Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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38. Kapitel

Worin sich die Absichten und Entwürfe des alten Kalenders völlig entwickeln

Danischmend hatte alle Umstände, die ihm von den Absichten und Entwürfen Feriduns und seiner Mitverschworenen bekannt worden waren, sehr richtig zusammen geknüpft; aber er tat wohl, noch mehr Böses von ihnen zu erwarten als er wissen konnte.

Im Grunde waren alle diese Menschen, Feridun, Narissa, Alfaladdin, und die ganze Schar von Gänschen und Gimpeln, die sie mit der Lockpfeife einer kindischen Eitelkeit um sich her versammelt hatten, bloße Werkzeuge zu Ausführung eines geheimen Plans, dessen Fäden der schlaue alte Kalender in seiner Hand hielt.

Dieser egoistische Bube hatte bei aller seiner anscheinenden Kälte eine Leidenschaft, die ihn so gänzlich beherrschte, daß sie eben darum den Namen einer Leidenschaft nur uneigentlich führen kann; denn sie war die Seele alles seines Tuns und Lassens: nämlich, einen entschiedenen Hang zum Müßiggang, zum Wohlleben und zur ungebundensten Befriedigung jedes tierischen Triebes. Auf allen seinen Wanderungen hatte er keinen Ort gefunden, wo er diesen Hang bequemer zu vergnügen hoffen konnte, als das Ländchen Jemal. Aber zwei Dinge standen hier seinen Wünschen im Wege: die Unschuld der Einwohner, und seine eigene Abhängigkeit von Danischmend; einem Manne, der, bei der größten Kultur, das Herz eines Kindes hatte, und die Unverdorbenheit der Sitten in Jemal als den Talisman anzusehen schien, auf welchem seine ganze Glückseligkeit beruhe.

Kaum war er also in dem gastfreien Hause dieses guten Mannes recht erwärmt, so ging all sein Dichten und Trachten darauf, wie er diesen Talisman zerbrechen, und, indem er sich von Danischmend unabhängig machte, sich zugleich in eine Lage setzen wollte, worin er seiner vorbesagten Leidenschaft ungehemmt den Zügel lassen könnte.

Dazu zeigte sich nun anfangs wenig Hoffnung: aber als ein Zufall, auf den er nicht hatte rechnen dürfen, ihm die Fakirn mit ihrem Lingam zu Hülfe schickte, nahm er es als ein Zeichen von günstiger Vorbedeutung auf, und ermangelte nicht, die Risse, die der Lingam in den Sitten der Jemalitter gemacht hatte, mit desto größerm Eifer zu erweitern, da er sich nun völlig überzeugt hatte, daß die Unschuld dieser Menschen bloß in ihrer Unwissenheit bestehe.

Als Feridun auf sein Anstiften nach Kischmir ging, um sich eine neue Frau zu holen, vergaß er nicht, ihm, unter andern sehenswürdigen Dingen der Hauptstadt, mit der größten Wärme von den Reizungen der Bayaderen zu sprechen; nicht zweifelnd, daß die erste beste, die ihm in die Augen stäche, wenig Kunstgriffe nötig haben würde, einen so unerfahrnen Sohn der Natur in ihr Garn zu ziehen. Er hatte sehr gut berechnet, was eine einzige Pagodentänzerin für Unheil in Jemal anrichten könnte, und wartete mit Ungeduld auf den Erfolg, ohne eben genau voraus zu sehen, um wie viel er seinem letzten Ziele dadurch näher kommen würde.

Die beste Art Entwürfe zu machen und auszuführen ist immer, auf den Fingerzeig des Zufalls Acht zu geben, nichts zu übereilen noch zu erzwingen, vieles unbestimmt zu lassen, aber mit unverwandter Aufmerksamkeit jeden neuen Umstand, der ein Mittel zu unserm Zwecke werden kann, auf der Stelle zu benutzen.

Als Feridun mit Narissa und dem Kalender Alfaladdin zurück gekommen war, sah Hakim-Alhafi auf den ersten Blick, wie viel mit solchen Gehülfen auszurichten sei. Narissa war eitel, wollüstig und habsüchtig; der Sänger Alfaladdin besaß, außer seinem Talent welches in Jemal viel wert war, eine Geschmeidigkeit, die ihn zu einem trefflichen Unterhändler und Kundschafter machte; Feridun, der zu Kischmir gelernt hatte, daß er mit allem seinem jemalischen Reichtum nur ein armer Wicht sei, war bereit sein Herz mit dem Manne zu teilen, der ihm einen bequemen Weg reicher zu werden zeigte; denn er liebte Gemächlichkeit und Vergnügen wenigstens eben so sehr als Reichtum, oder vielmehr er liebte den letztern nur, weil man ihn ohne große Mühe in Vergnügen umsetzen kann.

Mit solchen Gehülfen war der Kalender, wie gesagt, des Erfolgs seiner Anschläge gegen die Sitten der Jemalitter versichert; und, was für ihn selbst das wichtigste dabei war, durch eben die Mittel, wodurch er diese zerstörte, erwarb er sich in Feridun einen Freund, der nicht durch bloße Laune, wie Danischmend, sondern durch das stärkste aller Bande, den Eigennutz, mit ihm zusammen hing.

Zu diesem Ende nun entwarf er nicht nur den Handlungsplan, dessen Danischmend erwähnte, sondern, um auch den größern und ärmern Teil des Volkes zufrieden zu stellen, den Plan einer Manufaktur, welche zum Behuf der letztern in Jemal angelegt werden sollte; ein Unternehmen, das sich durch einen Schein von Gemeinnützigkeit empfahl, und für die Absichten des Kalenders die fruchtbarsten Folgen versprach.

Welch ein Triumph für den gefühllosen Erfinder dieser so einfachen Werkzeuge das Glück der Jemalitter zu zerstören, oder (wie Er die Sache ausdrückte) eine Herde roher ungebildeter Halbtiere durch Kultur zu Menschen zu veredeln, – welch ein Triumph, wenn er sich die schnelle Umwandlung dieses Ländchens in ihrem ganzen Umfang als sein Werk vorstellte! Und wie reichlich sah er sich im Geiste für seine Mühe, diesen Menschen so viele neue Bedürfnisse und Leidenschaften zu geben, durch den Gedanken belohnt, daß alle diese Bedürfnisse und Leidenschaften durch seine Veranstaltungen in kurzem eben so viele Mittel, die seinigen zu vergnügen, werden müßten!

Aber allem diesem stand ein einziges Hindernis im Wege, welches, wofern seine schönen Entwürfe nicht zu Luftschlössern werden sollten, schlechterdings weggeschafft werden mußte; und dies war – Danischmend, der sich ihnen mit allen seinen Kräften widersetzte; Danischmend, den sein Ansehen unter diesem Volke allvermögend machte, der von den Jüngsten bis zu den Ältesten wie ein Vater, Bruder und Sohn geliebt wurde. Wie konnte er hoffen ein solches Ansehen niederzuwiegen, eine solche Liebe zu vernichten? Was für einen langen Weg, was für mühsame und gefährliche Versuche, den Einfluß dieses Mannes nach und nach zu schwächen, ersparte ihm nun der Zufall abermals als ihm Narissa durch ihre Nachrichten von Danischmends ehmaligem Stande so unerwartet ein Mittel in die Hand gab, das was er kaum in acht Jahren zu bewerkstelligen hoffen konnte, in eben so viel Tagen zu Stande zu bringen!

Nun hatte die Verleumdung freien Raum und gewonnen Spiel: Danischmend verlor mit dem Zutrauen der Jemalitter, mit ihrem Glauben an die Redlichkeit und Güte seines Herzens, alle seine Gewalt über sie, alles Vermögen sich den Entwürfen des Kalenders mit Erfolg zu widersetzen, allen Schutz, den er bei ihnen gegen diejenigen gefunden haben würde, die man nun zu seinem eigenen Untergang anlegen konnte.

Dieses letztere war, aus einer ganz schlichten Ursache, das Lieblingsprojekt des planvollen Kalenders. Danischmend besaß nämlich, wie wir wissen, ein ganz artiges Landeigentum, auf dessen Ankauf, Verbesserung und Verschönerung er mehr als die Hälfte der Summe, die ihm Schach-Gebal bei ihrem Abschied auszahlen ließ, verwendet hatte. Nun begnügte sich zwar der Kalender seit geraumer Zeit, den Genuß desselben mit dem edelmütigen Danischmend zu teilen, und im Notfall würde er auch wohl für sein ganze übriges Leben mit dieser Teilung zufrieden gewesen sein: aber seitdem er eine Möglichkeit sah, ohne sonderliche Mühe zum Besitz des Ganzen zu gelangen, konnte er sich eine so große Selbstverleugnung nicht länger zumuten.

So wie er Danischmenden kannte, zweifelte er nicht daß ihm ein längerer Aufenthalt in Jemal bald genug unerträglich werden müßte. Aber die Auflösung der Frage, wie er es anfangen müßte um sich die Besitzungen seines ehmaligen Freundes auch wider dessen Willen zuzueignen, hatte noch manche Schwierigkeiten, und er schwankte ungewiß zwischen den verschiedenen Wegen, die sich ihm dazu anzubieten schienen, hin und her; als sein Schutzgott, der Zufall, ihn abermal aus der Verlegenheit zog, und ihm zu völliger Ausbildung eines Einfalls verhalf, der ihn am sichersten zum Ziele zu führen schien.

Der geliebte Freund, welchen der Kalender Alfaladdin bei seiner Abreise von Kischmir – im Stockhause zurück gelassen hatte, war kein andrer als Sinan der Liedermacher, der dritte von den Drei Kalendern, von welchen in dieser Geschichte schon so oft die Rede war. Die Mausereien, die ihm diese Demütigung zugezogen hatten, waren nicht erheblich genug, um nicht mit funfzig Streichen auf die Fußsohlen hinlänglich belohnt zu sein. Der Kadi war so billig ihn nicht lange darauf warten zu lassen, und erließ ihm sogar, aus Achtung für seine Kalenderschaft, die Hälfte, so daß der arme Sinan mit fünfundzwanzig Fußprügeln noch leidlich genug davon kam. Zum Glücke hatte er kurz vor seiner Verhaftung von seinem Kameraden die Liebesgeschichte der schönen Narissa mit dem reichen Landmann aus Jemal erfahren, und nicht vergessen sich nach der Lage dieser Täler und dem nächsten Wege, der dahin führte, zu erkundigen. Kaum hatte er also, mit Hülfe einer mitleidigen alten Frau (um welche er sich durch Mitteilung des Rezepts zu einem wundertätigen Schönheitswasser verdient gemacht hatte), den freien Gebrauch seiner Fußsohlen wieder erhalten: so gürtete er ohne Aufschub seine Lenden, und langte nach einer beschwerlichen Wanderschaft, zu großer Freude seiner Kameraden, unvermutet in Jemal an.

Da man von einem, der aus der Hauptstadt kommt, immer etwas Neues erwartet, so ermangelte Sinan nicht, seine alten und neuen Freunde mit allem was er Merkwürdiges wußte zu regulieren, und so erzählte er denn auch unter anderem: daß der Sultan von Kischmir im Begriff sei, eine Gesandtschaft mit sehr reichen Geschenken an Schach-Gebal und die Großen des Hofes zu Dehly abzuschicken, in der Absicht, die Ungnade, welche dieser Kaiser auf Anstiften einiger Mißvergnügten auf ihn geworfen, und die scharfe Untersuchung seiner Regimentsverwaltung, womit er bedrohet worden, dadurch abzuwenden. Denn der König von Kischmir war einer von den vielen kleinen Fürsten, die dem großen Monarchen von Indostan zinsbar waren; und die ihm angedrohte Untersuchung war eines von den gewöhnlichen Mitteln, diese abhängigen Satrapen auszupressen, wenn sich die Schatzkammer zu Dehly (wie unter Schach-Gebal öfters der Fall war) durch die überhäuften Staatsbedürfnisse – des Hofes in einem Zustande der Erschöpfung befand.

Die Stirne des Kalenders Alhafi erheiterte sich zusehens bei dieser Erzählung seines redseligen Gesellen; denn Alhafi war ein Mann von Genie, in dessen Erfindungskraft nur ein einziger Funken zu fallen brauchte, um sie in volle Flammen zu setzen. In wenig Augenblicken stand der ganze Plan, über welchem er schon einige Tage gebrütet hatte, ausgebildet und vollendet in seinem Kopfe da. Ein in Ungnade gefallener Itimadulet, der sich verborgen in den abgelegenen Tälern von Jemal aufhielt, sich dort einen Anhang zu machen suchte, und aus seinem erklärten Haß gegen die Sultanen und Priester kein Geheimnis machte, konnte keine gleichgültige Person weder für den König von Kischmir noch für den Kaiser selbst sein. Diesem war es vermutlich angenehm, einen Mißvergnügten, der durch sein Mitwissen um die wichtigsten Geheimnisse des Hofes und des Staats gefährlich werden konnte, wieder in seiner Gewalt zu haben; jener mußte unter den gegenwärtigen Umständen eine solche Gelegenheit, seinem Oberherren seine Treue zu beweisen, mit beiden Händen ergreifen; und der Angeber konnte doch wohl auf das unbedeutende Bauergütchen, das dem Fiskus durch die Verhaftung des Besitzers anheim fiel, als eine noch sehr mäßige Belohnung seines Diensteifers, sichere Rechnung machen?

Alhafi wollte die Ausführung dieses schönen Plans keinem andern als sich selbst anvertrauen: aber Alfaladdin konnte ihm dabei behülflich sein; denn eine Bayadere von seiner Bekanntschaft war die Geliebte des königlichen Mundkochs, dessen Schwester die Lieblingssklavin der Favoritin des Sultans von Kischmir war. Dem Feridun, der das Nähere von diesem Geheimnis noch nicht zu wissen brauchte, wurde begreiflich gemacht, daß diese Reise zu Ausführung ihrer Handlungsprojekte nötig sei.

Alhafi versah sich mit so vielen Zeugnissen gegen Danischmend, als er zu Beglaubigung seiner Anzeige dienlich fand, und machte sich, mit seinem Gesellen und einer nachdrücklichen Empfehlung von der schönen Narissa an die Geliebte des Mundkochs, ihre Freundin, unverzüglich auf den Weg.


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