Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

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XIV.

Wolodja gab sich noch immer Mühe, seine Aufgaben möglichst gut zu machen, er wollte die Mutter nicht durch seine Faulheit kränken. Aber er gebrauchte seine ganze Einbildungskraft dazu, um jeden Abend auf seinem Tische einen Haufen Dinge so aufzustellen, daß er einen neuen seltsamen Schatten auf die Wand warf. Er legte und stellte die Gegenstände immer um und freute sich, wenn an der weißen Wand Gebilde erschienen, in die er irgendeinen Sinn hineinlegen konnte. Er hing an den Schattenbildern mit großer Liebe. Sie waren für ihn nicht stumm, sie erzählten ihm etwas, und Wolodja verstand ihr Stammeln.

Er verstand, was der traurige Wanderer, der im Herbstregen mit dem Stecken in der zitternden Hand und dem Sack auf dem gebeugten Rücken durch die Landstraße ziehen muß, murrt.

Er verstand, worüber sich der schneeverwehte, in der Winterstille trauernde Wald beklagt, wenn seine Äste vor Frost krachen; was der schwerfällige Rabe auf der vor Alter grauen Eiche mit seinem Krächzen sagen will; worüber das lebhafte Eichhörnchen, vor der leeren Höhlung im Baume sitzend, trauert.

Er verstand, weshalb die alten heimatlosen, zerlumpten Bettlerinnen, im heulenden Herbstwind auf dem engen Friedhofe zitternd, zwischen schwankenden Kreuzen und schwarzen Gräbern weinen.

Vergessenheit und verzehrende Trauer!


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