Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

46. Kapitel

Was für ein Pflaster der getreue Kerim auf die Wunde seines Herrn legt. Der Sultan entschließt sich, Danischmenden wieder zu entfernen

Indessen Danischmend mit der vollständigen Überzeugung nach Hause trabte, daß die Natur es mit ihm eher auf alles andere als auf den Freund eines Sultans angelegt habe, strich Schach-Gebal in den einsamsten Gängen seiner Gärten umher, und suchte mit sich selbst einig zu werden was er wolle oder nicht wolle. Seine Leidenschaft hatte durch den mißlungenen Versuch seines neuen Unterhändlers eine Wendung bekommen, die dem häuslichen Glücke des ehrlichen Sadik nicht viel Gutes versprach. Je gewisser er erwartet hatte, daß man seine Anträge mit der feurigsten Dankbarkeit annehmen werde, desto heftiger war itzt sein Unwille, sie so geradezu verworfen zu sehen: und von wem? Von Sklaven, die er mit einem Wink vernichten konnte – denen er nur seinen Willen zuzuherrschen brauchte, um die unbedingteste Unterwerfung von ihnen zu erwarten, und die er, um freiwillig von ihnen zu erhalten was er als unbeschränkter Gebieter fordern konnte, so großmütig bis zu sich hatte erheben wollen. Noch nie hatte er sich in einem so peinlichen Gedränge zwischen seinen Leidenschaften, und dem was er seinem Ruhm schuldig war, befunden, noch nie den Gedanken – daß er nicht alles dürfe was er könne – drückender gefühlt als itzt. Sein Ingrimm über die schöne Aruja schien die Leidenschaft mehr anzuschüren als auszulöschen; und wenn man das, was er noch für sie fühlte, Liebe nennen könnte, so hätte er durch seine Erfahrung bewiesen, daß Liebe und Haß zugleich in eben demselben Busen mit gleicher Stärke wüten könnten. Aber was er fühlte, verdient keinen so schönen Namen; es war bloße Begierde die undankbare Widerspenstige eben dadurch zu bestrafen, daß er sie, auch wider ihren Willen, zum leidenden Werkzeuge seiner Selbstbefriedigung machen wollte.

Indem er diesen Gedanken nachhing, ward er in einiger Entfernung seinen Kämmerling Kerim ansichtig, der ihm nicht ohne Absicht nachgeschlichen war, und aus Vergleichung verschiedener neuerlicher Wahrnehmungen vermutete, daß sein Herr seines Dienstes vielleicht vonnöten haben könnte. – Kerim hätte seine Zeit nicht besser nehmen können; denn wirklich war er der einzige, dem der Sultan die Gedanken, die jetzt in seinem Herzen kochten, anvertrauen, und von dessen Gewandtheit er sich Rat und Mittel zu ihrer Ausführung versprechen konnte.

Schach-Gebal winkte ihn herbei, und entledigte sich eines lästigen Geheimnisses in die niedrige Seele eines verächtlichen Hämmlings, den die Dienste, die er von ihm erwartete, auf einmal wieder zu der zweideutigen Ehrenstelle eines Günstlings und Busenfreundes erhoben.

Kerim war unstreitig ein besserer Ratgeber, wie ein Sultan sie nötig hat, als der unpolitische und unbehülfliche Danischmend. Er machte sich kein Bedenken, den verschiedenen Leidenschaften, von welchen er seinen Herren zugleich bearbeitet sah, jeder nach ihrer eigenen Weise zu schmeicheln, und den Vorsatz, das Feuer welches Aruja in seinem Busen entzündet hatte, es koste was es wolle, an dem ihrigen zu löschen, für den einzigen zu erkennen, der unter solchen Umständen seiner würdig sei. Nur schien die Frage, wie dieses edle Vorhaben am bequemsten und schicklichsten auszuführen sei, immer schwieriger zu werden, je mehr sie darüber ins besondere gingen.

Doch, für einen Kopf wie Kerims gab es in Sachen dieser Art keine unüberwindliche Schwierigkeiten; und so wurde denn, nachdem man die verschiedenen Plane, die sich ihm zugleich darstellten, von allen Seiten erwogen und bald angenommen bald wieder verworfen hatte, zuletzt beschlossen, die schöne Aruja vermittelst eines wohl ausgesonnenen Vorwandes an einen Ort zu locken, wo Kerim sich ihrer, ohne Aufsehen zu machen, bemächtigen, und sie in aller Stille nach einem der Landhäuser Seiner Hoheit bringen sollte.

Es war ein ziemlich naher Tag zur Ausführung dieser schönen Heldentat angesetzt. Allein so bald Schach-Gebal wieder allein war, wurde eine Bedenklichkeit in seinem Gemüte rege, die in Kerims Gegenwart nicht hatte aufkommen können.

Dieser Sultan war, wie wir wissen, ein sonderbares Gemisch von guten und schlimmen Eigenschaften. Er besaß zwar keine Tugend, welcher nicht durch irgend ein angrenzendes Laster immer Schach geboten worden wäre; hingegen hatte er auch kein Laster, dem nicht eine entgegen stehende Tugend, oder etwas das ihr ähnlich sah, immer die Waage gehalten hätte; so daß er, durch die beständige Wirkung dieser zwei entgegen gesetzten Kräfte, sich in einer Art von Diagonale bewegte, die ihn (wenige Fälle abgerechnet) weder so gut sein ließ, als er zuweilen sich zu sein schmeichelte, noch so schlimm, als er zu sein Lust hatte, so oft irgend eine unartige Leidenschaft, von schändlichen Ratgebern und Handlangern unterstützt, die Oberhand über ihn gewann.

Eine von den besagten guten Eigenschaften, über welche er mit aller seiner sultanischen Machtgewalt nie völlig Meister werden konnte, war die Scham vor guten Menschen; eine Schwachheit, womit er zwar aus Mangel an Gelegenheit etwas selten befallen wurde, deren er sich aber, seit seiner Bekanntschaft mit Danischmenden, nie hatte erwehren können, so oft er besorgen mußte, diesen in so mancher Rücksicht unbedeutenden Mann zum Zeugen oder heimlichen Beobachter einer unlöblichen Handlung zu haben. Alles sein Bestreben, diesen Mann durch die Übernamen Phantast, Schwärmer, Träumer, Philosoph und dergleichen, in seinen eigenen und andrer Augen herab zu würdigen, konnte nie bewirken, daß er ihn nicht im Grunde seines Herzens für etwas, woran er nicht gern glaubte, für einen guten Menschen, zu halten genötigt war: und wenn gleich diese geheime Macht, welche Danischmend (vermutlich ohne es selbst zu wissen) über ihn ausübte, nicht vermögend war, ihn von einer Übeltat, zu welcher er sich durch irgend eine sultanische Leidenschaft stark versucht fühlte, zurück zu halten; so konnt er es doch nicht über sich gewinnen, sie auszuüben, so lang er besorgen mußte, daß Danischmend etwas davon erfahren könnte.

»Was fange ich mit diesem Menschen an«, sprach er zu sich selbst, »den ich auf ewig los geworden zu sein hoffte, und der mir so unerwartet in Gestalt eines Körbchenmachers wieder in den Wurf kommen mußte? – Er muß wieder fort, das ist ausgemacht! – Aber wohin? – Wohin? So weit von Dehly als möglich. Das übrige ist seine Sache. Wenn ich dafür sorge, daß er sich nicht übel da befinde wohin er ziehen wird, so hat er nichts über mich zu klagen.«

Bei allem dem war ihm doch, als ob ihm eine leise Stimme in seinem Busen sage, Danischmend könnte sich dem ungeachtet über ihn zu beklagen haben; und er würde vielleicht nicht so bald über diese Schwierigkeit hinaus gekommen sein, wofern nicht das Glück, oder die wohltätige Macht, welche die Schicksale der Menschen lenkt, in eben diesem Augenblicke dafür gesorgt hätte, ihn und seinen beschwerlichen Freund unvermuteter Weise aus der Verlegenheit zu ziehen. Wie dies zugegangen sei , werden wir in dem nächsten Kapitel erfahren.


 << zurück weiter >>