Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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14. Kapitel

Was Danischmend dazu sagt

Da der Kalender seinen Satz sattsam ausgeführt zu haben glaubte, so schwieg er nun, und erwartete was Danischmend dagegen einzuwenden haben würde. Aber Danischmend liebte das Disputieren nicht halb so viel als der Kalender.

»Soll ich dir sagen was ich von der Sache denke?« sprach er. »Fürs erste sag ich: Der weise Mann, der vor übergroßer Weisheit nicht alles Gute tut wozu er Gelegenheit hat, ist, nach meinem Wörterbuch, ein kalter, selbstischer, feigherziger Schurke; und hierin, hoffe ich, sind wir einverstanden.«

»Das denk ich«, sagte der Kalender ein wenig errötend.

»Sodann, was die Enthusiasten betrifft«, fuhr Danischmend fort, »so gesteh ich dir, daß dies eine Gattung von Sterblichen ist, die ich vielleicht besser kenneEr mochte wohl selbst einer sein.

Lancelot Gobbo

als irgend eine andre. Überhaupt läßt sich viel Böses von ihnen sagen; es ist ein ergiebiges Gemeinplätzchen. Aber, da diesmal die Rede bloß von den Enthusiasten der Tugend, von den Eiferern für die Rechte und Vorteile der Menschheit war; so hast du, denk ich, mehr Böses und weniger Gutes von ihnen gesagt als recht ist. Ich berufe mich auf die Geschichte wie du, wenn ich behaupte: daß das menschliche Geschlecht dieser Art von Enthusiasten alles, was von Vernunft, Tugend und Freiheit noch auf dem Erdboden übrig ist, zu danken hat. Dies alles ist sehr wenig, wirst du sagen. Aber, so wenig es sein mag, für uns ist es unendlich viel; denn dies wenige macht, daß wir Menschen und keine Orang-Utangs, oder noch was Ärgeres sind.

Aber, sprichst du, sie zerrütten die Welt, indem sie einen Feind bekämpfen, der nicht auszurotten ist, und sie selbst werden oft das Opfer ihres schwärmerischen Heldenmuts. Desto edler und preiswürdiger sind sie, für die Sache der Menschheit keine Gefahr zu scheuen, und großmütig ihr Vergnügen, ihre Ruhe, ihr Leben selbst auf ein Spiel zu setzen, wobei gemeiniglich nur die andern die Gewinnenden sind. Und wenn der hitzige Krieg, den sie zu unserm Besten mit den Feinden der Menschheit führen müssen, nicht immer ohne gewaltsame Erschütterungen abläuft, ist es ihre Schuld? Das Böse, wozu sie wider ihren Willen den Vorwand oder die Veranlassung geben, ist das Werk der Bösen; das Gute hingegen das sie hervorbringen, ist ihr eignes Werk: aber jenes ist vorüber gehend; dieses fortdauernd und unermeßlich durch die wohltätigen Folgen, die es über das menschliche Geschlecht verbreitet.

Es ist wahr, sie fehlen zuweilen in der Wahl der Mittel; aber dies beweiset nur, wie notwendig es ist, daß sie mit den Weisen in gutem Vernehmen stehen: diese sollen untersuchen und entwerfen, jene ausführen. Vereinigt können sie alles; getrennt sind sie immer in Gefahr das zu sein, wofür du sie ausgegeben hast, Memmen und Narren.

Auch die Virtuosen – wie du eine der besten Menschenarten nennest – sind so unnützlich nicht, als du dir einbildest: und wenn sie der Welt auch keinen andern Dienst erwiesen, als daß sie gleichsam die Bewahrer jener Ideale des Schönen und Guten, jener unvergänglichen Bilder der Vollkommenheit, sind, die den kostbarsten Schatz der Menschheit ausmachen; ist dies nicht genug, um sie in den Augen eines Weisen wenigstens so ehrwürdig zu machen, als es der Hüter des heiligen Grabes zu Mekka in den Augen der Musulmanen ist?

Aber wie kommt es, Freund Kalender, daß du einer Klasse von guten Menschen vergessen hast, deren Dasein dir doch unmöglich hat verborgen bleiben können, da sie ganz gewiß zahlreicher ist, als eine von den dreien, in welche du die Guten verteilt hast?«

»Du meinst doch wohl nicht diese Leute von tugendlichem Temperament? diese guten Seelen, die es bloß darum sind, weil sie keine Versuchung oder nicht Mut genug in sich fühlen, Böses zu tun?«

»Glückliche Schwäche!« rief Danischmend: »glückliches Temperament, das den Menschen, zu seinem und seiner Mitgeschöpfe Besten, unfähig macht, verkehrt und übeltätig zu sein! Nenn es immer Temperament, oder was du willst; – genug, es gibt Menschen, die, durch eine angeborne Richtigkeit, der Natur getreu bleiben, redlich gegen alle andre Menschen gesinnt sind, das Wahre fühlen, das Gute tun, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen warum es wahr und gut ist, und ohne jemals die unendlich feinen Schwierigkeiten gesehen zu haben, die den Metaphysiker martern, wenn er die Grenzlinien des einen und des andern haarscharf durch alle die labyrinthischen Krümmungen und Verwicklungen der Natur, der Notwendigkeit, des Zufalls und der menschlichen Anordnungen ziehen will.

Diese Art von Menschen ist unter den unverfeinerten Klassen der polizierten Völker, und unter den rohen Kindern der Natur, die wir Barbaren und Wilde nennen, viel zahlreicher als man glaubt; und wenn du auf deinen Wanderungen so unglücklich gewesen sein solltest keinem davon in den Wurf gekommen zu sein, so mache dich mit dem Völkchen bekannt, unter dem ich hier lebe. Es wird vielleicht mehr beitragen, dich mit der menschlichen Natur auszusöhnen, als alles was ich zu ihrer Verteidigung sagen könnte.« –

»Oder mich wenigstens in den Gedanken bestärken«, erwiderte der Kalender, »daß die Menschen desto besser sind, je mehr sie sich dem Stande nähern, wo der Instinkt die Stelle der Vernunft, der Gesetze und der übrigen künstlichen Maschinerien vertritt, wodurch man sie verschlimmert hat, indem man sie verfeinern wollte; kurz, daß sie desto besser sind, je mehr sie – in ihrer Art versteht sich – den übrigen Tieren gleichen.«

»Freund Kalender«, sagte Danischmend ein wenig unmutig, »es ist etwas in deinen Begriffen, das alle Augenblicke wider die meinen anprallt. – Aber« – fuhr er fort, indem er sich sogleich wieder zusammen raffte – »wir können und sollen nicht alle durch ein und eben dasselbe Schlüsselloch in die Welt gucken. Vergib mir, ehrlicher Alter! Ich hatte unrecht, zu vergessen, daß du schon über dreißig Jahre ein bloßer Zuschauer und ein Kalender bist.«


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