Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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6. Kapitel

Worin Danischmend die Schwachheit hat, mit einem Kalender über häusliche Glückseligkeit zu disputieren

Wir wissen nun bereits so viel von unserm Philosophen, daß wir begreifen können, wie er – ungeachtet seiner Verbannung vom Hofe und aus der großen Welt, ein glückliches Leben geführt habe.

Er pflegte allemal zu lächeln und die Achseln ein wenig zu zucken, wenn ihm einfiel, daß der Doktor Abu-Bekr-Muhamed-Ibn Bajah-Ibn Fadhl Ibn Jaafar-AlfabaliIch habe diesen Doktor im Leo von Grenada, Golius, Hottinger, Herbelot und vielen andern, die von arabischen, persischen, türkischen und indostanischen Gelehrten handeln, vergebens gesucht. Wer er wohl sein mag?

P. Onocephalus

nicht weniger als zweihundertundfünfundsechzig verschiedene Erklärungen der Glückseligkeit gesammelt, und dennoch die einzige, die unserm Manne die wahre schien, vergessen hatte.

»Häusliche Glückseligkeit ist die einzige Art glücklich zu sein, die dem Menschen hienieden bestimmt ist«, pflegte er zu sagen. »Ich habe noch nie einen Menschen mit seinem Dasein unzufrieden, neidisch über andrer Glück, boshaft und übeltätig gesehen, der in seinem Kabinett, in seiner Kinderstube und in seinem Schlafzimmer glücklich war. Auch hab ich nie gehört noch gelesen, daß ein solcher Mann eine Verräterei gegen den Staat angezettelt, oder einen Aufruhr erregt, oder sich zum Haupt einer Sekte aufgeworfen,Dies möchte vielleicht Ausnahmen zu leiden scheinen; aber ich zweifle, ob sie bei schärferer Prüfung als solche bestehen würden. Luther, den man zum Beispiele anziehen könnte, kam (wie bekannt) ohne seine Schuld zu der Ehre ein Anführer zu werden; und überdies war er noch nicht vermählt, dachte auch nicht daran es jemals zu werden, als er sich (mit Erasmus von Rotterdam zu reden) beigehen ließ, dem Papst an seine dreifache Krone und den Mönchen an ihre dicken Bäuche zu greifen.

Sleidanus

oder an die Spitze einer Räuberbande oder Schwärmerrotte gestellt, und Unheil auf Gottes Boden angerichtet hätte. Ein Mann, der in seinem Hause glücklich ist, ist immer auch ein guter Bürger, ein guter Gesellschafter, ein guter Mensch.«

»Aber« (wandte der Kalender, mit dem er einst über diese Sache wortwechselte, ein) »um dieser Art von Glückseligkeit, der du einen so großen Wert beilegst, fähig zu sein, wird, deucht mich, eine besondere Gemütsverfassung, eine gewisse Empfindsamkeit, Mäßigung, Gutherzigkeit und Einfalt der Sitten vorausgesetzt, ohne welche das größte häusliche Glück nicht glücklich macht, mit welchen hingegen, auch ohne dieses, niemand unglücklich sein kann.«

»Unstreitig«, versetzte Danischmend lachend, »setzt der Genuß des häuslichen Glücks die Fähigkeit – es zu genießen, voraus. Aber was braucht man dazu mehr als ein Mensch zu sein, ein bloß menschlicher Mensch, der weder mehr noch weniger hat, als den Grad von Empfindung und Vernunft, womit die Natur alle Söhne und Töchter Adams ausstattet? Wo ist der Mensch, – er müßte denn im Keime schon verunglückt sein – in dessen Macht es nicht stände, wie ein Mensch zu fühlen und zu handeln? Und liegt nicht eben darin, daß die Fähigkeit zum Genuß des häuslichen Glücks unter allen Fähigkeiten der menschlichen Natur die gemeinste ist, und am Wenigsten Mitwirkung fremder Umstände, Verfeinerung und Kunst voraussetzt, liegt nicht eben darin der stärkste Beweis, daß häusliches Glück das wahre Glück des Menschen ist?

Ihr andern, die ihr euch so viel damit wißt, weiser zu sein als wir natürliche Leute, und – weil ihr's besser verstehen wollt als die Natur – euch Gott weiß welch ein System von Entbehrungen und Unabhängigkeit und erkünstelten Tugenden ausgedacht habt, das den Mangel dessen, was wir genießen, ersetzen soll, – wenn ihr aufrichtig sein wolltet! was für Geständnisse hättet ihr zu tun! Wie teuer verkauft euch die Natur die unrühmlichen Siege, die ihr über sie erfechtet!«

»Nach deiner Meinung«, erwiderte der Kalender, »wäre also kein Heil für die ehrlichen Leute, denen gewisse Umstände und Verhältnisse nicht erlauben, sich in diesen behaglichen Stand zu setzen, in dessen engen Zirkel du das höchste Gut des Menschen einzuschließen scheinst?«

»Wenn sie ein gesundes Herz und unverdorbne Sinne haben, so bedaur ich sie«, antwortete Danischmend. »Dann ist freilich kein andrer Rat für sie, als allen Vorrat von Liebe, den ihr Herz in sich faßt, über die ganze Menschheit auszugießen. In einem engern Kreise würde ihr Geist zusammen schrumpfen, ihr Herz vertrocknen. Fremde Glückseligkeit muß nun ihre eigne werden. Nichts als allgemeines Wohlwollen und unablässiges Bestreben Gutes zu tun, kann die ungeduldigen Wünsche der Natur in ihrem Inwendigen einschläfern; sie vergessen machen, daß sie selbst des besten Teils der Glückseligkeit, die sie andern zu verschaffen oder zu erhalten suchen, entbehren müssen. Und dennoch gibt es Augenblicke – desto häufiger, je näher wir dem Abend des Lebens kommen –, wo die Natur zu laut schreit, um sich übertäuben oder in Schlaf singen zu lassen. Es sind traurige Augenblicke! Noch einmal, ich bedaure den Mann, der ein Herz hat, die süßesten, lautersten, besten Freuden des Menschenstandes zu genießen, der sie mit Geschmack genießen, mit Wollust hinein schlürfen würde – und ihrer entbehren muß. So oft ich mir so einen Mann denke, möcht ich toll werden über die dummen Einrichtungen in der Welt, die nicht selten den besten Sterblichen in eine so unnatürliche und peinvolle Lage schrauben!

An die armen unschuldigen Geschöpfe, die Gott der Allmächtige nach Seel und Leib zu Müttern erschufIn diesen fünf oder sechs Worten liegt ein tiefer Sinn, und so zu sagen der ganze Embryo der wahren Gynäkologie, oder Theorie der Natur und Bestimmung des Weibes. Ich gedenke, zum Besten der Einfältigen, einen Kommentarius über diese Worte, zwei bis dritthalb Alphabet stark, in oktav, auf fein holländisch Papier, mit Kupfern und Vignetten von besonderen Geschmack, heraus zu geben, wenn sich anders unter den zwei oder drei Millionen deutscher Mädchen oder Weiber, welche Gedrucktes lesen können, ein paar tausend finden, die ihren Fingerhut darauf unterzeichnen wollen. Es versteht sich daß er wenigstens von Silber sein muß.

Mart. Skriblerus jun.

, und die der Aberglaube oder eine grausame Familienpolitik zum trostlosen Stand ewiger Unfruchtbarkeit verdammt, – an die mag ich gar nicht denken! Das Herz im Leibe blutet einem ehrlichen Kerl, der an sie denkt!

Es ist wahr, eure Bonzen und Bonzinnen wissen sich zu helfen, sagt man. Aber desto schlimmer! Die wohltätigen Absichten der Natur werden doch verfehlt; und welcher Freund der Menschheit kann gleichgültig bleiben, wenn er, bloß durch Schuld unsrer weisen wohl gemeinten Anstalten, zu Verbrechen werden sieht, was, ohne sie, Tugend hätte sein können?«


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