Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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43. Kapitel

Noch ein ehvertrauliches Gespräch zwischen Danischmend und Perisadeh

Als sich der Sultan entfernt hatte, ließ der arme Danischmend den Kopf auf die Brust sinken, und verlor sich in seinen Gedanken, ohne einen Laut von sich zu geben.

»Das war also der große Sultan von Indien, dessen Itimadulet du einst warst?« sagte Perisadeh. »Er scheint mit allem dem ein guter Mann zu sein.«

»O gewiß, ein so guter Mann als ein Sultan sein kann. Auch lieb ich ihn von Herzen; nur, da ich ihm schlechterdings nicht helfen kann, wünschte ich, daß der Kaukasus und Imaus zwischen ihm und mir läge!«

»Das scheint er nicht zu wünschen«, versetzte Perisadeh. »Er muß also sehr große Fehler an sich haben, daß du dich so weit von ihm weg wünschest?«

»Alle Menschen haben ihre Fehler, meine Liebe – dich allein vielleicht ausgenommen; wiewohl es, wie du weißt, Augenblicke gibt, wo ich unartig genug bin, meine Fehler auf dich zu schieben. Wer seinen Freund nicht mit allen seinen Fehlern lieben kann, ist nicht wert einen Freund zu haben. Aber der arme Schach-Gebal hat einen einzigen unheilbaren Fehler, der alle andre in sich schließt, und mit welchem ich mich schlechterdings nicht vertragen kann.«

»Und was kann das für einer sein?« fragte Perisadeh halb erschrocken.

»Daß er – Sultan ist, liebes Weib! Das ist ein Fehler den er durch nichts gut machen, oder vielmehr ein Unglück das er nie verwinden kann. Er ist ein guter Mann, wie du sagst; aber was hilft ihm das? Er ist Sultan! ist zum Sultan geboren, zum Sultan erzogen; ist nun schon über dreißig Jahre gewohnt Sultan zu sein; sieht, hört, riecht, schmeckt und fühlt wie ein Sultan; denkt, urteilt und macht Schlüsse wie ein Sultan; kurz, die Sultanschaft ist ihm zur andern Natur geworden; und er ist so gewohnt in allem seinen Willen zu haben, daß er sich sogar einbilden kann, es brauche, damit Er und Ich Freunde seien, weiter nichts, als daß er der meinige sein wolle, und mir befehle der seinige zu sein.«

»Da tust du ihm doch wohl ein wenig unrecht, Danischmend! – Er bat dich um deine Freundschaft: was kannst du von einem so großen Herren mehr verlangen?«

»Nichts, meine Liebe, nichts auf der Welt als – daß er mich um nichts Unmögliches bitte. Siehst du denn nicht, gutes Weib, daß die Bitten eines Sultans Befehle sind?«

»Er selbst meint es doch nicht so.«

»Unschuldige Seele! Wie kämest du dazu, die Sultane zu kennen! Wie viele Mühe du dir auch geben wolltest, du kannst es nicht dahin bringen, daß du nicht in Schach-Gebal immer einen Menschen sehen solltest.«

»Damit kann ich ihm doch wohl kein Unrecht tun? Er wird mir's gewiß nicht übel nehmen.«

»Übelnehmen? O gewiß nicht, Perisadeh. Im Gegenteil, er wird es sehr gut aufnehmen, wenn du ihm so ein Kompliment machst. Aber so bald du Ernst daraus machen wolltest, würdest du dich schlecht dabei befinden. Ein Sultan ist freilich ein Mensch, aber, so wie versteinertes Holz Holz ist, ein versteinerter Mensch, an dem du dich häßlich zerstoßen würdest, wenn du mit ihm wie mit einem Wesen deiner Art umgehen wolltest.«

»Hast du nicht bemerkt, wie freundlich er mit unserm kleinen Malek spielte?«

»Das hätt er auch getan, wenn es ein Äffchen gewesen wäre.«

»Aber was könnte ihn bewegen, deine Freundschaft zu suchen, wenn es ihm nicht Ernst damit wäre?«

»Freilich glaubt er selbst daß es ihm Ernst damit sei. Er hat wahrscheinlich irgend ein Anliegen das ihn drückt; er bedarf eines Vertrauten, in dessen Busen er sich erleichtern kann, eines Ratgebers, vielleicht eines Unterhändlers. Die Sultane, liebe Perisadeh, haben, wie wir andere Menschen, ihre schwachen Augenblicke, worin sie sich nicht selber helfen können; und dann scheinen sie so gut, so geschmeidig und zutraulich, so geneigt, Rat anzunehmen und sich helfen zu lassen! Aber rate ihnen nur was andres, als sie von dir zu hören wünschen; gleich hat die Vertraulichkeit ein Ende, und sie werden dir begegnen als ob du einen Hochverrat an ihnen begangen hättest.«

»Das mag wohl mit den meisten Menschen so sein, lieber Danischmend.«

»Gewiß! nur daß die Sultanschaft einen großen Unterschied macht, und daß der plötzliche Übergang aus der größten Wärme in die äußerste Kälte, welchem unser einer bei ihnen ausgesetzt ist, gerade das ist, was ich nicht wohl ertragen kann. Mit Einem Worte, Perisadeh: Schach-Gebal glaubt, er wünsche sich einen Freund; aber es ist bloße Selbsttäuschung; er will nur einen Schmeichler. Freilich einen Schmeichler, der sich die Larve der Freundschaft so geschickt anzupassen weiß, daß man sie für sein eigenes Gesicht hält; und dazu taugt nun einmal niemand weniger als ich: denn es ist mir eben so unmöglich, im Ernst gegen mein Gefühl zu reden, als an einem Spinnefaden in den Mond zu steigen. – Was würdest du mir also unter solchen Umständen raten?«

»Du kennst den Sultan besser als ich« –

»Billig sollt ich: wenigstens hab ich ein hübsches Lehrgeld für dieses Stück meiner Weltkenntnis gegeben! – Aber ich muß dich etwas fragen, Perisadeh. Kannst du, im Angesicht eines glänzenden Glückes, wonach ich bloß die Hand auszustrecken brauchte, zufrieden sein, lebenslänglich so arm zu bleiben als wir itzt sind? Kannst du, ohne daß du dir selbst die geringste Gewalt antun mußt, zufrieden mit mir sein, wenn ich, um vielleicht nur auf wenige Tage Schach-Gebals Freund auf meine eigene Weise zu sein, alle Gnaden, die er mir anbieten wird, ausschlage?«

»Wenn es zu deiner Gemütsruhe nötig ist, ja!«

»Aber deine Ruhe ist mir noch lieber als die meinige. Sprich nach deinem innersten Gefühl, Perisadeh! Fühlst du dich in dieser armen Hütte glücklich genug, um kein größeres Glück zu wünschen?«

»Wenn ich einen Wunsch haben könnte, Danischmend, so wär es für dich und meine Kinder. Ich gestehe dir, seit diesem unverhofften Besuch des Sultans mußte mir doch wohl der Gedanke kommen, daß ein Mann wie du nicht zum Körbchenmacher geboren sei.«

»Kennest du also ein größeres Gut für einen Mann von meiner Sinnesart, als Unabhängigkeit, Zufriedenheit mit sich selbst, und reinen Lebensgenuß im Schoße der Seinigen?«

»Nein, Danischmend, ich kenne für dich und mich keines, das neben diesen Gütern nur genannt zu werden verdiente, als – das Vergnügen, mehr als unsre eigene Notdurft zu haben, um die Not andrer Menschen erleichtern zu können. Aber wozu alle diese Fragen, lieber Mann? Du solltest doch deine Perisadeh kennen! Hast du mich jemals nur eine Minute lang über die Veränderung in unsern Umständen traurig oder kleinmütig gesehen? Bist du mir nicht alles? Hab ich jemals einen andern Wunsch gehabt, so bald ich den Wunsch deines Herzens wußte? Mach es mit dem Sultan wie du es am besten findest; folge deinem Herzen, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen, die, in noch weit geringern Umständen als die unsrigen sind, sich mit dir für die glücklichste der Weiber halten würde.«

»Vergib mir, Perisadeh«, sagte Danischmend, indem er ihre Stirne küßte: »weiß ich nicht längst daß du ein Engel von einem Weibe bist? – Höre also, wie ich's mit dem Sultan zu halten gedenke. Von allen Pflichten der Freundschaft ist nur eine einzige die ich ihm erweisen kann, und diese ist: ihm über alles, was er mich fragen wird, die reine Wahrheit zu sagen. Aber damit ich das könne, muß er wissen, daß ich unerschütterlich entschlossen sei, was ich bin zu bleiben, und sogar meinen notdürftigen Unterhalt bloß durch meiner Hände Arbeit zu gewinnen. Dies allein stellt eine Art von Gleichheit zwischen uns her, und macht es vielleicht möglich, daß ich ihm selbst und andern nützlich sein kann. Auf diese Art bleibt das Verhältnis zwischen ihm und mir wenigstens auf meiner Seite rein, und ich gewinne dadurch, daß er immer von zwei Dingen völlig gewiß sein wird: daß ich ohne alle Nebenabsichten mit ihm umgehe, und daß er alle Hoffnung aufgeben muß, mich durch irgend eine Art von Bestechung zu einer strafbaren Nachsicht zu verleiten. Kurz, ich will sein Freund sein, so lang er will; aber ich bleibe in meiner Bauerhütte, und mache Körbe. Dies war ein Punkt, der ein für allemal zwischen uns beiden ausgemacht sein mußte, meine Liebe; und nun wollen wir uns ruhig schlafen legen, und kommen lassen was kommen will.«


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