Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als Spion verfolgt

In einem Perserbade bestrich ein einäugiger Perser unsere nackten Körper mit grünem klebrigen Schlamm, zehn Minuten schwitzten wir und mussten uns dann auf eine Marmorbank legen. Der Einäugige scheuerte mit einem rauhen Lappen den grünen Klebstoff wieder ab. Ich musste lachen, denn der Doktor hatte kein noch so kleines Härchen auf dem ganzen Körper, ich natürlich auch nicht. Wie frisch geschlachtete, abgebrühte und geschabte Schweine sahen wir aus. So geht der Perser zweimal im Monat dem Ungeziefer zu Leibe. Nach wortreichem Schimpfen mit dem Einäugigen um ein unverschämtes Trinkgeld gingen wir in ein Mohammedanerhotel, in dem dicke Wanzen an den Wänden krochen.

Während Hassan den Offizier und angeblichen türkischen Spion suchte, tranken wir in einem persischen Teehaus eine Unzahl winziger Gläser übersüssten, stark duftenden Tees und lutschten an den Schläuchen einer türkischen Wasserpfeife. Wir waren wieder ganz vergnügt, lag doch eine wenn auch noch so unsichere Möglichkeit vor uns, ans Ziel zu gelangen. Hassan kam freudestrahlend zurück. Er hatte den Offizier in einem der ersten Hotels aufgestöbert und unseren Besuch für morgen neun Uhr angesagt.

Um neun Uhr verschwand Hassan im Hotel, während wir in der noch menschenleeren Strasse auf- und abgingen. Bald erschien er mit einem untersetzten Kosakenoffizier: Donnerwetter, fuhr es mir durch den Kopf, ein Baikalkosak, wie sie mich damals in der Mongolei fingen!

Der Offizier musterte uns unauffällig, aber scharf vom gegenüberliegenden Bürgersteig. Hassan kam zu uns herüber, und wir gingen in eine Milchwirtschaft frühstücken. Ich sass so, dass ich Tür und Fenster übersehen konnte. Ein unbestimmtes Gefühl zwang meine Augen nach der Strasse.

Da – der Kosakenoffizier ging langsam an der Milchwirtschaft vorbei, ein-, zwei-, dreimal. Den Bruchteil einer Sekunde nur sah ich seine Augen, und mir schien, als wollte er sich unser Bild genau einprägen. Warum war er uns gefolgt?

Hassan teilte inzwischen das Ergebnis seiner Unterredung mit: »Der Offizier fordert vierhundert Rubel, um Soldatenpässe zu beschaffen, und schickt euch dann mit seinem Diener über Eriwan in den Frontabschnitt seines Regiments. Einmal beim Regiment, kommt ihr leicht durch die Posten durch.«

Wir sahen sofort, dass dies leere Versprechungen waren, die vierhundert Rubel waren direkt eine Erpressung, und überhaupt hatten wir mehr gefühlsmässig, als dass wir es uns beweisen konnten, eine unangenehme Ahnung und beschlossen, sehr vorsichtig zu sein.

Zu dem vom Kosakenoffizier für nachmittags um fünf Uhr bestimmten Treffpunkt schickten wir Hassan allein. Schon das hierzu gewählte Lokal war höchst ungeeignet und gefährlich, das mondänste Kaffeehaus von Tiflis, in dem von fünf bis acht Uhr die vornehme Welt bei Musik flirtete.

Nein, solche Tölpel waren wir nicht, uns in der »Tasse Tee«, (so heisst das Restaurant) zum Gaudium des Publikums verhaften zu lassen.

Hassan kam bedrückt zurück: »Der Offizier verlangt sofort die vierhundert Rubel.«

Wir sassen schon in der Tinte, der Schuft kannte unsere Gesichter und Kleider. Das mindeste, was uns drohte, war eine Erpressung, wenn der Erpresser nicht noch weiterging und sich die Fangprämie für entflohene Offiziere verschaffen wollte.

Nach einer unruhigen, von Gedanken und Ungeziefer durchquälten Nacht schickten wir Hassan mit einem kleinen Lügennetz zum Kosakenoffizier. Da wir nicht so viel Geld hätten, wären wir noch gestern abend über die grusinische Heerstrasse zu Bekannten in den Nordkaukasus gefahren, um Geld zu holen.

So wurden etwaige Verfolger auf falsche Fährte gesetzt, und die Bahn nach Osten blieb frei.

Stunden schlichen wie mit Bleifüssen.

Ein Auto rattert vor dem Hotel, bleich und atemlos stürzt Hassan in unser Zimmer.

»Wir werden verfolgt, schnell ins Auto, ich bringe euch zu einem Verwandten aufs Land.«

»Wo wohnt dieser Verwandte?« fragt Reiss ruhig.

»Zwanzig Werst von hier an der grusinischen Heerstrasse.«

»Dann schick nur das Auto weg, bevor es zu viel Benzin frisst, die grusinische Heerstrasse wird wohl schon fein säuberlich gesperrt sein.«

Hassan schlägt sich vor den Kopf und entlässt das Auto. Der arme Kerl hat Tränen in den Augen: »Der Schuft, der Hundesohn, wenn ich ihn wiedertreffe, schicke ich seine Verräterseele zu Allah.«

Ich fragte Hassan: »Ist dir jemand hier gefolgt?«

»Nein, ich glaube nicht, das Auto ist schnell gefahren.«

»Aber wenn nun ein Verfolger die Nummer des Autos gesehen hat, das jetzt an seinen Standplatz zurückfährt?«

»Nein, nein, ich bin erst durch mehrere Strassen gelaufen, bevor ich in den Wagen sprang.«

»Gut, nun erzähle erst mal, was vorgefallen ist.«

»Ja, ich gehe also zu dem Hundesohn, dem Kosakenoffizier, und erzähle ihm euer Märchen. ›Gut‹, sagt er und fordert mich auf, ihn zu begleiten. Ich folge ihm ahnungslos und stehe plötzlich vor dem russischen Stabsgebäude. Der Hundesohn bringt mich zu einem Hauptmann, an dessen Zimmertür: ›Chef der Gegenspionage‹ steht. Der Hauptmann gibt mir freundlich die Hand und sagt: ›Du bist zwei ganz Geriebenen ins Garn gegangen, das sind keine entflohenen Offiziere, sondern deutsche Spione, gefährliche Brüder. Wir wissen schon, dass sie in der Festung Barum und im Truppenlager Sorokomüsch gewesen sind. Kennst du diesen da?‹ Er hält mir mehrere Photographien und Fingerabdrücke unter die Nase. Ein Mann mit Vollbart – Allah, denk' ich, das ist ja der Doktor. ›Wenn du uns hilfst, die beiden Spione zu erwischen, und ins russische Spionagebüro als Agent eintrittst, wird man dich nicht bestrafen, ausserdem bekommst du vierhundert Rubel.‹ Ich sagte natürlich zu und gab noch an, dass ihr gestern über die grusinische Heerstrasse nach Wladikawkas gefahren seid.«

Nur Glück, Ruhe und Frechheit konnten uns jetzt helfen. Es war nicht ausgeschlossen, dass die Photographien den Doktor darstellten. Damals, als man ihm nach seiner missglückten ersten Flucht im Zuchthaus den Spionageprozess machte, war er mehrmals photographiert und gemessen worden. Gefährlich war ausserdem, dass der Kosakenoffizier unsere Gesichter genau kannte und man Hassan wahrscheinlich durch andere Agenten beobachten lassen würde. Am Nachmittag brachte Hassan einen ihm als zuverlässig bekannten Tataren, der in den nächsten Tagen mit einem Wagen geschmuggelter Gewehre und Patronen in sein Dorf auf halbem Wege nach Baku abreisen wollte. Der Mann, der einen intelligenten und gewandten Eindruck machte, erklärte sich bereit, uns mit Hilfe des Tatarenkomitees über Schuscha nach Persien oder zum mohammedanischen Wohlfahrtskomitee nach Baku zu schicken.

Am Abend kam Hassan torkelnd nach Hause und lallte: »Ich habe meinen Kummer vertrunken und schwöre bei Allah und meiner toten Mutter, dass euch die Russenschufte nur über meine Leiche bekommen. Ich muss bald sterben, denn heute nacht habe ich von einem toten Hunde geträumt, und immer, wenn der tote Hund im Traum zu mir kommt, ist eine grosse Gefahr.«

Hassan wurde gefährlich. Er lief zu viel in den Strassen herum, und unsere Verfolger konnten auf seiner Spur zu uns gelangen. Wir liessen den Betrunkenen schlafen, packten unsere Kartoffelsäcke und baten den Tataren, uns irgendwo bei sicheren Leuten zu verstecken.

In einer grossen Warenhalle, unter Teppichen und Warenballen, fanden wir bei den Tataren in einem kleinen Zimmer einen Unterschlupf.

Tausend Wanzen quälten. In meinen Adern hämmerte Fieber, in meinem Gehirn gruben heisse Finger, dass ich wirre Worte lallte. Frost schüttelte mich und warf mich dann wieder in glühendes Fieber; die Sinne schwanden, die Kräfte wichen, so dass ich nur noch leise Fieberphantasien murmeln konnte.

Ich hatte Typhus, zwischen Teppichen und Ballen versteckt. Draussen suchten sie mich, ich glaube ihre eilenden Schritte zu hören – – jetzt, jetzt kommen sie – –

»Doktor, lassen Sie mich hier zu Ende machen und gehen Sie nach Hause.«

Mehrere halb besinnungslose Tage quälten in Fieberfrost und Hitze. Als mir besser wurde, war ich sehr erstaunt, noch zu leben. Kaum konnte ich die Arme heben. Ich war zu Haut und Knochen zusammengefallen – nur noch ein Schatten.

Der Tatar kam und brachte uns ins alte Tatarenhotel, in dem Hassan noch einmal total betrunken erschienen war und am nächsten Morgen als Zechpreller verschwand.

Wir sollten heute nach Osten fahren, aber aus dem Heute wurde ein Morgen und mehrere neue Tage. Schwach, mit matten Gliedern und wirren Gedanken, lag ich angekleidet auf dem Bett und kämpfte mit Chinin und Selterwasser gegen Fieber und Durst. Der Doktor war frühstücken gegangen.

Da schreckte mich ein Kellner aus meinen wirren Fiebergedanken: »Rasch fort, das mohammedanische Stadtviertel wird von zwei Kompanien und zweihundert Milizsoldaten abgesperrt.«

Schwankend, kaum fähig zu gehen, stolperte ich die Treppe hinunter und torkelte wie ein Trunkener an den Häusern entlang. Von weitem sah ich eine starke Patrouille mit gefällten Gewehren auf mich zu laufen. In alle Häuser drangen Patrouillen ein.

Durch eine wenig begangene Seitengasse, die der Zufall den Patrouillen hatte entgehen lassen, kam ich aus dem Mohammedanerviertel heraus. Ich stand jenseits der Absperrung und sah, wie jeder, der die Brücke passierte, seinen Pass vorzeigen musste, und wie Soldaten ihm die Taschen revidierten. Strassenbahnen wurden angehalten und das Publikum durchsucht.

Die Leute waren in wilder Erregung: »Spione, man sucht Spione.«

Matt und krank stieg ich in eine Elektrische, die das Mohammedanerviertel nicht berührte, und fuhr durch das Europäerviertel, immer herum, rundum.

Der Doktor? Wo war der Doktor? Hatten die Bluthunde ihn beim Frühstück verhaftet?

Da hatten sie aber nicht mit des Doktors scharfen Augen und schnellen Beinen gerechnet. Plötzlich ging er neben der Strassenbahn, als wäre nichts geschehen.

Nach vier Stunden wurde die Sperre aufgehoben. Statt der Spione hatte man nur Schmuggelware und einige Bomben gefunden.

Wir gingen ins Hotel und drängten den Tataren zur Abfahrt. Um allen Möglichkeiten vorzubeugen, warfen wir unsere Säcke auf einen Wagen, der die verpackten Gewehre und fünfunddreissigtausend Patronen zur Bahn bringen sollte.

Auf dem Wege zur Bahn lief uns Hassan in die Arme. Wässrige Trinkeraugen starrten aus einem von Alkohol entstellten Gesicht. Die zweihundert Rubel, die wir ihm als Belohnung gegeben, hatte er vertrunken. Er drehte seine leeren Taschen um und sagte weinerlich: »Der Kummer um euch, warum habt ihr euch vor mir versteckt? Traut dem Tataren nicht, der denkt nur an seine Gewehre, ich fahre mit euch.«

 

Als wir auf den Bahnhof kamen, war der Zug abgefahren. Der nächste ging in sechs Stunden. Hassan und Reiss trieben sich in den Strassen herum, während ich erschöpft und zusammengesunken im Wartesaal Vierter in einer Ecke auf dem Boden in Zigarettenstummeln, Schmutz und Spucke lag.

Offizierspatrouillen hielten jeden Passanten an und verlangten Pässe. Die Kontrollierenden hatten eine nervöse Hast.

Wen suchten sie?

Spionenjagd, natürlich – nur mich beachtete keiner, ich sah wohl zu krank und elend aus.

Der Zeiger der Bahnhofsuhr nickte unendlich langsam, Stunde um Stunde. Nachtschatten senkten sich, elektrische Lichter flammten auf. Immer noch wurden Pässe kontrolliert.

Der Tatar kam und kam nicht.

Ich schwankte hinaus und traf den Doktor und Hassan, die unruhig die vorbeifahrenden Wagen musterten – nichts – kein Wagen, auf dem unsere Säcke lagen, kein Tatar.

In einer Gosse, den Rücken an einem Prellstein, sass ich und wartete, bis der letzte Zug abgeläutet war.

Im Hotel erzählte der eingeweihte Kellner, dass der Tatar mitsamt seinen geschmuggelten Waffen kurz vor dem Bahnhof verhaftet worden war und hinter Schloss und Riegel sass.

Das war hart, sehr hart – unsere Sachen in den Händen der Polizei und als einzigen Helfer den vom Trunke niedergebrochenen Hassan!

Am nächsten Abend zwängten wir uns in einen überfüllten Zug. Als der Zug sich Baku näherte, stand eine riesige, rauchverhüllte Feuersäule über der Stadt. Irgendeine Petroleumgrube brannte.


 << zurück weiter >>