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Sechstes Kapitel.

Verbannt sei all' mein väterlich Gefühl,
Verwandte und Blutsangehörige.
Der rohe Scythe selbst
Und jene, so die eignen Kinder schlachten,
Um ihre wilde Gier zu sätt'gen, sind
Willkomm'ner mir, des Mitleids würdiger,
Als er.

Shakspeare.

 

In einem hohen Zimmer, dessen Getäfel von dunklem Eichenholze war und das einen großen künstlich aus demselben Holze gearbeiteten Kaminsims hatte, saß aus einem Lehnstuhle, der einst von Purpur und Gold glänzte, ein ungefähr fünfzig Jahre alter Mann; aber sein Haar war grau und sein Gesicht von tiefen Furchen durchzogen. Er hörte mit Ungeduld die Vorstellungen eines vor ihm Stehenden an und veränderte von Zeit zu Zeit seine Haltung, je nachdem der Gegenstand, der zur Sprache kam, ihm mehr oder minder widrig dünkte. Es war der Admiral de Courcy und der Vikar des Sprengels, der den ersteren ermahnte, sich barmherzig zu erzeigen.

Das Gespräch wurde indeß durch den Eintritt eines Dieners unterbrochen, welcher dem Admiral auf einem großen, massiven silbernen Presentirteller einen Brief überbrachte, den, wie er behauptete, ein Matrose übergeben habe. Der Admiral setzte seine Brille auf und betrachtete die Adresse.

»Von meinem nichtswürdigen Vagabunden von Sohn!« rief er aus und warf den Brief ins Feuer, ohne das Siegel zu erbrechen.

»Aber, Sir,« begann der Vikar wieder, »es wäre doch nicht mehr als Gerechtigkeit, zu hören, was er zur Entschuldigung eines bereits streng bestraften Fehltrittes vorbringt. Es ist Ihr einziger Sohn, Sir, und warum wollen Sie ihm eine übereilte Handlung nicht vergeben? Bedenken Sie, Sir, daß er der Erbe Ihrer Güter ist, die nach altem Rechte nothwendig aus ihn übergehen müssen.«

»Verflucht sei schon der Gedanke an ihn,« entgegnete der Admiral heftig, »ich hoffe, daß er vorher verhungert!«

»Möge der Allmächtige Ihnen mehr Barmherzigkeit erweisen, Sir, wenn er Sie zur Rechenschaft fordert, als Sie einem unbesonnenen Kinde erwiesen haben. Es ist uns geboten, daß wir vergeben sollen, wenn wir wünschen, daß man uns vergebe. Admiral de Courcy, es ist meine Pflicht, dieses zu sagen: hoffen Sie und, wenn dies der Fall ist, aus welchen Gründen hoffen Sie Vergebung zu erlangen?«

Der Admiral sah nach dem Fenster und erwiederte nichts.

Der Brief, welcher auf den Rost gefallen war, schien noch unversehrt. Er lag auf einem Haufen todter Kohlen ganz vom Rauche geschwärzt; der Vikar bemerkte es, ging zu dem Kamine hin und nahm den Brief aus seiner gefährlichen Lage.

»Wenn Sie diesen Brief nicht selbst lesen wollen, Admiral, wenn Sie den Bitten Ihres eigenen Kindes durchaus kein Gehör schenken, werden Sie dann etwas einwenden, daß ich ihn öffne, um zu erfahren, in welcher Lage sich ein junger Mann befindet, der, wie Sie wissen, mir stets theuer war?«

»Nichts, durchaus Nichts,« erwiederte der Admiral spöttisch, »Sie mögen ihn lesen und auch behalten, wie es Ihnen beliebt.«

Ohne etwas auf diese Bemerkung zu erwiedern, öffnete der Vikar den Brief, der, wie der Leser sich wohl einbilden kann, derselbe war, den Eduard Peters am Morgen seiner Hinrichtung geschrieben hatte.

»Barmherziger Himmel!« rief der Geistliche aus, während er sich niedersetzte, um sich von dem Schrecken zu erholen – »Unglücklicher Knabe!«

Erstaunt über das Benehmen des Vikars wandte sich der Admiral um, und es war, als machte ihm sein Gewissen bittere Vorwürfe und als fürchtete er, daß sein vor wenigen Minuten ausgesprochener grausamer Wunsch in Erfüllung gegangen sei. Er wurde blaß, that jedoch keine Frage. Bald darauf erhob sich der Vikar und redete den Admiral mit einem Blicke des tiefsten Unwillens also an:

»Sir, die Zeit kann kommen, nein, ich sage zum voraus, sie wird kommen, wo der Inhalt dieses Briefes Ihnen wegen Ihres grausamen und unnatürlichen Betragens gegen Ihren Sohn die bitterste Reue erregen wird. Den Brief selbst, Sir, kann ich Ihnen nicht anvertrauen. Aus Gerechtigkeit gegen Andere darf man denselben Ihren Händen nicht überlassen und ich halte mich für berechtigt, ihn nicht mehr herzugeben, da Sie ihn verbrennen wollten und mir dann erlaubten, ihn zu lesen und zu behalten. Eine Abschrift davon werde ich Ihnen indeß, wenn Sie es wünschen, zusenden.«

»Ich bedarf weder einer Abschrift, noch des Originals, und werde gar nichts lesen, was Sie mir auch zuschicken mögen, guter Herr,« antwortete der Admiral, blaß vor Aerger.

»So leben Sie wohl, Sir. Möge Gott Ihr Herz wenden!«

Dies sprechend verließ der Vikar das Zimmer, fest entschlossen, es nie wieder zu betreten. Das erste, was er that, war, daß er sich nach dem Manne erkundigte, der den Brief gebracht hatte und der, wie er hörte, sich noch im Schlosse aufhielt. Es war der alte Adams, welcher auf einige Tage Urlaub erhalten hatte, um Peters letzten Wunsch zu erfüllen. Für den Geistlichen war es ein zweiter harter Schlag, als er die Nachricht vom Tode der armen Helene vernahm; und mit der herzlichsten Theilnahme hörte er auf Adams umständliche Erzählung der ganzen Katastrophe.

Sogleich faßte der Vikar den Entschluß, nach dem Kinde zu schicken und es unter seine eigene Obhut zu nehmen; allein diesem Plane widersprach nicht blos Peters Brief, sondern auch der alte Adams, der bestimmt erklärte, das Kind nicht eher von sich zu lassen, als bis es ihm von obrigkeitlichen Personen abgefordert würde. Nach reiflicher Ueberlegung bedachte der Vikar, daß das Kind auf dem Wasser, wie auf dem Lande, unter dem Auge einer allwissenden Vorsehung sei, und daß es in einem so zarten Alter eben so gut dem Schutze eines vertrauenswürdigen alten Mannes, wie Adams, als irgend einer andern Person überlassen werden könne. Er ersuchte daher Adams, ihn fortwährend über das Befinden des Knaben in Kenntniß zu setzen und sich wegen der zu seiner Erhaltung erforderlichen Kosten jederzeit an ihn zu wenden. Nachdem er nun dem alten Manne Lebewohl gesagt hatte, begab er sich in die Pfarrwohnung und beratschlagte, ob es wohl angemessen wäre, den Umstand der Geburt des Knaben geheim zu halten, oder seinen Großvater damit bekannt zu machen, in der Hoffnung denselben zur Anerkennung und Aufnahme des Kindes zu bewegen.


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