Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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44. Kapitel

Schach-Gebal entdeckt Danischmenden sein geheimes Anliegen

Am folgenden Tage jagte Schach-Gebal in dem Gehölze, an welchem Danischmends Wohnung lag, und es währte nicht lange, so ließ er ihn zu sich rufen, und besprach sich über eine Stunde von allerlei unerheblichen Gegenständen mit ihm.

Danischmend hatte die Art und Weise, wie sich der Sultan seines neuen Freundes zu versichern suchen würde, richtig vorher gesehen. Schach-Gebal stellte ihm vor, wie er unmöglich zugeben könne, daß ein Mann, der sein Itimadulet gewesen sei, und den er nun als seinen Freund betrachte, sich in einer Bauerhütte mit der Korbmacherei behelfe. Er drang darauf, daß er entweder eine anständige Wohnung nahe am königlichen Palaste beziehen, oder wenigstens ein nicht weit von der Stadt gelegenes Lustschloß mit allem Zubehör, als einen Ersatz dessen was er in dem letzten Kriege verloren habe, annehmen sollte. Aber Danischmend bat sich zur ersten und letzten Gnade aus, alle Gnaden dieser Art ausschlagen zu dürfen. Er habe, sagte er, ein feierliches Gelübde getan, sich dem Neide der Menschen nicht wieder auszusetzen; seine dermalige Lebensart sei mehr die Sache seiner freien Wahl als der Notwendigkeit; er befinde sich wohl dabei, und eine jede andere würde ihn entweder elend oder doch weniger glücklich machen als er sei: kurz, er bestand so hartnäckig auf seinem Entschluß, daß Schach-Gebal endlich der Grille seines Freundes (wie er's nannte) nachgab; doch nicht eher als bis ihm Danischmend versprach, so bald er seiner itzigen Lage überdrüssig oder irgend eines Dinges bedürftig sein würde, ihm einen Wink davon zu geben. Und so schieden sie wieder von einander, mit der Abrede, daß Danischmend sich in der nächsten Nacht vor einer Hinterpforte der Gärten des Serail einfinden sollte, wo ein Hauptmann von der Wache Befehl haben würde, ihn weiter zu begleiten, und durch eine geheime Tür in das Kabinett Seiner Hoheit zu bringen.

Danischmend fand sich, nicht ohne Verwunderung, was diese geheimnisvolle Einführung zu bedeuten habe, um die bestimmte Stunde an Ort und Stelle ein, und wurde von dem Befehlshaber der Wache durch die Gärten bis an eine geheime Tür des Palasts gebracht, wo eben derselbe Kämmerling, der den Sultan bei seinem nächtlichen Besuch begleitete, ihn in Empfang nahm, und durch eine verborgene Treppe in das Kabinett Seiner Hoheit führte.

Schach-Gebal lag auf dem Sofa, den Kopf auf den rechten Arm gestützt, und schien Danischmenden eine gute Weile nicht gewahr zu werden. Endlich trat dieser ein paar Schritte näher, und der Sultan schaute auf. »Aha, Danischmend, bist du's?« rief er: »mich freut dich wieder hier zu sehen. Laß alles Vergangene auf ewig vergessen sein, und bilde dir ein daß du um vierzehn Jahre in meiner Freundschaft vorgerückt seiest.«

»Sire«, antwortete Danischmend, »mein Gedächtnis ist von einer so gefälligen Art, daß es alles Unangenehme durchfallen läßt, und mich nur der unverdienten Huld erinnert, wovon Ihre Hoheit mir so viele Beweise zu geben geruhet haben.«

»Keine Komplimente, Freund Danischmend! Laß dich auf diese Polster nieder und höre mich an!«

Danischmend gehorchte, und erwartete stillschweigend was er hören sollte.

»Danischmend«, fing der Sultan nach einer langen Stille mit einem tiefen Seufzer an, »ich bin nicht glücklich!«

Seine Hoheit sagten zwar mit diesem offenherzigen Bekenntnis ihrem Freunde nichts Neues; aber der Ursachen, warum ein Sultan nicht glücklich ist, sind so viele, daß kein Wunder war, wenn Danischmend mit seinen Gedanken eher auf jede andere als die wahre Ursache eines so gewöhnlichen Ereignisses traf.

»Du wirst dich wundern«, fuhr der Sultan fort, »wenn ich dir sage, daß ich über funfzig Jahre alt geworden bin, ohne mitten in einem Harem von den auserlesensten Weibern Europas und Asiens jemals erfahren zu haben was Liebe ist.«

»Ich würde mich eher über das Gegenteil wundern«, dachte Danischmend: aber, da er sich vorgenommen hatte seine Zunge in strenger Zucht zu halten, so glotzte er den Sultan aus zwei großen Augen an, und – schwieg.

»Aber was wirst du sagen, wenn du hörest, daß mich dieses Unglück, welchem ich bereits auf immer entgangen zu sein glaubte, noch in meinem zweiundfunfzigsten Jahre treffen mußte?«

»Ich sage«, versetzte Danischmend, »es wäre noch immer nicht zu spät, wenn diese Liebe den Sultan meinen Herrn glücklich machte, wie man billig erwarten sollte, da sie alle Reize der Neuheit für ihn hat.«

»Scherze nicht, Danischmend! Die Sache ist ernsthafter als du denkst – denn, wie seltsam es dir auch vorkommen mag, diese Leidenschaft macht mich zum unglücklichsten aller Menschen.«

»Unglücklich?« rief Danischmend mit einem Erstaunen aus, welches der Sultan, wenn er Lust hatte, für ein sehr schmeichelhaftes Kompliment aufnehmen konnte.

»Du bist der erste, dem ich dieses demütigende Geständnis tue, und mit Scham und Verachtung gegen mich selbst tun würde, wenn der Gegenstand meiner Liebe nicht das schönste, reizvolleste und vollkommenste aller irdischen Wesen wäre.«

Danischmend erblaßte; denn er konnte sich im ersten Augenblick nur Eine Person denken, welcher diese Beiwörter zukämen. »Das wär ein verzweifelter Streich«, dacht er. »Doch, es ist unmöglich! Er hat sie ja nur beim Mondlicht und in einen doppelten Schleier eingehüllt gesehen!«

»Wo bist du mit deinen Gedanken?« sagte der Sultan, der seine Zerstreuung merkte, ohne die Ursache zu erraten. »Merke auf! du wirst eine sonderbare Geschichte hören. – Es mögen ungefähr dritthalb Jahre sein, als eines Morgens, kurz zuvor eh ich den Divan zu verlassen pflege, aus der Menge Volks, die um die Schranken gedrängt stand, eine Frau hervor trat, die beim ersten Anblick meine ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie war sehr einfach aber edel gekleidet, und ein dreifacher Schleier verhüllte ihr Gesicht; aber ihre Gestalt und die anmutsvolle Würde ihres Gangs und ihrer Bewegungen schien allen, die sie sahen, Ehrfurcht einzuflößen. Ich winkte daß man ihr Platz machen sollte, und sie schritt schneller durch die Reihen der versammelten Omras und Wesire heran, sank an der untersten Stufe des Thrones auf die Knie, und ließ mich eine Silberstimme hören, deren Zauberklang einen Sterbenden ins Leben zurück gerufen hätte. Sie flehte um Gerechtigkeit und Schutz; aber ihre Klage, sagte sie, sei von einer solchen Beschaffenheit, daß sie nur mir allein entdeckt werden könne. Ich winkte dem obersten der Kämmerlinge sie in mein Kabinett zu führen, und entließ bald darauf den Divan, voller Ungeduld zu hören, was die bewundernswürdige Unbekannte für eine Klage zu führen haben könne, die sie nur mir allein entdecken wolle.

Als ich in das Zimmer trat, wollte sie sich abermals vor mir niederwerfen: aber ich faßte sie auf, ließ sie Platz auf dem Sofa nehmen, und setzte mich ihr in einer ungewohnten Unruhe und Erwartung gegen über.

›Wer bist du?‹ fragt ich sie in einem Tone der ihr Mut machen mußte, ›und was für ein Anliegen kann eine Person, wie du zu sein scheinst, hierher geführt haben?‹

›Monarch der Welt‹, fing sie mit ihrer Zauberstimme an, ›mein Name ist Aruja, und ich bin die Ehefrau des Kaufmanns Sadik, der noch vor kurzem von einem großen Vermögen auf einem edeln Fuße lebte, aber durch eine Reihe schnell auf einander folgender Unglücksfälle dahin gebracht wurde, alle seine Güter zu verkaufen um seine Gläubiger befriedigen zu können. Wir fanden uns durch diesen plötzlichen Umsturz unsers Glückes zu einer Armut herunter gebracht, die an Dürftigkeit grenzte, und dem guten Sadik, der mich wie seine Augen liebt, zehnmal unerträglicher war, weil er auch mich in diesen Abgrund mit sich hinein gezogen hatte. Der Kummer überwältigte die Stärke seines Temperaments, und warf Ihn endlich aufs Krankenlager, während ich alle meine Kräfte anstrengte, ihm Mut einzusprechen, und seinen Zustand zu erleichtern.

Das wenige, was wir aus den Trümmern unsers Wohlstandes gerettet hatten, war beinahe aufgezehrt, als sich Sadik erinnerte, daß er vor vielen Jahren einem seiner damaligen Freunde, der seitdem ein großes Glück gemacht hat, mit tausend Bahams aus einer dringenden Verlegenheit geholfen hatte. Beide hatten inzwischen vergessen, dieser aus Geiz seine Schuld wieder zu erstatten, jener aus Edelmut sie zu fordern. Aber endlich sah sich Sadik durch unsre Not, die aufs äußerste gestiegen war, zu dem unangenehmen Schritt gezwungen, den vergeßlichen Massud seiner Schuldigkeit zu erinnern. ›Geh, Aruja‹, sagte er zu mir, ›so schwer es mir auch wird dir einen solchen Gang zuzumuten, geh und schäme dich nicht dem Undankbaren unsre Umstände vorzustellen, und versuche ob du ihn bewegen kannst, wenigstens aus Mitleiden gerecht zu sein.‹ – Ich gehorchte ohne Wiederrede; aber der Erfolg betrog unsre Hoffnung auf eine sehr grausame Weise. Der Niederträchtige leugnete die Schuld mit frecher Stirne: ›und doch‹, sagte er, ›aus Mitleiden mit dir, schöne Aruja, die unter den Verschwendungen des alten Sadik so unbillig leiden muß, will ich noch mehr tun als er fordert, wenn du gütig genug sein willst auch mit mir Mitleiden zu haben‹ – und nun setzte der Unverschämte auf seine beleidigende Freigebigkeit einen Preis, dessen leiseste Erwähnung mein Herz empörte und mit Abscheu vor dem Elenden erfüllte.

Es wäre mir unmöglich‹ (fuhr Aruja in ihrer Erzählung fort), ›den Schmerz und die Verzweiflung zu beschreiben, worein der unglückliche Sadik versank, als ich mit leerer Hand wieder kam, und ihm von dem schlechten Erfolg meines Besuchs bei seinem treulosen Freunde Bericht erstattete. Mit vieler Mühe glückte mir's endlich, ihn durch den Vorschlag wieder aufzurichten, daß ich auf der Stelle zum Kadi gehen, und den Schutz der Gesetze gegen den Niederträchtigen anflehen wollte. ›Gehe, meine Liebe‹, sprach er, ›und der Himmel gebe seinen Segen zu deinem Vorhaben! Ganz gewiß wird der Kadi, diese Fackel der Gerechtigkeit, die der Sultan unser gebietender Herr den geraden Weg des Rechts und die krummen und finstern Pfade des Unrechts zu beleuchten aufgestellt hat, von der Gerechtigkeit unsrer Sache aus deinem Munde überzeugt werden, und uns ohne Verzug zu dem Unsrigen verhelfen.‹ – ›Das gebe der Prophet!‹ sagte ich, und eilte noch an demselben Morgen, meine Klage bei dem Kadi anzubringen. Aber – wie werde ich vor dem König der Könige Glauben finden, wenn ich ihm sage, daß dieser ungerechte Richter, nachdem er mir eine Menge kahler Einwendungen gegen die Gültigkeit meiner Klage gemacht hatte, zuletzt keinen geringern Preis als Massud von mir forderte, wenn er meinem Manne zu seinem Rechte verhelfen sollte?

Im Übermaß meines Zornes antwortete ich dem schändlichen Graubart mit Verwünschungen, die ihn rasend machten: er erkühnte sich Hand an mich zu legen; aber ich stieß ihn zu Boden, und kehrte atemlos vor Schmerz und Wut zu dem armen Sadik zurück, der, noch eh ich die Lippen öffnete, in der Wildheit meiner Blicke die ganze Geschichte las, die ich ihm zu erzählen hatte.

Wir brachten nun den Rest des Tages und eine lange jammervolle Nacht mit vergeblichen Klagen über unser Unglück und die Bosheit der Menschen zu; aber mit der Wiederkehr des Tages sammelte sich auch mein Mut wieder, und ich sagte zu meinem Manne: ›Laß uns noch nicht verzweifeln, Sadik! Dein undankbarer Schuldner und der ungerechte Kadi haben einen Höhern über sich: ich will, so bald die Audienzstunde ausgerufen wird, zum Statthalter gehen, und ihm den ganzen Handel entdecken; ich bin gewiß, daß er, von gerechtem Unwillen durchdrungen, uns gegen diese Lasterhaften in seinen Schutz nehmen wird.‹ – Sadik lobte meinen Einfall, und schien neues Leben aus dem Mute, den ich ihn sehen ließ, zu schöpfen.

Ich begab mich also zum Statthalter, und trug ihm unsre Not, Sadiks gerechte Forderung an Massud, seine Weigerung, und die schändliche Bedingung, welche er und der Kadi auf die Gewährung meines Gesuchs gesetzt hatten, vor. Er schien von unsern traurigen Umständen gerührt zu sein; aber er stellte sich als ob er nicht glauben könne, was ich ihm von Massud und dem Kadi gesagt hatte. ›Nein‹, rief er, ›es ist unglaublich, daß ein so angesehener Kaufmann wie Massud, ein so ehrwürdiger alter Mann wie der Kadi, solcher Vergehungen schuldig sein sollten!‹

Dieser verstellte Unglaube brachte mich außer mir; ich beteuerte ihm die Wahrheit meiner Anklage in den stärksten Ausdrücken, und, indem ich ihn mit gerungenen Händen beschwor sich unser anzunehmen, flog mein Schleier zurück. Itzt schien der Statthalter plötzlich in eine andre Person verwandelt zu sein. ›Ah!‹ rief er, ›nun zweifle ich keinen Augenblick länger an der Wahrheit deiner Erzählung, schönste Aruja; aber ich höre auch auf, die Unglücklichen, die du anklagst, so strafbar zu finden. Wir sind nur Menschen; auch der Gerechteste kann versucht werden, und muß unterliegen, wo die Versuchung so stark ist wie hier!‹ Und nun ergoß er sich in übertriebene Lobsprüche meiner Reizungen, die ich eben so wenig wiederholen kann, als ich mich alles dessen erinnern mag, was ich anhören mußte, da er keine Schmeicheleien, keine Bitten, keine Versprechungen sparte, um mich von der heftigen Glut zu überzeugen, die meine Augen in seinem Herzen angezündet haben sollten. Nicht nur tausend, zehen tausend und zweimal zehen tausend Bahams, schwor er, sei er bereit darum zu geben, wenn ich ihm das Versprechen, seine Liebe zu mir – nicht zu erwidern, nur zu dulden, mit einem einzigen Kusse bestätigen wollte.‹«

Hier unterbrach Schach-Gebal die Erzählung, die er Danischmenden aus dem Munde der schönen Aruja zu machen angefangen hatte.

»Du wirst«, sagte er, »vielleicht schon selber die Bemerkung gemacht haben, Danischmend, daß ich die Erzählung meiner reizenden Supplikantin sehr zusammen ziehe, und eine Menge kleiner Züge und Pinselstriche weglasse, womit sie ihren Darstellungen das wärmste Leben zu geben wußte. Ich hätte ihr Tage lang zuhören können; und da sie dies ohne Zweifel gewahr wurde, so schien sie um so weniger auf Abkürzung ihrer Erzählung bedacht zu sein, weil ihr alles daran gelegen war, den verlangten Eindruck auf mich zu machen. Allein dieser Zweck fällt bei dir weg, und eine einzige Minute, worin du sie selbst sehen und hören wirst, wird unendlich mehr Wirkung tun, als die ausgeführteste Schilderung von einem so wenig geübten Pinsel als der meinige. Ich schlüpfe also über den Rest des Vortrags den sie mir machte desto schneller weg, und begnüge mich dir kurz zu sagen; daß sie, wie du nicht zweifeln wirst, die Anträge des Statthalters mit dem entschiedensten Ernst und Unwillen verwarf, und sich so bald als möglich aus seinem Palast entfernte.

Ich verschone dich mit der Beschreibung des trostlosen Zustandes, worin das unglückliche Ehepaar einige Tage schmachtete, bis der alte Sadik endlich, wie durch Inspiration, auf den Gedanken kam, daß Aruja noch das letzte Rettungsmittel versuchen, und sich mit ihrem Anliegen unmittelbar an mich selbst wenden sollte. Hier gestand sie mir mit der liebenswürdigsten Naivität, daß sie, durch ihre bisherigen Erfahrungen verschüchtert, sehr schwer daran gegangen sei ein so großes Wagestück zu unternehmen: aber Sadik (sagte sie) hätte ihr durch die Vorstellung des guten Rufs, worin der Sultan sowohl im Punkt der Gerechtigkeitspflege als seiner Achtung gegen tugendhafte Weiber stehe, Mut gemacht; und die Geduld (setzte sie hinzu), womit ich sie angehört hätte, flöße ihr das Vertrauen ein, daß der redliche Sadik sich in seinem fast religiösen Glauben an die Tugenden seines Oberherren nicht getäuscht habe.

Als Aruja mit diesem Kompliment, wodurch sie auf eine so feine Art meine eigene Ehre zum Sachwalter und Beschützer der ihrigen gegen mich selbst machte, ihren Vortrag geendigt hatte, sagte ich nach einer kleinen Pause zu ihr: ›Schöne und tugendhafte Aruja, deine Erzählung hat mich mehr als hinlänglich überzeugt, daß dem guten Sadik Gerechtigkeit und Mitleiden, dir Bewunderung, und den Männern, über welche du Klage führst, eine scharfe Züchtigung gebührt. Du siehest mich hier bereit, jedem von euch das Seine zu geben. Massud soll deinem Manne bezahlen was er ihm schuldig ist, und ich lege doppelt so viel aus meinem eigenen Schatze hinzu, um die Unbilden, die er vom Glück erlitten hat, in etwas zu vergüten. Aber damit dem Kadi und meinem Statthalter durch die scharfe Züchtigung, welche sie verdient zu haben scheinen, nicht zu viel geschehe, ist es unumgänglich nötig, daß ich wisse, ob und in welchem Maße sie allenfalls an einige Milderung der Strafe ihres Verbrechens Anspruch machen können. In dieser Rücksicht, und da sie sich unfehlbar auf die Größe der Gefahr berufen werden, muß ich dich bitten, schöne Aruja, mir die Gunst freiwillig zu erzeigen, die der bloße Zufall meinem unglücklichen Statthalter zu Teil werden ließ, und diesen Schleier zurückzuschlagen, der mir deinen Anblick entzieht; die einzige Belohnung, die ich für das, was ich für deinen Mann zu tun gesonnen bin, von deiner Gefälligkeit erwarte.‹

Das tugendhafte Weib schien einige Augenblicke ungewiß was sie tun dürfte: aber Dankbarkeit und ein Zutrauen, wodurch sie mich in der Tat bei meiner schwachen Seite nahm, überwogen ihre Bedenklichkeiten. ›Wo‹, sagte sie, indem sie ihren Schleier mit dem sittsamsten Anstande zurück legte, ›wo könnte die Unschuld eines jungen Weibes, das nichts als seiner Pflicht getreu bleiben will, sicherer sein, als unter den beschirmenden Augen des großen Monarchen, in welchem mehr als hundert Völker ihren schützenden Genius verehren? Möchte er in diesem ungeschminkten Gesicht das tiefe Gefühl der kindlichen Ehrfurcht und der Dankbarkeit lesen, wovon meine Seele für den erhabenen Stellvertreter der Gottheit durchdrungen ist!‹

Schreib es bloß dem mächtigen Eindruck des schönen Klangs ihrer Zauberstimme zu, Danischmend, daß ich dir diese ihre eigensten Worte wiederholen kann: denn das Gefühl, das mich beim Anschauen ihrer himmlischen Schönheit durchschauerte, löschte auf einmal jedes andere aus, und ließ mich weder zur Sprache noch zu Atem kommen. Ach mein Freund! wollte Gott, ich hätte den unseligen Gedanken nie gehabt, sie ohne Schleier sehen zu wollen! Wie viel quälende Schmerzen, welche schwere und fruchtlose Kämpfe, wie viel Tage ohne Ruhe und Nächte ohne Schlaf hätt ich mir dadurch erspart! – Doch, wozu dieser vergebliche Wunsch? – Höre also den Verfolg meiner Geschichte mit der schönen und tugendhaften Aruja.

Das herrliche Weib blieb eine kleine Weile unverschleiert mit gesenkten Augenlidern sitzen. Aber auf einmal stand sie auf, dankte mir, mehr durch den ganzen Ausdruck ihres seelenvollen Gesichtes als mit Worten, dafür – daß ich meine Schuldigkeit getan hatte, und entfernte sich so schleunig, daß es einige Augenblicke hernach nicht schwer gewesen wäre mich zu bereden, sie sei nicht auf ihren Füßen fortgegangen, sondern, wie es einer solchen Engelserscheinung zukam, plötzlich aus meinen Augen weggeschwunden.

Eine Einbildungskraft wie die deinige, Danischmend, bedarf (nach allem was du schon gehört hast) keiner umständlichern Schilderung des Gemütszustandes, worin die schöne Aruja mich zurück ließ. Genug, seit diesem Augenblicke steht ihre Gestalt mit allen ihren Reizen so lebendig vor mir, daß ich eher mir selbst als diesem allzu liebenswürdigen Gespenst entfliehen könnte. Es verfolgt mich überall, in den Divan, in die Moskee, auf die Jagd, in die einsamsten Lauben meiner Gärten. Ich habe alles versucht es aus meinen Augen und aus meinem Herzen zu verbannen, Geschäfte, Zerstreuungen, Vergnügungen; alles vergebens! Ich habe sogar, wie ich befürchte, den Krieg, der dich wieder in diese Gegend trieb, bloß aus Bedürfnis, meinem Ingrimm Luft zu machen, angefangen. Die Zeit, die sonst so viel über unsre Leidenschaften vermag, kann dieser allein nichts anhaben; im Gegenteil, mit jedem Morgen steht Arujas Bild frischer, wärmer und glänzender vor meinen Augen – kurz, mein Freund, ich fühle daß ich nicht länger ohne sie leben kann.«

»Das verhüte der Himmel!« fuhr Danischmend ein wenig rascher heraus als sich geziemte.

»Höre, Danischmend«, sagte der Sultan mit einem Blicke, der ihn schnell zum gebührenden Gefühl ihres wahren Verhältnisses zurück rief: »ich erwarte Hülfe von deiner Freundschaft. Wenn du Zauberworte kennest, die eine solche Wunde heilen können, so laß hören! alle andere verbitte ich! Keine Philosophien, keine schönen Sprüche, Danischmend, Hülfe erwart ich von meinem Freunde.«

Danischmend seufzte. »Darf ich den Sultan meinen Herren fragen, ob Aruja etwas von der Leidenschaft weiß, die sie das Unglück gehabt hat ihrem erhabenen Retter einzuflößen?«

»Wunderlicher Mensch! wie kannst du dir einbilden, daß ich eine solche Liebe so lange vor ihr hätte verbergen können?«

»Und wie benahm sie sich dabei?«

»So, daß ich sie noch mehr bewundern, noch heftiger lieben mußte; wiewohl ich nichts dabei gewann, als die Gewißheit unglücklich zu bleiben – da es mir unmöglich ist, mich zu Mitteln zu entschließen, die meiner und ihrer unwürdig sind.«

»Heil dem großen Monarchen von Indien für diese ewig preiswürdige Unmöglichkeit!«

»Singe mir noch kein Triumphlied, Danischmend! Es gibt Stunden, wo ich mich selbst hasse, mich dafür zermalmen und vernichten möchte, daß ich so schwach bin eine hoffnungslose Leidenschaft nicht bezwingen zu können, und doch nicht Mut genug habe sie zu befriedigen, es koste auch was es wolle. Wie oft hab ich mich schon verwünscht, daß ich durch die allzu hastige Bestrafung des Kadi und des Statthalters mich selbst in die Unmöglichkeit gesetzt habe, zu versuchen ob ich nicht vielleicht glücklicher bei Aruja sein könnte als sie! Der öffentliche Ruf von meiner Gerechtigkeit, der sonst mein Stolz war, ist mir lästig, weil er mir verhaßte Schranken setzt, die ich nicht durchbrechen kann, ohne ihn auf ewig zu verlieren. Und doch – was ist die Meinung des unverständigen Haufens, die wie ein Rohr von jedem Lüftchen hin und her bewegt wird? dem Scheinverdienst so oft die Ehre gibt, die sie dem wahren versagt? heute mit Füßen tritt was sie gestern anbetete? Was ist Ruf und Beifall des Volks und Nachruhm gegen« –

– »Die Stimme Gottes in unserm eigenen Busen«, fiel Danischmend ein, »die uns Beifall zuruft, wenn wir gerecht, edel und groß handeln?«

»Auch dies fühl ich in ruhigern Augenblicken, Danischmend! – Aber freilich hast du nie erfahren, wie einem, der gewohnt ist alles zu können und alles zu dürfen, zu Mute ist, wenn er einen Wunsch unbefriedigt lassen soll, dessen Gewährung er mit einem Königreich nicht zu teuer erkauft zu haben glauben würde. Aber ich bin dieses sinnlosen Kämpfens mit mir selbst müde. Sage mir nicht was ich tun soll, Danischmend! Rate mir als ein Freund, was kann ich tun?«

Dies war im Grund eine seltsame Zumutung von Seiner Hoheit. Aber der gutherzige Danischmend fühlte sich von dem Zustande des armen Sultans gerührt. Er rechnete ihm den langen Kampf mit sich selbst zu keinem kleinen Verdienst an, und wünschte daß sich irgend ein gelindes und unschädliches Mittel, wie ihm geholfen werden könnte, ausfindig machen ließe. – »Darf ich noch eine Frage tun, Sire?« sprach er: »Ihre Hoheit erwähnten vorhin, Aruja wisse« –

»Sie, und der alte Sadik und mein Kämmerling Kerim sind die einzigen, die um mein Geheimnis wissen, Danischmend. Ich merke was du fragen willst. Höre also an! Nachdem ich lange Zeit vergebens die Ketten zu zerreißen versucht hatte, die mein Leben an dieses herrlichste aller Weiber fesseln, entschloß ich mich endlich, Kerim heimlich an sie zu schicken, der ihr das Geheimnis meiner Seele enthüllen, und ihr sagen sollte, daß mein ganzes Glück und das Glück von Indostan in ihren Händen sei, und daß ich ihr Vollmacht gebe, mir jede Bedingung vorzuschreiben, die sie zu ihrer eigenen Beruhigung nötig finden möchte. Aber ich besorge, daß der Sklave sich entweder ungeschickt dabei benahm, oder daß er vielleicht heimlich von Nurmahal bestochen ist, die, wiewohl sie keine Hoffnung haben kann mein Herz wieder zu gewinnen, wenigstens keine andre im Besitz desselben sehen will. Genug, er brachte mir die Antwort: daß Aruja alle seine Anträge ausgeschlagen und sich erklärt habe, lieber jeden Tod zu leiden, als Wünsche die ihrer Pflicht zuwider wären anzuhören, geschweige zu begünstigen.«

Danischmend sann eine Weile nach. »Sagten Ihre Hoheit nicht«, fing er wieder an, »daß Sadik ein bejahrter Mann und Aruja noch ein sehr junges Weib sei?«

»Sie kann kaum über zwanzig Jahre haben«, erwiderte der Sultan, »und Sadik könnte vielleicht ihren Großvater vorstellen.«

»So findet wenigstens auf Arujas Seite keine Leidenschaft Statt, die wir zu bekämpfen hätten. Bloß das Gefühl ihrer Pflicht ist uns entgegen; und dies würde gehoben, wenn Sadik bewogen werden könnte, ihr einen Scheidebrief zu geben.«

»Laß dich umarmen, Danischmend mein Freund! – Unbegreiflich, daß mir ein so simples Mittel nicht längst in den Sinn kam! Es muß mir schlechterdings unmöglich vorgekommen sein, daß ein Mensch einen solchen Schatz besitzen, und sich dessen um irgend einen Preis selbst sollte berauben können.«

»In Sadiks Jahren ist Liebe selten die herrschende Leidenschaft«, sagte Danischmend.

»Wenigstens müssen wir die Probe mit ihm machen. Nimm die Sache auf dich, Danischmend! Gib mir diesen Beweis deiner Freundschaft! Geh so bald als möglich zu dem Alten, geh ihm mit deiner ganzen Beredsamkeit zu Leibe, biet ihm alles was die Augen eines Privatmannes blenden kann – ich gebe dir unbeschränkte Vollmacht – Gold so viel er will, eine Statthalterschaft, eine ganze Provinz! was er nur fordern und der Sultan von Indien bewilligen kann! Aruja ist um keinen Preis zu teuer. Und daß sie nur als erste Sultanin in meinen Harem einziehen soll, versteht sich von selbst.«

Danischmend versprach dem Sultan sein möglichstes zu tun; aber das Herz pochte ihm so stark dabei, als ob es ihm weissage, daß es mit dieser Unterhandlung nicht so ablaufen werde, wie er dem Monarchen aus bloßer Gutherzigkeit geschmeichelt hatte.


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