Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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33. Kapitel

Glücklicher oder unglücklicher Erfolg der Reise Feriduns nach der Stadt Kischmir

Inzwischen war Feridun, auf des schadenfrohen Unholds Anstiften und mit einer Empfehlung an einen seiner alten Bekannten (denn deren hatte der Kalender in allen Provinzen von Indostan), in der Hauptstadt von Kischmir angelangt; und die Menge der schönen Gegenstände und Werkzeuge des Vergnügens, die er hier zum ersten Male kennen lernte, setzten seine Sinne in eine Berauschung, gegen welche der mäßige Anteil von Menschenverstand, den er aus Jemal mitgebracht hatte, nicht lange aushalten konnte.

Gleich beim ersten Feste, dessen lärmenden Feierlichkeiten er zusah, wurden seine Augen und sein Herz von einer reizenden Tänzerin so stark verwundet, daß er stehendes Fußes beschloß, sie mit sich nach Hause zu nehmen, wenn er sie dazu bereden könnte.

Er bahnte sich durch einige Geschenke den Weg zur Gunst der schönen Bayadere, und machte ihr von dem angenehmen Leben in den Tälern von Jemal eine so warme Beschreibung, daß sie sich ohne großen Widerstand erbitten ließ, ihm, als Gebieterin über seine Person und alles was er besaß, dahin zu folgen.

Die reizende DevedassiSo heißen diese Pagoden-Tänzerinnen zu Surate.

E. Yves

hatte einen Bruder, mit welchem (wie sie sagte) ein glücklicher Zufall sie nach einer langen Trennung vor wenig Tagen wieder vereinigt habe, und von dem sie sich nicht gern von neuem trennen möchte. Dieser Bruder hatte wirklich, wiewohl er nur ein Kalender war, das Ansehen eines ziemlich feinen Menschen, und der ehrliche Feridun faßte keine geringe Meinung von ihm, da er hörte, welch ein großes Stück Welt er seit den zwanzig Jahren, da er das väterliche Haus und seine Schwester Narissa, damals noch ein Kind, verlassen, durchwandert habe. Der Kalender beteuerte, daß es ihm unmöglich sei, in die vorgeschlagene Verbindung seiner geliebten Schwester, wie angenehm sie ihm auch sonst wäre, einzuwilligen, wofern er sich wieder von ihr trennen müßte.

»Diese Schwierigkeit ist leicht zu heben«, sagte Feridun: »ziehe mit uns, und lebe so lange in meinem Hause, als es dir bei uns gefällt. Doch damit wird es wohl keine Not haben«, setzte er hinzu: »denn Jemal ist das schönste Land in der Welt, und ich bin, ohne mich zu rühmen, der reichste Mann in Jemal.«

Der Kalender, der den Namen Jemal zum ersten Mal in seinem Leben hörte, und unter Feriduns wenig versprechendem Aufzuge keinen Krösus vermutet hatte, lächelte zu dieser Rede; aber da einem Manne wie er jeder Ort in der Welt so gut als ein andrer war, so machte er keine Schwierigkeit, die Einladung seines neuen Bruders anzunehmen. Das einzige, was ihm die Entfernung aus Kischmir erschwere, sagte er, sei ein junger Mann seines Ordens, ein Mensch von vielen Talenten, der auf einigen seiner Wanderungen sein Reisegefährte gewesen sei, und mit welchem er einen Freundschaftsbund auf Leben und Tod beschworen habe.

»So laß auch ihn mit uns gehen«, sagte der ungeduldige Feridun, der, um nur bald zum Besitz seiner holden Devedassi zu gelangen, sich im Notfall noch mit einem ganzen Rudel Kalender und einem halben Dutzend Derwischen oben drein beladen hätte.

»Sogleich wird dies wohl nicht angehen«, versetzte der Bruder: »denn mein Freund ist hier in gewissen Verhältnissen, woraus er sich wohl so bald nicht los wickeln kann.« – »Allenfalls kann er uns ja besuchen«, sagte Narissa, »wenn ihn die Lust zu wandern wieder ankommt.«

»Er soll immer willkommen sein«, sagte Feridun.

Unter uns (denn Feridun brauchte das eben nicht zu wissen), die Verhältnisse, die den Freund des neuen Bruders an Kischmir fesselten, waren eben nicht die angenehmsten; denn das Wahre an der Sache war, daß er, wegen einiger kleinen Abweichungen von den positiven Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft, wozu er sich kraft seiner Menschenrechte befugt geglaubt hatte, – im Stockhause saß; und daß sein geschworner Freund, der Bruder der schönen Tänzerin, das Mißvergnügen, ihm nicht Gesellschaft zu leisten, bloß – seiner Schnellfüßigkeit zu danken hatte.

Alle Schwierigkeiten waren nun aus dem Wege geräumt, und der glückliche Feridun kam mit seiner Reisegesellschaft nach Jemal zurück, ohne selbst recht zu wissen wie es zugegangen war; denn seine schöne Tänzerin tanzte und gaukelte die Hälfte des Weges vor ihm her, und die andre Hälfte durch vertrieb ihm der Bruder die Zeit mit Märchen und kleinen Liedern, deren er eine Menge wußte, und die er mit einer ziemlich leidlichen Stimme sang. Glücklich in seinem Wahn und um die Zukunft unbekümmert, freute sich Feridun seiner wohl gelungenen Unternehmung, und dachte wenig daran, welche Übel er sich selbst und seinem Volke zuführe.


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