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In der Menge standen zwei Agenten und winkten mit den Augen: Alles klar, keine Gefahr! Hinter dem Fallreep lehnte unser neuer Führer, ein berühmter Schmuggler, der uns durch die russischen Posten über die persische Grenze bringen sollte.
Dritte Tür links, Kabine Nr. 5.
Das Schiff stampfte ungeduldig, Ketten rasselten, das Abfahrtssignal heulte. Baku lag in Abendschatten mit einer leuchtenden Schnur von Glühkörpern über der Strandpromenade. Ein seltsames Licht zuckte auf, rot, weiss, und hieb grelle Lichtkegel über die grün-schwarzen Wasser.
Auf einmal war der Mond da, bleich und fremd. Seine Füsse liefen mit Silberschuhen über die Wellen, dass man tief in die Wasser sehen konnte. Das Kielwasser des Schiffes warf einen tollen Regen von Phosphorfunken auf. Brüllend grub sich der Dampfer in das dunkle Meer.
Ich stand auf dem obersten Deck allein im bleichen Mondschein mit meinen Gedanken. Hinter dem Schiff wanderte ein Gespensterzug von seltsamen Bildern: sibirische Urwälder mit heulenden Wölfen, mongolische Steppen, in deren Einsamkeiten der Mensch nach Menschen bangt, Gefängnisse und Zuchthäuser – und immer wieder auf den spritzenden Schaumkämmen Vobigs hartes Gesicht.
Nachts huschte unser Führer in die Kabine, die wir zu dritt allein bewohnten. Wir beschlossen, eine Anlegestelle vor der Grenze in Lenkoran auszusteigen und auf einem Nachtmarsch uns der Grenze zu nähern.
Kurz nachdem die aufgehende Sonne sich mit Feuerarmen in die grünen Wasser geworfen, wurde unter dem westlichen Horizont ein schwarzer Strich sichtbar. Und auf dem Strich wuchsen Bäume und Häuser der Küste, an der wir noch einmal russischen Boden betreten sollten.
Dreihundert Meter vom Lande ging der Dampfer tutend vor Anker. Breite Boote kamen längsseit und legten an. Ich stand an der Reling, warf dem Schmuggler im Boot ein Paket zu und liess den Oberstleutnant zuerst das Fallreep hinabklettern. Vor dem Doktor stieg ein Zollbeamter, der an der Reling alle Passagiere scharf gemustert hatte, ins Boot. Als einer der letzten sprang ich ins schaukelnde Boot und setzte mich absichtlich neben den Zollbeamten. Ein Ruderknecht forderte 50 Kopeken Fahrlohn. Ich war zu faul, um mir eine grössere Banknote wechseln zu lassen, und bat auf Russisch den Doktor, für mich zu zahlen. Ein strafender Blick aus Reiss' Augen traf mich. Wie konnte ich auch nur, als Tscherkesse gekleidet, mit einem anderen Tscherkessen russisch sprechen? Der Zollbeamte winkte einem Unteroffizier, der den Doktor um seinen Pass ersuchte. Nach einigen Sekunden kam die Reihe an mich. Als der Unteroffizier meinen Pass entfaltete und eine Frage an mich richtete, durchschnitt das Boot heftig schaukelnd die ersten Brandungswellen. Neue Wellen stürmten heran und schüttelten uns zusammen. Jeder musste sich an den Bootsrand festklammern. Der Unteroffizier reichte mir schnell, ganz mit der Erhaltung seines Gleichgewichts beschäftigt, den Pass zurück.
So zog die letzte russische Passkontrolle gnädig in der Brandung vorüber – es war die dreiundfünfzigste.
In Lenkoran verbrachten wir den Tag als angebliche Reiskaufleute. Unser Führer kam ab und zu mit sorgenvollem Gesicht zu uns und berichtete, dass infolge von Hochwasser eine Furt mit einem gewöhnlichen Wagen nicht zu passieren sei.
Niemand wollte fahren, in der Nacht besonders nicht.
Der Abend senkte sich mit weichen, schwarzen Flügeln. Ein Leuchtturm hieb grelle Lichtkegel über die tosende Brandung. Ganz weit draussen brüllte ein Dampfer.
Während der Oberstleutnant und Reiss beim summenden Samowar sassen, schritt ich unruhig vor dem Hotel auf und ab. Zehn Uhr, elf Uhr – kein Wagen, kein Führer, nur blaffende Hunde und tosende Brandung.
Ein schwerer Wagen schütterte durch die Nacht und sprang plötzlich mit vier Pferden aus der Dunkelheit. Eine Viertelstunde später klapperten wir auf hohen Rädern durch das schlafende Lenkoran. Wir sprachen wenig und wünschten wohl alle, die Grenze weit hinter uns zu haben.
Mehrere hoch angeschwollene Flüsse durchwateten die Pferde fast schwimmend, in den Wäldern klagten Schakale. Über uns stand ein bleicher, sonderbarer Mond.
Der Führer wollte unliebsame Begegnungen vermeiden und wich von der Strasse ab. Stundenlang mahlten die grossen Räder im nassen Ufersand, oft bis an die Achsen von den Wellen umspült. Manchmal waren wir ganz tief im Meer, als schwämme der Wagen auf Millionen mondglitzernder Tropfen. Ich dachte nicht an die Grenzposten, horchte, wie das Meer an die Räder klopfte, und schaute über die im Schlaf leise raunenden Wasser, auf denen weisse Dunstschatten schwebten wie Gespenster. Nach drei Stunden Meerfahrt rollten wir wieder auf festem Wege. Ein tiefer Fluss hemmte die Weiterfahrt, die Fähre schlief auf der anderen Seite im Mondschein. Wir schrien in die seltsam stille Nacht, bis zwei Gestalten aus dem Fährhaus kamen und verschlafen herüberruderten.
Der Wagen polterte auf die Fähre. Auf der anderen Seite machten die Pferde unter den Hieben des Kutschers einen wilden Satz, die schlecht verankerte Fähre glitt zurück, und krachend stürzten zwei Gäule mit dem Vorderteil des Wagens ins Wasser.
Im Nu war ich aus dem Wagen heraus und stand auf dem hinteren Teil der sinkenden Fähre. Der Schmuggler und die Fährleute stemmten sich aus Leibeskräften in die Taue und hielten so die gestürzten Pferde fest eingeklemmt zwischen dem Landungsansatz und der Fähre. Schweigend und keuchend hatten wir mit vereinten Kräften nach einer halben Stunde die Pferde hoch und den Wagen auf dem Trockenen.
Gott sei Dank war bis auf gerissene Stränge nichts beschädigt.
Der Führer nahm mich beiseite und fragte: »Herr, willst du, dass ich die Kerle bezahle, oder soll ich sie in die Schnauze schlagen?«
»Tu, was du willst«, antwortete ich. Da gab er den Fuhrleuten das Geld, und zwei Ohrfeigen klatschten durch die Nacht.
Um fünf Uhr morgens fuhr der Wagen in Russisch-Astera ein, und wir verschwanden lautlos im Hause des Schmugglers.
Unser Führer ging an den Grenzfluss, um eine günstige Stelle zu erspähen oder nötigenfalls einen Posten zu bestechen. Nach einer halben Stunde kam er atemlos zurück: »Schnell, ich habe keine Posten gesehen, und wenn uns einer anhält, so schick' ich ihn zu Allah.«
Wir huschten, um uns spähend, durch den grauenden Morgen. Der Grenzfluss schimmerte im verbleichenden Mondschein. Fünfzig Schritt links auf der Brücke hockte, schlafend zusammengekauert, ein Posten.
Der Oberstleutnant und der Schmuggler zogen sich Schuhe und Strümpfe aus und krempelten die Hosen hoch. Der Doktor und ich gingen mit voller Bekleidung in den Fluss.
Kalt sprang das Wasser in die Stiefel und stieg bis an den Leib. Leise, ohne viel Plätschergeräusche zu machen, wateten wir ans andere Ufer und horchten einen Augenblick – nichts!
Da sprang aus dem Uferschatten ein Mann und hielt mich drohend fest. Es war der persische Nachtwächter. Leise lachend sagte ich zum Doktor: »Famos, so ein persischer Kahlkopf will uns verhaften!«
Barfuss, bis an die Knöchel im Strassenlehm, seine Stiefel in der Hand, machte der Kaiserliche und Königliche Oberstleutnant die ersten Schritte in Persien.
Vor einem besser aussehenden Gebäude klopfte unser Führer an eine Tür. Ein bis an die Zähne bewaffneter persischer Polizist mit einem roten Klecks auf der braunen Stirn, dem Zeichen des Polizisten, liess uns in das Haus des Polizeimeisters von Persisch-Astera ein. Mit schwarzem Bart und nackten Füssen, in einem grosskarierten englischen Anzug stand der Polizeimeister vor uns.
Nicht ein Wort verstanden wir und machten dumme Gesichter. Der Oberstleutnant überreichte dem Polizeimeister einen Empfehlungsbrief aus Baku. Da machte dieser vergnügte Augen und trommelte einen Mann mit langen Haaren wach – seinen Gerichtsreferendar, wie der Doktor sagte.
In einer halben Stunde sassen wir um ein qualmendes Kohlenbecken und trockneten unsere nassen Kleider.
Gegen Mittag nahmen wir Abschied von unserem Führer und stiegen in einen ausgehöhlten Baumstamm. Leise plätschernd furchte der schaukelnde Baumstamm durch ein Gewirr von Kanälen und Flüssen, Sumpf, nichts als Sumpf mit hohem Schilf und sonderbar schnarrenden Tierstimmen. In der heissen Luft, die mit weissen Dunstschleiern in den blauen Himmel stieg, schwebten Kraniche, riesige Pinguine schwammen im Wasser, Wildenten schnarrten aufgeregt durch das hohe Schilf.
Bis zur halben Wade im Sumpf versinkend, wateten wir in einem Bergtal zur Sumpfburg eines persischen Khans, eines Barons, dessen Dorf von Kosaken in schwarze, ausgebrannte Trümmer gelegt worden war. Schweigend wurde Tee getrunken, nur unterbrochen vom tiefen Rülpsen des Khans, der dick und fett auf einem bunten Teppich sass. Über seinem massigen Bauch hing eine deutsche Mauser-Pistole.
Am nächsten Tage bestiegen wir die ersten Maultiere, die mit Schellen behangen in den Urwald klingelten. Breite, bügellose Packsättel rissen die Beine auseinander. Wir hatten Hunger, waren aber kreuzvergnügt, denn die Russen, die nur in der Nähe der Strassen plünderten, trauten sich nicht in die dichten Wälder.
Bemooste Riesenbäume standen wuchtig mit hundertjährigen Wurzeln verankert, Schlingpflanzen zogen ein wirres, zähes Netz von Ast zu Ast, wie straffgezogene Stricke stiegen sie aus dem Boden und verankerten sich in den Kronen. Fingerlange Dornen stachen nach uns, so dass wir auf den schmalen Fusspfaden oft stundenlang tief in den Sattel gebückt reiten mussten. Die Sonne schien einer anderen Welt zu gehören, und nur wenige goldene Strahlen standen zitternd im dunklen Baumchaos. Tiefste Stille ringsum im modrig riechenden Urwald, nur unterbrochen von unseren Stimmen und dem Klingling der Maultierglocken. Der modrig riechende Urwald war unheimlich still, wie eine Totengruft, in der grüne Lichter brannten. Schwaches grünes Dämmerlicht schien aus grossen Moosflächen zu strahlen.
Manchmal bog der schmale Urwaldpfad um einen dicken Baumriesen, hinter dem es rauschte. Dann ritten wir im weichen Ufersand, an den das blaue Meer mit weissen Schaumkronen sprang. Ganz nahe am Ufer kollerten spielende Seehunde in den Wellen und grinsten mit breiten, schnurrbärtigen Gesichtern.
In tiefen Schluchten wateten die Pferde durch träge fliessende Flüsse. An den Abenden sassen wir bei irgendeinem höflichen Perser auf bunten Teppichen zu Gast. Sie alle liebten die Deutschen, die für Allah in den Krieg gezogen waren.
Am 7. November sprangen wir in das kalte Meer und schwammen in den letzten Sonnenstrahlen, die in den Wellen ertranken. Die Nächte waren voll vom Klagen der Schakale, die beutesuchend um die armseligen Perserhütten in den Reisfeldern Gilans strichen.
Sieben Tage waren wir geritten, am Meer und durch das Schlinggewirr, immer nach Süden. Plötzlich wurde der Weg breit und gepflegt, beinahe europäisch. Aus einer Hütte sprangen Perser mit Wickelgamaschen und Gewehren und hielten uns an. Man liess uns nicht weiter, hier war die Schutzgrenze eines berühmten persischen Fürsten, der seinen Wohnsitz im Umkreis von vierzig Kilometern mit Posten absperrte. Strahlenförmig von Sümpfen umklammert, liefen durch den Urwald einige Wege zum Hause des Khans. Jeder, der herein oder heraus wollte, musste vom Polizeimeister des Khans einen Ausweis oder irgendeinen anderen Empfehlungsbrief besitzen, sonst kam er nicht in diese Urwaldburg hinein. Kein europäischer Fürst könnte seinen Wohnsitz derart sichern wie dieser persische Khan.
Nach wortreichem Schimpfen und lebhaftem Gebärdenspiel setzte sich ein Posten an die Spitze unserer Karawane. In schwarzer Nacht stolperten die Maultiere durch den Urwald, in dem tausend Glühkörper schwirrten. Urwald, Reisfelder, Perserdörfer – ein Sonnenaufgang, eine Nacht, und noch ein Sonnenaufgang.
Mitten im Urwald waren riesige Reisfelder. Auf hohen Staudämmen ritten wir bis zum Landhause des berühmten Khans. Ein einfacher Holzbau mit breiter Veranda, keine Burg, kein Palast und kein Cottage-Landhaus, wie der Doktor erwartete.
Es wimmelte von Soldaten in gleichmässiger brauner Lodenuniform mit Wickelgamaschen und hohen Hüten. Auf der Veranda setzten wir uns in den Kreis einiger würdevoller Perser und übergaben unseren Empfehlungsbrief aus Baku. Ein als Priester verkleideter türkischer Spion, mit dem wir uns französisch verständigten, erzählte uns vom Khan. Einem der ältesten persischen Fürstengeschlechter entstammend, hatte er vor drei Jahren mit sieben Anhängern begonnen, die Provinz Gilan zu unterwerfen, und beherrscht heute ein Land, das fast so gross ist wie halb Deutschland. Das Volk liebt ihn, denn er beraubt nur die Reichen und gibt den Armen mit vollen Händen. Vor zwei Tagen hatte er einen reisenden Kaufmann aus Teheran überfallen und ihm Gold im Werte von zwei Millionen abgenommen. Die Russen hasste er und rieb kleinere Abteilungen auf.
Der Fürst sah alles andere als räuberisch aus, eher wie ein Christus oder ein Darsteller der Oberammergauer Spiele. Das regelmässige Gesicht mit gutmütigen Kinderaugen, in denen es gewittern konnte, war von einem schwarzen Bart umrahmt, dichtes schwarzes Haar ringelte sich bis auf die Schultern. Seine Vertrauten und Offiziere trugen dieselbe wallende Haartracht.
Als besondere Ehrengäste verwöhnt, brachten wir die Tage auf weichen Teppichen, bei duftendem Kakao und Mahlzeiten mit zahllosen sonderbaren persischen Gerichten dahin. Wie der Khan selbst wurden wir von jungen Fürsten bedient.
Die Zeit drängte, und Weihnachten rückte näher. Wir hatten Angst um unseren Weihnachtsbaum und wollten gern die Jagd nach dem Weihnachtsbaum fortsetzen; denn noch blieb Nordpersien, Kurdistan und die ganze Türkei zu durchqueren.
Während wir die herrlichsten Früchte assen, in einem kristallklaren Bergfluss badeten und uns mit einem Dolmetscher des Fürsten französisch unterhielten, jagten Reiter des Fürsten, um die Wege zu erkunden. Endlich liess der Fürst uns wie seine Soldaten kleiden, und wir klingelten, mit Empfehlungsbriefen versehen, in den Urwald, den halben, eben erst zurückgelegten Weg zurück. Wir sollten alle Hauptstrassen vermeiden und quer durch Persien bei Kermanschach zu den Türken stossen. Nach der Berechnung des Fürsten mussten wir in drei Wochen die Türkei erreichen und hofften, am Heiligen Abend in Deutschland zu sein. Ein fürchterlicher Gewitterregen tobte, dass alle Flüsse schäumend über die Ufer gingen. Zwei Tage ritten wir triefend in strömendem Regen. Ein breiter Fluss sperrte den Weg, und man konnte nur am Meeresufer, an der schäumenden Flussmündung hinüber. Das Meer tobte mit zornigen grauen Wellen. Bis an den Sattel stemmten sich die Pferde durch das reissende Wasser. Das Pferd des Oberstleutnants wurde von einer stürzenden Welle gepackt, und Ross und Reiter versanken. Der Oberstleutnant watete ans Land, und wir ritten frierend auf den zitternden Pferden weiter.
Einen Tag kletterten unsere Maultiere wie Bergziegen, vorsichtig jeden Schritt abtastend, in steilen Schluchten über schwindlige Abgründe auf den Rand eines Gebirges, das steil von der Küste des Kaspischen Meeres ansteigt. Tief unter uns lagen die grünen Urwälder und weit, weit das blaue Meer. Auf dem baumlosen Gebirgskamm pfiff ein eisiger Wind. Noch ein Blick über Meer und Urwald, und wir stiegen hinab in die »bucklige Welt Nordpersiens«.
Kein Baum, kein Strauch, kein Wasser – nur Felsen, Sand und Lehm. Noch nie sah ich einen solchen Gegensatz in der Natur wie von diesem Gebirgsrücken. Hinter einer Stadt die, baumlos, mit fensterlosen Lehmhäusern, von weitem wie ein Trümmerhaufen aussah, begannen die Fussmärsche.
Fast drei Wochen marschierten wir durch die bucklige Welt Nordpersiens, bergauf, bergab. Auf jedem Kamm neue Gebirge vor uns, Berge, nichts als Berge, Sand und Felsen. Wie ich diese kahlen Berge hasste, die mir die Füsse wund und blutig machten! Oft nur mit einem Stückchen trockenen Brots schleiften wir die müden Beine durch den heissen Sand unter glühender Sonne.
Wir wussten nicht, wo wir waren, und mussten uns ganz auf die Richtung verlassen, die uns Perser angaben. Bald machten wir die Entdeckung, dass die Perser oft nur den Weg von einem zerfallenen Dorf zum anderen kannten. Entfernungen waren ihnen ein unbekannter Begriff, so dass wir nie wussten, ob wir abends ein Dorf erreichen würden. An den Fingern zählte man uns die Pharsach (Meilen) vor, die nie stimmten.
Hinkend, mit blutenden Füssen, elend und matt schleppte ich mich hinter den anderen her – nur mit dem einen Gedanken: Vorwärts, vorwärts! Nicht liegenbleiben!
Eines Abends lag in der sinkenden Sonne eine Stadt vor uns, die »Tote Stadt«. Fensterlos, baumlos, schien sie zu schlafen.
In der Toten Stadt wohnte ein Khan, an den wir einen Brief hatten. Erschöpft – heute waren wir fünfunddreissig Kilometer durch Berge und Sand marschiert – sanken wir auf weiche Teppiche im Empfangszimmer des Khans. Aus einem silbernen Samowar wurde duftender Tee geschenkt.
Zwei Tage schliefen wir nach persischer Sitte auf dem Fussboden in weichen Seidenbetten.
Mit Hilfe eines russisch sprechenden Mannes erfuhren wir, dass wir viel zu weit nach Norden geraten und nur einige Tagemärsche von der russischen Grenze entfernt waren. Das war bitter, sehr bitter – –. Unser schöner Weihnachtsbaum, hinter dem nun ein grosses Fragezeichen stand!
Sieben weitere Tage sahen uns durch die bucklige Welt über Steine und durch zerklüftete Berge stolpern. Aus einem schwarzen Felsental trabten uns zwanzig Reiter entgegen, mit bunten Turbanen, kunstvoll um den Leib geschlagenen Tüchern, in denen der gefürchtete Krummdolch stak, vorn über die Sättel das Gewehr. Hohe, schlanke Gestalten mit wetterharten, wilden Gesichtern – die ersten Kurden. Misstrauisch spähten sie zu uns herüber. Als unser Führer sagte, dass wir Deutsche seien, kamen sie herangeritten und begrüssten freundlich die »Almani«, die Deutschen.
Wenn wir doch endlich in Kurdistan wären! Die Kurden kämpften ja gegen die Russen, besassen Pferde und würden uns sicher in bunter Kavalkade zu den Türken bringen.
So dachte ich, aber es kam anders, so anders, wie nur eine Enttäuschung sein kann.
In dem sauberen Hause eines gastfreien, menschenfreundlichen persischen Fürsten, der die berühmten Gärten von Durbasch besitzt, bekamen wir eine Vorahnung des wilden Kurdistan. Wilde, die nur eine Beschäftigung haben, eine Freude, eine Religion: Rauben und Plündern.
Ein französisch sprechender Vetter des Fürsten sagte: »C'est un peu dangereux, le Kurdistan!«
Wie »un peu dangereux« es ist, erfuhren wir am eigenen Leibe.
Die Vettern wollten unbedingt, dass wir drei Tage den angekündigten Besuch eines berühmten Kurdenchefs abwarteten, der türkischer Anhänger war und durch dessen Gebiet die einzige Möglichkeit bestand, unberaubt und sicher zu den Türken zu gelangen.
Drei Tage warten? Nein. Die Jagd nach dem Weihnachtsbaum hetzte.
Der anwesende Diener des Khans, selber Kurde, wollte uns um keinen Preis ohne Empfehlungsbrief seines Herrn führen, durch das Gebiet eines fremden Stammes schon gar nicht, höchstens im Sommer, wenn man nachts marschieren und die Ortschaften umgehen konnte.
Der französische Vetter sagte wieder: »C'est un peu dangereux«.
Wir wollten aber, und die Vettern verfielen auf einen anderen Weg. An ihr Gebiet grenzten Kurden, der Stamm der Galbajes, der wegen seiner Räubereien und Wildheit berüchtigt war. Der Chef der Galbajes, ein ehemaliger Diener der Vettern, der sie fürchtete, würde sich vielleicht verpflichten, uns sicher durch sein Gebiet zu geleiten, das mit der Südgrenze an die Türkei stiess. In einem Briefe sagte der Chef der Galbajes sicheres Geleit zu.
An einem herrlichen, leuchtenden Herbstmorgen stoben wir in bunten Sätteln auf schnellen Pferden über Sanddünen. Um uns galoppierten die beiden Vettern mit zwölf Bewaffneten und schossen in sausendem Galopp aus den Sätteln, dass uns die Kugeln um die Ohren pfiffen. Die bunten, schiessenden Reiter waren ein echtes Bild orientalischer Sorglosigkeit. Zwei, drei Menschen weniger – was macht's?
Links und rechts, weit in den Dünen wie Punkte, ritten die Seitenpatrouillen der Vettern. Wie eine gesicherte europäische Truppe rückten wir der Grenze des wilden Kurdistan näher.
Auf einer Bergkuppe sprangen die Reiter aus den Sätteln – bis hierher und nicht weiter, denn hier fing das Gebiet der Galbajes an. Die Seitenpatrouillen rückten näher, und mit dem Gewehr im Arm warteten die Perser. Vom Horizont lösten sich sechs Punkte und wuchsen schnell zu galoppierenden Reitern, neben denen zwei kurdische Windspiele jagten.
Hundert Schritte vor uns sprangen die Kurden aus den Sätteln. Ein Mann in buntem Schlafrock übergab einem Reiter sein Gewehr und näherte sich mit demütiger Haltung und lauernden Augen. Mit über der Brust gekreuzten Armen verneigte sich der Chef der Galbajes.
Er versprach nochmals sicheres Geleit, ein Händeschütteln, und die Vettern verschwanden hinter den Dünen.
Fürchterliche Tage beginnen. Wir hungern, denn wir wagen es nicht, Geld zu zeigen, nachdem uns ein Erpressungsversuch um fünf grosse Silberstücke ärmer gemacht hat.
Sand – nichts als Sand. Hügel an Hügel, rotbraun in der Ferne, grau in der Nähe – Kurdistan.
Unsere Neugier war mit dem Sand in den zerrissenen Schuhen zertreten. Es war ja so gleichgültig: Kurdistan oder Beludschistan oder Afghanistan! Nur vorwärts, nach Hause! Tausende von Kilometern noch – Mesopotamien, Vorderasien, Konstantinopel, und dann – ach ja, Balkanzug, der in drei Tagen von Berlin nach Konstantinopel fahren soll. Eine gute Zigarre. Leise schüttelt der Schlafwagen. Die Räder klirren, singen von der Heimat. Heimat – da oben im Norden, vom deutschen Meer umspült, Kiefern, Birken, Erika im letzten Schimmer untergehender Herbstsonne: Heide.
So träumte ich. Würden die müden, wunden Füsse es schaffen? Morgen, immer wieder ein neues Morgen. Marschieren. Tausende von Kilometern lagen schon hinten – dahinten, so gleichgültig wo, in Sibirien, im Kaukasus, in den Urwäldern Gilans, der buckligen Welt Nordpersiens. Viel war da an den Augen vorbeigeglitten. Ferne Länder, von denen man bei uns kaum spricht, wenig weiss. Manches Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Sonderbare Menschen, noch sonderbarere Trachten. Bezopfte Söhne aus dem Reiche der Mitte, rasierte Schädel aus dem Reiche des silbernen Löwen; Wölfe in den Schneeöden Sibiriens, Hyänen in den Urwäldern, die schrill lachen wie junge Mädchen und weinen wie kleine Kinder.
Von all dem Schauen war das Auge übersatt.
»Effendi!« Freundlich blinzeln die Augen Ali Mohammeds. Die knochige Hand unseres Führers weist in die Ferne. Er kräht etwas in kurdischer Sprache. Unverständlich. Also schauen. Vor uns Sandhügel.
Eine Hammelherde nagt an der kurzen Grasnarbe. Tief im Hintergrunde mächtige Bergketten – blauschwarz, darüber blendende Schneezacken. Aber das kann es nicht sein. Dahinauf kommen wir erst in drei Tagen.
Beharrlich weist die knochige Hand nach vorn, kurz über die nächste Düne. Dünne Rauchfahnen in der flirrenden Luft. Da muss eine Ansiedlung sein. »Mensil (Wohnung)?« fragte ich. »Beli (ja)«, antwortete der Kurde. Wir stapften weiter, zehn Minuten. Vor uns ein Tal, Bäume, wie kommen die nach Kurdistan – Häuser, überragt von einem palastartigen Bau. Von ferne gute Hoffnung, aber wir sind Enttäuschungen gewöhnt. Schmutzige Kinder laufen uns entgegen, Männer und Frauen treten vor die Häuser. Der Wächter hat sicher schon alarmiert, dass Fremde kommen.
An niedrigen Lehmhäusern vorüber, die, fensterlos, wie grosse Lehmblöcke aussehen, vors Palais. Ein grosser Bau, Ganz orientalisch. Hier wohnt der Khan, der Chef des Ortes oder Stammes. Unser Führer verhandelt mit ein paar bunten, bis an die Zähne bewaffneten Kurden. Kunstvoll geschlungene Turbantücher über den braunen Gesichtern. Misstrauische Blicke. Befühlen unserer Kleider. Wie wird es uns gehen unter diesen berüchtigten Räubern?
Einstweilen setzen wir uns auf die Lehmbank vor dem Schloss. Durch die uns dicht umdrängenden bunten Gaffer und Frager – Gott sei Dank verstehen wir kein Wort und brauchen nicht zu antworten – leuchten die blauschwarzen kurdischen Berge. Die Schneekuppen schimmern purpurn im untergehenden Sonnengold. Ein schönes Bild, so recht in Abendfrieden getaucht – wenn es nur nicht in diesem gefährlichen Lande wäre! Schon der nächste Morgen kann uns beraubt finden, wenn wir nicht mit eingeschlagenen Schädeln nackt im Sande liegen und den letzten Traum träumen von der Heimat, die wir fast erreichten.
»Almani«, sagt jemand. Ich werde aufmerksam. Ein prächtig gewachsener Kurde in blauem Kaftan steht vor uns. Der typische Kurdenchef. Karabiner über der Achsel, Krummdolch im Gürtel, hoher Turban, langer, schwarzer Schnurrbart im braunen, ovalen Gesicht. Aber die Augen, tückisch, so recht Diebesaugen.
Er befühlt meine »burka«,« den kaukasischen Reitmantel aus Ziegenfellen ohne Ärmel, nimmt ihn mir von der Schulter, hängt ihn sich um. Verdammt! Das Stück gefällt ihm. Schenken werde ich es ihm nicht, und nehmen wird er es doch. So oder so – dafür sind wir in Kurdistan.
Unser Führer nimmt sein Bündel auf und stapft los. Wohin? Wahrscheinlich in den Tempel – Asyl für Obdachlose –, denn der Khan hat uns nicht aufgenommen. Das ist gefährlich – wegen der »burka«. Im Tempel kann er sie rauben lassen, in seinem Hause verbietet es ihm die Gastfreundschaft.
Bedrückt gehen wir hinter dem Führer her. Nette Aussichten!
Fast in jedem Tempel haben wir bisher bis aufs Hemd ausgeplünderte Leute gefunden, die dort an der offenen Feuerstelle sitzen, hungern und warten, bis Allah hilft.
Im Tempel tiefes Schweigen. Die letzten Sonnenstrahlen fallen durch das Gitterfenster über der Gebetsnische des Priesters. Mehrere Männer knien in stillem Gebet, die Stirn auf dem Gebetsteppich.
Wir setzen uns um das offene Feuer, müde, hungrig, elend. Heute hatten wir nur ein Stück trockenes Brot. Geld dürfen wir nicht zeigen und sind doch so hungrig. Ali Mohammed kramt ein paar Feigen aus seiner Tasche. Das ist unser ganzes Abendbrot nach sechsstündigem Marsch. Und so muss es noch tagelang gehen.
Draussen ist bleicher Mondschein. Leise rauschen die Weiden im Nachtwind. Die Sterne blinken im Wasserbecken. Ich bade meine wunden Füsse und träume den alten, lieben Heimattraum.
Auf der Strasse pfeift jemand. Irgendwo im Tempel ein Antwortpfiff.
Mir wird unheimlich. So still die Nacht, durchrissen von diesem Signalpfiff.
Am Feuer liegt der Oberstleutnant, lang ausgestreckt. Neben ihm der Doktor in seine »burka« gehüllt. Es ist ganz dunkel, nur das Feuer leuchtet schwach.
Müde lege ich mich in eine Ecke. Schlafen, schlafen.
Da knarrt die Tür. Ein Windzug fährt kalt herein. Nichts zu sehen in der tiefen Finsternis. Unheimlich!
Die Tür geht doch nicht von selbst auf?! Niemand zu sehen. Kein Schritt.
Instinktiv taste ich nach den Streichhölzern, plötzlich Ali Mohammeds Stimme: »Wer ist da?« Keine Antwort. Aber die Tür ist offen, ich fühle es am Zuge.
Bleiern liegt auf mir die Ahnung einer unbekannten Gefahr. Ich habe deutlich die Empfindung, dass ein Mensch da ist. In der Ecke neben der Tür muss er stehen – –
Es sind schon viele in Tempeln ermordet worden. Den Kurden ist nichts heilig. Ich denke an einen Krummdolch und die tückischen Augen einiger, die jetzt um die Feuerstelle schlafen. Wirklich schlafen? Vielleicht nur scheinbar. Der Pfiff von der Strasse wurde irgendwo im Tempel beantwortet, vorhin, als ich am Wasserbecken sass.
Die Nerven sind zum »Springen« gespannt. Da – – schlurfende Schritte? Nein – irgend jemand schnarcht. Ich will die Tür schliessen, dann ist der Spuk auf einmal aus.
Plötzlich ein heller Schrei.
Ringen von zwei Menschen in dunkler Nacht. Ein dumpfer Fall. Durcheinander von Stimmen. Die Tür fällt ins Schloss.
Ich springe in die Richtung, wo der Oberstleutnant gelegen, bemühte, ein Streichholz anzuzünden.
Was ist geschehen? Die Stimme war die des Doktors.
Warum ist es plötzlich so still, so totenstill nach dem sekundenlangen Durcheinanderschreien und -fallen?
Das Streichholz flammt auf, die gelbliche Flamme hüpft über bleiche Gesichter, Sekunden nur, dann wieder tiefe Dunkelheit.
Jetzt brennt die kleine Öllampe. Ali Mohammed hat gelegen, bemüht, ein Streichholz anzuzünden.
Der Doktor springt zur Tür. Die ist zu.
»Mein Mantel ist geraubt. Irgend jemand hat mich gepackt, ich bin aufgesprungen, gefallen. Einen Moment habe ich noch einen Zipfel in der Hand gehabt. Dann klappte auch schon die Tür.«
Ali Mohammed flüsterte mir zu: »Der Khan« und er machte die Bewegung des Halsabschneidens. Die Augen fallen ihm fast aus dem Kopf vor Angst.
Wir sperren die Tür mit einer Kette. Dann wird beraten. War es nur auf den Mantel abgesehen, dann steckt der Khan dahinter. Wird es bei diesem Raub bleiben, oder haben die Räuber durch so leichtes Gelingen Mut zu weiterem bekommen?
Wir lauschen nach der Tür. Bange Minuten.
Ein von den Kurden ausgeplünderter Türke, den wir am Abend kaum beachtet, erzählt, dass er eine Meile von hier mit sieben anderen Türken von Räubern aus diesem Dorf überfallen und beraubt worden ist. Ein Türke wurde dabei erschlagen.
Wir trennen uns von den übrigen Bewohnern des Tempels und setzen uns in einer Ecke dicht zusammen. Wenn einer von den andern hinausgeht, geht der Doktor oder ich an die Tür. Einer von der Bande kann ja im Tempel sein, ein Zeichen geben, wenn wir schlafen. Mit dem Hinausgegangenen kann sich ein Fremder bei der Dunkelheit einschleichen.
Der Oberstleutnant bewacht die Lampe. Die darf auf keinen Fall ausgeblasen werden.
Es ist ein Uhr nachts. Wir wachen mit müden Augen.
Zwei Uhr. Irgendwo ein regelmässiges Klopfen draussen. Unheimlich in der Stille der Nacht. Wir warten gespannt auf eine Antwort im Tempel. – – Da – – ganz leise – – klopf, klopf – – oder ist es nur Täuschung – –?
Ein Kurde spricht halblaut im Schlaf. Soll das eine Verständigung sein? Wieder das Klopfen, ganz leise die Antwort irgendwo drinnen.
So gehen die Minuten, bleierne Ewigkeit. Ich halte es nicht aus, reisse die Tür auf, gehe auf den Hof. Nichts, niemand! Die Sterne funkeln, das Wasser plätschert, ein Hund heult.
Drei Uhr. Leise beraten wir. Wir müssen zurück nach Persien und Ortschaften möglichst vermeiden. Wenn man uns die Kleider raubt, die Schuhe, kommen wir rettungslos um in den Schneebergen, die wir in einigen Tagen passieren müssen. Lieber zurück, zu unserem persischen Gastfreund. Und von da einen anderen Weg. Ein harter Entschluss. Drei Tage haben wir nur noch bis zu den Türken. Und zurück? Mehrere Tage durch Kurdistan und dann auf einem anderen Wege mindestens noch zehn Tage.
Ich rechne, meine alte Weihnachtsrechnung. Weihnachten können wir nicht zu Hause sein, wahrscheinlich nicht einmal rechtzeitig telegraphieren, wenn wir überhaupt durchkommen.
Der grauende Tag findet uns draussen. Noch steht der blasse Mond über dem unheimlichen Tempel. Mit leerem Magen, wunden Füssen gehen wir den gestrigen Weg zurück. Ganz von ferne hören wir den Muezzin sein Morgengebet der aufgehenden Sonne entgegenrufen. Vielleicht weckt er die Räuber, die uns eine Meile vom Ort überfallen wollen, wie vor einigen Tagen die Türken.
Wer weiss?
Zehn Tage nach dem Abschied von den Vettern wanken wir erschöpft, hohlwangig, mit tiefliegenden Augen in ihr Haus. Mein linker Fuss ist eine eitrige Blutmasse, der Oberstleutnant hat Ruhr wie ich. Der türkenfreundliche Kurdenchef ist eingetroffen – und sendet uns mit Ali Mohammed und einen zweiten Kurden durch das Stammesgebiet der Mokris. Die Führer bekommen mehrere Empfehlungsbriefe mit und werden von dem Khan mit ihrem Leben dafür verantwortlich gemacht, dass wir sicher bei den Türken landen.
Zehn weitere Tage schleppen wir unsere schattenhaften Körper durch Kurdistan – bergauf, bergab – über Schneefelder und Eiszacken hinunter in die erste Türkenstadt, Suleimanje.
Kurdistan – ja, »c'est un peu dangereux«, nun ist es vorüber.
Frei, endlich frei! Nur wer unfrei war wie wir, weiss, was es heisst, wieder frei sein! Ein Alp wich von mir, eine zweijährige Last. Mehr aber als das unendlich beglückende Gefühl, frei zu sein, empfand ich nicht – denn zu allem anderen war ich zu erschöpft.
Vergeblich durchirrte ich mit dem Doktor in Suleimanje die Strassen – die Deutschen waren fort. – –
Zu Hause sassen sie um den Weihnachtsbaum, Kerzen schimmerten, und draussen tanzten Flocken. Unsere Jagd nach dem Weihnachtsbaum war misslungen.
Bei einem türkischen Major feierten wir mit Raki und etwas Wein still und nachdenklich und doch so froh das deutscheste aller Feste.
Schwere, feste Schritte polterten im Nebenzimmer, die Tür flog auf – und herein trat ein deutscher Stabsarzt, der von unserer Ankunft gehört hatte und von seinem Glase stillen Weihnachtspunsches, den er mit seinem Sanitätsunteroffizier als einzige Deutsche in diesem weltentfernten Winkel getrunken, uns suchen gegangen war.
Die liebe deutsche Uniform! Nun hatten wir doch ein schönes Weihnachten.
Mesopotamien. Syrien, Palästina, wieder Syrien und Kleinasien huschten an meinen überschauten Augen vorüber. Zu viel hatte ich gesehen, und zu weit war noch mein Deutschland.
Der Schlafwagen des Balkanzuges schaukelte leise, die Räder klapperten: Heimat, Heimat.
Wach, mit Weihnachtsaugen, fuhr ich die letzte Nacht und verfolgte den Minutenzeiger meiner Uhr.
Oderberg – Deutschland – mein Deutschland!