Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

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XXIV.

Mitja stand am Ufer des schmalen, trüben Flusses, stützte sich mit den Ellenbogen auf das hölzerne Geländer und starrte mit gleichgültigen Augen vor sich hin. Eine ihm wohlbekannte Gestalt zog plötzlich seine Blicke auf sich. Er sah in der Ferne, jenseits des Flusses, seine Mutter gehen. Sie war aus der Nebengasse gekommen und ging auf die Brücke zu. Sie mußte gleich an ihm vorbeikommen. Als Mitja nicht nach Hause gekommen war, war sie in ihrer Angst in die Schule gelaufen. Man hatte ihr dort gesagt, daß er noch vor Unterrichtsschluß weggelaufen sei. Sie suchte ihn dann bei allen ihren Bekannten.

Mitja lief auf die andere Straßenseite hinüber und versteckte sich vor der Mutter in einem Torweg. Er drückte die Augen an eine Spalte im hölzernen Tor und wartete stumpf. Die Mutter ging vorüber. Sie hatte eine alte Jacke an und war in ein großes graues Tuch gehüllt. Ihr runzliges Gesicht, das sie halb zur Erde neigte, war unbeweglich und bekümmert . . .

Mitja fühlte schmerzliches Mitleid mit der Mutter. Was sollte er aber tun, als sich vor ihr verstecken?

Sie ging schnell und blickte starr und finster vor sich hin. Mitja kam aus seinem Versteck heraus, blickte der Mutter nach und lächelte blöde. Sie wandte sich nicht um und ging in die Ferne, die hinter dem Regenschleier wie im Dunste lag. Als sie im fernen feuchten Nebel verschwunden war, hörte Mitja auf, an sie zu denken, und vergaß sie gänzlich. Nur sein Herz brannte noch vor Mitleid.

Wieder bemächtigten sich seiner traurige Gedanken. Dort, wo es früher so friedlich und so still war und wo es jetzt so finster und kalt ist, sitzen sie tot einander gegenüber. Dunja hat die Hände im Schoß gefaltet und schaut aus weißen, blinden Augen. Die dünnen Lider können ihre Augen nicht mehr bedecken; so furchtbar ist sie abgemagert. Sie ist tot. Das Lämpchen vor dem Heiligenbilde brennt nicht mehr. Stille, Kälte und Finsternis herrschen auf dem Dachboden.


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