber – verflucht sei die Stunde! – da ich – Wut und Entsetzen! ich kann nicht forterzählen« –

»Fasse dich«, sagte einer der Ältesten, »schöpfe Atem, wasche deinen Kopf und deine Arme dort in der frischen Quelle, dann komm zurück.« Der Mann gehorchte.

»Ich bin unschuldig«, sagte die schöne Frau mit Tränen, die in großen Tropfen über ihre glühenden Wangen rollten, »ich habe nichts verbrochen; der Fakir – ich hielt ihn für einen Mann, der mit Göttern umginge – er hat mich betrogen, aber – ich bin unschuldig.«

Der Mann kam zurück. »Rede nun«, sprachen die Ältesten.

»Indem ich die Tür öffne, seh ich – den Fakir, und – mein Weib halb nackend auf meinem Lager – ringen, oder – Gott weiß es! ich weiß es nicht: Mir wurde dunkel vor den Augen; ich hatte mein Messer in der Hand; der Fakir fuhr zurück; ich stürzte auf ihn hin, warf ihn zu Boden, tat ihm wie ihr gesehen habt; – und die Ungetreue – wie könnte sie unschuldig sein? – sie wollte mich zurück halten!«

»Menschlichkeit, Schrecken«, – rief die Frau: »ich glaubte daß er ihn erwürgen wollte – wußte vor Angst nicht was ich tat!«

»Du hast recht getan«, sagten die Ältesten zu dem Manne. »Recht getan! recht getan!« schrie das ganze Volk.

»Man fahe die beiden andern, und tue ihnen ebenso«, riefen einige. – Die Weiber alle rissen ihre Lingams vom Halse, und warfen sie mit Unwillen weit von sich. Die Männer machten's mit ihren Fünfköpfen eben so.

»Nun rede Du«, sagten die Ältesten zu der schönen Frau.

»Ich bekenne«, sagte sie, »daß ich mich von diesem Fakir wie ein albernes Ding einnehmen ließ. Ich hörte ihn gern Märchen erzählen von seinen Göttern, und von Rutrens Paradies, und von den Verwandlungen des Wistnu; da war mir's ich hätt ihm den ganzen Tag zuhören mögen, und glaubte ihm alles was er sagte. Dies mocht er wohl gemerkt haben, und sich einbilden, daß er alles mit mir machen könnte was er wollte. Nun hatt er mir einen Lingam gegeben, wie vielen andern auch; den trug ich am Halse wie andre, ohne recht zu wissen was es war; und da erzählt er mir ich weiß nicht was, von Rutrens Buße, und wie ihn die Bramen bezaubert hättenDie Braminen kamen unglücklicher Weise dazu, als Rutren ihnen die Ehre tat, mit ihren Weibern zu kurzweilen, und waren unhöflich genug, die furchtbare magische Ceremonie, Jekiam genannt, gegen ihn vorzunehmen, welche die Macht hat, demjenigen, gegen den sie gerichtet wird, welches Glied man will vom Leibe fallen zu machen. Rutren wurde über den Verlust, den er durch diese Bezauberung erlitt, so wütend, daß er, wie Ariosts rasender Roland, alles verwüstete und zerstörte, was ihm in den Wurf kam; und er besänftigte sich nicht eher, bis ihm der Einfall kam, den Lingam zu einem Gegenstand religiöser Verehrung zu machen. Essay Hist. sur l'Inde, p. 191, 92. , und wie er allen denen das Paradies geben wollte, die den Lingam ehrten und am Halse trügen. Und gestern abend sagt' er mir ins Ohr, er wollte mich des folgenden Morgens besuchen, und mir weit schönere Dinge erzählen als bisher, und Dinge, die er andern nicht sagen dürfte, weil Rutren mehr Gefallen an mir hätte. Dies schmeichelte, ich bekenn es, meiner törichten Eigenliebe; und da erlaubt ich ihm zu kommen; aber mein Herz dachte an nichts Arges. Und da kam er als ich noch schlief, und weckte mich mit einem Kuß; und weil ich meinte es wäre mein Mann – denn mein Herz dachte nicht an den Fakir – so gab ich ihm den Kuß wieder. Und da wollt er verhindern, daß ich die Augen nicht aufschlage, und wollte – was ich mich schäme zu sagen; da rafft ich mich auf, und tat einen lauten Schrei, wie ich sah daß es der Fakir war. Und da bat er mich mit aufgehobnen Händen ruhig zu sein, und schwor mir daß er Rutren sei, und daß ich reizender in seinen Augen sei, als die schöne Paraswadi, und ich weiß nicht mehr was er alles sagte, um mich zu betören. Aber ich wickelte mich in meine Decke, und hieß ihn gehen. Da gebärdete er sich wie ein Unsinniger, und riß – die Decke weg. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen; aber er war mir zu stark, und ich glaube wahrhaftig daß er mich überwältigt hätte, denn ich konnte nicht schreien:Madame Anne de France, zweite Tochter König Ludwigs XI. – fine femme, et deliée s'il en fut oncques, et vraye image en tout du feu Roy son Pere, sagt Brantome in der Einfalt seiner Hofschranzenschaft von ihr, indem er sie sehr dadurch zu loben meint – konnte nicht leiden, wenn sich ein Frauenzimmer in dergleichen Umständen über Gewalt beklagte; und bediente sich, um die Nichtigkeit eines solchen Vorgebens begreiflich zu machen, eines Gleichnisses, welches – wiewohl es vor dritthalb hundert Jahren aus dem Munde einer Fille de France ging – in unsern Tagen vor einer so guten Gesellschaft, als das Publikum ist, sich nicht wohl nachsagen läßt, und also, wenn man einen Beruf dazu hat, im Brantome selbst (Memoir. T. VIII. p. 285) gelesen werden kann. Wir begnügen uns so viel davon zu sagen, daß Madame Anne de France eine Kennerin war, und unstreitig recht hat, die Juristen mögen einwenden was sie wollen.

Beccaria

aber indem wir so rangen, da kam, zu meinem Glücke, mein Mann, und ihr alle wißt was weiter geschah. Dies ist die reine Wahrheit, und ihr seht, daß mir nichts begegnet ist als was andern auch begegnen konnte. Aber mein Mann wird mir nicht glauben, daß ich unschuldig bin und nichts verschwiegen habe, und andre werden's auch nicht glauben, und so bin ich verloren, und kann mich nicht rechtfertigen, und kann mich selbst nicht länger ausstehen, nachdem mich die Augen und die Hände des Betrügers entheiliget haben. Verflucht sei er und sein Gott Rutren und alle seine Lingams!« – Mit diesen letzten Worten riß sie ihrem Manne sein Messer aus der Hand, und stieß sich's in die Brust.

Danischmend, der ihr (wiewohl nicht schnell genug um die Tat ganz zu verhindern) den Arm zurück riß, verhinderte doch, daß die Wunde nicht tödlich wurde. Aber das Volk, da es Blut aus ihrem schönen Busen strömen sah, geriet in Wut. Der Mann, auf einmal überzeugt von der Unschuld seines Weibes, stellte sich an die Spitze der übrigen, und alle verlangten mit großem Ungestüm, daß die Fakirn zu den Füßen der sterbenden Unschuldigen abgeschlachtet werden sollten. Man suchte sie überall; aber die Gesellen des Verwundeten, da sie den Lärm sahen, hatten die Flucht genommen. – »Die Frau kann noch gerettet werden«, rief Danischmend: »man jage den Fliehenden nach; und wir, versäumen wir keinen Augenblick die schöne Kezia zu retten!«

Der Kalender legte nun eine zweite Probe seiner Kunst ab, mit desto größerm Eifer, da er dies für eine Gelegenheit ansah, sich um dies kleine Völkchen, und um Perisadeh, deren Verwandte die schöne Kezia war, verdient zu machen.

Die Wut des Volkes legte sich ein wenig, da man vernahm, daß die Wunde weder tödlich noch gefährlich sei. Aber die Fakirn, die Lingams und die Fünfköpfe hatten durch diese Begebenheit ihr Ansehen unwiederbringlich verloren.

»O, des großen Dienstes, den uns die Torheit dieses Fakirs getan hat!« – sagte Danischmend zum Kalender, da sie nach Hause gingen. »Unsere Philosophie hätte sich Jahr und Tag mit seinen Lingams herumbalgen können, ohne ihnen halb so viel Schaden zu tun, als er sich selbst und ihnen in einem Augenblick getan hat.«

Man wird vielleicht unwahrscheinlich finden, daß die Fakirn gleich in den ersten Tagen ihrer Erscheinung unter einem unbekannten Volke eine Unvorsichtigkeit von solchen Folgen begangen haben sollten. Aber erstlich waren sie noch jung;

zweitens, nicht etwann von ihren Obern mit gemessenen Verhaltungsbefehlen abgeschickt, sondern von ungefähr in dies Land gekommen;

drittens, schien dies Volk ein so gutes leichtgläubiges Völkchen, und die schöne Kezia ein so lenksames Schäfchen zu sein;

viertens, kann ein Fakir, zumal wenn er noch jung ist, nicht so lange warten wie andre Leute;

fünftens, scheint er selbst von der Gelegenheit – dem gefährlichsten unter allen Teufeln die den Menschen nachstellen – überrascht worden zu sein;

endlich sechstens und letztens, würde wenig Böses geschehen, wenn die Leute fein bedächten was sie täten, und immer den goldnen Spruch vor Augen hätten: RESPICE FINEM.


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