Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel

Mysterien – Procul este Profani!

Unsre ehrlichen Altvordern mögen wohl nicht so unrecht gehabt haben, wenn sie glaubten, daß ein guter Genius (ob sie ihn so oder so malten tut nichts zur Sache) sich damit abgebe, einem ehrlichen Kerl in Danischmends Umständen auf die Spur zu helfen. Es ist wenigstens ein so tröstlicher und harmloser Glaube, daß ich dem Manne nicht gut sein könnte, der mir ihn abräsonieren wollte.

Eines Morgens früh, als Danischmend ausging seine Träumereien auszulüften, begegnete ihm, auf dem Wege zu seiner Grotte, ein Mädchen, das mit einem großen Wasserkrug auf dem Kopf in der Einfalt und Unschuld seines Herzens daher schritt.

Ob es eine Grille oder was es war, weiß ich nicht; aber alle Weisen aus Morgenland und Abendland hätten unserm Manne nicht aus dem Kopfe gebracht, daß er seinen Genius habe, so gut als Sokrates der Athener.De Genio Socratis vid. Plutarch. Tom Opp. III p. m. 482. Apulejus, nec non Gottfr. Olearius de Gen. Socrat. Minut. Felix in Octav. c. 26. Tertull. de anima, c. 28. Lactant. Divin. Instit. L. II. c. 15. Augustin. de Civit. Dei,VIII. 14. Jamblich. de Myster. Aegypt. I. Marsil. Ficin. ad. Plot. Enn. IV. p. 278. Gabr. Nand. Apolog. du G. H. au. d. Magie, c. 13. Charpent. Vie de Socrate. La Motte le Vayer, Opp. Tom. III. p. 274. Souver. Platon devoilé, P. II. p. 56. Andr. Dacier preface de l'Apolog. de Socr. Jac. Bruck. Hist. Crit. Phil. T. I. p. 545. Saver. Hist. des Anc. Philos. T. II. p. 145. et alii passim – A – – h! wie mir die Finger vom Ausschreiben weh tun!

Theophil. Murrzufflus

»Alles was ich vor andern Leuten voraus habe«, pflegte er zu sagen, »ist lediglich, daß ich mir angewöhnt habe, bei allen Gelegenheiten auf die Stimme meines Genius zu lauschen, und daß mich die Natur dazu mit einem Seelenohre von der feinsten Art begabt hat.«

»Rede sie an«, rief ihm der Genius in seinem ihm allein vernehmlichen Rotwälsch zu. – Danischmend gehorchte.

»Woher so früh, schönes Mädchen?« sagte er mit einer so sanften Stimme, daß es unmöglich war seine Frage übel zu nehmen.

»Von jener Grotte«, antwortete das Mädchen, indem sie mit dem Zeigefinger der linken Hand nach dem Orte wies. Danischmend bemerkte, wiewohl nur obenhin, daß es eine kleine niedliche Hand war.

»Ich hole dort alle Morgen Wasser in diesem Kruge«, fuhr das Mädchen fort, »denn es soll das beste in der ganzen Gegend sein,«

»Und wozu brauchst du das Wasser?« fragte Danischmend. Es war eine alberne Frage; aber er wollte und mußte nun einmal etwas fragen, und in der Eile fiel ihm nichts Klügeres ein.

»Ich begieße morgens und abends einen Rosenstock damit, den ich auf das Grab meiner Mutter gepflanzt habe«, antwortete das Mädchen, mit einem Tone der Stimme, der alle empfindsam Saiten in seinem Herzen mit ertönen machte.

Er sah ihr ins Auge, oder, welches einerlei war, er sah in den Grund ihrer Seele; und in dem nämlichen Nu fühlt' er mit Gewißheit, daß dies Mädchen die Hälfte sei die er suchte.

»Sie ist's«, rief im nämlichen Nu sein Genius.

Das Mädchen war von feiner Gestalt. Alle Züge ihres Gesichts drückten die Unschuld, das zarte Gefühl und die Ruhe ihrer Seele aus. Ihr Herz war in ihren Augen und auf ihren Lippen. Man sah ihr ins Gesicht, und von Stund an war man ihr Freund, Vater, Bruder und Oheim, vertraute ihr alle seine Geheimnisse, sein Leben, seine Ehre, seine Seele und Seligkeit, wünschte sich keine andre Frau, Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte usw. und würde lieber zehentausendmal den Tod gelitten als zugegeben haben, daß ihr ein Leid widerfahre. – Übrigens eine bloße Tochter der Natur; ohne Verzierung, ohne Ansprüche, ohne List, und so unwissend, daß sie von Danischmenden sogar küssen lernen mußte.

Dies werden wenig Mädchen glauben wollen; aber wir können sie mit Gewißheit versichern, daß es wahr ist.

»Sie ist's, sie ist's«, flüsterte der Genius noch einmal.

»Beim Himmel, ist sie's!« antwortete Danischmend!

Acht Tage darauf – die ganze Geschichte ihrer Liebe in diesen acht Tagen erlaß ich euch: sie beträgt sieben starke Oktavbände, und würde für Liebende, wie Amandus und Amanda, Herkules und Valiska, Seladon und Asträa, Aruns und Klelia, usf. höchst unterhaltend sein, wenn Liebende – Zeit zum Lesen hätten.

Acht Tage darauf vermählte sich Danischmend mit ihr, führte sie in sein Haus, und zeugte mit ihr Söhne und Töchter.

Weil dies jedermann kann – die Ausnahmen sind zu selten um in Anschlag zu kommen –, so haben sich die Leute angewöhnt, es für eine gemeine, alltägliche, verächtliche Sache zu halten, die man, ohne lächerlich zu werden, niemanden zum Verdienst anrechnen könne. Viele gehen so weit, daß sie uns gar bereden wollen, man könne mit Anständigkeit nicht einmal davon sprechen.

Man sieht wohl, daß solche Leute nie bedacht haben müssen, welch ein herrliches Geschöpf der Mensch ist! – Ja, solche Karikaturen und Grotesken zu machen, wie man sie alle Werkeltage in Menge sieht, – dabei ist freilich wenig Verdienst. Aber dies war Danischmends Sache nicht. Seine Söhne und Töchter waren die wohlgestaltesten, artigsten, seelevollsten kleinen Geschöpfe, die man mit Augen sehen konnte. Alle Mädchen in der Gegend verliebten sich in seine Buben, alle kleine Jungen waren in seine Mädchen vernarrt; und wer zu alt zum Verlieben und Vernarren war, hatte die Kinder kaum etliche Stunden um sich, so war's ihm schon als ob er ihnen Vater und Mutter sei.

Dies mochte wohl Ausnahmen leiden; denn es gibt (wie ihr wißt) Leute, die nichts lieben können als sich selbst und was sie selbst gemacht haben. Allein von solchen Selbstlern ist auch hier die Rede nicht.

Viele Leute, die nicht begreifen konnten, warum Danischmends Kinder alle so liebenswürdig waren, bildeten sich ein, er müsse ein besonderes Geheimnis besitzen.

»Es ist etwas an der Sache«, sprach er: »ich wollt es euch wohl sagen, aber unter zwanzigen würde vielleicht kaum Einer sein, dem es nützen könnte.«

»Sei's darum«, sagten sie, »und wenn unter hunderten nur Einer wäre.«

»Gut«, sagte Danischmend: »so findet mir erst einen Mann und ein Weib, deren Liebe mit jedem Jahre ihrer Verbindung wächst, immer herzlicher und zärtlicher wird, dergestalt, daß es zuweilen ein Wunder in ihren eigenen Augen ist, wie es zugehe, daß sie sich nach einer Reihe zusammen gelebter Jahre oft verliebter in einander fühlen als an ihrem Hochzeitstage. Wer die Probe machen will, dem wollt ich wohl raten« (fuhr er fort), »sich von seinem Genius eine Frau wählen zu lassen: es möchte nicht bei allen angehen. Oft sind unser Herz und unser Genius verschiedener Meinung, und seit die Welt steht ist noch nichts gut gegangen, was ein Mann wider Willen seines Genius getan hat. Ich, meines Orts, hörte den meinigen drei- oder viermal so deutlich sagen, › sie ist's‹, daß ich meiner Sache gewiß war. Auch seht ihr ob er mich betrogen hat.«

»Aber«, sagten die Leute, »es muß außerdem noch etwas andres dahinter stecken, eine Art von geheimen – eine Art von – kurz, etwas, das ihr uns wohl entdecken könntet wenn ihr wolltet.«

»Ich will's euch ins Ohr sagen«, antwortete Danischmend.


 << zurück weiter >>