Christoph Martin Wieland
Geschichte des Weisen Danischmend und der drei Kalender
Christoph Martin Wieland

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9. Kapitel

Ein Dialog zwischen dem Leser und dem Autor

»Und dies wäre also die Geschichte der drei Kalender, nach der man uns schon so lange den Mund wässern gemacht hat?«

»Wie Sie sehen.«

»Es verlohnte sich wohl der Mühe nicht uns damit zu behelligen.«

»Das beliebt Ihnen so zu sagen, meine Herren. Ich wollte wetten, daß unter hundert so gelehrten, belesenen, alles wissen wollenden, und alles mit allen seinen Umständen wissen wollenden Herren, wie viele unter Ihnen sind, wenigstens achtzig sein müssen, die keinen unbeträchtlichen Teil ihres Lebens zugebracht haben, Historien zu lesen, oder zu emendieren, zu kommentieren, zu exzerpieren, in eine andre Form zu gießen, usw. die sich der Mühe eben so wenig und vielleicht weniger verlohnten als diese. – Und dann ist es wohl billig, für nichts zu rechnen, daß ich Sie, da Sie doch einmal die Geschichte der drei Kalender wissen wollten, so leicht habe durchwischen lassen? Stand es etwa nicht bei mir, diese nämliche Geschichte, wovon ich itzt den Kern und die Quintessenz in etlichen Blättern geliefert habe, in eben so viel Bände auszudehnen?«

»Als ob wir dann verbunden gewesen wären, sie zu lesen?«

»O meine Herren, Sie würden sie gelesen haben, dafür steh ich Ihnen. Es gibt Mittel die Leute lesen zu machen!«

»Wenn einiger Nutzen davon zu gewarten ist, ja. Aber wozu soll wohl –

die Geschichte der drei Kalender

nützen?«

»Wie doch gelehrte Leute so eine Frage tun können! Alles ist nützlich, meine Herren, alles; Dornen und Disteln, Spreu und Häckerling, Spinneweben und Wespennester, Froschzungen und Froschlaich, Wanzen und Blattläuse, Bärenfett und Katzenfett, ja in gewissen Umständen sogar Bonzenfett.Jemand suchte dem Cäsar, einige Zeit vor dessen Ermordung, Argwohn gegen den Antonius und den Dolabella beizubringen, in die er ein besonderes Vertrauen setzte. »O«, sagte Cäsar, »ich besorge nichts von diesen fetten und zierlich frisierten Burschen; die blassen und hagern (er meinte den Kassius und Brutus) sind mehr zu fürchten.« (Plutarch im Leben Cäsars) Vermutlich zielt unser Autor auf diese Stelle, und will so viel sagen: fette Bonzen wären weniger gefährlich als magere. Diese Maxime ist nun freilich nicht ohne Ausnahme; aber gleichwohl mag sie a potiori ihre Richtigkeit haben, wenn es auch bloß daher käme, weil fette Bonzen ordentlicher Weise zu träge sind, viel Böses zu tun. Und in so fern ließe sich dann wohl mit einigem Grunde behaupten, daß auch Bonzenfett seinen Nutzen habe; in so fern es nämlich einen physischen Grund enthält, warum ein feister Bonze weniger übeltätig und giftig ist als andre.

M. Skriblerus

– Nur Bonzen gift ganz allein nehm ich aus; denn dies hat zu allen Zeiten in der ganzen Welt zu nichts getaugt – als Unheil anzurichten, ehrlichen Leuten das Herz abzufressen, Könige zu ermorden, und gute Päpste zu vergiften –

O Klemens XIV!

Wenn also (Bonzengift und Aqua Tofana ausgenommen) alles in der Natur zu etwas gut ist, warum, meine hochgelahrten Freunde, sollte die Geschichte der drei Kalender zu nichts gut sein? – Wie, wenn Sie sich entschlössen, sie noch einmal zu lesen? Man entdeckt oft erst beim zweiten oder dritten Male, wo der Hund begraben liegt.«

»Alles, was sich darin entdecken läßt, läuft auf zwei Punkte hinaus: erstens, daß der Sultan, und die Sultanin seine Gemahlin, und Danischmend sein Hofsophist, und alle Mirzas und übrige Müßiggänger an seinem Hofe, von den drei Kalendern – nichts wußten; und zweitens, daß alles, was der alte Kalender von der Sache weiß und sagt, schwerlich um eine Stecknadel besser ist als nichts.

Meine Herren, haben Sie nicht gelesen und lesen vielleicht noch täglich Bücher in groß und klein Folio, Quarto und Oktavo, voll gestopft und gepfropft mit unmenschlicher Gelehrsamkeit, mit höchst mühseligen Nachforschungen und Berichtigungen, mit ausführlicher Widerlegung aller gegenseitigem Meinungen, mit Citationen zehentausend andrer Bücher, und mit Digressionen durch alle Prädikamente, das Ganze mit einem zwei- oder dreifachen Register wohl versehen, – haben Sie, sage ich, nicht dergleichen Bücher gelesen, sie im Schweiß Ihres Angesichts, bei nächtlicher Lampe, auf Unkosten Ihrer Augen, Ihres Ölkrügleins, Ihres Schlafs, und vielleicht Ihrer häuslichen Obliegenheiten, gelesen, ohne einen andern Nutzen davon zu haben, als daß Sie nun entweder nichts von der Sache wußten, oder etwas wußten, das ihnen das Öl in der Lampe nicht bezahlte?

Das ist eben die Sache, meine Freunde – und Sie haben immer noch dabei gewonnen, wenn Sie wissen, daß es so ist.

Und nun gehen Sie hin, und sagen mehr, die Geschichte der drei Kalender sei zu nichts nütze.«Der Autor ist hier zu bescheiden. Ich habe in meinem Leben viel Historien gelesen; aber ich kenne ihrer wenig, die in vier bis fünf Blättern so viel nützliche Moral und halb so viel Weltkenntnis enthielten. Man lernt daraus Sultanen und Fakirn, Emirn und Emirsweiber, Poeten und Sänger, Schlauköpfe und Schafköpfe, Hofleute und gemeine Leute, kennen. Wer tiefer in das Wesen der Dinge zu sehen gewohnt ist, wird sogar die vier großen Triebräder, die das ganze Maschinenwerk dieser Unterwelt gehen machen, ohne Mühe darin entdecken. Mit Einem Worte, man sage mir nicht viel, oder ich bin im Stand und schreibe ein dickes Buch Betrachtungen über die Geschichte der drei Kalender, worin ich alles entwickle –

M. Skriblerus

Bewahre! Wenn Herr Skriblerus entwickelt, das ist gerade, als wenn Herr Theophilus Murrzufflus zitiert; dann wird des Entwickelns und Zitierens kein Ende. Lieber ergeben wir uns auf Gnade und Ungnade, und nehmen unentwickelt und unzitiert alles für gut an, was uns die Herren dafür geben wollen.

Der geneigte Leser


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