Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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35. Kapitel

Eine neue Erscheinung in Jemal, und ein Gespräch darüber zwischen Zeineb und Perisadeh

Die beiden Dörfer, worin Feridun und Danischmend wohnten, lagen, wie alle übrigen im Tale Jemal, so nahe beisammen, daß alles nur eine einzige lange Kette von Wohnungen, Gärten und Feldern zu sein schien, und die Einwohner machten gleichsam nur Eine Familie aus.

Feridun hatte also nichts Angelegneres, als seine guten Nachbarn an seinem vermeinten Glück Anteil nehmen zu lassen; und schon am dritten Tage nach seiner Ankunft hatte er angefangen, mit seiner reizenden Devedassi am Arm und mit ihrem angeblichen Bruder an der Seite, von einem Hause zum andern im Triumph herum zu ziehen.

Danischmend und Perisadeh machten große Augen, als ihnen, wie sie in die Hütte des alten Kassim traten, dieselbe nämliche Tänzerin entgegen schimmerte, die in einem blendenden Aufzug ihren ersten Besuch bei der ehrlichen Zeineb machte, und sich, wie es schien, in wenig Minuten schon auf einen ganz traulichen Fuß mit ihr gesetzt hatte.

Perisadeh betrachtete die Neuangekommene mit einem Erstaunen, woran sich Danischmend sehr ergetzt haben würde, wenn er bei besserer Laune gewesen wäre. Sie wußte nicht ob sie ihren Augen trauen dürfe: und da sie in ihrem Leben noch kein Geschöpf dieser Art, so lebhaft, so leicht, so reizend in allen ihren Bewegungen, und in einer so reichen und üppigen Kleidung, gesehen hatte; so konnte sie sich der Vorstellung kaum erwehren, daß sie eine der Feen sehe, mit welchen ihre Phantasie in ihren Kinderjahren durch die arabischen Märchen bekannt worden war.

Danischmend zückte die Achseln, und setzte sich schweigend an seine gewöhnliche Arbeit, ohne gewahr zu werden, daß die schöne Devedassi ihn unter ihren langen Augenwimpern hervor mit immer steigender Aufmerksamkeit ansah, und hierauf dem jüngern Kalender, ihrem Bruder, etwas ins Ohr flüsterte, das ihn, wie es schien, zugleich aufmerksam und unruhig machte.

Bald darauf beurlaubten sich die Neuangekommenen wieder, und Zeineb und Perisadeh setzten sich mit ihrer Arbeit auf eine Bank vor der Hütte, um den Gefühlen Luft zu machen, die diese neue Erscheinung in ihnen aufgeregt hatte.

»Wie glücklich dieser Feridun ist!« fing Zeineb an: »wie mag er, der doch nur ein einfältiger Landmann ist, zu einer so vornehmen und reichen Dame gekommen sein? Flimmerte nicht ihr Schal, als ob er aus lauter Sonnenstrahlen gewirkt wäre? Und ihr Unterkleid! Spinnen können nichts so Feines weben! Begreifst du, wie so was von Menschenhänden gemacht sein kann?«

»Ihr Aufzug gefiel dir doch nicht, will ich hoffen?«

»So recht ehrbar ist er nun wohl nicht, liebe Perisadeh; aber er ließ ihr doch gar zu schön, das muß ich sagen« –

»Und du hättest wohl Lust –?«

»Wenn ich auch Lust hätte, woher wollte mir mein armer Mann so reiche Sachen schaffen können?«

»Pfui, Zeineb! schäme dich so zu reden! In deinem Leben ist dir noch nicht eingefallen, daß dein Mann arm sei, und du hast ihm immer gefallen wie du hier bist. Was sollte dir oder mir ein Schal aus Gold- und Silberfaden gewebt? Oder würdest du dich nicht vor dir selber schämen, wenn du dich in einem so durchsichtigen Gewande vor den Leuten sehen lassen solltest?«

»Das ist auch wahr! daran dacht ich nicht. Aber du wirst sehen, Perisadeh, eh ein Monat vergeht, wird die Hälfte unsrer Weiber so gekleidet sein, – wenn auch nicht völlig so reich – wie die Feridun.«

»Gott behüte! Das werden unsre Ältesten nicht zugeben, Zeineb, und du und ich und alle ehrlichen Weiber im Lande wollen mit gesamter Hand dagegen sein! Weißt du auch wohl wer die Fremde ist, die du für so was Vornehmes hältst? Der Kalender sagte es uns diesen Morgen. Eine herum ziehende Tänzerin aus Surate, eine – wie soll ich sagen? – Man hat, Gott sei Dank! bei uns keinen Begriff davon und kein Wort dafür was sie ist

»Was du sagst! – Wer hätte so was denken sollen! Ich würde sie für eine Sultanin angesehen haben, wenn sie mir auf der Straße begegnet wäre. – Aber der Kalender hat ihr das wohl nur so nachgesagt. Ich muß dir's nur gestehen, der Mann gefällt mir nicht – er hat so was Heimtückisches in den Augen! Ich traue ihm nicht über den Weg« –

»Da tust du ihm, denk ich, zu viel, liebe Zeineb! Wenn du wüßtest was für ein Kinderfreund er ist, du würdest gewiß besser von ihm denken.«

»Das mag wohl sein«, sagte Zeineb, indem sie einen abgerißnen Faden an ihr Gespinst wieder anknüpfte; und das Gespräch stockte eine Weile.

Danischmend und Kassim, die am offnen Fenster saßen, hatten von dem traulichen Geplauder der Weiber kein Wort verloren, und mehr als einmal die Köpfe dazu geschüttelt. »Wo wird das hinkommen?« sagte Danischmend: »sollen wir uns von einer Landstreicherin das Glück unsers Lebens vernichten lassen?«

»Aber meinst du nicht auch, Perisadeh«, fing Zeineb wieder an, »wenn wir uns rechte Mühe geben wollten, wir sollten noch wohl eben so feines baumwollen Garn heraus bringen können, als die Feridun zu ihrem Hemde hatte?«

»Wozu, gute Zeineb, wolltest du dir diese Mühe geben? Deine Hemden sind für eine ehrliche Frau fein genug. Mit einer Devedassi, wie diese da, ist es freilich ein anderes, Kind!«

»Nein, beim Himmel!« rief Danischmend, indem er seinen Korb halb vollendet auf die Erde warf – »Kassim! das soll nicht sein, daß eine solche Dirne mit ihrem flinkernden Schleier und mit ihrem durchsichtigen Hemde unsern guten Weibern den Kopf verrücke! Glaube mir, das Herz wird nicht besser dadurch. Eins von beiden, so wahr ich Danischmend heiße: entweder sie muß sich tragen wie es hier gebräuchlich ist, oder Feridun mag in Frieden mit ihr von hinnen ziehen! Die Sache ist keine Kleinigkeit; das Heil unsers ganzen Volkes und unsrer Nachkommenschaft steht auf dem Spiele. Wir müssen mit unsern Ältesten sprechen, Kassim: dem Übel muß Einhalt getan werden, eh es um sich frißt!«


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