Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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8. Kapitel

Geschichte der drei Kalender

»Warst du nicht einer von den drei Kalendern, die vor fünf Jahren, um die Erntezeit, zu Dehly, den Gärten des Serails gegen über, unter einer Cypresse saßen?«

Der Kalender erinnerte sich dessen nach einigem Besinnen. »Der Sultan, der euch gewahr wurde« (fuhr Danischmend fort), »wollte wissen wer ihr wäret, und wie es käme, daß ihr euch gerade unter diesem Cypressenbaum seinem Serail gegen über, und nicht unter irgend einem andern Baum und an einem andern Ort in der Welt befändet. Ich ging also hin, um mich ein wenig näher mit euch bekannt zu machen. Aber ihr waret verschwunden, eh ich zur Cypresse kam. Ich suchte euch vergebens, und niemand wollte etwas von den drei Kalendern wissen. Einen, zwei, vier, fünf, sechs, sieben, usf. hatten viele Leute gesehen. Ich schickte unter alle Tore und in alle Quartiere der Stadt, um die drei Kalender zu erfragen. Endlich erfuhr ich des folgenden Morgens, daß man hinter der großen Pagode vor dem östlichen Tore drei Kalender unter den Bäumen frühstücken gesehen habe. Ich begab mich sogleich an den Ort; aber kaum wurdet ihr gewahr, daß ich auf euch zuging, so standet ihr auf, und entferntet euch so behende, daß ich bald die Hoffnung aufgab euch einzuholen; und von Stund an sah man euch nicht wieder in Dehly.

Sieben Tage lang wurde beim Schlafengehen des Sultans von den drei Kalendern gesprochen. Jedermann wollte was besondres von ihnen wissen; aber im Grunde wußte niemand etwas davon, als daß die drei Kalender – drei Kalender waren. Es fehlte wenig daran, daß euch Schach-Gebal ein paar tausend Reiter nachgeschickt hätte. Denn wiewohl ihm die Sache anfangs ziemlich gleichgültig war, so hatte man doch so lang und breit davon gesprochen, so viel gemutmaßet, verglichen, induziert, argumentiert und disputiert, daß seine Neugier endlich im Ernste rege ward. ›Es sind Kundschafter‹, sagte einer; ›es sind drei Weise aus Griechenland‹, sagte der andre; ›sie kommen von den Enden der Welt; sie besitzen Geheimnisse, haben den Stein der Weisen, können zaubern, sich unsichtbar machen, sich in Tiere verwandeln, auf Wolken reiten‹, – sagte der dritte, vierte, fünfte, usf. ›Es sind Kalender‹, sagte ich, ›und vermutlich die müßigsten Leute von der Welt; es müßten's nur diejenigen noch mehr sein, die nichts bessers zu tun haben, als Hypothesen über drei Kalender zu machen.‹Oder die Geschichte von drei Kalendern zu schreiben.

Pamphus

Oder Noten dazu zu machen.

Naso

Dies, guter Alter, ist alles, was ich von eurer Geschichte weiß« –

– »und hier«, versetzte der alte Kalender, »alles was ich zur Ergänzung derselben hinzu tun kann. Ich kenne die beiden jungen Kalender, die du bei mir gesehen hast, sehr wenig. Wir trafen uns einst zu Samarkand an, reiseten eine Zeit lang mit einander, trennten uns wieder, fanden uns darauf unverhofft in Kandahar wieder zusammen, und durchzogen in Gesellschaft einen Teil von Persien, ohne daß einem von uns einfiel, den andern um seine Geschichte zu fragen. Indessen zeigte sich bald, daß der eine nicht übel sang, und der andre mit der Wut, Lieder und Verse aus dem Stegreife zu machen, behaftet war. Wo uns unterwegs in einem Dorf eine erträgliche Dirne mit schwarzen Augen in den Wurf kam, da setzt' er sich unter einen Baum hin, krönte und salbte die Bäuerin zur Sultanin seines Herzens, und machte Lieder, klafterlang, zu Ehren ihrer schwarzen Augen. Dann gingen beide Laffen und sangen's des Abends, während daß sie ihre Ziegen melkte, vor ihrer Stalltür. Dessen ward ich denn endlich überdrüssig, und wir trennten uns abermals.

Zwei Jahre gingen vorbei, ohne daß wir etwas von einander hörten: bis ich einsmals zu Lahor meinen Sänger vor der Pforte eines Palasts antraf, wo er lange die besten Lieder seines Freundes, des Versemachers, aus voller Kehle anstimmte, ohne daß jemand Acht darauf gab. Zuletzt kam ein Diener heraus, und reichte ihm, vermutlich um ihn zum Schweigen zu bringen, ein kleines Almosen. Er schien sich seit einiger Zeit, wider Willen, im Fasten geübt zu haben, und sah so nackt und armselig aus, daß mich seiner jammerte. ›Die Leute von Lahor sind ein rohes Volk‹, sagte er: ›ich habe ihnen vergebens nach den schönsten Weisen von Ispahan gesungen; die Unmenschen lieben weder Tanz noch Gesang; sie hätten mich singen lassen bis mir die Zunge im Gaumen vertrocknet wäre, ohne sich darum zu bekümmern. Da lob ich mir die Einwohner von Ispahan! Das ist doch ein Ort, wo man seine Talente geltend machen kann!‹ – ›Warum bliebst du denn nicht dort‹, fragte ich, ›wenn's dir so wohl ging?‹ – ›Das will ich dir im Vertrauen sagen‹, erwiderte er. ›Du weißt, daß ich einmal nicht übel aussah. Ich sang noch nicht lange vor den Häusern einiger Großen zu Ispahan, so hatte ich das Glück, einem von ihnen, der ein sehr reicher Emir war, zu gefallen, und er nahm mich unter seine Musikanten auf. Als ich einige Tage im Hause gewesen war, so fand sich, daß ich glücklicher war, als ich gedacht hatte; denn ich gefiel auch der Gemahlin des Emirs. Bei allen Huris des Paradieses, das nenn ich eine Frau! Zu meinem Unglücke hatte sie den einzigen Fehler, daß sie ein wenig zu eilfertig in ihren Sachen war und nicht aufhören konnte. In wenig Wochen war meine Stimme weg, und ich wurde so dünn daß die Sonne durch mich schien. Der Emir konnte nicht begreifen wie dies zuging: aber es sei nun, daß er etwas argwohnte, oder daß er einen Sänger, der nicht mehr singen konnte, für ein unnützes Hausgerät ansah; genug er jagte mich aus seinem Hause und aus Ispahan. Was sollt ich anfangen? Ich kehrte wieder zu meiner vorigen Lebensart zurück; aber mit so schlechtem Erfolge, daß ich, wie kurze Zeit es auch noch so fortgehen möchte, allen Emirn und Emirsweibern auf ewig unnütz werden müßte.‹ – ›Komm mit mir, Alfaladdin‹, sagte ich: ›man muß mehr als Eine Saite auf seinem Bogen haben. Was nützt dem Tauben ein Leiermann? Das Volk von Lahor liebt die Musik nicht – oder vielleicht sind sie nur keine Liebhaber von den Stimmen, die durch die Emirsweiber zu Ispahan verdünnet wurden. Was tut's? Etwas müssen sie lieben, und morgen sollst du sehen, ob ich es ausfindig gemacht habe.‹

Ich führte den armen Schelm in meine Herberge, wo drei oder vier Fakirn mit einer reichlichen Abendmahlzeit meiner warteten. Er geriet vor Freuden und Erstaunen außer sich, da er sah, wie gute Anstalten wir gegen das ungeduldigste aller menschlichen Bedürfnisse gemacht hatten. ›Aber, wie fangt ihr das an, Brüder?‹ rief er aus. ›Was für ein Geheimnis besitzt ihr, diese tauben Ottern von Lahor zu beschwören, daß sie euch mit dem Mark Ihres Landes mästen?‹ – ›Geduld‹, sagt ich: ›du sollst es sehen. Es ist die leichteste Sache von der Welt, die Mildherzigkeit dieses Volkes zu besteuern. Der ungeschickteste Strohkopf hat dazu Geschicklichkeit genug: du brauchst dazu weder deine Lenden noch deine Lungenflügel anzugreifen. Mache nur, wie du diese guten Fakirn machen siehst, und bekümmre dich weiter um nichts.‹

Des andern Morgens nach dem zweiten Gebete begaben wir uns in den Vorhof der großen Moskee. Eine Menge Volks sammelte sich um uns her. Ich teilte den Fakirn und dem nichts Arges besorgenden Alfaladdin Geißeln aus. – ›Wozu dies?‹ fragte mich der Sänger heimlich. – ›Mache wie du deine Kameraden machen siehst‹, sagt ich ihm mit großer Ernsthaftigkeit, ›und schone deines Leders nicht, oder du bist verloren.‹ – Die Fakirn fingen an sich aus Leibeskräften zu peitschen, und arbeiteten so gelassen und taktmäßig auf ihren bloßen Rücken zu, als ob er von Alabaster gewesen wäre. Der arme Alfaladdin, wie er sah daß kein andres Mittel war, entschloß sich endlich mit zusammen gebißnen Zähnen ihrem Beispiele zu folgen. Aber die Natur empörte sich schon beim zweiten Streich. Er hob die Geißel so langsam, als ob anstatt jedes Spörnchens ein Mühlstein daran hinge, und eh ich mich's versah, hatte er sich unterm Gedränge davon geschlichen. Unterdessen daß sich die Fakirn, zu großer Erbauung des Volkes von Lahor, ohne alles Mitleiden mit sich selbst zerfetzten, teilte ich Amulette gegen Krankheiten und böse Geister, gegen Donner und Wetter, Ratten, Schlangen und Skorpionen aus; und den Weibern verkaufte ich Talismane um ihren Männern besser zu gefallen, und Mittel gegen die Unfruchtbarkeit.

Des Mittags zogen wir uns mit der Beute von Lahor beladen in unsre Herberge zurück. Wir fanden da unsern Abtrünnigen, der mir sein Instrument mit demütigem Danke zurück gab, und bei den Bärten aller zwölf Imams schwor, daß er lieber singen und hungern als seine Mahlzeit auf Kosten seines Rückens verdienen wolle. ›Wohin gedenkst du denn?‹ fragt ich ihn. – ›Nach Dehly, wo ich vermute, daß sich mit Singen oder – Leiern mehr als mit Geißeln verdienen läßt.‹ – ›Ich begleite dich‹, sprach ich: ›meine Amulette und Talismane werden ungefähr bis dahin für uns beide zureichen.‹ Ich ließ also die Schafköpfe von Fakirn zu Lahor zurück, und kam mit Alfaladdin nach Dehly. Weil wir sehr ermüdet waren, setzten wir uns den Gärten des Serails gegen über, unter den ersten besten Baum, wo wir unsern ehmaligen Gefährten Sinan, den Dichter, in eben so verfallnen Umständen antrafen, als die, woraus ich seinen Freund den Sänger gezogen hatte. Wir saßen noch nicht lange beisammen, als wir gewahr wurden, daß man uns aus einem Fenster des Serails beobachtete. Dies beunruhigte meine Gefährten. ›Der Sultan ist kein Freund unsers Ordens‹, sagten sie: ›es könnte Seiner Hoheit leicht einfallen übel zu finden, daß wir uns hier im Angesichte seines Serails gelagert haben.‹ – ›Ich weiß nicht, ob der Sultan ein Freund von Kalendern ist oder nicht‹, sagte ich: ›aber ich weiß, daß ich kein Freund – von Sultanen bin. Man kann nie zu weit von diesen Herren sein.‹ Wir machten uns also auf, so bald wir sahen daß man sich vom Fenster entfernte, und schlichen uns hinter den Bäumen weg. Wir gingen über den Fluß, und übernachteten bei einer mildherzigen Witwe, die viel Mitleiden mit jungen Leuten unsers Standes zu tragen schien. Des folgenden Morgens, da wir umher gingen die Stadt auszukundschaften, glaubten wir gewahr zu werden, daß man uns mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit betrachtete. Dies bewog uns den einsamen Ort zu suchen, wo du uns fandest. Deine Annäherung schien eine geheime Absicht zu verraten, die unsre Unruhe vermehrte. Wir trennten uns also zum dritten Mal, und seitdem weiß ich nicht, was aus den beiden jungen Kalendern geworden ist; ich vermute aber, daß sie mit einander gegangen sind, ihre Talente in den mittäglichen Provinzen von Indostan geltend zu machen.«


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