Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

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XXIV.

Die Nacht vor einem Feiertag. Vor den Heiligenbildern brennen Lämpchen.

Es ist spät, es ist still. Die Mutter schläft nicht. Sie kniet im geheimnisvollen Dunkel des Schlafzimmers, betet und schluchzt wie ein Kind.

Ihre Zöpfe fließen auf das weiße Kleid herab. Ihre Schultern zittern. Sie hebt die Arme flehend zur Brust und blickt mit verweinten Augen zum Heiligenbild empor. Das Lämpchen schaukelt, von ihrem heißen Atem bewegt, leise und kaum wahrnehmbar an seiner Kette. Die Schatten schwanken und drängen sich in den Ecken, huschen hinter dem Heiligenschrein und flüstern etwas Geheimnisvolles. Eine hoffnungslose Sehnsucht ist in ihrem Flüstern, eine unergründliche Trauer in ihrem flüchtigen Huschen.

Die Mutter erhebt sich von den Knien, blaß mit weit aufgerissenen, seltsam blickenden Augen, und ihre Füße wanken.

Leise geht sie zu Wolodja. Die Schatten umdrängen sie, rauschen leise hinter ihrem Rücken, kriechen vor ihren Füßen, fallen, leicht wie Spinngewebe, auf ihre Schultern und stammeln, in ihre großen Augen blickend, etwas Unverständliches.

Vorsichtig tritt sie vor das Bett des Sohnes. So blaß ist sein Gesicht im Scheine des Lämpchens. Scharf umrissene, seltsame Schatten ruhen darauf. Man hört ihn gar nicht atmen, er schläft so ruhig, daß die Mutter Angst bekommt.

Von unbestimmten Schatten umdrängt, von unklaren Ängsten umweht, steht sie da.


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