Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV.

Das Flehen und Stöhnen ringsum klang plötzlich gedämpft, wie im Schlafe.

Nun kam die seltsame kurze halbe Stunde der Stille, der Spannung, der unendlichen Ermattung und des leisen, unheimlichen Irreredens.

Der Widerhall des Irreredens schwebte über der Menge als ein stilles, erstickendes, unheimliches Dröhnen.

Der Wahnsinn war in allen Dingen, und die drei Kinder sahen durch den Nebel des Wahnsinns hindurch die grausige Gewißheit des Todes.

Die beiden Schwestern schluchzten schwer.

»Engel Gottes!« schrie jemand in der Nähe leise auf.

Die morgendliche Schlaftrunkenheit in der Menge halbzerdrückten Menschen wurde ab und zu von wilden Aufschreien der Verzweiflung unterbrochen.

Und wieder wurde es still, und über der Menge schwebte ein unheimliches dumpfes Dröhnen, das nicht die Kraft hatte, in den jubelnden Himmelsraum, zur unbeweglichen bösen Schlange der Höhen zu steigen.

Jemand schluchzte, und es klang wie wenn jemand in furchtbarer Pein stürbe.

Ljoscha hörte es und erriet sogleich, daß das Schluchzen aus Nadjas Munde kam.

Mühselig wandte er den Kopf zu ihr hin.

Nadja öffnete und schloß mechanisch ihre blauangelaufenen Lippen. Die Augen sahen nichts mehr, und das Gesicht hatte eine trübe leblose Farbe.


 << zurück weiter >>