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In der Mongolei

Eine Hochebene breitete sich in die mongolische Nacht, die übergrosse Sterne hatte. Kein Baum, kein Strauch, nichts. Nur ein eisiger Wind, der über die Steppe winselte.

Jetzt hatten wir nur trockenes, gefrorenes Brot. Keinen Tee, selten Wasser. Aber Russland lag hinter uns, Sibirien hatte uns freigegeben, das uns so lange gehalten.

Wir waren ganz frei. Aber halt, die Kosaken, die tief in der Mongolei reiten, Vieh treiben und Deserteure fangen, manchmal auch Kriegsgefangene!

An den Telegraphenstangen tasteten wir uns entlang, bis der erste mongolische Morgen kam. Er hatte kein Morgengrauen, blendete so plötzlich, dass wir erschraken. Rot fuhr er auf, mit Opalfarben, wie ich sie nur einmal auf einem Bild gesehen, das man in Europa für unmöglich hielt.

Grau, endlos breitet sich die Steppe. In einem Friedhof ist nicht so viel Bangen wie in dieser grauen Fläche ohne Anfang, ohne Ende. An keine Erhöhung kann das Auge sich anklammern, an keinen Baum, kein Haus. Das Auge wird erst ruhelos und krank im Suchen und dann ganz, ganz still.

Die Zeitrechnung hatten wir als europäischen Luxus beiseite gelegt. Hier gab es keine Stunden und Tage. Nur Sonnenaufgänge und -untergänge mit Opalfarben.

Bald mussten wir zum Tataren kommen, der auf uns wartete. Wir würden ausschlafen, würden ein Dach über dem Kopf haben, essen, viel essen und trinken aus einem summenden Samowar. Dann weiter mit frischen Pferden, viele Tage durch wasserlose Wüste, in der es keinen Kosaken gab, und dann China.

Ein Morgen brachte die erwartete Überraschung, stellte mehrere Häuser und Bäume in die Steppe.

Die Pferde krochen in den Hof des Tataren. Es war höchste Zeit, sie hatten lange nichts gefressen und hingen in den Geschirren, nur halbe Kadaver.

Der Hof erwachte. Ein Hahn krähte. Einige junge Männer in Schafpelzen standen vor einer offenen Stalltür – Russen?

Plouhar sprach etwas über die geschlossenen Fensterläden, warum die noch zu sind? Ich war zu müde zum Denken, schirrte die Pferde los und nahm Heu aus einer Miete. Eine dicke Mongolin sah mich sonderbar an. Ich ging hinter Plouhar ins Haus. Im Zimmer war ein warmer Ofen, ein summender Samowar, ganz wie wir geträumt. Während ich mich aus den Pelzen schälte, sprach Plouhar mit einer Frau, die am Herde stand, neben ihr die dicke Mongolin, die uns nicht aus den Augen liess.

Mit unruhigen Augen kam Plouhar zu mir: »Der Tatar ist verreist, die Frau erkennt mich nicht.«

Etwas lag in der Luft, das die Freudigkeit des Geborgenseins nahm. Das frische Brot schmeckte nicht. Warum nur?

Die Mongolin ging mit mehreren Broten hinaus. Plouhar sprach rasch auf die Tatarenfrau ein. Erinnern kam in ihr Gesicht, dann starrer Schrecken.

»Mein Gott, gehen Sie weg, um Gottes willen, gehen Sie, ich arme Frau. Auch das noch. Man wird mich einsperren, wie man vor drei Tagen meinen Mann eingesperrt hat wegen Schmuggels und Fahnenflucht. Sechs Kosaken mit einem Agenten suchen noch nach Schmugglerwaren. Gehen Sie, rasch, bitte, bitte.«

Das also lag in der Luft, und die Männer auf dem Hof waren Kosaken. Ihre Uniformen hatte ich unter den Schafpelzen nicht gesehen.

Im Handumdrehen war Plouhar im Pelz, hatte die Tür in der Hand: »Ich laufe zum Burjäten, der uns führen soll, hinter den Bäumen in der Jurte. Spannen Sie an und kommen Sie nach!«

Weg war er. Ich schirrte die Pferde an, die hungrig frassen. Hier gab, es nichts zu denken, nur rasch handeln.

Als ich meinen Pelz aus der Stube holen ging, sass da ein Mann in Zivil und sagte freundlich: »Guten Tag!«

Wer war das? Nur ruhig und hübsch herausreden.

Er schob mir einen Stuhl und ein Glas Tee hin. Ich setzte mich und tat harmlos.

Dann fragte er, was ich hier täte. »Aha, Felle handeln Sie! Woher kommen Sie denn?«

»So, aus Irkutsk!«

Ich weiss nicht, was ein Kreuzverhör ist, das aber war bestimmt eines. Alle Fragen konnte ich beantworten: wo die Stapelplätze für Häute sind, wieviel sie kosten. Ich nannte möglichst alle passierten Ortschaften und Namen, die ich kannte,. Famos. Innerlich rieb ich mir schon die Hände. Da stolperte ich. Der Fremde hatte mir eine harmlose, dumme Frage vorgeworfen.

»Wieviel kosten Wolfsfelle? So, das wissen Sie nicht. Dann sind Sie auch kein Pelzhändler. Darf ich mal Ihre Pässe sehen? Wie sind sie eigentlich über die Grenze gekommen?« In seinem Gesicht war nichts Harmloses mehr, nur Spott. Der Agent, jetzt wusste ich, dass er es war, stand auf, zog einen Tischkasten auf, nahm einen blinkenden Revolver heraus und steckte ihn in die Tasche.

»Einen Augenblick«, sagte er und verschwand durch die Tür.

Am Ofen lehnte bleich, mit erschreckten Augen die Tatarin und sagte: »Jetzt ist es aus«.

Ich wusste, dass es aus war, aber noch nicht ganz, noch hatten sie mich nicht!

Vorhin, draussen, merkte ich, dass ich meine Handschuhe im Hause gelassen. Als ich wieder zurückging, trieben vier berittene Kerle Plouhar und Iwan mit Nagaikas in den Hof.

Die hatten sie also schon.

Jetzt, im Zimmer, stürzte ich sofort an ein rückwärtiges Fenster. Verdammt – – vernagelt und verklebt.

Die Tür knarrte und wurde eine Handbreit geöffnet.

»Hände hoch!«

Vier Gewehrläufe starrten im Türspalt. Ich rührte mich nicht.

»Hände hoch!«

Schiesst doch, ihr feigen Bestien, die Hände nehme ich nicht hoch.

Nochmals kam das Kommando: »Hände hoch!«

Ich sah nur die vier Gewehrläufe, die schluchzende Tatarin am Ofen und dachte: Jetzt werden sie wohl schiessen.

Es war ja so gleichgültig, jetzt, wo doch alles vorbei ist. Ich stand ruhig und schaute in die Gewehrmündungen.

Da ging die Tür ganz auf, der Agent kam herein, setzte mir die Mündung seines Revolvers auf die Stirn und knurrte: »Hände hoch!«

Wie kalt die Mündung war.

Als der Revolverhahn knackte, gingen meine Hände hoch. Ich wollte nicht – aber die Vernunft siegte.


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