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Einundvierzigstes Kapitel.

Ein jedes Hazardspiel macht uns verwegen.

Dryden.

– – – – – – es glaubten Alle,
Ich liebt' ein schönes, engelgleiches Mädchen,
Und wünschte es zu ehlichen.

Shakspeare.

 

Bald war Seymour des Lärmens und Tobens an Bord des Wachschiffes überdrüssig; er schrieb deßwegen an Kapitän M.– und bat, man möchte ihm erlauben, sich auf irgend ein Fahrzeug im aktiven Dienste zu begeben, bis er selbst das Kommando der Aspasia wieder antreten würde. Der Kapitän benachrichtigte ihn, daß er noch nicht wisse, wann ihm dieses möglich sei, indem er bisher von seiner Rückkehr nach England wenig Vortheil gehabt habe; ferner, daß man täglich die Rückkehr der Aspasia erwarte, worauf man sie für den Kriegsdienst verwenden würde, bis er selbst, nach hergestellter Gesundheit, das Kommando derselben wieder übernehmen könnte. Uebrigens wollte er Sorge tragen, daß Seymour bei ihrer Ankunft sogleich auf sie versetzt würde. Auch bemerkte er ihm, er werde auf einem Schiffe, wo er viele alte Freunde und Tischgenossen habe, weit lieber sein, als auf irgend einem andern, dessen Offiziere ihm unbekannt seien. Unterdessen habe er Urlaub für ihn erlangt und bitte ihn nur, er möchte ihm auf seinem Landgute in der Umgegend von Richmond, wohin er sich, auf Anrathen der Aerzte, zurückgezogen habe, einen Besuch abstatten.

Mit Freuden ergriff Seymour die Gelegenheit, mit seinem Beschützer wieder zusammen zu treffen, und begab sich nach einem dreiwöchentlichen Besuche wieder nach Portsmouth, um an Bord der Aspasia zu gehen, die seit einigen Tagen zu Spithead vor Anker lag. Die meisten der höheren und viele von den jüngeren Offizieren, welche in Westindien gewesen, waren noch am Bord des Schiffes und warteten auf die Rückkehr Kapitän M–'s, dessen Werth der unterdessen eingetretene Wechsel erst recht herausgestellt hatte. Seymour fand bei seinen früheren Schiffsgenossen einen herzlichen Empfang, was nicht sowohl ihm zu Liebe geschah, sondern hauptsächlich auch deßwegen, weil sie ihn als einen Vorläufer Kapitän M–'s ansehen zu dürfen glaubten.

Es existirt wohl keine menschliche Eigenschaft, die in so mannigfacher Gestalt auftritt oder so schwer analysirbar ist, als der Muth, welcher, der physische sowohl als der moralische, nicht nur angeboren wird, sondern auch erworben werden kann. Der erstere und allgemeinste ist höchst willkührlich vertheilt; zuweilen, wiewohl selten, verweigert die Natur ihn völlig. Es giebt daher einen Muth, der auf Null steht; einen negativen Muth oder einen halben, und einen positiven Muth auf dem höchsten Punkte der Skala, der als »Heißblut« betrachtet werden kann. Nach dieser thermometrischen Eintheilung kann man den thierischen Muth eines jeden Individuums abmessen. Der Muth auf Null oder die Feigheit braucht nicht weiter erklärt zu werden. Der negative Muth, welcher am meisten vorkommt, ist jener Grad von Charakterstärke, vermittelst deren Jemand seine Pflicht thut, wenn die Gefahr ihn drängt. Er will die Gefahr nicht umgehen, will sie aber auch nicht gerade aufsuchen. Der positive Muth hingegen treibt den Menschen an, Gefahren aufzusuchen, und auch da Gelegenheit zur Auszeichnung zu finden, wo Andere keine sehen. Der negative Muth ist ein passives Gefühl, das der Anregung bedarf; der positive ist ein actives, das seinem Besitzer keine Ruhe läßt, sondern ihn immer zu neuen Abenteuern forttreibt.

Aus der Empfänglichkeit in ihrer höchsten Potenz und einer eben so großen phlegmatischen Gleichgültigkeit entstehen, obwohl einander geradezu entgegengesetzt, dieselben Resultate; der ersteren gehört der moralische, der letzteren der thierische Muth an. So paradox es erscheinen mag, so ist doch die zuverlässigste und schätzbarste Art von Muth diejenige, welche aus der Furcht vor Schande entspringt. Man darf annehmen, daß keine menschliche Fähigkeit schneller erstarkt, als der Muth, wenn er beständig geübt wird. Denn derjenige, dessen Muth so ziemlich auf Null steht, wird durch Gewohnheit sich bald zum negativen Muth erheben, und der negative wird endlich zum positiven aufsteigen, sinkt jedoch, wenn er nicht geübt wird, wieder auf die unterste Stufe zurück.

Man nimmt gewöhnlich an, daß die Menschen von Natur muthig sind; aber da ohne Anregung kein Muth existiren würde, so muß ich diesen Satz bezweifeln. Ich möchte eher geneigt sein, zu behaupten, wir seien von Natur Feiglinge. Ohne Anregung würde auch der größte Muth nach und nach auf Null herunterfallen. Da aber Anregung für ihn nöthig ist, so muß man daraus schließen, daß die Natur ihn nicht verleiht. Wie die Kühnheit der Thiere durch Hunger geweckt wird, so wird die des Menschen durch Hungern nach den allgemeinen Lebensgenüssen gespornt, und in dem Maße, in dem die Begierde befriedigt wird, nimmt auch der Muth wieder ab. Will man, daß die Thiere kämpfen sollen, so dürfen sie nicht überfüttert werden, und wünscht eine Nation wackere Offiziere, so muß sie dieselben arm halten, aber ihren Stolz durch Ehrenzeichen rege machen. Mancher wird sich an die Antwort jenes Soldaten erinnern, dem sein General als Belohnung für eine ausgezeichnet tapfere That einen Beutel Gold geschenkt hatte. Als nun kurz nachher eine kühne Unternehmung ausgeführt werden sollte und der Soldat zu diesem Dienste aufgefordert wurde, so sagte er: »General, schicken Sie einen Mann, der noch keinen Beutel mit Gold bekommen hat.« Die größte Anregung zum Muthe nimmt mit dem Besitze des Reichthums ein Ende. Andere irdische Güter haben dieselbe Wirkung. So oft ein Kapitän heirathete, pflegte Lord St. Vincent zu sagen: »Nun ist er für den Dienst todt« – was keineswegs für den Offizier ein Kompliment, aber ein desto artigeres für das schöne Geschlecht ist: denn es enthielt die Anerkennung, die Reize desselben seien so gewaltig, daß wir uns von unserer Knechtschaft nicht frei machen können – oder mit andern Worten, es gebe keine solche Wesen, die unter dem Namen böse oder keiferische Weiber bekannt sind.

Endlich verlieren wir diese Eigenschaft, die man als Tugend betrachtet, und der das schöne Geschlecht besonders hold ist, öfters gänzlich aus unserer Gewalt, wenn wir von Krankheit oder Schmerzen niedergedrückt sind, ja, ein heftiges Magenleiden kann einen Helden in eine Memme verwandeln.

So viel über den Muth. Ich hätte es nicht gewagt, dem Leser diese Abhandlung vorzulegen, wenn sie ihn nicht auf einen Charakterzug vorbereiten sollte, den ich jetzt einzuführen im Begriffe bin; und wenn man bedenkt, wie viele tausend Offiziere in dem letzten Kriege angestellt wurden, so wird man nicht glauben, ich wolle dem Dienste etwas zur Last legen, wenn ich sage, daß darunter auch solche waren, für welche dieser Beruf durchaus nicht paßte.

Der Kapitän der Aspasia hätte wohl in seinen frühern Dienstjahren, wenn es einen Thermometer obiger Art gegeben hätte, durch welchen die Temperamentswärme genau angezeigt worden wäre, und er die Kugel desselben an seine flache Hand gehalten hätte – das Quecksilber zwischen Null und negativem Muth, doch mehr gegen Null hingetrieben; jetzt aber, da er ein verheiratheter Mann und über fünfzig Jahre alt war, zudem eine bedeutende Familie besaß, so hatte sein Muth sich bis auf Null heruntergesenkt.

Aber warum, könnte man fragen, suchte er eine Anstellung während des Krieges? – Deßwegen, weil er ein Freund von voller Löhnung und Prisengeldern war, im Fall sie ohne Gefahr erlangt werden konnten, und weil seine Familie zu Ryde auf der Insel Wight ein artiges kleines Landhaus bewohnte, dem nichts mehr fehlte, als Möbel und andere unbedeutende Sachen.

Die Verheirathung hatte diesem würdigen Offiziere nicht blos etwas von seinem Muthe entzogen, sondern auch seine Ehrenhaftigkeit ein wenig herabgestimmt. Kapitän Capperbar (so hieß er) hätte ein Missionär werden sollen; denn er war im Stande, Alles zu convertiren und wie die trefflichste Bibelgesellschaft Ausgaben zu machen. Der Name, womit er seinen Wohnsitz getauft hatte, sollte aller Wahrscheinlichkeit nach eine Art Ausflucht für sein Gewissen sein. Er nannte ihn das » Schiff«; und wenn er seinen Namen an die Auslage-Bücher der verschiedenen Kriegsbeamten eintrug, ohne genau anzugeben, zu welchem Gebrauche die Materialien bestimmt wären, so wurden dieselben größtentheils stets unter der allgemeinen Rubrik: zum » Schiffsgebrauch« aufgeführt. Er lief, so oft es nur anging, in den Hafen ein, wofür er stets einen Vorwand hatte, indem bald neuer Proviant gefaßt werden, bald das Fahrzeug auf der Schiffswerfe ausgebessert werden mußte, und der Admiral, welcher wußte, daß Mrs. Capperbar eine Nachbarin von ihm sei, war wegen seiner Vorliebe für Spithead mit jedem nur irgend annehmbaren Grunde zufrieden. Doch wir thun besser, den Kapitän selbst vorzuführen, wie er so eben im Hafen angekommen, in der Kajüte am Tische sitzt und dem Schiffszimmermanne Befehle ertheilt.

»Sagen Sie mir, Mr. Cheeks, womit sind die Zimmerleute gegenwärtig beschäftigt?«

»Weston und Smallbridge arbeiten an den Stühlen – sie werden morgen damit zu Stande kommen.«

»Gut – und weiter?«

»Smith arbeitet an dem Kleiderkasten, der zu dem anderen in Mylady Capperbar's Schlafzimmer kommen soll.«

»Gut. Und was thut Hilton?«

»Er hat soeben die Schublade an dem Eßtisch fertig gemacht, Sir, und hat jetzt eine Kleinigkeit für den zweiten Lieutenant in Arbeit.«

»Eine Kleinigkeit für den zweiten Lieutenant, Sir? Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, Mr. Cheeks, daß die Zimmerleute ohne meine spezielle Einwilligung blos zum Schiffsdienste verwendet werden dürfen?«

»Sein Bettgestell ist zerbrochen, Sir, und jetzt wird es nur ein wenig reparirt.«

»Mr. Cheeks, Sie haben meinem ausdrücklichen Befehle zuwider gehandelt. – Beiläufig hörte ich auch, daß Sie in der vorigen Nacht nicht nüchtern waren.«

»Mit Erlaubniß, Euer Gnaden,« erwiederte der Zimmermann, »ich war nicht betrunken; ich hatte blos einen kleinen Stich.«

»Nehmen Sie sich wohl in Acht, Mr. Cheeks. Was arbeitet Ihre übrige Mannschaft?«

»Thomson und Waters hauen aus den Klüverbäumen Gartenpfähle; ich habe dafür die Hieling bei Seite gethan.«

»Sehr gut, aber das wird nicht wohl hinreichend sein?«

»Nein, Sir, ich will auch noch eine Stenge dazu nehmen.«

»Dann müssen wir, wenn wir wieder in See gehen, eine als verbraucht angeben. Auch können wir auf der See eine neue machen. Unterdeß, wenn die Leute keine Beschäftigung haben, können sie gleich die Stacketen aussägen. Und nun, laßt weiter sehen – ja, die Anstreicher müssen auch an's Land, um die Dachstuben zu beendigen.«

»Ja, Sir; aber es ist Mylady Capperbar's Wunsch, daß die Jalousien hochroth angestrichen werden. Sie meint, das würde sich ländlicher ausnehmen.«

»Mrs. Capperbar sollte wohl wissen, daß man auf den Schiffen nur drei Farben erhält. Sie kann nach Belieben wählen oder mischen, aber etwas für Farben auszugeben, kann ich nicht gestatten. Was thun die übrigen Leute?«

»Sie repariren den zweiten Kutter und arbeiten an einem neuen Maste für die Pinasse.«

»Beiläufig gesagt – da fällt wir etwas ein – haben Sie Bootsmasten gefordert?«

»Nur den einen, welcher verloren gegangen ist, Sir.«

»Dann müssen Sie noch zwei weitere fordern. Mrs. Capperbar hat mir ein Verzeichniß von einigen Kleinigkeiten geschickt, welche, wie sie wünscht, verfertigt werden sollen, während wir im Hafen liegen. Da sind zwei Stangen zum Wäschetrocknen; sägt die Scheibengaten ab und steckt im Winkel zwei Pflöcke durch – Sie verstehen mich schon.«

»Ja, Sir. Was soll ich mit dem Gurkenbeete anfangen? Mylady sagt, sie brauche es nothwendig, und es fehlt mir an Glas – sie brummten schon das letzte Mal auf der Werfte.«

»Mrs. Capperbar muß sich etwas gedulden. Was haben die Waffenschmiede zu thun?«

»Sie sind von Ihren Geschäften, Sir, so sehr in Anspruch genommen worden, daß die Waffen sich in einem sehr schlechten Zustande befinden. Der erste Lieutenant sagte gestern, es sei eine Schmach für das Schiff, so elende Waffen zu haben.«

»Wer erdreistete sich, dieß zu behaupten?«

»Der erste Lieutenant, Sir.«

»Gut, so lassen Sie die Waffen ausbessern. Wenn dieß geschehen ist, so thun Sie mir es zu wissen; dann will ich den Schmieden ihre Aufträge geben.«

»Der Waffenschmied hat sechs Rechen und sechs Hacken, und überdieß zwei kleine Hacken für die Kinder verfertigt; er sagt aber, er könne keine Schaufeln machen.«

»Dann will ich ihm, bei Gott, das Patent nehmen, wenn er sein Geschäft nicht besser versteht. Nun gut, Mr. Cheeks; ich will dieß Mal Ihre Trunkenheit nachsehen; aber nehmen Sie sich wohl in Acht – jetzt soll der Hochbootsmann kommen.«

»Ja, Sir,« bemerkte der Zimmermann, und verließ die Kajüte.

»Nun, Mr. Hurley,« sagte der Kapitän, als der Bootsmann beim Eintritte in die Kajüte ehrerbietig sein Haar herunterstrich, »sind die Betten alle fertig?«

»Alle, Euer Gnaden; ausgenommen das für das jüngste Kind; würde es nicht passender sein, wenn ich ein Stück Segeltuch dazu nehme?«

»Nein, nein – Numero sieben wird die nämlichen Dienste thun, Mrs. Capperbar bedarf auch Tuch in der Hausflur.«

»Ja, Euer Gnaden.«

»Und einige Taue zu Waschseilen.«

»Ja, Euer Gnaden.«

»Warten Sie, ich will ein wenig das Verzeichniß durchgehen – ›Messerbrett,‹ –, ›Bratenschrank,‹ – ›Blei für die Schiebfenster,‹ – ist kein Senkblei vorräthig?«

»Ja, Euer Gnaden, vier bis fünf Stück.«

»Geben Sie dieselben meinem Aufwärter. – ›Kleiner Sessel für Helene,‹ –, ›Leinwand für die Altane,‹ – oh! hier steht noch etwas – ist farbige Leinwand da?«

»Nur ein wenig zu Hängematten, Sir.«

»Wir müssen dieß als verbraucht aufnotiren. Schickt es meiner Frau an's Land. Ich werde auch etwas Pech nöthig haben.«

»Dieß ist eine Masse vorhanden, Euer Gnaden.«

»Nun gut, Mr. Hurley; die Schildwache soll meinen Aufwärter herbeirufen.«

»Ja, Euer Gnaden.«

Der Hochbootsmann entfernte sich und der Steward erschien.

Dieser Letztere war einer der Seesoldaten, die man aus den Depots für das Schiff herausgezogen hatte. Denn Kapitän Capperbar wollte aus Sparsamkeit keinen Bedienten annehmen, der außer dem Solde noch einen besonderen Lohn gefordert hätte. Da der Steward in der Kaserne gut exercirt worden war, so beantwortete er keine ihm von einem Offizier vorgelegte Frage anders, als indem er eine steife Haltung annahm, die Schultern zurückwarf, die Nase emporzog und seine Hände dicht an der Seite herunterstreckte. Er antwortete stets in einer solchen Kürze, als die Frage nur erlaubte, und so schnell, als er nur sprechen konnte.

»Ist der Zucker und Kakao eingepackt, Thomas, um ihn an das Land bringen zu können?«

»Ja, Sir.«

»Besorge mir ja den Brief an Mr. Gibson wegen den zehn Dutzend Flaschen Portwein und Xeres.«

»Ja, Sir.«

»Wenn sie an Bord gebracht worden sind, so schaffe sie an's Land, jedesmal ein Dutzend, in dem mit Leder beschlagenen Koffer.«

»Ja, Sir.«

»Nimm dich wohl in Acht, daß man von dem zur Einpackung nöthigen Heu nichts bemerkt.«

»Nein, Sir.«

»Hat der Küfer die Waschtonnen fertig?«

»Ja, Sir.«

»Und die kleinen Zuber?«

»Nein, Sir.«

»Hast du dich unter den Leuten nach einem Gärtner erkundigt?«

»Ja, Sir, es befindet sich ein Soldat auf dem Schiffe, welcher den Garten des Majors bei der Kaserne besorgte.«

»Bringe ihn an's Land.«

»Ja, Sir.«

»Mrs. Capperbar bedarf auch Weinessig – der Hochbootsmann hat den besten. Ferner ein paar Maß Rum – auch mußt du etwas Rindfleisch einpöckeln. Die Tonne kann am Lande bleiben und der Küfer muß mir eine neue machen.«

»Ja, Sir.«

»Junker Heinrichs Hosen – sind sie fertig?«

»Nein, Sir, Spriggs arbeitet gerade daran. Bailly und James verfertigen Miß Helene's Unterröcke.«

»Die Schuhe für Junker John – sind sie fertig?«

»Ja, Sir.«

»Und die für Junker Heinrich?«

»Nein, Sir. Wilson sagt, Junker Heinrichs Maß sei ihm abhanden gekommen.«

»Der nachlässige Schlingel, er soll eine Woche lang vier Wasser-Grog bekommen. Jetzt bring drei Säcke Brod und vierzig Pfund Mehl an's Land.«

»Ja, Sir.«

»So, jetzt weißt du Alles. – Doch nein – du mußt auch noch Erbsen für die Schweine an's Land schaffen.«

»Ja, Sir.«

Der Steward ging, um seine vielen Aufträge zu besorgen.

Der gegenwärtige erste Lieutenant der Aspasia, den Kapitän M– vor seinem Abgange vom Schiffe, nach Beförderung des früheren ernannt hatte, war ein wackerer Offizier, ein munterer, angenehmer Tischgenosse, und zeichnete sich vor den Meisten durch Talent und Kenntnisse aus.

Kapitän Capperbar's Benehmen verursachte ihm vielfachen Verdruß, da er häufig die Handwerker für den nothwendigen Schiffsdienst nicht verwenden durfte. Er hatte indeß lange genug im Dienste gestanden, um zu wissen, daß es räthlicher sei, zu Allem eine gute Miene zu machen, als sich durch eine Anklage seines vorgesetzten Offiziers zu verfeinden. Da überdies Kapitän Capperbar das Kommando nur auf einige Zeit hatte, so enthielt er sich aller Einwendungen, und begnügte sich, das Benehmen desselben zu einer Quelle der Unterhaltung und Belustigung zu machen.

»Nun, Prose, wie find Sie mit dem neuen Schiffsherrn zufrieden?« fragte Seymour, als er wieder an Bord gekommen war.

»Nun, ich muß sagen; ich weiß es selbst nicht recht. Er ist ein herzlich guter Mann; aber er behandelt uns Midshipmen nicht ganz wie Offiziere und Gentlemen, und seine Frau ist in der That ein böses Weib. Ich werde jeden Tag an's Land nach ihrem Hause geschickt, weil ich zu des Kapitäns Gig gehöre; man heißt mich nie Platz nehmen, sondern trägt mir bald dieses, bald jenes Geschäft auf. Vorgestern hieß er einen Theil der Bootsmannschaft an's Land gehen, die auf einem Stück Kartoffelfeld arbeiten mußte, und da zeigte er mir zuerst das Abkeimen der Kartoffeln, dann gab er mir ein Messer und sagte: ich sollte mit dem ganzen Sacke, der auf dem Felde lag, so verfahren, und zu gleicher Zeit die Arbeiter beaufsichtigen. Ich habe noch nie in meinem Leben Kartoffeln zerschnitten, außer bei Tische, wenn sie gekocht waren.«

»Nun, das war doch zu arg; doch Sie wissen jetzt in Zukunft, wie man Kartoffeln pflanzt – Kenntnisse sind Alles werth.«

»Und dann schickt er die Wärterin mit den Kindern an die freie Luft, wie er es nennt, das heißt auf's Wasser, und ich muß sie begleiten. Es macht mir durchaus kein Vergnügen, mit Kindermädchen umzugehen.«

»Das ist völlig Geschmacksache, Prose; einigen Midshipmen macht es Vergnügen.«

»Was glauben Sie, was Mrs. Capperbar mir gestern zumutete?«

»Das kann ich nicht errathen.«

»Nun, Erbsen auszuhülsen.«

»Gehorchten Sie ihr?«

»Ja, aber sehr ungern, – und vor etlichen Tagen schickte mich der Kapitän mit der Wärterin und den Kindern aus, um Master Heinrich zu tragen, sobald er müde wäre.«

»Nun das macht eben die Vielseitigkeit Ihres Genies.«

»Einen ganzen Vormittag ließ sie mich nach Eiern in den Hecken herumschlüpfen, weil sie glaubte, eine Henne habe irgendwo ein Ei verlegt.«

»Fanden Sie eines?«

»Nein, und als ich ihr dieß sagte, gerieth sie in Wuth und drohte mir, der Kapitän müsse mich peitschen lassen.«

»Was für ein Teufel das ist!«

»Ja, das ist sie,« fuhr Prose fort; »den ganzen Tag rennt sie im Hause umher – ›Kapitän Capperbar dieses, – Kapitän Capperbar das – ich will – ich will nicht – ich dränge darauf – ich bin entschlossen‹. Aber da Sie früher,« fuhr Prose fort, »zu des Kapitäns Gig gehört haben, so werden Sie natürlich denselben Dienst wieder übernehmen, und ich trete Ihnen mit Vergnügen meine Charge ab.«

»Nicht um die ganze Welt, mein lieber Prose: was Ihnen zur Beförderung hilft, würde mir Verderben bringen. Ich habe nie in meinem Leben die Kinderwärterin gemacht oder Erbsen ausgehülst, und würde deswegen die Kinder sicherlich fallen lassen, und die Erbsen wahrscheinlich für meine Mühe aufessen. Begleiten Sie daher auch ferner diesen Posten, und ich will jeden Morgen frisches Fleisch holen, was Sie zu thun pflegten, als wir uns das letzte Mal im Hafen befanden.«

Kapitän M– hatte von seiner Rückkehr in's Vaterland nicht die Vortheile erhalten, welche er sich zum Voraus versprochen. Bath, Cheltenham, Devonshire und andere Plätze wurden ihm von den Aerzten nach einander angerathen, bis er endlich des beständigen Herumreisens überdrüssig war. Es vergingen fast zwei Jahre, ehe er seine Gesundheit so weit hergestellt fühlte, um das Kommando der Aspasia wieder übernehmen zu können, und während dieser Zeit war seinen Offizieren die Geduld beinahe ausgegangen. Es war nicht blos die Ausmöblirung und vollständige Einrichtung von Kapitän Capperbars Wohnhause, sondern derselbe hatte sich auch mit einem bedeutenden Vorrathe von Materialien zur Ausbesserung und Verschönerung versehen. Endlich erhielt Macallan vom Kapitän die frohe Botschaft, daß er in wenigen Tagen nach Portsmouth kommen werde, und daß die Aspasia zum ausländischen Dienste sich fertig machen sollte.

Hier müssen wir noch erwähnen, daß Seymour während dieser zwei Jahre sich häufig Urlaub zu verschaffen wußte und die Zeit desselben stets bei M'Elvina's zubrachte. Die Freundlichkeit, mit welcher er auf dem Rainscourt'schen Gute aufgenommen wurde, und sein beständiges Zusammentreffen mit Emilie brachten ein Verhältniß hervor, welches eine sorgsamere Mutter nicht nachgesehen haben würde. Der achtzehnjährige Jüngling und das sechszehnjährige Mädchen wurden jetzt mit Gefühlen vertraut, die ganz anderer Art waren, als derjenigen, welche sich bei ihrer ersten Bekanntschaft geäußert hatten, und Seymour, der, als er die Ankunft Kapitän M–s vernahm, sich gerade bei M'Elvina befand, empfand jetzt, wie schmerzlich eine Trennung von Emilie ihm fallen würde. Ein Brief von Prose brachte diese Nachricht, während er mit M'Elvina ganz allein war, und schon der bloße Gedanke an eine Trennung machte ihn völlig niedergeschlagen.

M'Elvina, der oft gegen Susanne seine Meinung über diesen Punkt geäußert hatte, hegte den sehnlichen Wunsch, daß unser Held auf eine auswärtige Station versetzt würde, bevor eine Leidenschaft in seinem Herzen so tief wurzeln würde, daß sie ohne große Mühe und noch größerem Schmerz nimmer herausgerissen werden könnte. Er ahnte aus Seymours Erröthen, was für Gefühle in ihm erwachsen, und lenkte nun ruhig auf den Gegenstand ein, indem er die Bemerkung machte, daß sein Liebling Emilie höchst wahrscheinlich vor seiner Rückkehr sich verheirathen würde – indem eine sehr reiche Erbin auf eine Verbindung mit einem Manne vom höchsten Range Anspruch machen könne.

Seymour bedeckte das Gesicht mit den Händen und lehnte sich auf den Tisch. Er hielt vor M'Elvina nichts geheim und gab die Wahrheit seiner Bemerkung zu.

»Mein lieber Junge,« fuhr M'Elvina fort, »ich habe von der Sache gesprochen, weil ich nicht blind war, und weil ich fürchte, du möchtest vielleicht Gefühle in dir nähren, welche nur mit bitterer Täuschung enden können. Sie ist ein liebenswürdiges Mädchen, aber du mußt sie so viel als möglich zu vergessen suchen. Denke einen Augenblick nach. Du bist ein Waise ohne Vermögen und ohne Familie, obgleich nicht ohne Freunde, die du dir durch deine eigenen Verdienste erworben hast. Du besitzest nichts, als deinen Muth und deine Fähigkeiten, um im Dienste befördert zu werden. Kannst du also erwarten, daß ihre Eltern die Einwilligung zu einer Verbindung mit dir geben werden? – oder würde es dir Ehre machen, die jugendliche Neigung eines Mädchens zu deinem Vortheile zu benützen und sie von jenen Vortheilen abzuhalten, zu denen ihr Vermögen und ihre Familie sie berechtigen?«

Seymour fühlte, wenn auch schmerzlich, das Wahre dieser Bemerkung; einige Thränen traten ihm in die Augen, aber sein Entschluß war gefaßt. Er hatte die Absicht gehabt, vor seiner Abreise Emilien seine Liebe zu erklären, und sie um ihre Gegenerklärung zu bitten; – aber jetzt war er fest entschlossen, sie aufzugeben und zu vergessen. »Ich will Ihrem Rathe folgen, mein theurer Sir, denn er kommt von einem Freunde, der für meine Ehre besorgt ist; aber wenn Sie meinen Gemütszustand kennten! – wie thöricht und unbesonnen war ich! Ich will sie nimmer sehen.«

»Nein, das wäre nicht schön von dir; es wäre unverzeihlich, nach der wohlwollenden Aufnahme, die du bei Mrs. Rainscourt gefunden hast, nicht noch einmal auf das Schloß zu gehen und Abschied zu nehmen. Du mußt dies thun, Seymour. Es wird dir zwar einige Ueberwindung kosten; aber wenn ich William Seymours Charakter recht kenne, so geht es nicht über seine Kräfte. Nun gute Nacht, mein lieber Junge.«

Am nächsten Morgen begab sich Seymour voll des festen Entschlusses nach dem Schlosse, um seine nahe Abreise anzukündigen und Emilien auf immer Lebewohl zu sagen. Der Wagen stand vor der Thüre, und Mrs. Rainscourt hatte die Absicht, bei einer Familie in der Nachbarschaft einen Besuch abzustatten. Sie war über die Nachricht, welche ihr Seymour brachte, sehr betrübt, denn er stand bei ihr in hoher Gunst. Sie verschob daher ihre Abfahrt noch auf eine Viertelstunde, um sich mit ihm zu unterhalten; und zuletzt kam auch Emilie von einem Spaziergange zurück. Mrs. Rainscourt machte nun ihre Tochter mit Seymours Abreise bekannt, sagte diesem Lebewohl, wünschte ihm viel Glück und gute Gesundheit, wurde von ihm an den Wagen begleitet und fuhr ab. Seymour fand sich jetzt bei seiner Rückkehr in das Wohnzimmer mit Emilien allein, was er gerade zu vermeiden gesucht hatte.

Emilie Rainscourt war damals nicht viel älter als sechszehn Jahre, aber es ist allgemein bekannt, daß in manchen Familien, so wie in manchen Ländern die Natur weit raschere Fortschritte macht, als in andern. Dieß war auch der Fall bei unserer Heldin, die man ihrem Aussehen nach wenigstens um zwei Jahre älter gehalten haben würde, und ihr Geist war eben so weit vorgeschritten.

Seymour begab sich also in das Wohnzimmer zurück, wo er Emilie auf dem Sopha fand. Sie hatte den Hut abgelegt und trocknete bei seinem Eintritte hastig die Thränen ab, welche ihr über die Wangen herunterliefen. Er nahm dieß wahr und fühlte, daß er sich dadurch in einer um so schwierigeren Lage befinde.

»Wann reisen Sie ab?« sagte Emilie, die zuerst das Schweigen unterbrach.

»Morgen früh. Ich komme hieher, um Ihrer Mutter und Ihnen meinen Dank abzustatten für die gütige Aufnahme, die ich bei Ihnen gefunden; – ich werde mich jederzeit dankbar daran erinnern!«

Emilie antwortete nicht, seufzte aber tief.

»Ich bin,« fuhr Seymour fort, »vielleicht mehrere Jahre abwesend, und es ist ungewiß, ob wir uns je wieder treffen. Unsere Lebenspfade gehen sehr verschieden. Ich bin eine Waise, ohne Namen, oder Verwandte – der auch nur eine Heimath, ausgenommen diejenige, welche ich der Güte meiner Freunde verdanke. Mit Recht nannten sie mich in meiner Kindheit Königs-Eigen; denn ich gehöre Niemand an. Sie, Miß Rainscourt (hier fuhr Emilie erschrocken auf; denn es war seit der ersten Woche ihrer Bekanntschaft zum ersten Male, daß er sie so nannte), im Besitze jedes Vorzugs, den die Welt verleihen kann, werden bald in Gesellschaften eintreten, zu denen mir der Zugang verschlossen bleibt. Sie werden höchst wahrscheinlich eine glänzende Partie machen, bevor – wenn es je der Fall sein sollte – wir uns wiedersehen. Ich bete für Ihr Glück und werde, wenn uns auch der weite Ocean trennt, dieses thun.«

Seymour war von seinen Gefühlen so ergriffen, daß er nicht weiter zu sprechen vermochte. – Emilie brach in Thränen aus. »Leben Sie wohl, Emilie; Gott im Himmel segne Sie,« sagte Seymour, aller seiner Fassung aufbietend.

Emilie konnte nicht sprechen, sondern reichte nur ihre Hand hin. Seymour war nicht länger im Stande, sich zu beherrschen; er preßte ihre Lippen an die seinigen und stürzte aus dem Zimmer.

Emilie blickte ihm durch das Fenster nach, bis er in der Ferne verschwand, setzte sich dann nieder und vergoß bittere Thränen. Sie dachte, er habe sich unfreundlich gezeigt, wo er am liebevollsten sich hätte zeigen sollen – bei einer Trennung auf lange Zeit. Er hätte doch wenigstens etwas länger verweilen können. Früher hatte er sich nie so benommen, und sie zog sich mit einem von Kummer und getäuschten Gefühlen gepeinigten Herzen auf ihr Zimmer zurück. Sie fühlte jetzt, wie innig sie ihn liebte, und dieses Bewußtsein wurde ihr durch den Gedanken vergällt, daß ihre Gefühle keine Erwiederung fänden.

Am nächsten Morgen, nachdem die Stunde verflossen war, welche Seymour als die seiner Abreise von diesem Orte angegeben hatte, ging Emilie zu ihrer Freundin, Mrs. M'Elvina, um von dieser wo möglich die Beweggründe herauszubringen, von denen unser Held bei seinem von uns geschilderten Benehmen sich etwa leiten ließ.

Susanne war eben so begierig, zu erfahren, wie sich Seymour benommen hatte, und erhielt bald von Emilie die gewünschten Aufschlüsse. Sie stellte ihr alsdann vor, ihr Gatte habe Seymour begreiflich gemacht, wie unwahrscheinlich, wo nicht gar unmöglich es sei, daß ihr gegenseitiges Verhältniß irgend einen glücklichen Ausgang nehmen könnte, und setzte ihr dann Seymours ehrenwerthe und ebenso lobenswürdige Beweggründe auseinander, da seine Gefühle noch die ihrigen an Stärke übertrafen.

Das weinende Mädchen fühlte die Richtigkeit dieser Bemerkungen, insoferne Seymour dadurch gerechtfertigt wurde. Durch die Versicherung zufrieden gestellt, daß sie von ihm geliebt werde, schenkte sie dem klügeren Theil des Rathes wenig Aufmerksamkeit, und faßte zu Seymours Gunsten einen Entschluß, der, so wie ihre Neigung (unähnlich den meisten andern in der ersten Frische des Herzens gefaßten) – trotz Zeit und Umständen, trotz der Abwesenheit von seiner und der Heimsuchungen von ihrer Seite dennoch bis ans Ende fest blieb und durch nichts erschüttert werden konnte.


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