Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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17. Kapitel

Geschichte der Sultanschaft

»Der Mensch, Freund Kalender, der zuerst den Gedanken hatte, und ihn mit Hülfe andrer bösen Buben ausführte, den schändlichen Gedanken, gute harmlose Geschöpfe, seine Brüder, zu seinen Sklaven zu machen, damit Er – während sie für ihn arbeiteten – die Früchte ihres Schweißes essen und bei ihren Töchtern liegen könnte, – dieser Mensch war der erste Sultan.

Die bösen Buben, die ihm geholfen hatten seine Brüder zu unterjochen, wollten es, wie natürlich, nicht umsonst getan haben. Er mußte ihnen ihren Anteil an dem geraubten Gute geben. Sie bekamen also auch Knechte und Mägde, Ochsen und Esel, liegende und fahrende Habe, und wurden, so viel ihrer waren, so viele kleine Sultane, die von der Arbeit ihrer Sklaven lebten und die Töchter derselben beschliefen.

Nun, laß uns sehen, was aus diesem ersten Anfang entspringen mußte.

Die kleinen Sultane wünschten – größer zu sein, und kamen alle Augenblicke zu dem großen Sultan – verhältnismäßig groß genannt, wiewohl er anfangs selbst noch klein war – um ihm vorzustellen: Wie hier, gegen Abend, ein Land läge, das von Milch und Honig überflösse; dort, gegen Morgen, ein anderes, wo Getreide, Baumwolle und Seide für die halbe Welt gebauet würde; gegen Mitternacht ein drittes, wo man die Zobel und schwarzen Füchse mit den Händen fange; und gegen Mittag ein viertes, wo man vor Gold und Silber, Perlen und Edelgesteinen, Elefanten und Schildkröten, Affen und Pfauen, sich kaum regen könne. ›Die Welt gehört dem, der stark genug ist, sie zu ergreifen und mit ihr davon zu laufen‹, sagten sie. ›E‹ braucht weiter nichts, als mit gewaffneter Hand in diese Länder einzuziehen und sie in Besitz zu nehmen.‹

Der erste Sultan ließ sich den Vorschlag gefallen, und machte sich auf, mit Hülfe seiner Vasallen, der kleinern Sultane, wo möglich den ganzen Erdboden in Besitz zu nehmen. Widersetzte man sich ihm, so schlug er den Leuten Arm und Bein entzwei, mordete und raubte, sengte und brennte, bis sich die armen Tröpfe entweder unterwarfen, oder niemand übrig war der sich widersetzen konnte. Auf diese Weise raubte er sich nach und nach ein hübsches rundes Reich zusammen, welches er in größere und kleinere Provinzen abteilte, und die kleinen Sultane zu Statthaltern darüber setzte.

Nun baute sich der große Sultan ein ungeheures Haus, bevölkerte es mit schönen Weibern und häßlichen Verschnittenen; ließ einen goldnen oder vergoldeten Thron, zwanzig Stufen hoch, aufrichten, auf den er sich setzte, wenn ihn die Lust ankam sich von seinen Sklaven anbeten zu lassen; legte schöne Gärten und Gartensäle an, kaufte sich Sänger und Sängerinnen, Tänzer und Gaukler, Köche und Ärzte, ließ sich elastische Sofas polstern, faulenzte, gähnte, schwor daß man ihm lange Weile mache; aß, trank, schlief, pflegte seines Leibes, schäkerte mit seinen Affen, Weibern und Hofnarren; überließ sich allen seinen Launen, schlug Köpfe ab, verschenkte Provinzen, verlor die eine, gewann die andre, – und gab, so bald er seinen eignen Wanst angefüllt hatte, allen seinen glücklichen Untertanen die Erlaubnis, seinethalben zu Mittag zu essen – wenn sie was zu essen hätten.

Die kleinen Sultane, seine Vasallen oder Statthalter, ahmten in allem diesem seinem Beispiele nach.

Der Sohn der Favoritsultanin folgte seinem großen Vater in der Sultanschaft und in allen seinen Großtaten. Er fing damit an, daß er, um der Welt einen Vorschmack von der Glückseligkeit seiner Zeiten zu geben, allen seinen Brüdern mit schönen seidenen Stricken die Hälse zuschnüren, und den reichsten Omras und Statthaltern, die er gern beerbt hätte, unter dem Vorwande daß er ihr Gesicht nicht leiden könne, die Köpfe abschneiden ließ. Da er von Jugend an im Serail unter Weibern und Verschnittnen in der Kunst zu essen, zu trinken, zu gähnen, lange Weile zu haben, mit Affen und schönen Mädchen zu spielen, und andern einem Sultan anständigen Künsten und Wissenschaften wohl erzogen worden war: so bracht er es nach dem Antritt seiner Regierung in wenig Jahren darin so weit, als man es, – in Erwägung daß ein Sultan am Ende doch kein Elefant, kein Vielfraß, kein Waldesel, kein Maulwurf, sondern nur eine Art von Menschen ist – mit Anstrengung aller seiner Kräfte, und mit Hülfe der Köche, Apotheker, Kanthariden und Opiaten, in solchen Dingen nur immer bringen kann.

Die kleinern Sultane – indessen daß ihr gebietender Herr im Innern des Serails so edeln Beschäftigungen oblag – taten alles was sie wollten, raubten die Provinzen aus, oder fielen ab und machten sich unabhängig. Dies lief zwar niemals ohne Raufen und Blutvergießen ab: aber da diejenigen, die ihre Haare und ihr Blut dazu hergeben mußten, nur gemeine Leute waren; so glaubten die Sultane, daß es nichts zu bedeuten habe. Die Provinzen entvölkerten sich zwar dadurch: aber was die Herren an Menschen verloren, das gewannen sie ja wieder an Land; und überdies verließen sie sich auf die Fruchtbarkeit der morgenländischen Weiber.

Nach und nach, und in der Tat nur gar zu schnell, bereitete sich diese schöne Verfassung über die Hälfte von Asien aus; alles war Sultan oder Sklave: und da die kleinern Sultane selbst, gern oder ungern, Sklaven der größern sein mußten; so nahmen sie ihre Entschädigung dafür an allen denen, die kleiner als sie selbst waren. Des Sklaven Sklave hatte dann wieder seine Sklaven, an denen er sich erholte so gut er konnte; aber wehe der letzten Klasse von Sklaven, die der Raub aller übrigen war, und, weil sie nichts unter sich sah, sich an niemand erholen konnte!

Hier und da in der Welt erhoben sich zwar kleine Freistaaten, deren glückliche Bürger die Rechte der MenschheitFreiheit und Eigentum – durch Gesetze, und die Gesetze durch Institute und Sitten befestigten. Da der Genie und der unternehmende Geist – in so fern er nur die öffentliche Ruhe ungestört ließ – in diesen Staaten mit allen Segeln fahren konnte: so vervollkommneten sich die Bewohner derselben zusehens. Alle Fähigkeiten der menschlichen Natur wurden entwickelt; Künste und Philosophie stiegen von einer Stufe zur andern, reinigten, verschönerten, veredelten die Natur, und brachten Menschen hervor, die, in Vergleichung mit den Sklaven oder Wilden des übrigen Erdbodens, Götter schienen.

Aber die Sultane konnten nicht zugeben, daß Freiheit, Vernunft und Tugend, diese ewigen unversöhnlichen Feinde der Unterdrückung und der Sultanschaft, öffentliche Tempel und Schutzörter haben sollten. So bald sie das Dasein derselben erfuhren, wandten sie alles an, solche von der Erde zu vertilgen; und da sie mit aller ihrer Gewalt nichts gegen sie ausrichten konnten, versuchten sie es mit besseren Erfolge durch List. Sie schickten ihnen Gold und Köche und Tänzerinnen, steckten sie mit dem Geschmack an Pracht und Üppigkeit an, entnervten sie durch Wollüste, und hatten nun wenig Mühe, die ausgearteten Söhne jener Väter, die nichts als ihre Tugend unüberwindlich gemacht hatte, zu überwältigen und ins Joch zu spannen.

Ein einziger dieser Freistaaten sank unter seiner eigenen Größe ein, und wurde zuletzt, wie billig, das Opfer eben des sultanischen Geistes, womit er etliche Jahrhunderte lang kleinere Republiken verschlungen und die Hälfte des Erdbodens beunruhigst hatte.

Die SultaneDie alt-römischen und byzantinischen Kaiser, wie man sieht, mit dazu gerechnet.

Gibbon

behielten also endlich die Oberhand, und überließen sich nun desto ruhiger der einzigen Art von Tätigkeit deren sie fähig waren, allen Ausschweifungen einer viehischen Sinnlichkeit. Stolz ohne Gefühl für Ehre und Nachruhm, wollüstig ohne Geschmack, grausam aus Feigheit, von niemand geliebt, von Eifersucht und allgemeinem Mißtrauen verzehrt, waren sie, bei allem Anschein von Größe und Herrlichkeit, selbst die elendesten unter allen, deren Elend ihr Werk war. So gewiß ist es, daß keine Sicherheit für den ist, der sie andern raubt, und daß niemand glücklich sein kann, der für fremdes Glück oder Unglück fühllos ist.

Verschwörungen, Aufruhr und ein tragisches Ende waren das gewöhnlichste Los dieser Tyrannen, die im Rausch ihres Übermuts für Götter gehalten sein wollten, und von Menschen forderten, was der Gott der Götter selbst, der den Menschen mit aufgerichtetem Angesicht erschaffen hat, nicht von seinem Geschöpfe fordert, sich vor ihnen wie Gewürme im Staube zu wälzen. – Aber die unglücklichen Völker gewannen nichts bei diesen gewaltsamen Veränderungen. Der Nachfolger, ungebessert durch das Beispiel seines Vorfahren, macht' es gemeiniglich noch ärger, und beschleunigte seinen eignen Untergang durch die Mittel, wodurch er dem Schicksale desselben zu entgehen suchte. Oft gab man sich, um von Einem Tyrannen befreit zu werden, zehn andre, und befand sich dann gerade zehnmal schlimmer als bei dem einzigen. Alle Drangsale und Abscheulichkeiten der Anarchie stürzten über die preis gegebenen Provinzen her, und ihr Zustand ward endlich so grenzenlos elend, daß sie, um sich in einen erträglichern zu setzen, kein andres Mittel sahen, als freiwillig wieder in die Fesseln zurückzukehren, wovon sie sich hatten befreien wollen.«


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