Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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49. Kapitel

Einige Aufschlüsse, nebst einem unfehlbaren Mittel, wie man die Sultane von phantastischen Leidenschaften kuriert

Sadik und Aruja waren aus Dehly verschwunden, und der Argwohn, dessen sich Danischmend, als er Nachricht davon erhielt, nicht erwehren konnte, war, nach allem was er von Schach-Gebals Leidenschaft und Charakter wußte, weder unwahrscheinlich noch unbillig; »Sie müßten denn nur« (sagte er, ohne was sehr Bestimmtes dabei zu denken) »von einem guten Engel gewarnt worden sein.«

Gewarnt waren sie wirklich worden; und wie schwarz auch das Wesen, das ihnen diese Wohltat erwies, gewesen sein möchte, gewiß ist, daß es für das tugendhafte Ehepaar ein guter Engel war. Um jedoch den bösen Schein zu meiden, als gedächten wir den Glauben an Geisternähe und überphysische Einwirkungen durch diese Behauptung zu begünstigen, halten wir es für Pflicht, ein kleines Kapitel zur Enträtselung dieser dunkeln Begebenheit anzuwenden.

Der Verdacht, welchen Schach-Gebal gegen Danischmenden äußerte, daß der Kämmerling Kerim vielleicht von der Sultanin Nurmahal bestochen gewesen sei, als der Erfolg seines Auftrags an die schöne Aruja so wenig zum Vergnügen seines Herren ausfiel, war nicht ganz ungegründet. Kerim war in der Tat von der Sultanin erkauft, und hatte also nicht ermangelt, ihr alles, was er von Arujas geheimer Audienz im Kabinett des Sultans wußte, unverzüglich zu hinterbringen. Die Leidenschaft dieses Fürsten konnte einer so scharfsichtigen Kennerin wie Nurmahal nicht lange verborgen bleiben, wie sehr er auch ihr und aller Welt ein Geheimnis daraus zu machen glaubte. In der Meinung, daß es nur eine von den Phantasien sein werde, deren ihm schon manche eben so leicht vergangen als gekommen waren, gebrauchte sie anfangs bloß die gewöhnlichen Hausmittel, ohne sich das geringste von ihrem Mitwissen um das Geheimnis seines Herzens merken zu lassen. Als aber das Übel überhand zu nehmen schien, und Kerim ihr nun auch den geheimen Antrag, womit er an Aruja abgeschickt, und die entschlossene Antwort, womit er wieder zurück geschickt worden war, vertraute, merkte sie, daß die Sache ernsthafter werden könnte als sie sich vorgestellt hatte, und daß sie kräftigere Maßregeln ergreifen müsse, um sich im Besitz des Ansehens und Einflusses zu erhalten, den sie schon so viele Jahre im Serail behauptete.

Mit einer Nebenbuhlerin wie Aruja sich in einen Wettstreit einzulassen, konnte ihr, deren Macht über die animalischen Triebe Seiner Hoheit schon lange vorüber war, gar nicht in den Sinn kommen; auch war es nichts weniger als diese Macht worüber sie eifersüchtig war. Aber eine Person wie Aruja konnte auch der Gewalt nachteilig werden, die ihr die Gewandtheit ihres Geistes, ihre Kenntnis des menschlichen Herzens, und eine lange Bekanntschaft mit Schach-Gebals schwachen Seiten, über den Geist, das Gemüt und die Leidenschaften des Sultans erworben hatten: und Aruja mußte also aus dem Wege geschafft werden, was es auch kosten möchte. Indessen da Nurmahal im Grunde kein bösartiges Wesen war, und zu gewaltsamen Mitteln nur im äußersten Notfall, zum Beispiele, wenn Aruja den Anträgen des Sultans Gehör gegeben hätte, zu schreiten sich hätte entschließen können: so begnügte sie sich eine Zeit lang damit, sowohl Schach-Gebaln als den Gegenstand seiner Leidenschaft aufs schärfste beobachten zu lassen, in der Absicht, so bald sie Gefahr merken würde, die schöne Aruja zu warnen, und ihr selbst zur Flucht behilflich zu sein.

Damit diese Maßnehmung ihre ganze Wirkung tun könnte, war noch eine andere nötig, auf deren Erfolg alles ankam. Sie mußte nämlich dem Bilde der schönen Aruja, welches allen diesen Unfug in der Phantasie Seiner Hoheit anrichtete (denn sie selbst hatte er, seit ihrer Erscheinung in seinem Kabinette, nur zwei- oder dreimal, ohne ihr Wissen, verstohlner Weise gesehen), eine andere Schönheit entgegen stellen, die durch den gegenwärtigen Eindruck, den sie unversehens auf den Sultan machen würde, das Bild der abwesenden Geliebten zu verdunkeln fähig wäre.

Da ihr in ganz Dehly, so wie im Serail, alles zu Gebote stand; so hatte sie wirklich bei einem der reichsten Sklavenhändler eine junge Sklavin aus Georgien aufgetrieben, welche in wenig Tagen nach dem Harem eines indischen Fürsten, dem diese Art von Ware um keinen Preis zu teuer war, abgeführt werden sollte. Nurmahal verschaffte sich den Anblick dieser Sklavin, und fand sie in allen Stücken so vollkommen wie sie es zu ihrer Absicht wünschte, daß sie des Handels mit dem Eigentümer sogleich einig wurde, und sie auf der Stelle in ihren Harem bringen ließ. Diesem Mädchen fehlte gerade alles was sie der Sultanin hätte gefährlich machen können: aber dafür besaß sie Reizungen und Talente, welche die erschlafften Sinne des abgelebtesten aller Sultane wieder zu verjüngen fähig gewesen wären. Ihre Gestalt, ihre Gesichtsbildung, ihre Augen, ihr Lächeln, der Ton ihrer Stimme, ihr Gesang, ihr Tanz, wovon jedes für sich allein bezaubernd war, mußten, wenn sie zusammen spielten, um so gewisser eine unwiderstehliche Wirkung tun, da sie durch den Glanz der frischesten Jugendblüte und der vollkommensten Gesundheit verstärkt wurde.

Nurmahal hielt sich von dem Augenblick an, da sie dieses reizende Geschöpf in ihrer Gewalt hatte, ihres Sieges über die schwärmerische Leidenschaft des Sultans gewiß. Sie wurde nie müde, so oft er auf der Jagd oder im Divan war, die verschiednen Talente der kleinen Zoraide in Übung zu setzen: überdies hatte auch die vertrauteste ihrer Aufwärterinnen Befehl, sie in den feinsten Geheimnissen einer gewissen Art von Koketterie zu unterweisen, die man nur in den Harems der asiatischen Großen kennt, und die nur in diesen zur Vollkommenheit gebracht werden.

Nurmahal schloß aus der immer zunehmenden bösen Laune des Sultans sehr richtig, daß es nun bald auf die eine oder andere Weise zur Entscheidung kommen müsse; und sie verdoppelte daher ihre Aufmerksamkeit, besonders seitdem die kleine Begebenheit mit den Körbchen ihr auf die Entdeckung geholfen hatte, daß Danischmend in der Nähe sei. Sie erfuhr nun teils von Kerim, teils durch ihre übrigen Kundschafter, alles was zwischen Schach-Gebal und seinem ehmaligen Itimadulet vorgegangen: den Besuch, den der letztere dem alten Sadik gemacht; wie ungehalten der Sultan über den schlechten Erfolg desselben gewesen; und wie er sich entschlossen habe, seiner langwierigen Selbstpeinigung durch eine geheim veranstaltete Entführung der spröden Aruja ein Ende zu machen.

Itzt war keine Zeit mehr zu verlieren. Sie schickte sogleich ihre Vertraute an Aruja ab, um ihr den Anschlag, der gegen sie im Werke sei, zu entdecken, und sie zu bedeuten, daß sie noch in dieser Nacht aus Dehly entfliehen müsse, wenn sie nicht Gefahr laufen wolle dem Sultan unwiederbringlich in die Hände zu fallen. Die Achtung, welche Arujas standhafte Tugend ihr eingeflößt habe, diente ihr zum Bewegungsgrund des Anteils, den sie an ihrem Schicksal nehme, und beides bestätigte ein Geschenk von einigen Diamanten von Wert und einem Beutel voll Gold, welche die Sultanin ihr zum Behuf ihrer schleunigen Abreise zustellen ließ.

Dieser Warnung zu Folge machten sich Sadik und Aruja in aller Stille fertig, verließen, unter dem Vorwand einer kleinen Reise aufs Land, die Hauptstadt noch in derselben Nacht, bestiegen am nächsten Ort zwei Dromedare, richteten ihren Lauf nach der Gegend, wo Sadik seinen künftigen Wohnsitz zu nehmen entschlossen war, und langten beinahe zu gleicher Zeit mit Danischmend in Lahor an.

So bald Schach-Gebal von der Abreise seines Freundes Danischmend benachrichtigt worden war, ermangelte der getreue Kerim nicht, Seine Hoheit mit den Maßregeln zu unterhalten, die er zu glücklicher Ausführung des Anschlags auf die schöne Aruja getroffen habe. »Sie ist«, sagte er, »mit ihrem Alten auf ein paar Tage zu einem Verwandten aufs Land gegangen, und meine Anstalten sind so gut gemacht, daß sie mir auf dem Rückwege unfehlbar in die Hände fallen müssen.«

Der Sultan wurde durch diese Versicherung und durch den Gedanken, seines beschwerlichen Freundes mit so guter Art los geworden zu sein, in eine so behagliche Laune gesetzt, daß Nurmahal keine Mühe hatte, ihn zur Annahme einer kleinen Lustpartie zu bewegen, welche sie diesen Abend in ihrem Garten anzustellen gesonnen war.

So ergetzbar hatte sie den König der Könige in langer Zeit nicht gesehen. Alles, was sie zu seinem Vergnügen angeordnet hatte, erhielt seinen Beifall: aber vorzüglich schien er an einer Musik Gefallen zu finden, die ihn aus einem Gebüsche, nahe an dem Kiosk, wo er Platz genommen hatte, zu begrüßen anfing. Nach einer Weile verlor sich die Symphonie in ein leises harmonisches Getön, aus welchem sich eine menschliche Nachtigallstimme erhob, die, von einer sehr fertig gespielten Laute begleitet, seine ganze Aufmerksamkeit erregte. So bald sie aufgehört hatte zu singen, fragte er die Sultanin, wer diese Sängerin sei, die er noch nie gehört zu haben glaube? – »Sie wurde mir«, war ihre Antwort, »vor kurzem von einem Sklavenhändler aus Georgien angeboten, und ich kaufte sie, weil sie in der Tat eine feine Stimme hat, und sich selbst nicht übel auf der Laute dazu begleitet.«

Der Sultan, von der übel verhehlten Eifersucht, die er in dem Ton und in dem Gesichte der Sultanin zu entdecken glaubte, nur desto mehr gereizt die junge Sängerin bewundernswürdig zu finden, wollte sie noch einmal hören, und schien von der Reinheit, Biegsamkeit und Fülle ihrer Töne immer mehr bezaubert; als ein großes Ballett von den schönsten Tänzerinnen des Harems, das auf ihren Gesang folgte, ihm beinahe wider Willen einen flüchtigen Blick abnötigte. Nicht lange, so öffneten sich die durch einander geschlungenen Gruppen, um einer jungen Tänzerin Raum zu machen, die, so schön wie Amor, so leicht wie Zephyr, und lieblicher als eine aufschwellende Rose in der Morgensonne, mit reizend verbreiteten Armen heran geschwebt kam, und mit ihren zierlichen Fußspitzen kaum den Boden zu berühren schien.

Der Sultan, noch betroffner als zuvor, verwandte kein Auge von dem Wollust-atmenden Geschöpfe, dessen mimischer Tanz den süßen Kampf der jungfräulichen Schüchternheit mit der Liebe, bis zum Siege der allmächtigen Natur und zum schmachtenden Hinsinken in die Arme eines unsichtbaren Liebhabers, mit unbeschreiblicher Anmut und täuschender Wahrheit schilderte.

Als sie sich wieder im Gedränge ihrer Gespielen verlor, fragte Schach-Gebal die Sultanin abermals, wie sie zu dieser Tänzerin gekommen sei? – »Es ist«, sagte sie ganz kalt, »eben dieselbe junge Sklavin, deren Gesang vorhin Ihrer Hoheit Vergnügen zu machen schien.«

»Beim Haupte des Propheten«, rief Schach-Gebal, »es ist eine Nymphe des Paradieses, die sich von dem georgischen Sklavenhändler verkaufen ließ, um ihren Scherz mit uns zu treiben. Ehe wir's uns versehen, wird sie wieder davon geflogen sein.«

»So rate ich Ihrer Hoheit, sie in Zeiten fest zu halten«, sagte die Sultanin lachend, indem sie ihre Freude über den glücklichen Erfolg ihres Anschlags unter die kaltblütigste Unbefangenheit verbarg.

Von diesem Augenblick an war der Zauber aufgelöst, der den Sultan an Arujas Bild gefesselt hatte. Es schien ihm selbst unbegreiflich, wie es habe zugehen können, daß er sich von der grillenhaften Leidenschaft zu einer spröden Närrin, die ihm einen alten verdorbenen Kaufmann vorzuziehen fähig war, so lange betören und alles Vergnügen des Lebens habe rauben lassen. Er überließ sich nun den wohl behaglichen Eindrücken, welche die mannigfaltigen Reizungen der jungen Zoraide auf seine ausgeruhten Sinne machten, ohne alle Zurückhaltung: ihm war als ob eine Kraft von ihr ausginge, die ihm seine ganze Jugend wiedergebe; und als er eine Schale Sorbet, die sie ihm darreichte, ausgetrunken hatte, deuchte ihm, er habe alle ihre Reize und alle Liebe, die in der Brust eines Sterblichen Raum hat, mit hinab geschlürft. »Wenn deine junge Sklavin irgend einen Preis hat«, sagte er zu Nurmahal, »so fordere was ich dir für sie geben soll.«

»Sire«, antwortete die Sultanin, »sie gehörte Ihnen schon von dem Augenblicke zu, da sie Ihnen gefallen hat.«

Schach-Gebal dankte ihr auf eine Art, die ihr den einzigen Preis, um welchen ihr die Sklavin feil war, auf immer zusicherte, und zog sich bald darauf mit einem Blick auf Zoraiden und Nurmahal, welchen beide zu verstehen schienen, in seine Zimmer zurück.

Als er in sein Schlafgemach trat, fand er Zoraiden, ihre Laute im Arm, auf dem Sofa sitzen, die ihn mit einem Liebe-atmenden Liede des Dichters Feleki bewillkommte.

Zwei oder drei Tage darauf kam der getreue Kerim, Seiner Hoheit mit einem trostlosen Gesicht anzukündigen, daß Aruja mit ihrem Alten verschwunden sei, ohne daß man entdecken könne, wo sie hin gekommen.

»Aruja?« – sagte der Sultan, in einem Ton als ob er sich eines halb vergessenen Traumes erinnerte. – »Desto besser, Kerim! Friede sei mit der ehrlichen Frau und ihrem alten Sadik! Man lasse sie ungehindert ziehen! hörst du, Kerim? Es sind gute Leute, und sie stehen überall unter meinem Schutze.«

Von diesem Augenblick an war die Rede nicht mehr von der schönen Aruja. Schach-Gebal ergetzte sich an der kleinen Zoraide so lang – als es billiger Weise zu erwarten war, und Nurmahal machte inzwischen im Serail und im ganzen Reiche was sie wollte.

Und so sind, und waren von jeher, die Könige und die Könige der Könige ein Spielzeug ihrer eigenen Leidenschaften, und der Ränke eines jeden, der ihnen nahe genug ist, um ihre schwache Seite auszufinden, und schlau und schlecht denkend genug, sie zu mißbrauchen.


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