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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Er fiel und todesblaß
Haucht' er die Seele aus.

Milton.

 

»Kommen Sie hieher, Mama,« sagte Emilie, die aus dem Fenster eines Wirthshauses an bei Landstraße sah, wo ihre Mutter angehalten hatte, um einige Erfrischungen einzunehmen. – »Sehen Sie doch, was für eine schöne Dame in dem Wagen sitzt, der so eben vor der Thüre hält.«

Mrs. Rainscourt gab der Bitte ihrer Tochter Gehör, und erkannte bald die Richtigkeit der Bemerkung, als sie das ausdrucksvolle Gesicht Susannens (jetzt Mrs. M'Elvina's) erblickte, welcher ihr Gatte den Vorschlag machte, daß sie aussteigen und ein wenig sich erholen sollte. Susanne willigte ein, ebenso der alte Hornblow, welcher, die Uhr aus seinen weißen Kasimirbeinkleidern herausziehend, erklärte, daß man jetzt anhalten und zu Mittag speisen müßte. »Die Landluft macht entsetzlich hungrig,« sagte der alte Mann; »ich darf wohl sagen, einen solchen Appetit halte ich niemals in Cateatonstreet. Liebe Susanne, bestelle etwas, das man nicht erst lange zu kochen braucht, etwa Beefsteak, wenn sie sonst nichts über dem Feuer haben.«

Mrs. Rainscourt, der das Aeußere M'Elvina's, sowie seiner Gattin sehr gefiel, sagte: »Ich möchte doch wissen, wer sie sind!« Ihr Kammermädchen, das sich im Zimmer befand, betrachtete diese Worte als einen Wink, sowohl ihre eigene Neugierde, als die ihrer Herrschaft zu befriedigen, und trat deßwegen ihre Entdeckungsreise an. Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück. Sie hatte Mrs. M'Elvina's Kammermädchen, Abigail, geentert, gerade als dieselbe am Schenktische Anker werfen wollte, und nachdem beide ihre Wissenschaft mit einer Schnelligkeit ausgetauscht hatten, die denen unglaublich vorkommt, die nicht begreifen können, wie rasch Leute dieser Art einander Mittheilungen machen, trat sie wieder in's Zimmer, um ihrem kommandirenden Offiziere Bericht zu erstatten, gerade in demselben Augenblicke, als Susannen's Kammermädchen ihre Ladung von Neuigkeiten ihrer eigenen Gebieterin ablieferte.

»Es ist ein neuverheirathetes Paar, Madame; sie heißen M'Elvina,« sagte die Eine.

»Die Lady ist eine Mrs. Rainscourt, und die junge Lady ist ihre Tochter und eine reiche Erbin,« flüsterte die Andere.

»Sie haben das Jagdhäuschen ganz nahe bei – – Hall gekauft,« sagte die erste.

»Sie bewohnen das große Gut, dicht an Ihrem neuen Hause, Madame,« sagte die zweite.

»Der alte Gentleman heißt Hornblow. Er ist der Lady Vater und soll so reich sein, wie ein Jude,« fuhr Mrs. Rainscourt's Kammermädchen fort.

»Mrs. Rainscourt lebt getrennt von ihrem Gemahl, Madame; wie man sagt, so ist das ein Schlimmer,« fuhr Susannen's Abigail fort.

Die Treppe eines Gasthauses ist ein sehr geeigneter Ort, um Bekanntschaften zu machen, und es traf sich, daß Emilie unmittelbar nach diesen Mittheilungen hinaufging, gerade als Mrs. M'Elvina herabkam, um mit ihrem Gatten und ihrem Vater zu Tische zu sitzen. Das lächelnde Gesicht und die strahlenden Augen Emiliens, die offenbar angeredet zu werden wünschte, waren so einladend, daß sie bald ihren Weg in das Zimmer fand, wo M'Elvina's sich aufhielten.

Mrs. Rainscourt war gar nicht unzufrieden, sich in der Nähe eines Paars zu befinden, das gleich bei seiner Ankunft ihre Gunst erlangt hatte. Da sie vermuthete, ihr Umgang würde etwas beschränkt sein, so ließ sie die günstige Gelegenheit, die Bekanntschaft der Fremden zu machen, nicht vorübergehen. Als sie wieder in den Wagen stiegen, lief Emilie zu Mrs. M'Elvina hin, um ihr eine glückliche Reise zu wünschen, und Mrs. Rainscourt drückte ihren Dank aus für die Aufmerksamkeit, welche sie ihrer Tochter geschenkt hatte. Eine Unterhaltung von wenigen Minuten schloß damit, daß man das Vergnügen zu haben hoffte, einander näher bekannt zu werden, sobald man eingerichtet wäre.

Die Wagen fuhren ab, und wir folgen M'Elvina's, die ohne irgend einen widrigen Zufall gegen Abend am Orte ihrer Bestimmung anlangten.

Das Landhaus, welches Hornblow gekauft hatte, befand sich merkwürdigerweise ganz in dem Zustand, wie es in der Verkaufs-Ankündigung beschrieben war. Es stand inmitten eines herrlichen Gartens, der sehr geschmackvoll angelegt und mit den schönsten Fruchtbäumen bepflanzt war. Ueberall fanden sich reichliche Quellen von gesundem Wasser. Alles war zu einer artigen Meierei eingerichtet. Das Haus selbst enthielt schöne, geräumige Zimmer, die eine reizende Aussicht auf die umliegende Gegend gewährten, welche mit Aeckern, Wiesen, Baumgärten und Gehölzen bedeckt war.

Es war ein herrlicher, abgelegener Wohnsitz, uns als unsere Gesellschaft ankam, schienen die Blumen noch einmal so wohlriechend, die Bäume noch einmal so schattig und des Grün der Wiesen noch einmal so erfrischend, wenn sie an die während eines heißen Tages auf der staubigen Landstraße zugebrachten Stunden zurückdachten.

»Wie schön diese Rosen sind! Sehen Sie doch, mein lieber Vater.«

»Das sind sie in der That,« erwiederte der alt? Hornblow, vergnügt über das glückliche Gesicht seiner Tochter; »aber ich wünschte eine Tasse Thee, Susanne. Ich bin so viel Schütteln nicht gewohnt. Ich bin müde und werde bald zu Bette gehen.«

Der Thee wurde demgemäß bereitet, und bald nachher erhob sich der alte Herr, um sich zur Ruhe zu begeben.

»Nun,« sagte er, als er sein Nachtlicht anzündete, »ich denke, daß ich hier mein Leben beschließen werde; aber ich weiß kaum, wie ich mich in meine Umgebung finden soll. Ich muß mit allen Blumen und Bäumen Bekanntschaft machen; die Knospen im Frühlinge werden mich an Enkel erinnern; der Baum in seiner Blüthe an euch, und der Fall des Laubes an mich selbst. Ich muß das Federvieh zählen, nach den Schweinen sehen, und zuschauen, wie die Kühe gemolken werden. Das kleine Zimmer in der Cateatonstraße war mir so lieb, weil ich es so lange bewohnt hatte, und ich denke, daß ich auch dieses Plätzchen lieb gewinnen werde, wenn es mir Beschäftigung und Unterhaltung gewährt. Aber du mußt mir schnell einen Enkel bringen, Susanne, und ich werde ihn dann den ganzen Tag warten. Gute Nacht – Gott segne dich, meine Liebe, gute Nacht.«

»Gute Nacht, mein lieber Vater,« erwiederte Susanne, die bei seiner Bitte tief erröthet war.

»Gute Nacht, M'Elvina, mein Junge; diese Nacht ist die erste, welche wir unter diesem Dache zubringen; mögen wir hier viele Jahre glücklich leben!« Mit diesen Worten verließ der alte Hornblow das Zimmer und stieg die Treppe hinaus.

M'Elvina hatte Susanne umfaßt, und war sehr wahrscheinlich im Begriffe, einen dem väterlichen ähnlichen Wunsch zu äußern, als das Geräusch eines schweren Falles in ihre Ohren tönte.

»Gütiger Gott!« rief Susanne. »Mein Vater ist die Treppe herunter gefallen.«

M'Elvina stürzte hinaus; es war nur zu wahr. Die Treppe war noch mit keinem Teppich belegt und der Fuß des Alten hatte auf der obersten Stufe ausgeglitten. Er wurde besinnungslos aufgehoben, und bei näherer Untersuchung ergab es sich, daß Kopf und Rückgrat schwer verletzt waren. Nach wenigen Tagen, in denen er niemals sprach, war der alte Hornblow nicht mehr. So sollte der alte Mann, wie einst Moses, nach all' seinen Mühen das gelobte Land nur schauen, und so endigen sich oft unsere Tage in demselben Augenblicke, in welchem unsere sehnlichsten Erwartungen erfüllt werden.

Leser, laß uns in unsere eigene Brust zurückkehren. Wird es mir, der ich jetzt sorglos auf den empörten Wogen fahre, nur durch schwache Balken vom Tode getrennt, und mich mit diesem unbedeutenden Werke beschäftigte, wohl erlaubt sein, es zum Schlusse zu bringen? Die Hand, welche die flüchtige Feder führt, kann vielleicht morgen schon erstarren, der Kopf, welcher mit dem Plane dieser Erzählung schwanger geht, kann, ehe die morgende Sonne untergeht, ja vielleicht noch bälder, von dem Geiste verlassener Staub sein. Und du, mein lieber Leser, wenn du einst den Muth haben solltest, dieses Buch so weit zu durchgehen, ohne es wegzuwerfen, wirst du wohl dein langweiliges Geschäft zu Ende bringen? Oder wirst du von diesem vergänglichen Schauplatze dahin geführt werden, wo keine Täuschung mehr stattfindet, sondern der Geist, mit neuer Kraft begabt, fähig ist, in die glänzenden Strahlen der unverhüllten Wahrheit zu blicken?


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