Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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39. Kapitel

Wie Danischmend den Plan des alten Kalenders zu Wasser macht

Die Kalender waren kaum abgegangen, so erhielt Danischmend in der nächsten Nacht von dem jungen Faruk, der ihm besonders ergeben war und sich in Feriduns Hause angenehm zu machen gewußt hatte, die Warnung, sich vor einem Anschlag in Acht zu nehmen, der auf seine Person gemünzt und wahrscheinlich der Hauptgegenstand der Reise des Kalenders nach der Hauptstadt sei.

Faruk, der die Bösewichter seit einiger Zeit so wenig als möglich aus den Augen verlor, hatte Gelegenheit gefunden, eine ihrer geheimen Unterredungen zu behorchen, und, wiewohl er nur einzelne Worte deutlich vernehmen konnte, so viel heraus gebracht, daß die Rede von Anstalten war, um einen Verhaftsbefehl gegen Danischmend zu Kischmir auszuwirken.

»Nun ist es Zeit«, sagte Danischmend zu Perisadeh; »halte dich bis übermorgen reisefertig. Unser guter Freund der Kalender soll das Nest leer finden: aber wenn er sich selbst hinein zu setzen hofft, betrügt er sich gewaltig!«

Danischmend hatte, so wie er entschlossen war Jemal zu verlassen, einen Schenkungsbrief aufgesetzt, worin er seine Wohnung mit den daran liegenden Gärten und Pflanzungen dem jungen Faruk zum Eigentum übergab, mit der Bedingung, daß sein Nachbar und Lehrmeister Kassim, und Frau Zeineb, Perisadehs Freundin – so lange sie den alten Sitten von Jemal nicht ungetreu würde – lebenslänglich die Nutznießung derselben haben sollten. In einem andern offnen Briefe schenkte er alle seine übrigen Grundstücke der Gemeine, deren Mitglied er zeither gewesen war; und den größten Teil seiner fahrenden Habe verteilte er unter einige andere, die etwas zu seinem und Perisadehs Andenken zu besitzen würdig waren.

Am folgenden Morgen berief er alle seine Freunde und Nachbarn zu sich, machte ihnen seine Entschließung Jemal wieder zu verlassen und die Verfügungen, die er wegen seiner Besitztümer getroffen habe, öffentlich bekannt, stellte ihnen nochmals aufs beweglichste die Folgen jeder Abweichung von ihrer bisherigen Lebensweise vor, und warnte sie vor dem Kalender Alhafi, den er auf seine Unkosten als einen heuchlerischen, undankbaren, herrschsüchtigen, wollüstigen und für allen Unterschied zwischen Recht und Unrecht unempfindlichen Buben kennen gelernt habe, der, wofern sie ihn nicht bei Zeiten über ihre Grenze schickten, nicht ruhen würde, bis er die Unschuld, den Frieden und die glückliche Verfassung ihres kleinen Volkes zerstört hätte.

Sein Entschluß überraschte diese guten Leute so sehr, daß sie eine ziemliche Weile wie angedonnert standen; allmählich erhob sich eine Stimme nach der andern, die ihn bat sie nicht zu verlassen, und ihm alles versprach was er nur von ihnen verlangen könnte. Die Bewegung der Gemüter wurde immer lauter und allgemeiner, und nahm so stark überhand, daß er nötig fand sich wegzubegeben, nachdem er sie nochmals versichert hatte, daß seine Abreise auf morgen festgesetzt sei.

Die Nachricht von dieser seltsamen Entschließung Danischmends lief in wenig Stunden durch ganz Jemal. Feridun und seine Freunde freuten sich, eines Mannes los zu werden, der ihnen bei allem, was sie zu unternehmen Lust hatten, immer im Wege gestanden wäre. Manche sprachen von ihm als einem launischen und rätselhaften Menschen, an dem eben nicht viel verloren würde, und der ihnen, wenn die von ihm herum laufenden Gerüchte Grund hätten, noch manchen Verdruß hätte zuziehen können. Nicht wenige beklagten seine Entfernung, und verwünschten die Kalender und die Tänzerin, denen sie die Schuld davon beimaßen. Kurz, der Gesinnungen waren, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, mancherlei; aber niemand ließ sich einfallen, seine Abreise mit Gewalt hindern zu wollen.

Mit dem Anbruch des nächsten Tages war schon alles reisefertig. Danischmend und Perisadeh bestiegen jedes seinen eigenen Dromedar; an demjenigen, den die Mutter ritt, waren die drei Kinder in besonders dazu eingerichteten Körben befestigt; ihnen folgten zwei Kamele, mit zwei Mägden und eben so viel jungen Sklaven beladen, und ein drittes, das die unentbehrlichsten Geräte und einen Vorrat von Lebensmitteln trug. So zog die kleine Karawane aus, von ihren weinenden Freunden und einer Menge Volks begleitet, die aus Gutherzigkeit mitging, bis sie aus den engen Schlangenwegen des Gebirges in die Ebne kamen. Perisadeh sah, so lange sie konnte, mit großen Tränen im Auge, nach den friedlichen Wohnungen zurück, wo sie, bis auf diese wenigen letzten Tage, so glücklich gewesen war, und die sie nun auf immer verließ, ohne den Ort zu kennen wo sie wieder Ruhe finden sollte. Aber Danischmend hatte die Art, in dergleichen kritischen Augenblicken, zumal wenn sie das Werk seiner eigenen Entschließung waren, eine so fröhliche Laune zu zeigen, daß es schwer war nicht von ihr angesteckt zu werden.

So bald sie also den letzten Abschied von ihren Nachbarn und Bekannten genommen hatten, klärte sich auch Perisadehs seelenvolles Gesicht nach und nach wieder auf; und das Bewußtsein der reinen Unschuld ihres Herzens, mit dem Gedanken, daß Danischmend ihr, und sie Danischmenden alles ersetzte, machte sie so wohlgemut, als ob sie nichts verloren hätten, und irgend einem großen Glück entgegen zögen.

Nachdem sie sieben Tage so fortgereiset waren, langten sie am achten in einer sehr anmutigen Gegend auf der Grenze, welche die Provinzen Lahor und Dehly scheidet, bei einem Dorf an, dessen Name uns gleichgültig sein kann, aber dessen Lage eine der freundlichsten und ruhigsten war, die man sich wünschen konnte.

Danischmend las es in Perisadehs angenehm gerührten Augen, daß sie wieder in Jemal versetzt zu sein glaubte. Er ließ also still halten, und sagte, indem er ihr von ihrem Laufer steigen half: »Hier, liebe Perisadeh, ist der Ort, den uns das Schicksal, wie ich hoffe, zum Ruheplatz auf unsrer Wanderschaft bestimmt hat, wo wir uns unter diesen Palmen und Platanen eine Hütte bauen, und im Genuß der Natur, unsrer Liebe und unsers Herzens so glücklich zu sein fortfahren wollen, als wir es seit dem ersten Tage unsrer Bekanntschaft waren.«

In der Tat hatte er die Entscheidung seines neuen Aufenthaltes nicht auf den Zufall ankommen lassen. Er kannte diesen Ort schon lange, und hatte seinen Weg absichtlich dahin genommen. Aber er wollte erst gewiß sein, ob es auch Perisadeh da gefallen würde.

Und so befand sich nun unser braver biederherziger Freund (denn einen Freund hat er sich doch hoffentlich in jedem unsrer Leser erworben) bereits in guter Sicherheit, ehe noch der schelmische Kalender mit seinem erschlichenen Verhaftsbefehl aus Kischmir zurück kam, und zu seinem großen Verdruß berichtet wurde, daß der Vogel ausgeflogen sei, und das Nest, worin er sich so warm zu setzen gedachte, schon wieder einen Herrn habe, den er so leicht nicht zu vertreiben hoffen konnte.


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