Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

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XXIX.

Die Mutter saß allein in ihrem Zimmer. Es dämmerte, und sie langweilte sich.

Irgendwo huschte ein Licht vorbei.

Wolodja kam herbeigelaufen, lebhaft und lustig, mit weit aufgerissenen, wilden Augen.

»Mutter, die Lampe brennt schon, wollen wir ein wenig spielen!«

Die Mutter lächelte und folgte ihm.

»Mutter, ich habe eine neue Figur erdacht,« sagte Wolodja erregt und stellte die Lampe auf. »Schau nur . . . Siehst du? Das ist eine schneeverwehte Steppe, es schneit, es ist ein Schneesturm.«

Wolodja hebt die Hände und legt die Finger zusammen.

»Siehst du? Da ist ein alter Wanderer. Er versinkt bis zu den Knien im Schnee. Es ist ihm so schwer zu gehen. Er ist allein im weiten Feld, und vom Dorf ist nichts zu sehen. Er ist müde; er friert und hat Angst. Er geht tief gebückt, denn er ist sehr alt.«

Die Mutter richtet Wolodjas Finger.

»Ach,« ruft Wolodja entzückt aus. »Der Wind reißt ihm die Mütze vom Kopf, fährt ihm durchs Haar und begräbt ihn im Schnee. Die Schneehaufen werden immer größer. Mutter, Mutter, hörst du es?«

»Er ist der Sturm . . .«

»Und er?«

»Der Alte?«

»Hörst du, er stöhnt!«

»Hilfe!«

Beide sind blaß und blicken auf die Wand. Wolodjas Hände zittern. Der Alte fällt um.

Die Mutter kam zuerst zur Besinnung.

»Und jetzt gehen wir an die Arbeit!« sagte sie.


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