Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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19. Kapitel

Ein Intermezzo von drei Fakirn

Wenn Danischmend einmal ins Feuer kam, so war kein ander Mittel, als ihn fortbrennen zu lassen, bis die brennbare Materie völlig aufgezehrt war.

Der Kalender, der diesen Zug im Charakter seines neuen Freundes entdeckt hatte, und entschlossen war, sich ihm so gefällig zu machen als er nur immer könnte, ließ ihn also, da er ihn so wohl bei Atem sah, ungestört fortreden, und hörte ihm mit aller Aufmerksamkeit zu, die ein Mann, der nun einmal im Gang ist allein zu sprechen, nur immer verlangen kann.

Danischmend war eben im Begriff sich mit seiner gewöhnlichen Freimütigkeit über die letzte Periode seines mit dem vorgehenden Kapitel abgebrochnen Diskurses zu erklären; als sie, beim Eintritt in den Vorhof seiner Wohnung, drei FakirnAllgemeiner Name der herum schweifenden muhamedanischen und heidnischen Mönche in Indien, nach Berniers Bericht. erblickten, die von einem seiner Hausgenossen Almosen verlangt hatten, und ihm dagegen ein kleines Bild mit fünf gekrönten Köpfen und vier Armen überreichten, welches ihn, wie sie versicherten, vor Kopf- und Zahnweh, Gicht, Zipperlein, und allen bösen Geistern bewahren würde, wofern er es jedesmal am siebenten Tage nach dem Neumond morgens vor Sonnenaufgang in fließendem Wasser baden, und etliche schwere Wörter, die sie ihm auf einen Zettel geschrieben gaben, siebenmal dazu hermurmeln würde. Die Fakirn zogen sich demütig zurück, so bald sie den vermutlichen Herrn des Hauses gewahr wurden.

»Da haben wir's!« – rief Danischmend mit einem schmerzlichen Seufzer. »Nun gute Nacht, Natur, Unschuld und Glückseligkeit, die ihr seit Jahrhunderten in diesen der Welt unbekannten Tälern herrschtet! Denn noch hatte weder Fakir noch Bonze den Weg zu uns gefunden. – Aber, wie konnt ich auch hoffen, daß es immer so sein würde? Die Herren haben zu feine Nasen! Sie haben ausgespürt, daß gut bei uns leben ist, daß wir hübsche Weiber haben, daß wir gute einfältige Leute, Leute von der besten Hoffnung sind. Nun, da sie uns einmal aufgetrieben haben, Freund Kalender, werden sie, verlaß dich drauf, nicht von uns ablassen, bis sie uns durch und durch so jämmerlich bebonzt und befakirt haben, daß an Seel und Leib nichts Gesundes mehr an uns sein wird.«

»Man muß ihnen den Weg wieder hinaus weisen«, sagte der Kalender.

»Wie soll das möglich sein? Kann ich Gewalt brauchen? Und wenn ich könnte, bin ich dazu berechtigt? Soll ich die Einwohner unsers Tales zusammen berufen, ihnen eine Gefahr vorstellen, von der sie keinen Begriff haben, sie in Alarm setzen, den Mann gegen sein Weib, die Kinder gegen ihre Eltern, die Nachbarn gegen ihre Nachbarn aufwiegeln? Du solltest doch diese Schlauköpfe mit ihrer scheinheiligen Miene kennen! Sie lassen sich nicht so leicht abtreiben. – Und gesetzt, es gelänge mir, diese ersten, die vielleicht nur von ungefähr zu uns verirrt sind, abzutreiben; werden sie sich nicht an den Braminen der Sultanin Nurmahal wenden, und mit siebenmal ärgern als sie sind wieder kommen, um Besitz von unserm ganzen Ländchen zu nehmen? Besser, man läßt sie ihres Weges gehn, und erwartet was daraus werden mag. Die Kerle scheinen noch jung zu sein; vielleicht kann man noch Menschen aus ihnen machen.«

Daß Danischmend von seiner Ahnung nicht betrogen wurde, zeigte sich schon am dritten Tage. Es war eine Art von Fest, an dem die Einwohner von aller Arbeit auszuruhen, und auf verschiedenen dazu bestimmten Plätzen sich mit ländlichen Tänzen und Spielen zu ergetzen pflegten. Danischmend und der Kalender bemerkten sogleich, daß unter den Weibern ihres Dorfes wenige waren, die nicht einen zierlich in Musselin eingewickelten LingamDer Lingam oder Lingum, wovon hier die Rede ist, ist eine Art von Amulett, welchem eine gewisse Sekte der Hindus abgöttische Ehre erweiset. Sie tragen es am Hals oder Arme, und sind stark beglaubt, vermittelst desselben unfehlbar in den Kailassam, d. i. in das Paradies des Gottes Rutren oder Schiwen (welcher der eigentliche Stifter des Lingams ist), einzugehen. Was für eine Figur dieser Lingam habe, mögen sich diejenigen, die es noch nicht wissen oder nicht erraten, lieber von La Croze, oder den malabarischen Missionarien, oder sonst einem Schriftsteller, dem nichts übel genommen wird, sagen lassen. am Halse bammeln hatten, und sich auf diesen neuen Putz viel zu gute zu tun schienen.

»Siehst du«, sagte Danischmend zu seinem Freunde: »wirken die drei Fakirn, die wir gestern in meinem Hofe fanden? – Meine einzige Hoffnung ist noch, daß der Lingam, ehe drei oder vier Tage in die Welt gekommen sind, irgend etwas anstellen wird, das uns Gelegenheit geben mag, den Betrügern die Maske abzuziehen.«

Es währte nicht lange, so fanden sich unsre drei Fakirn ein, begleitet von einem Einwohner und seiner Frau, einer von den schönsten in der ganzen Gegend, die (wie leicht zu erachten) mit einem ansehnlichen Lingam prangte. Die Fakirn, wie neu auch ihre Bekanntschaft mit diesen jungen Leutchen war, taten schon so vertraut mit ihnen, als ob sie von jeher da gewesen wären. Sie sahen eine Weile den Tänzen der jungen Mädchen zu, und, um zur allgemeinen Ergetzung das Ihrige auch beizutragen, meldeten sie der Versammlung, daß sie einen von den Tänzen tanzen wollten, womit der Gott RutrenHerr Dow nennt ihn Rudder oder Schiba. die Weiber der Braminen belustiget habe,S. Essay historique sur l'Inde, p. 191, wo diese und die hernach folgende Geschichte vom Ursprung des Elefantenkopfs, womit die Banians den Puleier oder Vinayaguen vorstellen, nebst mehr andern gleich erbaulichen Fragmenten der ostindischen Mythologie zu lesen sind.

Ich könnte noch eine ganze Seite voll Reisebeschreibungen, Kompilationen und andre historische Werke zitieren, wo alle diese Herrlichkeiten auch zu lesen sind.

Murrzufflus

als ihn – nach Vollendung der langen Buße, zu welcher er von den übrigen Göttern verurteilt worden, weil er seinem Bruder Brama einen seiner fünf Köpfe abgezwickt, – die Lust angekommen, mit besagten Braminenweibern, in Gestalt eines Bettlers, Kurzweil zu treiben.

Die Fakirn tanzten also den Tanz Rutrens, an welchem Danischmend nicht halb so viel Belieben fand als die guten Landleute, sonderlich die jungen Weiber, die, mit weit aufgesperrten nichts besorgenden Augen, an der Geschmeidigkeit und Stärke der Fremdlinge ihre Freude sahen.

Als die Fakirn fertig waren, setzten sie sich unter die Einwohner ins Gras, und erzählten den Weibern tausend schöne wunderbare Historien von Bramas fünf Köpfen, und von Wistnus neun Verwandlungen; und wasgestalten die schöne Paraswadi, Rutrens Gemahlin, da sie sich einstens in Abwesenheit ihres Mannes in einem schönen Feenbrunnen gebadet, plötzlich von dem Gelüsten überfallen worden, ein Kind zu haben; und wie sie mit ihrer Hand in ihren Busen gefahren, und wie aus dem Schweiße, der ihr davon an der Hand sitzen geblieben, plötzlich ein bildschöner Junge entstanden, dem sie den Namen Vinayaguen gegeben; und wie Rutren bei seiner Wiederkunft über diese wundervolle Geburt Argwohn geschöpft, und dem armen Vinayaguen (sonst auch Puleier genannt) den Kopf abgeschnitten, aber gleich darauf sich's wieder gereuen lassen, und den abgerißnen Kopf wieder habe ansetzen wollen; weil solcher aber nirgends mehr zu finden gewesen, eilends einem jungen Elefanten den Kopf abgeschlagen, und den Elefantenkopf so geschickt auf Puleiers Rumpf gesetzt habe, daß dieser stracks wieder zu leben angefangen, und von Stund an bis auf diesen Tag sich des Elefantenkopfs so gut bediene, als ob es immer sein eigner gewesen; und wie Rutren ihn darauf für seinen Sohn erkannt, und ihm auferlegt habe, sich nicht zu vermählen, bis er eine Frau gefunden, die so schön sei als seine Mutter; und wie Puleier nun auf allen Landstraßen stehe, und mit seinem Elefantenkopf nach Osten und Westen, Süden und Norden gucke, um zu sehen ob nicht endlich ein Mädchen daher kommen werde, das so schön wie Paraswadi sei. – – Und die entzückten Weiblein vergaßen Tanzen und Spielen, Essen und Trinken über den schönen Historien, und zweifelten nun keinen Augenblick, daß die drei Fremdlinge etwas mehr als gemeine Sterbliche, und der Lingam, den sie austeilten, der herrlichste aller Talismanen sei.

Danischmend fand noch nicht ratsam ihnen seine Meinung von der Sache zu sagen: aber da er mit dem Kalender nach Hause ging, hatte er einen Anfall von seinem kosmopolitischen Fieber, worin er den Magiern, Druiden, Bramen, Lamen, Derwischen, Fakirn, Goguis, Marabuts, Talapoins und Ya-faou, kurz allen Arten und Gattungen von Bonzen, schwarzen und weißen, blauen und grünen, roten und gelben, eine Lobrede hielt, wovon ihnen auf dem ganzen Erdenrunde die Ohren hätten klingen sollen; eine Lobrede, worin alle ihre Verdienste um das menschliche Geschlecht, – ihr Eifer, die Welt mit Aberglauben, abgeschmackten Märlein und Lingams anzufüllen, ihr tödlicher Haß gegen Vernunft und Tugend, ihre Heuchelei, ihre Hoffart, ihre Unersättlichkeit, ihre Geschicklichkeit Erbschaften und Vermächtnisse zu erschleichen, ihre unbändige Begierde zum Herrschen, ihr Verfolgungsgeist, ihre Rachsucht, ihre Giftmischerei, ihre Unwissenheit, Gefräßigkeit, Völlerei und Unzucht, mit Einem Worte, alle ihre Tugenden, in einem so blendenden Licht hervorstechen, daß man Nerven haben mußte wie der Kalender, um nicht gänzlich davon zu Boden geschlagen zu werden.

»Ein zweiter Auszug aus der Geschichte der Menschheit« (rief Danischmend, da er mit seiner Lobrede fertig war), »der uns – beinahe wieder mit den Sultanen aussöhnen könnte!«


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