Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

41. Kapitel

Danischmend zieht in die Nähe von Dehly und ernährt sich und die Seinigen mit Korbmachen

Danischmend hatte, als es ihm in seinem neuen Aufenthalt zu gefallen anfing, und er sein Leben hier zu beschließen gedachte, nach und nach den größten Teil seines aus Jemal mitgebrachten Goldes auf Verbesserung und Erweiterung seines Landgutes verwandt, und was er bei seiner Flucht noch übrig hatte, machte ihn nur wenig schwerer, als wenn er ganz leer abgezogen wäre; auch war die Gefahr so dringend, daß sie von ihrem Geräte nur das notdürftigste mitzunehmen Zeit hatten.

Eine so jämmerliche Lage würde beim Anblick eines geliebten Weibes und eines Häufchens von holden Kindern, wovon das älteste kaum zwölf Jahre alt war, seinen Mut vielleicht gebrochen haben, wenn ihn nicht Perisadehs Standhaftigkeit und sich selbst immer gleiche Seelenruhe mächtig empor gehalten hätte. Denn so bald dieses vortreffliche Weib nur für die Bedürfnisse ihrer Kinder, so gut es in der Eile möglich war, gesorgt hatte, zeigte sie ihrem Manne, der seinen Kummer schweigend in sich hinein zu schlingen suchte, eine so heitere Stirne, ein so liebevolles Auge, eine so ungezwungne Herzhaftigkeit, daß ihm, wie er diesen Engel von einem Weibe mit Beschämung und Entzücken an seinen Busen drückte, nicht anders zu Mute war, als ob er von einer unsichtbaren Macht wieder auf die Füße gestellt würde; und nun fühlte er sich durch ihre vereinte Kraft stark genug, jedem noch härtern Schicksale, das ihm bevorstehen könnte, die Stirne zu bieten.

»Wir sind gesund und frisch«, sagte Perisadeh zu ihm, »wir können arbeiten, und unsre zwei Ältesten sind schon so weit, daß sie uns an die Hand gehen können. An dem wenigen, was die Natur bedarf, kann es uns nie gebrechen; es wird uns desto besser gedeihen, wenn es bloß die Frucht unsrer täglichen Arbeit ist; und durch ein fröhliches Herz und unsre Liebe werden wir reicher sein als irgend ein Omra in ganz Indostan.«

»Weißt du was mir in den Sinn kommt, Perisadeh?« sprach Danischmend: »gewiß war es mein guter Genius, der mir den Gedanken eingab, das Korbmachen von dem alten Kassim zu lernen. Ich kann mich, ohne Ruhm zu melden, für einen Meister in dieser Kunst ausgeben, und wenn wir einen Aufenthalt wählen, wo es mir nie an Absatz fehlt, so denk ich dadurch allein uns alle reichlich zu ernähren.«

»Was meinst du, wenn wir uns nahe an der Hauptstadt niederließen?« sagte Perisadeh.

»Ich sehe kein Bedenken dabei, in so fern es nicht gar zu nahe ist. In dreizehn Jahren, seit ich von Dehly weg bin, hab ich mich doch wohl genug verändert, um im Kostum eines Korbmachers den wenigen, die mich nicht täglich sahen, unkenntlich geworden zu sein. Auch bin ich gewiß, daß man mich längst vergessen hat; und wem könnte daran gelegen sein, mich noch tiefer herab bringen zu wollen als ich schon bin?«

»Es ist gut für uns«, versetzte sie, »daß gerade das einzige, worein wir unser Glück setzen, weil es nicht in die Augen fällt, von niemand beneidet wird.«

»Ja wohl, Perisadeh: auch wollen wir es so geheim halten als möglich; denn ich stehe dir nicht dafür, daß sie uns nicht auch um dieses bringen würden, wenn sie es ausfindig gemacht hätten.«

»Ich mag mir die Menschen nicht so schlimm einbilden, lieber Danischmend.«

»Du hast recht, und bist immer weiser als ich. Wir haben noch immer gutartige Menschen angetroffen, und wer keine solche antrifft, ist meistens selbst schuld daran.«

Indem Danischmend Perisadehs Vorschlag bei sich überlegte, erinnerte er sich eines artigen Dörfchens, das ungefähr eine Stunde von Dehly am Rücken eines Waldes lag, worin der Sultan zuweilen zu jagen pflegte. Alles zusammen genommen, deuchte ihm dieser Ort zu seiner neuen Lebensart am gelegensten, und so steuerte er seinen Lauf gerade dahin.

So bald sie angelangt waren, kaufte er am Ende des Dörfchens eine Hütte, die sich eben ohne Bewohner fand, richtete sie für die Bedürfnisse seiner Familie so bequem ein als er konnte, schaffte sich sodann die Materialien an, die er zu seiner Handarbeit nötig hatte, und fing nun an mit unverdroßnem Fleiß allerlei Arten von großen und kleinen Körben für allerlei Gebrauch zu verfertigen, die ihrer Zierlichkeit und Dauerhaftigkeit wegen in kurzem so guten Abgang fanden, daß er und seine ältesten Knaben, die ihm dabei an die Hand gingen, dem Kaufmann, der sie ihnen im großen abnahm, nicht genug Ware liefern konnten. Denn Perisadeh und ihre Töchter hatten mit Spinnen und Weben und Besorgung der Wirtschaft vollauf zu tun.

Nach einiger Zeit wurde Danischmend der gröbern Arbeit überdrüssig, und fing an sich bloß mit Verfertigung einer zierlichem Art von Körbchen für das Serail des Kaisers und für die Harems der Großen und Reichen zu Dehly abzugeben. Er verfertigte deren eine große Menge von so schönen Formen und so geschmackvoll verziert, wie man in Dehly noch keine gesehen hatte. In kurzer Zeit wurde Hassan der Körbchenmacher so berühmt, daß die Damen, die das Glück hatten im Besitz eines seiner Kunstwerke zu sein, von denen, die noch nicht dazu hatten gelangen können, beneidet wurden.

Unter andern Besonderheiten, wodurch sich Hassans Körbchen von andern auszeichneten, war eine Art von Kranz aus arabischen Buchstaben, womit er jedes derselben in der Mitte zu umwinden pflegte. Die Damen machten sich viel zu tun, den geheimen Sinn dieser Buchstaben zu erraten; aber keine konnte damit zu Rande kommen. Es lag bloß daran, daß die Auflösung des Rätsels gar zu leicht war; denn man brauchte nur immer zwischen drei Buchstaben den mittelsten in Gedanken herunter zu schieben, so las man ohne Schwierigkeit die Namen Danischmend und Perisadeh.

Zufälliger Weise begab es sich einst, daß Schach-Gebal verschiedene dieser Körbchen in Nurmahals Zimmer antraf, deren Schönheit seine Augen auf sich zog. Er nahm eines nach dem andern, betrachtete sie von allen Seiten, und wurde neugierig zu wissen, was der Buchstabenkranz bedeute, womit er sie alle in gleicher Ordnung der Buchstaben umwunden fand.

»Vermutlich ist es ein Spruch aus dem Koran«, sagte Nurmahal: »ich habe noch nicht darauf Acht gegeben.«

»Das merke ich«, versetzte der Sultan: und da er weder vor- noch rückwärts einen Sinn heraus bringen konnte, so kam er endlich auf den Einfall, immer zwischen drei Buchstaben den mittelsten wegzulassen, und auf einmal hatte er den Namen ›Danischmend‹.

»Gefunden!« rief er, und hielt plötzlich wieder ein.

»Darf man fragen was?« sagte die Sultanin.

»Was ich suchte, und was für niemand als mich von einigem Werte sein kann«, antwortete Schach-Gebal indem er sich wegbegab.

Und nun fragte er so lange nach, bis er endlich den Namen und Aufenthalt des Körbchenmachers auskundschaftete, der, wie man ihm sagte, erst seit einem Jahre mit einer zahlreichen Familie in dieser Gegend angekommen sei. Der Kaufmann, der mit dieser Ware handelte, setzte hinzu: »Es würde schwer sein, noch eine solche Korbmacherfamilie in der Welt aufzufinden wie diese. Der Mann will, wie es scheint, nicht bekannt werden lassen wer er ist; aber beim Barte des Propheten, er sieht keinem gemeinen Manne gleich!«

»Toll genug«, dachte der Sultan, »wenn ich meinen alten Philosophen, Itimadulet und Einschläferer in Gestalt eines Körbchenmachers wieder fände!«


 << zurück weiter >>