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Gefangen

Eine qualmende, zylinderlose Lampe erhellt spärlich den Verschlag. Ab und zu huscht ein Mondstrahl durch das Fenster und läuft blinkend über den Stahl eines Kosakensäbels,, dessen Träger neben meiner Strohhütte steht. Ein zweiter Kosak mit gezogenem Säbel im Türrahmen. Den dritten höre ich draussen vor dem Fenster. Wenn nur der dumme Beinschuss nicht wäre! Morgen bringen sie mich weiter, immer weiter – nach Sibirien? Gleichgültig wohin, jedenfalls weiter, von der deutschen Front fort. Verdammtes Schicksal! Nur nicht denken!

Wäre es doch ganz dunkel, und könnte ich schlafen! Umsonst, die Wunden brennen, der Kopf schmerzt. Fühlbar, fast physisch klopfen die Gedanken gegen die gebrochene Stirn. Immer dieselben: Gefangen, ausgeschaltet, vorbei! Ekelhaft.

Gefangenschaft – damit rechnet ein anständiger Soldat nicht. Das gibt's nicht. Er wehrt sich und denkt nicht, wie es sein könnte. Und nun ist sie da! Aus blitzblauem, wolkenlosem Himmel heruntergefallen, zweitausend Meter hoch patsch auf die Erde, mitten hinein in Russenhände. Und die halten gut. Drei Säbel wachen um mich mit blanken, höhnischen Augen.

Es ist wie ein dicker Strich unter alles – Gefangenschaft! Etwas hat aufgehört, das gestern noch war, ist weggerückt, weit weg, mit einem riesigen, dröhnenden Sprung.

Die Erinnerung versucht noch mit erlahmenden Fingern sich ah etwas anzuklammern. Es bleibt nichts, rein nichts. Ein dumpfes, dröhnendes Loch im Schädel, in das langsam etwas Neues, Widerliches, Unbestimmtes klettert, mit Ketten klirrend. Eine neue Vorstellungswelt, die einen zu einem ganz anderen Menschen machen wird, einem automatisch funktionierenden Produkt der boshaften Blödigkeit russischer Gefangenenwärter.

Wie war das gekommen? Das andere lag ja schon zu weit hinten, das Gestern. Aber das Heute?

Der Propeller rasselt durch die kalte, blaue Herbstluft. Die Maschine fliegt ruhig. Zwei Bomben verschwinden im Fernrohr. Zwei schwarze Striche, die gleich hineinfahren ins russische Magazin, explodieren. Da – kurz hintereinander Feuer und Rauch. Deutsches Eisen arbeitet. Fliegers Gruss. Die Russen krabbeln durcheinander wie aufgestörte Ameisen.

Mein Pilot grinst – er grinst immer, wenn unsere Eier ins Nest gefallen – beschreibt einen grossen Bogen. Kleine Lämmerwölkchen, niedliche kleine Wölkchen, die platzen. Sie schiessen nicht. Ruhiges, angenehmes Arbeiten heute.

Das Ziel rückt wieder ins Fernrohr. Langsam kommt das Magazin in den berechneten Teilstrich. Die Hand ruht am Bombenabzug. Ein harter Stoss reisst mir den Abzug aus der Hand. Es kracht – laut, hart. Dann unheimliche Stille. Der Propeller fliegt weg, wie abrasiert. Der Motor schiebt sich zwischen die linken Tragdecks. Dann stürzt mir Benzin und Öl ins Gesicht, verschmiert die Brille. Ich sehe nichts, fühle nur, die Maschine schwankt und rutscht. In den Spanndrähten pfeift es, schrill, gellend.

Endlich habe ich die Brille herunter. Mein Pilot steuert wild. Die Maschine reagiert nicht – rutscht, rutscht über den Schwanz ins Bodenlose. Jetzt sehe ich ein Gesicht dicht vor mir, bleich, aber hart, mit ruhigen, entschlossenen Augen. Volltreffer, Volltreffer! brüllt mein Pilot und steuert wild.

Gellend pfeifen die Drähte. Der Tod reitet meine Maschine. Zum sechstenmal, denke ich und schaue hinunter. Wie ein Riesenball jagt die Erde auf uns zu. Wie der Ball wächst!

Komisch diese Ruhe in mir, als hätte ich keine Nerven. Gewohnheit und absolute Machtlosigkeit. Als ob es mich nichts angeht. Wie ein unbeteiligter Zuschauer im Theater sitze ich und schaue auf den heransausenden Ball. Ich denke: Ob der Tod das Letzte ist? Gleich kommt der Aufprall, Krachen, Splittern. Ob ich gleich tot bin oder davonkomme wie die anderen Male? Gesichter huschen vorbei, eines besonders, und neben diesem meins. Der Lebensfilm rollt ab.

Das gelle Pfeifen ist weg. Die Maschine rutscht nicht mehr, hat sich gefangen, gleitet, Vorsichtig dreht mein Pilot über den linken Flügel den deutschen Stellungen zu. Ein Blick auf den Höhenmesser. Eine Lähmung rieselt durch den Körper, eine kalte Faust presst das Herz. Blitzartiges Begreifen. Auf dem Höhenmesser steht es deutlich: Gefangenschaft. Bei sechzehn Kilometer Entfernung und nur fünfzehnhundert Meter Höhe – siebenhundert sind wir abgerutscht – kommen wir mitten in die russischen Stellungen, wenn der schwankende Gleitflug der zerschossenen Maschine nicht schon hinter den Stellungen endet. Ich brülle meinem Piloten zu: Wende 'n! und zeige rückwärts auf die dichten Wälder. Er versteht ebenso wie ich das unerbittliche Sinken der Nadel im Höhenmesser, begreift, dass ich hinter den Stellungen auf dem Walde aufsetzen will und dann durchschlagen zur Front Mit dem Kopf weist er auf das zerschossene rechte Tragdeck, das auf und ab schlägt wie ein Pappdeckel im Winde. Brave deutsche Arbeit! Wird es abbrechen? Eine grosse Neugierde ist in mir.

Während die Maschine gleitet, nehme ich den Karabiner zu mir in den Sitz, lege meinem Führer die Flugzeugpistole auf den Schoss, stopfe Patronen in seine Taschen, probiere das Maschinengewehr – Tack, tack, tack, – alles in Ordnung zum Kampf! So leicht sollen sie uns nicht kriegen, die da unten, die wohl schon lange Hälse machen in ihren Schützengräben.

Die Nadel im Höhenmesser sinkt, langsam, unerbittlich. Wir sind nicht mehr weit von den Stellungen. Unten jagen Kosaken auf kleinen Pferden, schiessen aus dem Sattel.

Maschine erleichtern, Bomben über Bord. Mit der Kraft der Selbsterhaltung reisse ich die Drahtsicherungen durch. Bums, zwei, sechs Bomben fliegen über Bord. Wir sind ganz niedrig. Man hört die Aufschläge. Über den russischen Stellungen – noch zwei hinein – rums, rums. Unter uns, ein paar Meter nur, stehen die Russen in den Gräben. Kugeln pfeifen – ps, ps, pst. Ein Maschinengewehr tackt. Prasselnd schlagen die Kugeln ein, reissen Fetzen aus den Tragdecks. Jetzt komme ich dran, ihr da unten! Ich fasse mein Maschinengewehr, ziele ruhig.

Ein harter Aufprall. Das Maschinengewehr wird mir aus den Händen gerissen. Ich mache einen Satz, höre splittern. Etwas Schweres, Hartes fällt auf meinen Kopf, deckt ihn ganz zu, drückt das Licht aus, das Leben. Ich weiss nichts mehr.

Jemand ruft meinen Namen, ganz fern. Ich will schlafen. Man zerrt mich. Etwas Schweres lastet auf mir. Über die Augen rinnt Blut.

Volck, Volck, rasch, rasch! Das ist mein Pilot. Er zerrt, das Schwere ist fort, ich liege, vor der Maschine. Kugeln schlagen ein, hageldicht, Dreck spritzt. Herrgott, wir sind ja bei den Russen.

Ich springe auf, wische das Blut aus den Augen. Die rechte Brustseite schmerzt, da lag das Schwere drauf vorhin. Jetzt kommen sie aus den Gräben, braungraue Kerle mit angelegten Gewehren. Ich suche meinen Karabiner, meine Pistole – fort, unter der zertrümmerten Maschine begraben.

Anzünden, rasch, rasch! rufe ich meinem Piloten zu. Die Streichhölzer sind weg, die Leuchtpistole unter der Maschine. Benzin und Öl ausgelaufen. Es geht nicht.

Nun aber fort! Rasch orientiere ich mich. Die Maschine liegt hart vor dem russischen Drahtverhau. Wir müssen durch den Sumpf, etwa tausend Meter bis zu den deutschen Stellungen. Die braungrauen Kerle werden mehr, kommen immer näher, etwas Brennendes fährt über meine Hand – Streifschuss.

Jetzt laufen wir, laufen und fallen, springen auf, versinken bis über die Knie im Sumpf. Die Kugeln pfeifen um die Ohren, der Atem geht kurz. Immer muss ich das Blut aus den Augen wischen. Ich werfe den schweren Pelz ab, laufe und falle, falle und laufe. Mein Pilot läuft links von mir. Dicht hinter uns keuchen die Russen. Der Atem geht pfeifend durch die zusammengebissenen Zähne. Ich habe Blutschaum vor den Lippen, die Brust schmerzt rasend, dort, wo das Schwere draufgelegen.

Nur hundert Schritte noch, und wir sind im Wasser, schwimmen durch den Fluss, zu den Unseren. Plötzlich braune Kerls vorn, direkt auf mich zulaufend. Einen renne ich um, ein harter Schlag trifft mein linkes Bein. Ich fliege hin, patsch, mit dem Gesicht in den Schlamm. Der Mund ist voll Sand.

Auf mir knien Russen, drücken meinen Kopf auf die Erde, biegen meine Arme auf den Rücken. Ich liege ganz still, denke nichts. Dann werde ich hochgerissen. An jedem Arm ein brauner Kerl, werde ich zurückgeschleppt. Ich kann nicht laufen, muss einen Schuss haben. Jetzt schleppen sie mich; schleifen mich wie einen Lappen auf eine Gruppe von Russen zu. Wie die Kerls schreien: »Bombi, bombi!« Aha, jetzt werden sie dich gleich' kaltmachen; nur fix, bitte, ehe es weitergeht, in die Gefangenschaft.

Eine Pfeife schrillt, ein grosser, bärtiger Kerl mit einem Säbel springt auf die Soldaten zu, schimpft. Wahrscheinlich ein Offizier.

Warum erschlägt man mich nicht, ich habe doch Bomben geworfen? Eine grosse Verwunderung ist in mir. Man schleift mich weiter in ein Bahnwärterhaus. Ein Offizier reisst meine Orden ab. Im Nu bin ich ausgezogen, sinke auf eine Bank.

Dann geht die Tür auf, mein Pilot wird hereingestossen, bleich, so bleich, mit traurigen Augen. »Sind Sie verwundet?« fragt er. Ja, richtig – die Nase ist kaputt, die Stirn, rechts Rippen, der Beinschuss. Nun sind die Schmerzen wieder da. Ich verliere viel Blut. Die braunen Kerls verschwimmen. Nach etwa zwei Stunden, nachdem ich mich mehrmals an einen französisch sprechenden Offizier gewandt, kommt ein Russe, macht mir Notverbände. »Nitschewo«, sagt er, »nitschewo« (»nichts«). Es ist ja auch nichts gegen das andere, das Gefangensein.

Ein Offizier kommt, fragt: »Zigarri?« und weist aus dem Fenster in den Sumpf, wo die Maschine liegt. Draussen Explodieren von Geschossen. Unsere Artillerie schiesst auf die Maschine.

Mein Pilot sagt: »Der Kerl will Zigarren haben, soll er sie sich holen, vielleicht kriegt er eins ab von den deutschen Granaten,« Dem Russen sagt er: »Ja, ja!« und weist aus dem Fenster. Nach ein paar Minuten ist der Russe wieder da, macht ein trauriges Gesicht, sagt: »Nic zigarri, artilleria!« Ich muss lachen.

Stunden vergehen, Wir bekommen die Kleider wieder und vierzig Mark, die ich bei mir hatte. Sonst nichts. Ich wühle in den Taschen – leer. Ich bitte um die Photographien. Die wenigstens möchte ich mitnehmen in die Gefangenschaft. »Njet!« (»Nein!«) Das macht mich sehr traurig.

Draussen hebt man mich auf einen Wagen, den Offiziere umdrängen. Man photographiert uns. »Bitte, rrecht fr–eindlich«, sagt einer und hält mir seinen Apparat unter die Nase.

Rüttelnd setzt sich der Bauernwagen in Bewegung. Mehrere Kosaken um den Wagen. Hinten geht mein Pilot. Ich liege ganz still und schaue in die untergehende Sonne. Eine tiefe Traurigkeit ist in mir. Dort im Westen warten sie auf mich, mein Bursche steht auf dem Landungsplatz wie immer, sucht ängstlich den Himmel ab. Und weiter im Westen ist Deutschland. Ob ich es wiedersehe?

Durch die Sonne zieht ein Strich. Er wächst, wächst sich aus zu einem deutschen Flugzeug. Jetzt erst fühle ich, dass ich gefangen bin. Noch lange habe ich in die roten Abendlichter über dem schwarzen Moor geschaut – lange noch, als die Sonne schon fort war und mit ihr der Flieger.


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