Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Wie hat man doch so viel Gefahren
Vom kalten Eisen zu befahren!
Nie ist man frei von Ungemach;
Oft folgt noch eine Schlappe nach.

Hudibras.

 

Der beklagenswerthe Verlust an Menschenleben, den wir geschildert haben, fiel an einem Felsenriff, ganz in der Nähe des Kaps an der Küste von Galway vor, und zwar kaum vier Meilen von dem Schlosse und Landgute Mr. Rainscourt's entfernt.

M'Elvina hatte von einigen seiner Pächter früh am Morgen des Tages Nachricht erhalten, an welchem die dem Schiffbruch Entronnenen sich an das Land gerettet hatten. Die von dem atlantischen Ocean herwehenden Westwinde, welche an der Küste mit ungeheurer Wuth brausten, ließen in der Nähe des Ufers weder Pflanzenwuchs, noch irgend eine Kultur zu; hatte man aber die Hügelreihe hinter sich, welche gleichsam ein Bollwerk gegen den Sturm bildete, so traf man gutes und dicht bevölkertes Land. Die Einwohner jedoch waren über alle Beschreibung barbarisch und glaubten, auf Alles einen Anspruch zu haben, was von den zahlreichen Schiffbrüchen, die in dieser gefährlichen Gegend vorfielen, an das Land geworfen wurde. Daraus erklären sich die tragischen Ereignisse des Tages vollständig.

Sobald M'Elvina die Nachricht erhielt, daß Schiffe gestrandet seien, begab er sich auf das Schloß, um sich Mittel zum Beistande zu verschaffen, welche dort stets in Bereitschaft waren, und um von den Rainscourt'schen Leuten so viele als möglich aufzubieten. Dies erforderte jedoch einen kleinen Verzug, und Emilie, erschreckt durch die unvollständige Nachricht, welche sie erhalten hatte, beschloß in Begleitung Mrs. M'Elvina's und einer jungen Freundin, die während der Abwesenheit ihres Vaters auf Besuch bei ihr war, sogleich nach der Küste hinzureiten. Bei ihrer Ankunft auf den Hügeln sahen sie den Brand der Hütte und den darauffolgenden Kampf beider Parteien. Da Emilie die irischen Landleute kannte, ahnte sie sogleich die Ursache: sie eilte, im Vertrauen auf ihren Einfluß bei den Rainscourt'schen Pächtern, so schnell, als der Weg es erlaubte, den Hügel hinunter, und zwar so kühn und gewandt, daß ihre Begleiterinnen nicht gleichen Schritt mit ihr halten konnten.

Welch' ein Glück ihre Ankunft war, braucht kaum bemerkt zu werden, da die Engländer höchstwahrscheinlich bald der Raubsucht und Rache der Eingebornen zum Opfer gefallen wären.

»Kennen Sie mich, William?« flüsterte Emilie, welcher die Thränen über die Wangen hinunter liefen, während ihr Antlitz die Angst ihres Herzens kundthat.

Seymour drückte die kleine weiße Hand, die in der seinigen zitterte, und ein mattes Lächeln leuchtete auf seinem Gesichte; allein er war durch Emiliens Erscheinung zu sehr aufgeregt worden – das Blut strömte wieder aus der Wunde, seine Augen schloßen sich, und der Kopf sank ihm auf die Schulter herab, während er von dem starken Blutverluste ohnmächtig wurde.

»O Gott, erhalte ihn!« rief Emilie, ihre Hände ringend und ihre Augen zum Himmel empor hebend; dann sank sie in stummem und heißem Gebete nieder.

»Mein lieber M'Elvina, ich bin froh, daß du endlich gekommen bist,« sagte Susanne, in Thränen ausbrechend. »Weißt du, an wessen Seite Emilie kniet. – William Seymour ist es und stirbt.«

»Seymour!« rief M'Elvina, der so eben angekommen war; da er jedoch wußte, von welcher Wichtigkeit schnelle Hülfe sei, so ließ er sogleich den Korb mit den Stärkungsmitteln bringen, entfernte Emilie sanft, und nahm ihren Platz neben unserem verwundeten Helden ein.

Die Kleider wegstreifen, die Wunde untersuchen, sie verbinden, um fernerem Blutverlust vorzubeugen, und ihm etwas Wein einflößen, war das Werk einiger Augenblicke. Seymour, welcher nur ohnmächtig gewesen war, öffnete die Augen wieder, und bald äußerte M'Elvina's Geistesgegenwart ihre guten Wirkungen.

»M'Elvina – oder nicht? – War nicht Emilie da?«

»Ja, mein lieber Junge; aber halten Sie sich jetzt nur ruhig; Ihre Wunde scheint mir nicht gefährlich.«

»Ich befinde mich jetzt besser, M'Elvina, weit besser; aber ich muß Emilie sehen.«

M'Elvina hielt es für räthlich, seinem Wunsche nachzugeben, und kehrte zu seiner Gattin zurück, die sich mit der ohnmächtigen Emilie beschäftigte. Er ließ ihr ein Glas Wasser geben, versicherte, Seymour's Leben sei in keiner Gefahr, wenn er nicht zu sehr aufgeregt würde, nahm ihr das Versprechen ab, daß sie so wenig als möglich reden wolle, und führte sie zu dem Verwundeten, worauf ein Zwiegespräch folgte, das auf beide höchst belebend wirkte.

Ihr Aerzte, die ihr den Menschen in allen seinen noch so verborgenen Theilen untersucht, die ihr das Mineral- und Pflanzenreich nach Heilmitteln durchforscht, wann werdet ihr einen so heilsamen Balsam, ein so kräftiges Specificum, ein so plötzlich wiederbelebendes Elixir zu Stande bringen, wie – die Freude?

M'Elvina hatte indessen Anstalten zur Fortschaffung der Verwundeten getroffen, und an die Uebrigen Nahrung und Lebensbedürfnisse austheilen lassen. Als er die traurigen Trümmer der Hütte erblickte und ihm der Hochbootsmann die tragischen Vorfälle des Tages erzählte, kannte seine Entrüstung keine Gränzen mehr. Sieben Franzosen, fünfzehn Engländer und acht Irländer waren lebendig verbrannt, auch drei Engländer und fünf Irländer im Kampfe getödtet worden, so daß, abgesehen von den Verwundeten, an diesem unglücklichen Morgen achtunddreißig Menschen das Leben verloren hatten.

Die Irländer gehörten insgesammt zu M'Elvina's und Rainscourt's Pächtern. Er befahl ihnen, sich augenblicklich zu entfernen, und das furchtbare Wort Auswanderung donnerte in ihre Ohren. Jetzt fielen sie, mit Jammern und Flehen, dabei aber unter so ungeschlachten und possierlichen Geberden auf die Knie, daß die englischen Matrosen, welche die Scene mit ansahen, beinahe in ein Gelächter ausbrachen.

»Ich will verdammt sein, wenn das nicht ein schnurriges Bettelpack ist,« rief einer der englischen Matrosen.

»Ja, das sind sie,« bemerkte Conolly; »entweder lauter Honig oder lauter Weinessig – jetzt thäten sie euch Alles zu Liebe; wäre der Rum nicht gewesen, so hätte dieser traurige Vorfall nicht stattgefunden.«

Die Leichen in der Hütte übergab man, so wie sie da lagen, der Erde, und die vier Wände bildeten ein Mausoleum, in welchem alle Feindseligkeit verstummt war. Die Leichen M'Dermot's und der im Gefechte gefallenen Irländer wurden von ihren Freunden weggetragen, um geweckt zu werden. Auf M'Elvina's Befehl wurden die verwundeten Engländer von ihren früheren Feinden in eine kleine Stadt unten am Schlosse gebracht, wo sie wundärztliche Hülfe erhalten konnten. Seymour legte man auf eine Art Tragbahre, die man schnell für ihn verfertigt hatte – Emilie und ihre Gefährtinnen ritten ihm zur Seite; Mr. Hardsett und die andern Engländer folgten nach, und so ging der Zug den Hügel hinauf.

Nach zwei Stunden hatten Alle ihren Bestimmungsort erreicht, und Seymour, welchen der Wundarzt sogleich auf dem Schlosse untersucht, und seine Wunde für durchaus nicht gefährlich erklärt hatte, lag im Bette und schlief fest. Susanne und Emilie wachten bei ihm.

Debriseau, der seinen ehemaligen Freund M'Elvina erkannt, und aus seinem Aeußern und der Ehrfurcht, die man ihm erzeigte, geschlossen hatte, es müsse derselbe, seit sie sich getrennt, in seiner Laufbahn mehr Glück gehabt haben, als er selbst, gab sich, da ein Gefühl des Stolzes in ihm sich regte, nicht zu erkennen.

Daß M'Elvina, der nicht entfernt daran dachte, Debriseau an einem solchen Orte zu treffen, in der Eile des Augenblicks seinen früheren Genossen, der mit Staub und Blut bedeckt war und eher einem neuseeländischen Krieger, als irgend einem andern lebenden Geschöpfe glich, nicht erkannte, darüber darf man sich nicht wundern – und so schloß sich Debriseau den Engländern an und blieb bei ihnen in der Stadt, während M'Elvina und die Andern mit dem verwundeten Seymour den Weg nach dem Schlosse einschlugen.

Sobald die Wunde unseres Helden gehörig verbunden war und der Arzt sich günstig darüber geäußert hatte, ritt M'Elvina nach der Stadt herunter, um Anordnungen zur Unterbringung der englischen Matrosen zu treffen. Jetzt fragte ihn auch Mr. Hardsett, was man mit dem geretteten Franzosen anfangen solle.

»Wo ist er?« fragte M'Elvina.

Debriseau ward vor den Friedensrichter gefordert, und nachdem er sich von Staub und Blut gereinigt hatte, sogleich erkannt.

»Debriseau!« rief M'Elvina mit Verwunderung und einigem Mißvergnügen aus.

»Ja, er ist's, Kapitän M'Elvina,« erwiederte Debriseau mit Stolz. »Sie scheinen keine besondere Freude zu haben, daß Sie mit einem alten Bekannten wieder zusammentreffen.«

»Kapitän Debriseau, haben Sie die Güte, ein wenig mit mir auf die Seite zu gehen? Ich will mich offen gegen Sie aussprechen,« fuhr M'Elvina gegen den Guernseyer fort, als sie ferne genug waren, um von dem Hochbootsmanne und den Uebrigen nicht gehört werden zu können, »und will aufrichtig gestehen, daß mir, obgleich ich Ihnen alles Glück wünsche, unser Zusammentreffen doch keine Freude macht. Sie redeten mich Kapitän M'Elvina an – diesen Titel führe ich schon lange nicht mehr. Ich vertraute Ihnen einst das Geheimniß meines früheren Lebens an, und ich muß gestehen, daß mir damals gar nicht einfiel, meine Mittheilungen könnten Sie in den Stand setzen, mir später zu schaden. Ich will Ihnen jetzt meine Laufbahn seit der Zeit unserer Trennung zu Cherbourg kurz erzählen.«

M'Elvina schilderte hierauf mit wenigen Worten die Ereignisse, welche dem Leser bekannt sind.

»Urtheilen Sie also selbst, Debriseau,« fuhr er fort, »ob ich nach solchen Vorgängen aufrichtig hätte sagen können, es freue mich, Sie zu sehen – da Sie mich nicht nur durch Ihre Gegenwart an mein früheres Leben wieder erinnerten, sondern auch die Mittel besitzen, sobald Sie wollen, meine Freunde und Bekannte von Dingen zu unterrichten, die ich lieber selbst vergessen möchte.«

»Kapitän – verzeihen Sie – Mr. M'Elvina,« entgegnete Debriseau mit Würde, »ich will eben so aufrichtig sein, als Sie. Ich habe gegenwärtig keinen Sous, kein Hemd, und wenn ich gehe, so weiß ich nicht, wie ich das eine oder andere bekommen solle. Aber ich wollte lieber sterben, ja lieber – Sacristie – ich wollte lieber Accisebeamter werden, ehe ich das in mich gesetzte Vertrauen mißbrauchte – ehe ich Jemand, der stets mein Freund war, beleidigte, oder, was noch niederträchtiger wäre, aus Ihren Besorgnissen Vortheil zu ziehen suchte. Nein, nein, M'Elvina – Je suis Français, moi – Bah, wollte sagen, ich sei ein ächter Engländer: doch es thut nichts zur Sache, was ich bin– alle Länder sind gleich, wenn nur das Herz auf dem rechten Flecke sitzt. Ich wünsche Ihnen aufrichtig Glück zu Ihren günstigen Verhältnissen, und wüßte Niemand, der, meiner Meinung nach, des Glückes würdiger wäre. Jetzt, da ich gesehen habe, daß es Ihnen wohl ergeht, werde ich getrost in das Gefängniß wandern, und thun Sie mir ja nicht so großes Unrecht, zu glauben, daß ich je im Stande sein könnte, Sie auf irgend eine Art in Besorgniß zu versetzen.«

»Eine solche Antwort erwartete ich, Debriseau. Hätte ich eine andere erhalten, so würde ich keine Gefahr gescheut und Ihnen Trotz geboten haben; nichts hätte mich vermocht, Ihnen für Ihr Stillschweigen Geld anzubieten. Doch Ihr ehrenwerthes und männliches Benehmen macht mir Freude – Ehrlich währt am längsten, Debriseau. Ich kann und will Ihnen jetzt den Beistand, welchen meine Lage mir möglich macht, anbieten, und Sie können ihn annehmen, ohne daß einer von uns erröthen müßte. Es ist nicht nöthig, daß Sie in das Gefängniß wandern. Ich fertige als Friedensrichter die Listen aus, und da Sie ein englischer Unterthan sind, kann ich Ihre Weglassung verantworten. Wir sind hier zu weit von der Welt entfernt, als daß man deßwegen Nachfrage zu befürchten hätte. Und sagen Sie mir offen, was ich Ihnen für einen Dienst erweisen kann; denn meine Börse und mein Einfluß steht Ihnen zu Gebote.«

»Nun denn, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich bin am Lande zu nichts tauglich und muß wo möglich wieder ein Fahrzeug bekommen.«

»Doch hoffentlich kein Schmuggelfahrzeug?« erwiederte M'Elvina ernst.

»Ich würde allerdings einem solchen den Vorzug geben, zumal das Schmuggeln kein unehrliches Geschäft ist, wenn ich mich Ihrer Beweisgründe recht erinnere,« antwortete Debriseau lächelnd. »Denken Sie noch an den Abend, an dem Sie mir dieß begreiflich machen wollten?«

»O, noch sehr gut,« sagte M'Elvina; »aber ich habe den Gegenstand seither wieder in Erwägung gezogen, und muß noch eine kleine Bemerkung hinzufügen, vor welcher die ganze Theorie nicht Stich hält – die Bemerkung nämlich, daß, wenn andere Leute schlecht handeln, dieß kein Grund ist, daß wir es auch thun dürfen. Wäre dem so, so würde es bald keine Tugend und Ehrlichkeit mehr in der Welt geben. Ich scheine Ihnen vielleicht allzu gewissenhaft; aber es ist meine aufrichtige Meinung. Können Sie nicht auf sonst Etwas denken?«

»Nun, ich würde auch nichts dagegen haben, einen schönen Kauffahrer kommandiren zu dürfen, wenn ich einen solchen bekommen könnte.«

»Das können Sie,« erwiederte M'Elvina; »und überdieß sollen Sie auch, zu Ihrer größeren Unabhängigkeit, Mitrheder werden. Betrachten Sie dieß als abgemacht, und jetzt erlauben Sie mir, Ihnen die Mittel anbieten zu dürfen, mit mehr Anstand auftreten zu können – vermuthlich ist der lederne Sack leer.«

»Bah, schon lange. Als ich mein Fahrzeug verloren hatte, machte ich mich an Mademoiselle Picardon; ich dachte, das wäre keine so schlimme Spekulation; allein sie vergaß es mir nie, daß ich ihren schmutzigen Hund die Treppe hinuntergeworfen – die kleine Bestie!«

»Ah, Sie vergessen eine von meinen Bemerkungen,« erwiederte M'Elvina lachend – »›Liebst du mich, so liebe auch meinen Hund.‹ Haben Sie die Gefälligkeit, dieses anzunehmen; und Debriseau (Sie werden verzeihen), es wohnt in dieser Straße ein vortrefflicher Barbier. Au revoir


 << zurück weiter >>