Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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29. Kapitel

Über gewisse Eigenheiten im Charakter Danischmends, die ihm von der Welt schlimmer ausgelegt wurden als er es verdiente

Wir können nicht bergen, Danischmend hatte bei gewissen Gelegenheiten und zu gewissen Zeiten – meistens wenn er zu lange versäumt hatte Rhabarber zu nehmen – kleine Anfälle von einer gewissen Unduldsamkeit, die wir ihm – recht gern übel nehmen, und für einen häßlichen Flecken in seinem Charakter ausgeben wollten, – wenn's nur irgend möglich wäre. Aber es waren in der Tat bloß zufällige Anwandlungen, und gingen so schnell vorüber, und taten so wenig Schaden, und entsprangen aus einem so warmen, ehrlichen, mit der ganzen Menschheit es so wohl meinenden Herzen, daß mir's unmöglich ist, ihm deswegen unhold zu sein.

Das Ärgste, wozu ihn diese vorüber gehende Unduldsamkeit trieb, war, daß er in der Hitze des Paroxysmus etliche ungeduldige oder unziemliche Worte ausstieß; einen Schurken – einen Schurken nannte; oder auch wohl einen ehrlichen Mann, dem entweder die Natur vergessen hatte ein Herz zu geben, oder der von Amts und Berufs wegen keins haben durfte, in der Unbesonnenheit seines menschenfreundlichen Eifers – zum Henker wünschte. Nun wäre aber, wenn es auf Danischmends Willen angekommen wäre, auf dem ganzen Erdboden kein Galgen, kein Henker, und kein hängenswürdiges Menschenkind gewesen. Es ist also klar, daß es mit seinem vorbesagten Wunsche nicht so böse gemeint war; und in der Tat seine Feinde – wiewohl es meistens sehr fromme oder sehr wohlerzogene Leute gewesen sein sollen – hatten unrecht, ihm solche Kleinigkeiten so hoch aufzumutzen.

Ein unleugbarer Beweis, daß er es so böse nicht meinte, wenn er in einem solchen jählingen Anstoß von Unwillen oder Mißmut gegen irgend einen seiner Nebenmenschen auffuhr, oder ihn zum Henker, oder wohl gar – wiewohl dies schon eine außerordentliche Reizung voraussetzte – zum DedschialDem Antichrist der Muhamedaner. wünschte, liegt (wie mich deucht) darin, daß von dem Augenblick an, wo sein Unwille zum höchsten Grad der Hitze gestiegen war, kaum zwei oder drei Stunden verflossen, da man ihn schon, eifriger als jemals ein Mann an seiner eignen Apologie gearbeitet hat, beschäftigt sah, die besagte Person gegen sich selbst zu rechtfertigen; oder, wenn dies gar nicht anging, wenigstens alles geltend zu machen, was nur immer zu ihrer Entschuldigung aufzubringen war.

Auch über diesen Zug seines Charakters wurde, da er noch zu Dehly war, sehr verschieden, und – wie man leicht denken kann – nicht zu seinem Vorteile geurteilt.

Indessen wußten doch die wenigen, die ihn genau kannten, – und keine Art von objektiver noch subjektiver Geheimursache hatten, Karikaturen von ihm zu machen und als seine Bildnisse in der Welt herum zu bieten – sehr genau, was an der Sache war. Nämlich unter allen unbefiederten Zweifüßlern auf diesem Erdenrunde lebte schwerlich jemals ein einziger, den die Entdeckung irgend einer beträchtlichen Unvollkommenheit an seinem Nächsten – sonderlich wenn's ein Mann von Genie oder eine schöne Frau war – so empfindlich geschmerzt und oft so seelenkrank gemacht hätte als Danischmenden. Wenn zum Beispiel ein Mann Dampf und Rauch von sich gab, statt daß er nach Danischmends Meinung wie die helle Sonne hätte leuchten können; – oder wenn einer, mit seiner natürlichen Größe nicht zufrieden, auf Stelzen einher schritt, oder sich vor Eigendünkel blähte und auftrieb bis er hätte platzen mögen; – oder wenn ein Mensch, der eignes Verdienst haben konnte, sich viel darauf zu gut tat, der Vorreiter oder Schweifträger eines andern zu sein: – in allen diesen und zwanzig ähnlichen Fällen war ihm, in dem Augenblicke da sie ihm aufstießen, nicht anders zu Mute, als ob ihm ein großer Unfall, der ihn selbst unmittelbar beträfe, angekündigt würde. Aber wenn er irgend einen Menschen, an dem etwas Schätzbares war, und den er gern hätte lieben mögen, sich einer unedlen verächtlichen Leidenschaft überlassen, oder eine Handlung tun sah, die eines guten Menschen unwürdig ist: – dann war der Schmerz, den er davon in seinem Busen fühlte, so brennend, daß er nicht viel heftiger hätte sein können, wenn er selbst die schlechte Tat begangen hätte.

In der ersten Ungeduld brach er dann gemeiniglich mit etlichen rhetorischen Figuren los, wie sie ihm der Affekt eingab, ohne an Auswahl der Wörter denken zu können: aber so wie dieser Paroxysmus vorüber war, strengte er nun alle seine Seelenkräfte an, um des unerträglichen Schmerzes los zu werden, den Mann den er liebte, oder zu lieben wünschte, verachten oder (was der Seele ungleich schmerzlicher istHaß ist eine schmerzlichere Empfindung als Verachtung. Dies scheint eine unleugbare Erfahrung zu sein; wiewohl Verachtung einen ungleich tiefern Grad von wirklicher oder eingebildeter Unvollkommenheit voraussetzt als Haß. Man kann einen Gegenstand zugleich hassen und hochschätzen; aber den Gegenstand unsrer Verachtung würdigen wir unsres Hasses nicht. Man sollte aber denken, daß die Verachtung, weil sie aus dem Anschauen eines tiefern Grades von Unvollkommenheit entsteht, der schmerzhaftere Affekt sein müßte; und dennoch lehrt die Erfahrung das Gegenteil.

Ich glaube die Ursache davon ist diese: Mit dem Gefühl der Verachtung eines andern ist allezeit unmittelbar ein lebhaftes Gefühl unsrer eignen Vorzüglichkeit verbunden; daraus entsteht eine Mixtur, die in manchen Fällen mehr angenehm als widerlich ist. Aber der Haß ist reiner unvermischter Schmerz; und selbst die Vorzüglichkeiten, die wir an dem Gegenstand unsres Hasses gewahr werden, und ihm (ungern genug) zugestehen müssen, schärfen das Gefühl dieses Schmerzes, anstatt es zu mildern oder zu versüßen. Es ist also ganz natürlich, daß man, im Notfall und wenn man sich nicht anders zu helfen weiß, um einer so bittern Seelenpein los zu werden, den Haß in Verachtung zu verwandeln sucht, und zu diesem Ende den Gegenstand von allem, was er Schätzbares und Vorzügliches hat, in der Einbildung rein abstreift, und bis auf die Haut auszieht; ein Phänomen, dessen uns die Erfahrung täglich belehrt, und welches sich auf diese Weise vollkommen erklären läßt.

M. Skriblerus

) hassen zu müssen.

Nun fand sich kein andres Mittel, – wenigstens keines das immer und in allen Fällen so gänzlich in seiner Gewalt gewesen wäre – als daß er nicht abließ, bis er der Handlung, die seinen Unwillen gereizt hatte, eine erträgliche Wendung gegeben, oder irgend einen Grund oder eine Hypothese aufgetrieben hatte, wodurch er sich von der traurigen Notwendigkeit erledigen konnte, einen Menschen hassen oder verachten zu müssen, dessen Freund er zu sein wünschte, weil er ein Freund der Menschheit war.

In den Fällen, wenn der Kalender mit seinem Spitzkopfe, oder mit dem Stücke Kieselstein, das er statt des Herzens im Busen trug, wider ihn stieß, hatte dies wenig Schwierigkeiten. Es war eine bloße Fibernsache, wie wenn man den Ellenbogen an eine Tischecke gestoßen hat. So wie die erste Empfindung vorüber gebraust war, stellte sich ihm alles, was den Kalender entschuldigte, auf einmal dar. Seine Geburt, seine Erziehung, sein ehemaliger Derwischenstand, sein seit so langer Zeit herum schweifendes Leben unter den rohesten Menschenarten, seine Kalenderschaft, und sein halb grauer Kopf oben drein, alles zusammen genommen machte in Danischmends Augen eine so gute Apologie, daß Plato und Demosthenes und Cicero keine bessere hätten machen können.

Indessen konnte es doch nicht wohl anders sein, als daß der Kalender bei länger fortgesetztem Umgang ihm unvermerkt in einem weniger milden Licht erscheinen mußte; und der Übergang von der Meinung, daß er gar kein Herz, oder (was auf eben dasselbe hinaus läuft) ein taub gewordenes Herz habe, zu der noch ungünstigern, daß er ein Mensch von verdorbenem Herzen sei, war ein so kleiner Schritt, daß es nur einer einzigen Entdeckung, die das letztere wahrscheinlich machte, bedurfte, um ihn des Fürsprechers zu berauben, den er nur zu lange in Danischmends gutem Herzen gefunden hatte.

Danischmend bekam nur zu bald mehr als Eine Gelegenheit, einige Entdeckungen dieser Art zu machen.


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