Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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36. Kapitel

Die ersten Faden eines Anschlags, der sich gegen Danischmend entspannt

»Du kannst mir's glauben«, sagte Narissa zu dem Kalender, den sie für ihren Bruder ausgab, wiewohl er nur ein Mitglied ihrer Bande, und vielleicht noch etwas mehr bei ihrer Person gewesen war – »du kannst mir's glauben«, sagte sie, »daß ich ihn zu Dehly bei einem feierlichen Aufzug als Itimadulet vor dem Sultan herreiten gesehen habe.«

»Wie kam er denn hierher?« fragte der Kalender.

»Das ist's eben was ich nicht begreife. So viel ist klar, daß er in Ungnade gefallen sein muß, und daß er nur hier ist – um im verborgnen zu leben.«

»Ob der Kalender Alhafi, mein alter Kamerad, etwas Näheres wissen mag? Vielleicht kann uns der Licht in der Sache geben.«

Indem sie so mit einander sprachen – (sie waren auf dem Rückwege nach Feriduns Wohnung) – stießen sie auf den ältern Kalender, der sie überall gesucht hatte, um ihnen einen Wink über den bösen Willen zu geben, welchen Danischmend gegen sie geäußert hatte. Die Devedassi bezahlte ihn dafür durch Mitteilung alles dessen, was sie von Danischmend wußte und gehört hatte.

»Ah! nun begreif ich warum der Mann sich so wichtig macht und aus einem so hohen Tone spricht«, sagte der Kalender. »Aber bist du auch gewiß, schöne Narissa, daß der Mann, den du bei dem Korbmacher Kassim gesehen hast, wirklich eben derselbe ist, den du vor fünf Jahren als Itimadulet zu Dehly gesehen zu haben glaubst?«

Narissa schwor ihm bei der großen Pagode zu Jagrenat, sie irre sich nicht, und es sei schon damals, da sie ihn zu Dehly gesehen habe, laut davon gesprochen worden, es werde nicht lange mehr mit ihm währen. Er sei, sagte sie, seiner Grausamkeit wegen allgemein verhaßt gewesen. Unter andern habe man ihn auch beschuldiget, er gehe damit um, alle Bonzen und Braminen in Indien auszurotten, und eine Empörung gegen Schach-Gebal dadurch zu veranlassen, um bei dieser Gelegenheit im Trüben zu fischen und sich des Thrones und der schönen Nurmahal zu bemächtigen, deren geheimer Liebhaber er schon lange gewesen sei.

»Treffliche Nachrichten«, sagte der Kalender, »wovon sich bei Gelegenheit guter Gebrauch machen lassen wird! Er ist zwar hier eben so allgemein beliebt, als er zu Dehly, wie du sagst, allgemein verhaßt war; denn die Leutchen in Jemal sind gute einfältige Schafe, mit denen man macht was man will: aber das Blatt wird sich bald wenden, wenn sie merken daß es mit seinen Tugenden und weisen Sprüchen nur darauf angelegt ist, den Herren unter ihnen zu spielen. Ich werde fortfahren ihn genau zu beobachten, und euch von allem benachrichtigen, was er gegen euch im Schilde führt.«

Der Kalender (den wir künftig, zum Unterschied von seinem Ordensbruder Alfaladdin, mit seinem eigenen Namen Hakim-Alhafi, oder Alhafi schlechtweg nennen wollen) war unter diesen Reden mit der Devedassi und ihrer Gesellschaft auf ihrem Wege nach Hause schon so weit fortgeschlendert, daß Feridun ihn einlud, sie vollends in ihr Dorf zu begleiten, und ein Schlafkämmerchen in seiner Wohnung anzunehmen; eine Einladung, die dem alten Fuchs um so willkommner war, da er dadurch Gelegenheit bekam, die schöne Narissa und ihren vorgeblichen Bruder in der Nähe zu beobachten, und sich in der Vermutung zu bestätigen, daß die bedeutenden Blicke, die sie einander verstohlner Weise zuwarfen, und die einem so schalksäugigen Späher nicht unbemerkt bleiben konnten, ein geheimes Verständnis anzeigten, welchem ein ganz anderes Verhältnis zum Grunde liege als Bruder und Schwester.

Es vergingen auch kaum acht Tage, so hatte er seine Maßregeln so gut genommen, daß er den Sänger Alfaladdin und seine talentreiche Schwester in einer dicht bewachsnen Felsenhöhle, wohin sie sich, um ungestört zu sein, zurück gezogen hatten, bei einem Duett überraschte, welches ihn, seiner Meinung nach, berechtigte, den dritten Mann dabei abzugeben.

Weder die schöne Narissa noch ihr Singmeister waren Leute, die gegen einen solchen Vorschlag zur Güte etwas Gültiges einzuwenden hatten: und wiewohl der demütige Alfaladdin sich entschließen mußte, seinen Platz für diesmal an einen ihm in jeder Betrachtung überlegenen Meister abzutreten; so diente doch der Vorfall nur, diese drei würdigen Personen unter einander (so weit es mit eines jeden eigenem Vorteil bestehen konnte) gegen alle, die ihren löblichen Absichten und Unternehmungen im Lichte standen, desto enger und fester zusammen zu ketten.


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