Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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24. Kapitel

Natürliche Folgen dessen was vorgegangen war

Es brauchte einige Zeit, bis die Gärung, wovon diese Begebenheiten teils die Ursache teils die Folgen waren, ausgebrauset hatte, und die Gemüter in ihre vorige Lage zurück schwankten.

Sonst waren Eifersucht und Mißtrauen unbekannte Leidenschaften unter diesen Glücklichen gewesen; eines hielt sich der Liebe des andern gewiß, und grenzenlose Sicherheit machte die Grundlage ihres Glückes aus. Aber nun, welcher Mann konnte, nach dem was vorgegangen war, seine geliebte Hälfte ansehen, ohne daß ein unfreiwilliger Argwohn kalt durch alle seine Adern schauerte! Mit wie ganz andern Augen sieht man sein Weib an, wenn man gewiß ist oder es zu sein glaubt, daß kein fremder Anhauch sie jemals befleckt habe, – oder, wenn man zweifelt, nur die kleinste Ursache zum Zweifeln hat, oder zu haben glaubt!

Glücklich waren nun die Frauen, – und ihre Männer noch mehr! – die, aus Klugheit oder Sittsamkeit oder Indolenz, sich mit den Fakirn gar nicht eingelassen und ihren Busen mit keinem Lingam verunreiniget hatten!

Wahr ist's, wenn die Mode Lingams zu tragen nun einmal in einem Lande eingeführt und so allgemein wäre, daß man sich ohne Lingam nicht mit Anständigkeit sehen lassen dürfte: so würden sich auch die sittsamsten Frauen in der Notwendigkeit befinden, die Mode mitzumachen, weil in allen solchen Dingen die öffentliche Meinung Gesetz ist. Aber wer klug ist, wartet wenigstens – zumal bei lächerlichen oder zweideutigen Moden – das Äußerste ab.

Indessen hatten die guten Weiblein, die sich von den Fakirn mit dem Ordenszeichen des Gottes Rutren hatten zieren lassen, aller Wahrscheinlichkeit nach keine schlimme Absicht dabei gehabt; und auch Kezia, die Schuldigste unter allen – die beiden Unglücklichen, die sich selbst bestraften, ausgenommen – kam (wie wir gesehen haben) aus bloßer Einfalt in Gefahr, und war, nach ihrer Schutzrede zu urteilen, im Grund ein gutes wohl meinendes Geschöpf.

Die Männer hatten also unrecht, den armen Weibern einen Fehler so übel zu nehmen, der, beim Lichte besehen, eine bloße weibliche – oder um ganz gerecht zu sein – menschliche Schwachheit war; einen Fehler, den die meisten unter den Männern selbst erst durch den Ausgang für das was er war erkannten, und den sie, was noch mehr ist, durch ihr eignes Beispiel gerechtfertiget hatten. Aber so sind die Männer!

Sieben ganzer Tage bekam keine Frau, die einen Lingam getragen hatte, einen guten Blick von ihrem Eifersüchtigen. Die Herren runzelten die Stirne, trotzten, maulten, fanden nichts recht was die Weiber taten oder nicht taten, brummten und grunzten immer vor sich hin, oder hingen den Kopf und sagten gar nichts. – Die Nächte waren noch frostiger.

Etliche Tage gaben sich die Weiber – aus innerem Gefühl ihrer Schuld – geduldig und demütig unter die verdiente Züchtigung; aber da es die Männer zu lange trieben, fingen sie an unruhig zu werden, und mit sich selbst und unter einander zu ratschlagen, wie sie sich in einer so kitzlichen Lage zu verhalten hätten. Das erste Mittel, womit sie es versuchten, war, den Murrköpfen freundlich entgegen zu gehen, um sie herum zu schleichen, sie bei der Hand zu nehmen, sie mit dem sanftesten Ton der Stimme bald dies bald jenes zu fragen; alles ungeheißen zu tun, was sie wußten das ihnen angenehm war; des Nachts so nah, als es ohne anzustoßen möglich war, an die Klötze hinzurücken; alle Minuten, aber ganz leise, bald einen Arm, bald ein Knie, bald einen Fuß in eine andere Lage zu setzen; dann und wann kleine halb gebrochene Seufzerchen abzudrücken, und zwanzig andre solche Weiblichkeiten mehr, die in gewöhnlichen Fällen ihre Wirkung selten verfehlen. Aber diesmal wollte das alles nicht helfen. Die Männer wurden zusehens nur unartiger und trotziger davon.

Nun war guter Rat teuer. Die armen Geschöpfe waren am Ende ihrer Kunst und ihres Witzes. Einige wandten sich an die schöne Perisadeh: aber die hatte sich nie in einem Falle befunden, wo die eine oder andre von den vorerwähnten weiblichen Naturkünsten, oder etliche davon zusammen genommen, nicht hinlänglich gewesen wären, die Sachen zwischen ihr und Danischmenden auf den alten Fuß zu setzen; sie konnte ihnen also keinen Rat geben.

Endlich erbarmte sich ihrer eine alte Frau, welche, was unter diesem Völkchen ungemein selten war, drei oder vier Männer gehabt, und sich dadurch binnen einem halben Jahrhundert einen kleinen Schatz von häuslichen Erfahrungen und Bemerkungen gesammelt hatte, woraus sie ihren jungen Nachbarinnen gelegentlich das Benötigte willig zukommen ließ.

»Meine guten Töchterchen«, sagte die Alte, »ich sehe wohl daß ihr die Männer noch nicht kennt. Ich habe ihrer vier gehabt, wiewohl einer darunter wenig besser war als keiner. Jeder hatte seine besondere Weise; aber in Einem Punkte waren sie alle gleich: wenn ich ihnen zu viel übersah, oder ihnen merken ließ wie lieb ich sie hatte, so wurden sie übermütig. – Merkt euch, meine Kinder, was ich euch sagen werde! Es ist freilich wahr, daß wir Weiber nicht wohl ohne sie leben können; aber das müssen wir ihnen nicht weismachen. Wenn wir klug sind, so behalten wir doch den Vorteil über sie; denn sie können immer noch weniger ohne uns leben, als wir ohne sie

Darauf erzählte ihnen die Alte, wie sie es in ähnlichen Fällen angefangen, um ihre Männer kirre zu machen. »Es ist ein ganz unschuldiges einfältiges Hausmittelchen«, sagte sie, »aber es tut Wunder; ihr werdet's erfahren!«

Die Weiber folgten dem guten Rate der Alten, und der Erfolg bewies, daß sie ihr Arkanum nicht zu viel gerühmt hatte. Die Männer hielten sich ein paar Tage tapfer; aber da der Feind den Krieg in die Länge zog, verloren sie den Mut. Mit jedem Augenblicke wurden ihre Weiber schöner und – unschuldiger in ihren Augen; bald konnten die armen Klöße gar nicht mehr begreifen, wie sie jemals die Tugend so holder Geschöpfe hätten in Zweifel ziehen können; endlich kam es so weit mit ihnen, daß sie, wenn die Weiber darauf bestanden wären, eine ganze Ladung von Lingams verschrieben, und jeder seiner Frau den ihrigen mit eigner Hand um den Hals gebunden hätte. Zum Glück waren die Weiber von Jemal die besten Geschöpfe von der Welt, und selbst so froh das Ende einer beiden Teilen so beschwerlichen Fehde zu sehen, daß ihnen gar nicht einfiel, den Frieden auf Bedingungen zu schließen.

Und so schob sich denn, zu großer Freude des ehrlichen Danischmend, binnen vierzehn Tagen alles wieder in die vorige Lage zurück: und vierzig Wochen nach der allgemeinen Versöhnungsnacht, auf Einen Tag, fand sich die Republik um fünf oder sechs Dutzend schöner Jungen reicher, – wofür man der alten Frau billig ein Ehrendenkmal hätte setzen lassen sollen.

Was das wohl für ein Hausmittelchen war? – Es ist so einfältig – wie das Arkanum des Christoph Kolon, ein Ei auf die Spitze zu stellen – in der Tat, so einfältig, daß Sie mich auslachen würden, Madam, wenn ich's Ihnen sagte.


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