Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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30. Kapitel

Worin wir den Kalender immer näher kennen lernen

Der geneigte Leser wird, einer Unterbrechung von drei Kapiteln ungeachtet, sich des plötzlichen Einfalls noch wohl erinnern, welchen Danischmend im sechsundzwanzigsten Kapitel hatte, sich – aus Sorge für das Seelenheil der armen Bewohner von Jemal – zu ihrem Imam aufzuwerfen, und der eben so großen Hastigkeit, womit er von diesem Vorhaben wieder absprang, als ihm der Kalender die Folgen vorstellte, die ein solcher Schritt wahrscheinlich nach sich ziehen würde.

Der Kalender hatte seine Weissagungen aus bloßer Eingebung des Widersprechungs-Geistes, der ihm zur andern Natur geworden war, angestimmt, und es fiel ihm gar nicht ein, daß Danischmends Abscheu vor den Sultanen so weit gehen könnte, daß er eine Gelegenheit, selbst so etwas wie ein Sultan zu werden, aus den Händen lassen sollte. Er hatte diesen Abscheu bloß als die Folge einiger empfindlicher Beleidigungen, welche Danischmenden vermutlich am Hofe zu Dehly widerfahren sein mochten, angesehen; und man muß gestehen, ein Mann wie er, – das ist ein Mann, der sich keinen Begriff davon machen konnte, wie man aus bloßer Menschenliebe den stärksten Versuchungen der Eigenliebe widerstehen könne, – mußte so denken, oder gar nichts.

Sein Erstaunen war also nicht klein, als er Danischmenden auf die erste Vorstellung, die er ihm gegen seinen Einfall machte, so plötzlich auf die Seite springen und auf einmal so fest entschlossen sah, die Jemalitter sich selbst und ihrem Schicksale zu überlassen. Dies war weder was er erwartet hatte, noch was er wünschte; denn im Grund gefiel ihm Danischmends Projekt gleich beim ersten Anblick , und, wie gesagt, er machte seine Einwendungen lediglich aus der Ursache, weil es ihm unmöglich war eine Gelegenheit vorbei gehen zu lassen, wo er jemanden, es mochte Freund oder Feind sein, verwirren und in Verlegenheit setzen konnte.

Aber (wird man vielleicht denken) was für einen Vorteil konnte der Kalender davon haben, wenn Danischmend sich zum Imam oder Emir dieses kleinen Volks aufwürfe? Er hoffte doch nicht sein General-Vikarius zu werden?

Dies wohl nicht. Der Hang zum Müßiggehen war zu tief bei ihm eingewurzelt, und Ehrgeiz oder Begierde nach einem Glücke, dessen Erwerbung ihm viele Mühe gekostet hätte, waren keine Leidenschaften die jemals viel Gewalt über ihn gehabt hatten. Er war am liebsten ein bloßer Zuschauer. Aber eben darum hatte er seine Freude an Veränderungen und neuen Auftritten; besonders wenn er vermuten konnte, daß sie fruchtbar an unerwarteten Folgen sein und ihm viel Stoffs darbieten würden, sich über die Torheiten der Menschenkinder lustig zu machen. Mit Einem Worte, der alte Bube liebte Unheil, und befand sich nie besser als wenn es recht bunt und toll in der Welt zuging: ja er machte sich bei Gelegenheit nicht das mindeste Bedenken, wo er einige Funken glimmen sah, zu blasen und zu schüren, bis ein großes Feuer daraus wurde, und dann sehr eilfertig als zum Retten herbei zu laufen, einen großen Krug voll Öl hinein zu schütten, und, wenn die Flamme mit verdoppelter Wut empor loderte, zu jammern, daß er in der Eile den Ölkrug für den Wasserkrug ergriffen habe.

Danischmend, mit aller seiner Kenntnis der Welt, hatte gerade eben so wenig Begriff von dieser besondern Art von Bosheit, als der Kalender von dem Grade der Gutherzigkeit, der dazu erfordert wurde, einen Entwurf bloß darum unausgeführt zu lassen, weil er durch entfernte und ungewisse Folgen das Glück andrer Menschen in Gefahr setzte; – eine Sache, um die er sich eben so viel bekümmerte, als ob der Mann im Mond verwichene Nacht wohl oder übel geschlafen habe.

»Halte mir meine Freimütigkeit zu gute« (sagte er zu Danischmenden, da sie wieder auf diese Materie kamen), »aber in Wahrheit, ich begreife nicht, wie ein Mann, der mit so viel Enthusiasmus wie du, sich für andrer Menschen Bestes beeifert, einen Plan, den er für das einzige Mittel ansah seine Mitbürger vor größrer Verderbnis ihrer Sitten zu verwahren, um solcher Bedenklichkeiten willen fahren lassen kann.«

»Ich denke, Freund Kalender«, versetzte Danischmend, »du hättest schon lange merken können, daß bei mir die Philosophie im Herzen, nicht im Kopfe sitzt. Die Gefahr der guten Leute, unter denen ich lebe, ist so groß noch nicht, daß man genötigt wäre zu verzweifelten Mitteln zu greifen. Meine Liebe zu ihnen vergrößerte sich die Folgen des Übels, das ihnen die drei Fakirn zugefügt haben. Im Grund ist es eine bloße Verwundung eines Körpers, dessen Säfte gut und balsamisch sind. Bei unverdorbnen Seelen heilt sich ein so kleiner Schade von selbst. Die Natur ist der beste Arzt.«

»Ich wünsche daß es so sein möge«, erwiderte der Kalender mit einer ungläubigen Miene. »Aber ich müßte mich sehr betrügen, oder die Zeichen, daß die Sitten in diesen Tälern sich verschlimmert haben, werden täglich sichtbarer. Ich sehe Weiber, die über ihre Männer klagen, und Männer, die sich auf Unkosten der Weiber rechtfertigen. Erst noch diesen Morgen hatte ich viel Mühe, unserm alten Nachbar Kassim den Argwohn, daß seine Frau mit dem jungen Faruk in einem geheimen Verständnisse stehe, aus dem Kopfe zu reden.«

Danischmend schüttelte den seinigen, da er hörte, daß sich der Kalender so viel in die häuslichen Angelegenheiten seiner Nachbarn mischte. Sein Genius schien ihm zuzuflüstern, daß es nicht desto besser sei.

»Und ich hörte bei dieser Gelegenheit«, fuhr der Kalender fort, »daß Feridun, einer von den Männern deren Weiber sich neulich im Fluß ersäuft haben, über die Gebirge nach der Hauptstadt gegangen ist, sich ein paar hübsche Sklavinnen zu kaufen. Man murmelt stark darüber, und es ist zu besorgen, daß sein Beispiel Nachfolger haben, und den häuslichen Frieden unsrer guten Landleute mächtig stören dürfte.«

Danischmend, anstatt dem Kalender zu antworten, lief eilends davon, um sich in eigner Person zu erkundigen was an der Sache sei.

Der Kalender hätte ihm diese Müh ersparen können, wenn er Ihm gesagt hätte, daß – wofern der alte Kassim einigen Verdacht wider seine Frau gefaßt hatte, und Feridun nach der Stadt gegangen war, sich eine oder zwei Sklavinnen zu kaufen, niemand anders daran Ursache war als – der Kalender selbst.

Dies bedarf einiger Erklärung.


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