Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

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VI.

Von fieberhafter Erregung getrieben, erreichten sie bald die Brandwiese.

Aus der Ferne hörten sie schon das wilde drohende Tosen der Volksmenge, das ein unheimliches und doch süßes Grauen einflößte. Sie liefen durch die vom Nachtwinde stoßweise angetriebene Finsternis. Viele Menschen rannten, bald zurückbleibend und bald sie überholend, in der gleichen Richtung. Groß und klein, Männer und Weiber, Kinder und Greise. Die Jüngeren waren in der Mehrzahl. Alle waren von der gleichen Erregung ergriffen, die Stimmen klangen unnatürlich, und das Lachen schallte bald laut, und riß bald plötzlich ab.

Von der Straßenbiegung aus sahen sie plötzlich die ganze Brandwiese dunkel, von unheimlichem Lärm und Unruhe erfüllt, vor sich liegen.

Am Rande der Wiese brannten hie und da Feuer, und die Wiese selbst erschien daher noch dunkler.

Auch in der Ferne leuchteten Scheiterhaufen. Man sah sie aber einen nach dem andern qualmend erlöschen. Die Menge trampelte sie wohl nieder und zertrat mit den schweren Stiefeln ihre jäh aufsteigenden Flammenseelen.

Ein noch unheimlicheres, noch süßeres Grauen ergriff die Udojews. Die Angst flatterte irgendwo dicht hinter ihren zuckenden Schultern. Sie hielten sich aber tapfer.

Die Schutkins freuten sich über das Gedränge und über die bevorstehende Unordnung und Panik. Sie freuten sich, daß sie nachher interessante und amüsante Einzelheiten erzählen können würden.

Der ältere Schutkin blickte mit dummem Grinsen auf die dunkle, brausende Wiese und sagte mit unbegreiflicher Freude:

»Einen von den Schwächeren wird man heute sicherlich erdrücken. Sie werden es sehen!«

Die Udojews wagten aber nicht, an Tod und Unheil zu denken. Diese von der wogenden Menge bedeckte Wiese, und der Tod, – nein, das war unmöglich!

»Sicherlich wird man jemand erdrücken,« sagte eines der Schutkin-Mädchen mit seltsam veränderter Stimme.

Jemand lachte roh und freudlos auf. Das Lachen klang in der Dunkelheit unheimlich.

»Gewiß!« sagte Katja gleichgültig.

Plötzlich fühlten sie alle Langeweile. Es kam von der Dunkelheit und vom plötzlichen und gespenstischen Aufleuchten der Scheiterhaufen. Sie sahen um sich und lauschten und gingen ziellos weiter.

Den vom Widerschein der Scheiterhaufen beleuchteten, zum größten Teil jugendlichen Gesichtern und den sorglos lachenden Stimmen konnte man anmerken, daß es allen sehr lustig zumute war.

Die ganze Wiese war von stehenden, sitzenden und herumgehenden Menschen angefüllt.

Je tiefer die Udojews in die Menge eindrangen, um so mehr wurden sie von der Lust und Unruhe der Menschen angesteckt, die ihr gewohntes Obdach und ihre gewohnten Mauern verlassen hatten.

Nun war es auch ihnen lustig zumute. Viel zu lustig.

Die Schutkins trennten sich von ihnen und ließen sich nicht mehr blicken. Die Udojews stießen aber auf viele andere Bekannten, mit denen sie vergnügte Worte wechselten. Sie trafen sich in der Menge und trennten sich wieder.

Sie gingen immer vorwärts, vielleicht auch zur Seite, und die Wiese kam ihnen endlos vor. Es erschien ihnen so amüsant, daß sie immer neuen Gesichtern begegneten.

»Es ist ja furchtbar lustig hier. Man merkt gar nicht, wie die Nacht vergeht!« sagte Nadja, nervös gähnend und ihre schmalen Schultern zuckend.

Lange gingen sie so, ab und zu stehen bleibend, zwischen den Scheiterhaufen irrend, den fremden Gesprächen lauschend und oft ganz fremde Menschen ansprechend.

Anfangs schien es ihnen, daß sie auf irgendein bestimmtes Ziel zugingen und sich ihm immer näherten. Alles erschien ihnen bestimmt und zusammenhängend, wenn auch in ein unheimliches, doch süßes Grauen getaucht.

Nachher kam ihnen aber alles irgendwie abgerissen und zusammenhanglos vor, und sie fühlten sich von Fetzen zweckloser und seltsamer Eindrücke umschwärmt.


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