Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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1. Kapitel

Wie der Sultan Gebal und Danischmend aus einander kommen

Schach-Gebal, ein durch gute und böse Gerüchte bekannter Sultan, hatte, neben manchen gleichgültigern Eigenschaften, die Schwachheit – wie es seine Tadler nannten – daß er über niemand, dem er einmal hold gewesen war, lange zürnen konnte. Wahr ist's, in dem Augenblicke, wo man in seine Ungnade fiel – welches leicht begegnete – waren zwei- oder dreihundert Prügel auf die Fußsohlen das wenigste, womit er den Unglücklichen, den dieser Zufall traf, bedrohte. Aber seit die Sultanin Nurmahal von ihm erhielt, daß dergleichen Züchtigungen nie anders als in seiner Gegenwart vollzogen werden durften, hat man kein Beispiel, daß er's bis zum zehnten Streiche hätte kommen lassen.

Er ließ sich, nach der Weise der Sultanen seiner Brüder, bei solchen Anlässen große Komplimente über seine Mildherzigkeit machen. Allein das Wahre an der Sache war, daß er, trotz seiner Sultanschaft, sich nicht erwehren konnte, bei jedem Streich ein unangenehmes Zucken in seinen Nerven zu fühlen. Der Gedanke, ich bin auch ein Mensch, denkt ihr – aber dies war es nicht. Armer Schach-Gebal! du warst zu sehr und zu lange Sultan, um so etwas aus dir selbst zu denken. Aber die Natur, die Natur! die treibt ihr Werk ohne Ansehen der Person, im Monarchen wie im Bettler. Die mitzitternde Nerve wird beim Anblick des Leidens eines Menschen an dem vermeinten Halbgotte zum Verräter; er fühlt, daß er auch Fußsohlen hat. Um es eiligst wieder zu vergessen, übt er eine seiner hohen Vorzüglichkeiten aus, und ruft: Gnade!Dies mag bei Schach-Gebaln so gewesen sein; aber vermutlich war er hierin nur eine Ausnahme. Die Nerven der Sultanen verlieren gewöhnlich diese sympathetische Eigenschaft. Sie fühlen nicht, daß sie auch Fußsohlen, auch einen H . . rn haben, bis sie Podagra und F. w. n daran erinnern.

Anonym

Wie dem auch war, gewiß ist, daß der Philosoph Danischmend, als er, ohne recht zu wissen wie ihm geschah, in des Sultans Ungnade fiel, weit leichter davon kam, als es seine guten Freunde, die Fakirn, gehofft hatten. Diese gutherzigen Seelen würden mit den dreihundert Prügeln auf die Fußsohlen, die ihm Schach-Gebal in der ersten Hitze seines Zorns versprach, als einer noch ganz leidlichen Vergütung aller Unbilden, die sie von ihm erlitten zu haben vorgaben, allenfalls zufrieden gewesen sein. Aber der Sultan fand nach kälterer Überlegung diese Strafe für ein Verbrechen, welches sein ehmaliger Itimadulet nur erst in Gedanken begangen hatte, doch ein wenig zu hart, und besann sich so lange auf eine gelindere, bis ihm die Lust zu strafen gar verging.

Danischmend lag indessen in einem Gefängnisse, wo etliche Spannen Himmel seine ganze Aussicht, und ein paar Fliegen seine ganze Gesellschaft ausmachten. Er fing bereits an zu glauben, daß nun weiter nicht mehr die Rede von ihm sein würde, als ihn der Sultan, in einer von seinen guten Launen, holen ließ.

»Danischmend«, sagte der Sultan, als er ihn mit seinem langen Barte (der inzwischen gute Zeit zum Wachsen gehabt hatte) ansichtig wurde: »– wenn einem Menschen wie du zu raten wäre, so würd ich dir raten, wie du hier stehst, die Philosophie abzuschwören und – ein SantonEine Art von muhamedanischen Mönchen der strengem Observanz, die sich in völliger Abgeschiedenheit von allen irdischen Dingen der Kontemplation widmen, und in der engsten Gemeinschaft mit dem höchsten Wesen zu stehen glauben oder vorgeben.

Herbelot

zu werden. Den Bart dazu hättest du schon, wie ich sehe; und an Entbehrungen solltest du, denk ich, auch gewöhnt worden sein, seitdem sie dich zwischen vier Mauern eingekuffert haben. Ich sehe wenigstens kein andres Mittel, dich mit den Derwischen und Fakirn auszusöhnen, die dir, wie ich höre, so herzlich gram sind, daß ich eine Empörung besorgen müßte, wenn ich darauf bestehen wollte, dich gegen sie in Schutz zu nehmen. Ein Santon, ich habe der Sache oft nachgedacht, ein Santon ist das glücklichste Wesen in der Welt. Wenn ich nicht mein Wort gegeben hätte Sultan zu sein, ich wüßte nicht was mich hindern sollte heute noch Santon zu werden.«

»Santon?« – versetzte Danischmend. »Die Sache mag ihr Gutes haben; aber – ich wollte darauf schwören, daß ich niemals einen erträglichen Santon machen würde. Ich habe gewisse Bedürfnisse, von denen ich mich unmöglich los machen kann« –

»Bedürfnisse, Bedürfnisse«, fiel Schach-Gebal ein – »die sind immer das dritte Wort bei euch Philosophen. Ich habe keine Bedürfnisse und bin Sultan! Es ist ein häßliches, verächtliches Ding, so viele Bedürfnisse zu haben. Unter uns, was für Bedürfnisse wären es denn, von denen du nicht Lust hättest dich los zu machen?«

»Sire, Sie werden über mich lachen«, versetzte Danischmend: »aber wer kann sich helfen? Es gibt gewisse Dinge, ohne die ich weder leben noch weben kann; als da ist – die gute Mutter Natur jedes Stückchen auf mir spielen zu lassen, das sie auf mir spielen will,Dies ist einer sehr argen Ausdeutung fähig, Herr Danischmend!

Didius

Wer sind die Leute, die bei allen Dingen immer Arges denken?

Bonhomme

Schurken.

Diogenes

immer auszusehen, wie mir ums Herz ist; nichts zu reden, als was ich denke; nichts zu tun, als was ich mit Freuden tue; mich mitzuteilen, wenn ich glücklich bin, und flugs in meine Schale zurück zu kriechen, so bald ich eine Fliege, die mir um die Nase summst, durch einen Wolkenbruch ertränken möchte; ferner, alles was Menschen angeht, als meine Privatsache anzusehen, und mich über ein Unrecht schrecklich zu ereifern, das vor dreitausend Jahren einem Betteljungen zu Babylon geschehen ist; allen harmlosen ehrlichen Gesichtern gut zu sein, und allen Schurken, wo ich nur an sie kommen kann, auf den Fuß zu treten; und, während daß ich die Welt gehen lasse – wie sie kann, mich (so oft ich nichts Angenehmers zu empfinden oder nicht Bessers zu tun habe) auf meinen Sofa zu lagern und Entwürfe zu machen, was ich tun wollte, wenn ich der große Lama, oder die Favoritin des Königs von Serendib, oder der Dairi von Japan wäre. Mit Einem Worte« –

»Mit Einem Worte, Herr Danischmend«, fiel ihm der Sultan lachend ins Wort, »ich sehe, daß du ein Grillenfänger bleiben wirst so lange du lebst. Aber betrüge dich nicht, mein Freund. Ich habe dir schon gesagt, daß ich nichts für dich tun kann. Es steht bei dir, ob du ein Santon oder ein Kalender, oder was du werden willst; aber aus Indostan muß ich dich verbannen, dafür hilft nichts. Die Fakirn! die Bonzen! – Um dein selbst willen muß ich's tun. Suche dir in den Wildnissen des Imaus einen Wohnort aus, wo dir's am besten gefällt; näher kann ich, wenn ich Ruhe haben will, keinen Philosophen bei mir leiden.«

»Sultan von Indien«, sagte Danischmend, »es gibt sehr anmutige Gegenden in den Wildnissen, wohin Ihre Hoheit mich zu verbannen die Gnade haben. Ich habe mir schon lange eine Vorstellung gemacht, daß sich dort eine ganz artige kleine Kolonie von glücklichen Menschen anlegen ließe.«

»Von glücklichen Menschen?« – rief Schach-Gebal: »Feenmärchen, Zauberschlösser, Freund Danischmend! Wolltest du nicht, da du mein Itimadulet warst, alle meine Untertanen zwischen dem Oxus und Ganges glücklich machen? Und wie viel fehlte noch, daß du mit dieser einzigen Grille ganz Indostan zu Grunde gerichtet hättest?Dies sagte der Sultan vermutlich bloß aus seiner Einbildung, und anticipando, weil er dem guten Danischmend nichts bessers zutraute; denn in der Tat hatte dieser in der kurzen Zeit seiner Amtsführung nicht Zeit genug gehabt, das kleinste Dorf in Indostan zu Grunde zu richten. Ich dächte, von dieser Narrheit wenigstens solltest du geheilt sein, Danischmend!«

»Was bei hundert Millionen verdorbener Menschen unmöglich gewesen wäre, gelänge mir vielleicht bei einem kleinen Häufchen roher aber noch unangesteckter Söhne und Töchter der Natur«, erwiderte der Philosoph.

Der Sultan schwieg eine Weile, wie er zu tun pflegte wenn ihm ein Einfall in den Wurf kam, mit dem er etliche Augenblicke spielen konnte. Endlich sagte er: »Weißt du wohl, Danischmend, daß ich beinahe Lust hätte dich eine Probe machen zu lassen? nur um zu sehen was heraus käme. Gut! ich gebe dir einen Befehl an meinen Schatzmeister zu Kabul: denn ohne Geld legt man keine Kolonien an; zumal wenn du sie, um eine schöne Zucht von Menschen zu bekommen, mit hübschen Tschirkassierinnen versehen wolltest. Aber nimm dich in acht, daß der Bramine der Sultanin nichts davon erfährt. Ich mag keine Fehde mehr mit diesen wackern Leuten; ich will Ruhe haben!«

»Herr«, antwortete Danischmend, »wenn mir zum letzten Mal noch erlaubt ist so freimütig wie sonst mit Ihrer Hoheit zu reden, ich habe keine Lust mich in die Wildnisse des Imaus verbannen zu lassen. Ich bin nicht selbständig genug um ohne Gesellschaft leben zu können, und schon zu alt um Waldmenschen zahm zu machen. Gern will ich für die Nachwelt pflanzen; aber dann müssen auch die Bäume schon gewachsen sein, in deren Schatten ich selbst ausruhen soll. Dem Braminen der Sultanin und allen Fakirn und Bonzen in der Welt wird es gleichgültig sein können, wo ich lebe, wenn sie nur nichts weiter von mir hören. Und hören sollen sie nichts mehr von mir, oder es müßte gar kein bewohnbarer Ort mehr auf Gottes Boden sein, wo man sicher vor ihnen atmen könnte. Ich kenne in den Gebirgen von Kischmir einen solchen Ort; ein einsames Tal, fruchtbar und anmutig wie die Gärten Schedads,Schedad Ben Ad, ein alter arabischer König aus der fabelhaften Epoke dieser Nation, war ein mächtiger aber gottloser Fürst (sagt die arabische Tradition), welcher Ansprüche an den Götterstand machte, und (außer der in den Gedichten und Märchen der Araber berühmten, unsichtbar gewordenen Stadt Schedads) ein Paradies, Iram genannt, anlegte, worin diejenigen unter seinen Getreuen, die er dieser Belohnung würdig hielt, von allem was den Sinnen schmeicheln und entzücken kann, trunken wurden. Ungeachtet dieses Schedads im Koran nie anders als mit Abscheu gedacht wird, pflegen doch viele Muhamedaner dieses sinnliche Paradies Iram mit demjenigen zu vermengen, welches ihnen im Koran verheißen ist.

Herbelot

und von einem harmlosen Völkchen bewohnt, das keinen Begriff davon hat, wie man ein Fakir oder Santon sein kann. Wenn mir Ihre Hoheit so viel geben wollen, daß ich mir unter diesen guten Leutchen eine Hütte bauen kann, so sind alle meine Wünsche erfüllt. Fürs übrige, was man noch um glücklich zu sein haben muß, will ich schon sorgen.«

»Es sei darum«, sagte Schach-Gebal. »Wenn man einem Gutes tun will, muß man's ihm nach seiner eigenen Weise tun. Lebe wohl, Danischmend. Möchtest du in deiner Einsamkeit glücklich genug sein, zu vergessen, daß du einst der Freund eines Sultans warst!«

Danischmend war im Begriff, auf dieses gnädige Kompliment eine Antwort zu geben, die dem Sultan notwendig hätte mißfallen müssen. Aber er konnt es nicht über sein Herz bringen, den guten Herrn durch eine Wahrheit zu kränken, die am Ende doch zu nichts helfen konnte. Es gibt Wahrheiten, die ein Mann (Sultan oder nicht Sultan) sich selbst sagen muß. Tut er's nicht, oder kann er's nicht tun, so ist's Menschlichkeit, ihn damit zu verschonen. In solchen Fällen kann die Wahrheit nur demütigen, nie besser machen.

Danischmend verschwand noch an dem nämlichen Tage aus Dehly, und weder der Bramine der Sultanin, noch die Sultanin selbst, konnten jemals von Schach-Gebal erhalten, daß er ihnen gestanden hätte, was in dieser letzten Unterredung zwischen ihm und seinem ehmaligen Günstling vorgegangen. Dieses eigensinnige Stillschweigen des Sultans, und die Unmöglichkeit vom Aufenthalte des verschwundenen Philosophen etwas zu erfahren, brachte die schöne Nurmahal und alle, denen daran gelegen war, auf die Vermutung, daß ihn Schach-Gebal heimlich habe aus dem Wege schaffen lassen. »Auch dies ist so übel nicht«, sagten die Bonzen.


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