Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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7. Kapitel

Wer dieser Kalender war, und wie ein Kalender aussieht

Ich habe einen Fehler begangen, lieber Leser, den ich erst itzt gewahr werde. Da bring ich einen Kalender auf die Szene, laß ihn reden und disputieren, und habe nicht gesagt, wann und wie und warum und von wannen er kam, und wer er ist, und was er will. Ich müßte das ganze sechste Kapitel umkehren, ja wohl gar meinen ganzen Plan – oder wie man das nennen will, was dies Buch von einem Wörterbuche, Kollektaneen-Buche, Pot-pourri oder Florilegium unterscheidet – verändern, wenn ich diesen Fehler verbergen wollte. Dies verlohnte sich wohl der Mühe nicht. Lassen wir also den einmal gemachten Fehler gemacht sein – denn auch verborgen wär er doch gemacht – und sehen zu, wie wir ihn vergüten.

Danischmend saß eines Abends unter der äußersten Linde eines langen Spazierganges, der zu seinem Hause führte, an der Landstraße. Er hatte seinen Knaben, einen Jungen von drei bis vier Jahren, auf seinen Knieen stehen, und ließ sich nicht verdrießen, während daß der Junge mit seinen Haaren spielte, auf alle seine kindischen Fragen – in denen (nach seiner Philosophie) große Weisheit der Natur verborgen steckte – zu antworten, so gut ein weiser Mann auf die Fragen eines Kindes, die oft vor lauter Einfalt spitzfindig sind, antworten kann.

»Aber, Papa«, sagte der Junge, »warum wird es denn itzt dunkel?«Wenn Herr Danischmend diese Frage seines kleinen Buben für eine von den spitzfindigen hält, so muß ihn die väterliche Liebe gewaltig verblenden. Es ist, mit seiner Erlaubnis, eine sehr dumme Frage. Denn hätte der Junge acht gegeben warum es bei Tage hell ist, nämlich, daß es hell wird so bald die Sonne aufgeht, und so lange hell bleibt als die Sonne am Himmel ist, so hätte er sogleich schließen können, daß es dunkel werden muß wenn die Sonne weg ist. Der Bube sollte mein gewesen sein; ich wollt ihn gelehrt haben Schlüsse machen!

Mag. Duns

Wenn Herr Duns sich bemühen wollte meinen siebenten Versuch mit Bedacht zu lesen, so würde er finden, daß der Junge, ohne die Logik gelernt zu haben, mehr Logik in seinem Hirnkasten hatte, als er meint.

David Hume

Und wenn ein Kind von vier Jahren mit einem hoch illuminierten Doktor von vierzig über solche Dinge in Wortwechsel kommt, so ist immer eine Schellenkappe gegen einen Doktorhut zu wetten, daß das Kind recht hat.

Tristram Shandy

»Weil die Sonne untergegangen ist, mein Sohn«, antwortete der Papa.

»So?« sagte der Bube: »wohin geht sie denn?«

Danischmend war im Begriff dem Kinde begreiflich zu machen, daß dort hinterm Berge auch Leute wären, als sie plötzlich durch die Annäherung eines schon etwas bejahrten Kalenders gestört wurden, der so ermüdet schien, daß er sich mit Hülfe einer großen knotigen Keule von Schwarzdorn kaum noch fortschleppen konnte.

Sie möchten gerne wissen, Madam, – was für eine Art von Geschöpfen ein Kalender ist, und wie er denn aussieht, weil man ihm seine Kalenderheit schon von fern ansehen konnte? Denn daß hier von keinem Almanach die Rede sei, haben Sie schon gemerkt.

Ein Kalender – es wird schwer sein, Madam, Ihnen ohne Hülfe eines Malers oder Kupferstechers einen anschauenden Begriff davon zu geben, wie ein Kalender, in so fern er ein Kalender ist, aussieht. Denn Sie auf andre Bücher deswegen zu verweisen wäre unhöflich.

Sie haben doch wohl in Ihrem Leben, es sei nun in natura oder in der Abbildung, einen Kapuziner oder Waldbruder, mit einem langen Barte, einem Strick um den Leib, und einem langen Rosenkranz in der Hand oder an der Seite, vor die Augen bekommen? Gut! – Solchen Falls nun schneiden Sie diesem Kapuziner oder Waldbruder seinen langen, schwarzen, oder roten, oder weißen, oder scheckigen, oder blauen Bart – denn man sieht ihrer von allen Farben – an der Wurzel ab, – oder befehlen vielmehr Ihrer Phantasie es für Sie zu tun – sie ist eine große Meisterin Bärte (sonderlich Zwickelbärte) anzusetzen oder abzumähen – lassen Sie ihm ferner Haare und Augenbraunen so glatt wegscheren als ob nie etwas dergleichen da gewesen wäre. Alsdann ziehen Sie ihm seinen Mantel, seinen Kapuz, seinen langen Rock und seine hölzernen Schuhe –

Doch, um Vergebung! Ich sehe eben, daß Sie ihm – es ist auch um der Anständigkeit willen besser – seinen Rock lassen können, wenn Sie sich nur die Mühe geben wollen, die Ärmel und den obern Teil, der Hals und Brust bedeckt, gänzlich davon zu abstrahieren, und ihn ein wenig über den Anfang der Waden von unten auf ringsum abzustutzen. Strick und Rosenkranz bleiben.

Die Kapuziner, Madam, tragen, der Reinlichkeit wegen, keine Hemden, wie Sie wissen – oder itzt zum ersten Mal hören. Die Kalender auch nicht. Man erspart viel dabei an Leinwand, Zwirn, Seife, Wäscherlohn, usw. – andrer Vorteile zu geschweigen.

Nun, weil Kapuzinertuch in den warmen Morgenländern, wo die Kalender zu Hause sind, ein wenig zu schwer wäre, so verwandeln Sie es in kotfarbene, oder kuhrote, oder eierdottergelbe Sackleinwand – und in so fern Sie alle diese verschiedenen Operationen des Geistes, Abstraktionen, Depilationen, Dekurtationen, Defigurationen und Dekolorationen mit der erforderlichen Genauigkeit vorgenommen haben – so kann es nicht fehlen, Sie haben das wahre leibhafte Bild eines Kalenders vor sich stehen, so daß Sie gar nicht nötig haben, sich deswegen nach Türkenland, Persien, Korassan, Zagaray, oder andern solchen Ländern im Heidentum zu bemühen.

Die Damen in Holstein, Mecklenburg, Pommern, Dänemark, Norwegen, Schweden, usw. welche sich aus bekannten Ursachen nicht in dem Falle befinden, den wir hier voraussetzen, können sich ganz leidlich aus der Sache ziehen, wenn Sie alle vorbemeldete Abstraktionen, Depilationen, usw. mit dem einen oder andern von den Papions, oder Sapajus, im zwölften Teile der neuesten Oktavausgabe von Büffons Naturgeschichte, vorzunehmen belieben wollen. Wir wollen Ihnen hierzu unmaßgeblich den Mandril von Guinea (S. 136) oder den grauen Saju oder Sajuassu, den der Ritter Linné in seinem Natursystem Simia capucina caudata, imberbis, cauda longa hirsuta, nennet(S. 317), vorgeschlagen haben; wiewohl in verschiedner Betrachtung der Wanderu von Ceylon, Simia caudata, barbata, corpore nigro, barba nivea prolixa (S. 102), noch bequemer dazu wäre; wenigstens zu unserm vorliegenden Gebrauche. Denn, obgleich die Kalender gewöhnlicher Weise eben so unbärtig sind als des Ritters Linné Simia capucina, imberbis, cauda longa, etc., so führte doch derjenige, von dem itzt die Rede ist, vermutlich aus einer Art von kalenderischer Koketterie, einen vollständigen, langen, mausefarbnen Bart, der ihm, mit Hülfe eines großen Stücks brauner Leinwand, das in Gestalt eines Mantels um seine Schultern geschlagen war, so ziemlich das Ansehen eines alten griechischen Philosophen aus einer von den schmutzigen SektenOhne Zweifel sind unter dieser Benennung die Stoiker und Cyniker gemeint, de quibus vide –

Nicht doch, Herr Murrzufflus! wer wird denn immer zitieren!

Der Setzer

gab.

Danischmend nahm den Kalender mit nach Hause, und bewirtete ihn so gut er konnte. Sie unterhielten sich von allerlei Dingen, und so wie der Kalender seine Seele gelabet hatte, fing er an muntrer zu werden, und sprach wie einer, der viel gesehen, und mehr gedacht hat, als Kapuziner, Waldbrüder, Kalender, Fakirn, Mandrils und Wanderus gewöhnlich zu denken pflegen.

Itzt betrachtete Danischmend seinen Gast mit mehr Aufmerksamkeit. »Bruder«, sagte er zu ihm, »mich deucht wir sollten uns schon gesehen haben?«

»Es ist möglich«, antwortete der Kalender.


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