Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

26. Kapitel

Danischmend hat den Einfall sich zum Imam aufzuwerfen

»Ich begreife, deucht mich, die ganze Richtigkeit deiner Folgerungen«, sagte der Kalender: »aber ich sehe nicht, wie dem Übel geholfen werden kann.« – Er hätte hinzu setzen können, daß ihm für seinen Teil nichts in der Welt gleichgültiger war, als diese Sache, die Danischmenden so sehr am Herzen lag.

»Ich habe einen Einfall«, versetzte Danischmend: »du wirst über mich lachen; aber es ist mein ganzer Ernst.

Wenn die Sitten allein ein Volk nicht mehr vor der Verderbnis bewahren können, so muß eine Veranstaltung hinzu kommen, die den Sitten ein neues Leben gibt, und das was sie an Stärke verloren haben durch eine neue Kraft ersetzt. Je einfacher eine solche Veranstaltung ist, je weniger sie in der Lebensart und Verfassung des Staats ändert, je besser scheint sie mir. Dies vorausgesetzt, glaube ich in der Religion unsers Propheten, wenn sie bei diesem kleinen Volke eingeführt würde, dies Institut zu finden, das wir nötig haben. Sie ist einfach und erhaben, eine Feindin der Vielgötterei, eine Freundin der Tugend und Menschlichkeit, und verspricht ihren Anhängern, wenn sie unschuldig gelebt und Gutes getan haben, ein Paradies, das wohl so gut ist als das beste womit die Bonzen die Unschuld unsrer Weiber in den Schlaf sangen.«

Der Kalender sah den Philosophen mit großer Aufmerksamkeit an, und sagte – nichts.

»So eine gute Religion indessen auch der Islam ist«, fuhr Danischmend fort, »so wissen wir doch, daß ein Schurke von einem Fakir eben so gute Mausefallen daraus machen kann, als irgend ein Brame oder Bonze aus der seinigen. Damit ich also gewiß bin daß keine Schelmerei bei der Sache vorgehen kann, will ich selbst der Imam der Musulmanen sein, die ich in kurzem in dieser Gegend zu machen hoffe.«

Der Kalender sperrte immer größte Augen auf.

»Das Glückliche bei der Sache, Freund Kalender, ist, daß ich die Ehre habe, in gerader Linie von dem jüngsten Sohne des Ali-Askeri Ibn Giafar, des zehnten Imams unter den zwölfen die Muhameds unmittelbare Nachfolger waren, abzustammen, und folglich ein Imam von Haus aus und ein Emir bin, so gut als irgend einer der jemals den grünen Turban getragen hat. Du siehst also, wenn ich zum besten dieser armen Schafe eine Moskee baue und mich selbst zum Imam davon mache, daß ich nichts unternehme, wozu ich nicht von Geburts wegen vollkommen berechtigst bin.«

»Was mich an der Sache verdrießen könnte«, sagte der Kalender mit großer Ernsthaftigkeit, »ist bloß daß du ein Philosoph bist, und vermutlich der erste, der jemals auf den Einfall kam, den Imam zu machen.«

»Wenn es dir belieben wird die Sache im rechten Licht anzusehen« (erwiderte Danischmend mit einem kleinen Imams-Tone), »so wirst du finden, daß mein Vorhaben eines Menschenfreundes würdig ist. Meine Absicht ist lediglich diesen armen Leuten Gutes zu tun, ihrer Einbildung wieder einen festen Ruhepunkt zu geben, ihre Sitten vor einer größern Erschlaffung zu verwahren, mit Einem Worte, das Leben ihrer kleinen Republik wo möglich noch etliche Menschenalter durch in einem leidlichen Stand hinzuhalten.«

»Ist es« (fragte der Kalender), »mit allem Respekt, den ein bloßer Kalender einem Abkömmling der Tochter des ProphetenNämlich der Fatima, der Gemahlin des Ali, von welcher alle die Abkömmlinge Muhameds, die den Namen Emir oder Scherif führen, ihre Genealogie ableiten.

Herbelot

schuldig ist, ist es mir erlaubt, ehe wir an die Ausführung gehen, eine einzige kleine Frage zu tun? – Hättest du wohl alle Folgen deiner neuen Imamschaft reiflich in Erwägung gezogen?«

»Laß immer hören«, sagte Danischmend.

»Natürlicher Weise ist der Imam der erste Mann in der Republik, oder wird es doch gar bald werden, wenn er das Werk einmal in den Gang gebracht hat. Nun wirst du mir zugeben, Danischmend, daß es je und allezeit eine höchst gefährliche Sache ist, der erste Mann in der Republik zu sein: gefährlich für den Mann selbst, den sehr leicht ein gewisser Schwindel darüber anwandeln kann, worin man zwanzig Dinge tut, die man an dem ersten Manne tadeln würde, wenn man selbst einer von den untersten wäre; noch gefährlicher für die übrigen, die, im verlierenden Falle, Freiheit und Eigentum, Ochsen und Esel, Schafe und Kamele, Weiber und Kinder zu verlieren haben. Denn – um es gerade heraus zu sagen – der Imam wird über lang oder kurz damit aufhören, daß er Sultan sein wird. Die Gelegenheit ist zu schön, die Versuchung zu groß, der Weg zu gerad und gebahnt, als daß ein bloß menschlicher Mensch – auf halbem Wege stehen bleiben sollte. Nicht als ob ich Dir nicht Philosophie genug zutraute, an der äußersten Grenze der Imamschaft stehen zu bleiben; – wiewohl Fälle kommen können, wo dies schwerer sein möchte, als du dir itzt vielleicht vorstellst: – aber dein Sohn, deines Sohnes Sohn, oder dessen Sohn und Nachfolger, werden sie lauter Danischmenden sein? Kannst du dir selbst für ihre Art zu denken, für ihre Leidenschaften, für den Grad ihrer Tugend Bürgschaft leisten? Und wolltest du, der von Sultanen so übel, und noch zehnmal ärger von der Sultanschaft selbst denkt, die Gefahr laufen, und einem freien Volke, bloß um es vor zukünftigen, vielleicht zur Hälfte bloß eingebildeten Übeln zu bewahren – Fesseln schmieden, und – der Stammvater von Sultanen werden?«

»Bruder«, – sagte Danischmend, nachdem er etliche Augenblicke scharf in die Ecke des Zimmers gesehen hatte – »ich glaube du hast recht! – Tausend Dank für die Erinnerung«, fuhr er fort, indem er von seinem Sitz aufsprang und den Kalender zwei- oder dreimal ein wenig stärker, als seine Meinung war, auf die Schultern klopfte. – »Bewahre Gott! Danischmend ein Patriarch von Sultanen! – Nein wahrhaftig! Eh mögen alle Fakirn, Bramen und Bonzen diesseits und jenseits des Ganges sich einen allgemeinen Rendezvous in die Täler von Kischmir geben, und den Lingam aller Lingams, der ehmals zu Hierapolis in Syrien im Vorhof eines der berühmtesten Tempel der Welt zu sehen war,Dieser Tempel der syrischen Göttin Atergatis oder Astarte oder Rhea oder Juno, oder wie sie sonst hieß, war noch zu Lucians Zeiten in außerordentlichem Ansehen, und man wallfahrtete aus Phönicien und Kappadocien, Assyrien, Babylonien und Arabien häufig dahin. Das was diesem Götzentempel ein so außerordentliches Ansehen verschaffte, war der Glaube, daß sich die Götter hier unmittelbarer offenbarten als anderswo. Denn es gab hier wundertätige Bilder, die zu gewissen Zeiten schwitzten, mit dem Kopfe nickten, Orakel von sich gaben, und dergleichen. Lucian, der alles selbst in Augenschein genommen, kann die Pracht, Herrlichkeit und Reichtümer dieses Tempels nicht genug beschreiben. Die letztern waren unermeßlich, da so viele reiche Nationen seit vielen Jahrhunderten in die Wette geeifert hatten, ihn durch ihre Opfer und Geschenke zu bereichern. Lucian zählte über dreihundert Priester, die mit den Opfern beschäftiget waren. Sie gingen alle ganz weiß, den Kopf mit einer Art von Hut bedeckt; nur der Oberpriester war in Purpur gekleidet, und trug eine Tiare von Goldstoff. Der übrigen Personen, die zum Dienst des Tempels gehörten, der Sänger und Pfeifer und Kastraten und fanatischen Weiber γυνεικες φρενοβιαβέες war keine Zahl. Nun betrachte ein Mensch, wie viel allen diesen Leuten daran gelegen war, daß die Assyrer und Babylonier, Araber, Phönicier und Kappadocier an ihre Astarte und an ihre schwitzenden und nickenden und redenden Bilder glaubten; und was aus dem Philosophen Lucian geworden wäre, wenn er sich hätte erfrechen wollen, der unendlichen Menge Volkes, die er in den Vorhöfen dieses Tempels mit Gaben in der Hand versammelt sah, die Augen zu öffnen! – Was übrigens den Lingam aller Lingams betrifft, von welchem Danischmend spricht, so berichtet uns Lucian, daß in einem der Vorhöfe dieses Tempels zwei φαλλοι (oder Lingams, welche Bacchus, laut einer alten Aufschrift, seiner Stiefmutter Juno zu Ehren gesetzt haben soll) gestanden, jeder dreihundert Fuß hoch; auf deren einen ein Priester jährlich zweimal hinauf stieg, und sieben Tage auf der Spitze des Phallus verweilte. Das gemeine Volk glaubte, daß er während dieser Zeit mit den Göttern in unmittelbarer Gemeinschaft stände, und dem ganzen Syrien Glück und Heil erbäte – wie alles dies und viel andre Merkwürdigkeiten dieses Tempels umständlich zu lesen sind beim Lucian de Dea Syria, Tom. opp. III. p. 451 seq.

M. Skriblerus

mitten unter uns zum Siegeszeichen aufrichten! Es werde daraus auch was es wolle. Ich wasche meine Hände. Meine Schuld wird es nicht sein! Denn daß ich, um diese Leute – die mir am Ende doch nicht näher verwandt sind, als alle übrigen Adamskinder – vor Bonzen und Lingams zu bewahren, Gefahr laufen sollte der Urvater einer Reihe von Sultanen zu werden, das kann mir niemand zumuten! – Gut, daß du mir die Gefahr noch in Zeiten gezeigt hast; ich werde dir diesen Dienst nicht vergessen.«


 << zurück weiter >>