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Siebenunddreißigstes Kapitel.

Große Negation! Wärst du nicht, so würden die Weisen
Vergebens untersuchen, definiren und beweisen!
Nur durch dich vermag der Philosoph zu gleißen.

Rochester´s Ode an das »Nichts«.

 

Im Fall ihr des Lesens nur halb so überdrüssig seid, als ich des Schreibens, so verzeihe ich von ganzem Herzen, wenn Ihr das Buch zumacht und nicht weiter leset. Ich habe zu eilig geschrieben – habe meine Einbildungskraft ganz verstaucht; denn ihr müßt wissen, daß Alles, sogar jedes Wort von meiner Erzählung nur erdichtet ist; aber dennoch hege ich keinen Zweifel, daß Viele, ungeachtet meiner Versicherung des Gegentheils, die geschilderten Charaktere in der Wirklichkeit suchen werden. Nun meinetwegen. Man befindet sich nicht in geringer Verlegenheit, wenn man ein Kapitel von sechszehn Seiten schreiben soll, ohne Materialien für mehr als zwei zu haben; wenigstens geht es mir so. Manche verstehen die Kunst, einen unbedeutenden Stoff weit auszuspinnen und mit einem Körnchen Gold eine große Fläche zu bedecken – gleich dem Goldschläger, der mit einer einzigen Guinee zwanzig Bücher vergolden kann. Ich wollte, ich könnte dieses auch.

Findet sich denn nichts, das mir zu einem Gedanken verhelfen könnte? Ich habe umsonst mein Gehirn auf die Folter gespannt. Laßt mich einmal in der Kajüte herum spähen; vielleicht entdecke ich einen äußeren Gegenstand, der meine erschöpfte Einbildungskraft wieder erregen könnte. Ein kleines Ding wird dies thun können – gut, hier ist eine Ameise. Weiter brauche ich nichts. Commençons .

Man sagt, Stubenhocker hätten nur einen Stubenwitz. Aber so sehr auch das Reisen zu Land den Geist bereichern mag, so kann doch nur eine Seereise alle seine Fähigkeiten entwickeln. Ich bin der Meinung, nicht blos der menschliche Verstand, sondern auch der thierische Instinkt werde durch Seefahrten geschärft.

Die Ameise, welche meine Blicke auf sich gezogen, gehört zu einem Haufen in meiner Kajüte, dessen Arbeiten ich oft zuzuschauen pflege, und ich glaube nicht, daß es irgendwo in allen fünf Welttheilen Ameisen gibt, die eine gleiche Kenntnis) der mechanischen Gesetze haben. Ich will freilich nicht behaupten, daß zwischen mehreren Thieren derselben Gattung ursprünglich eine Verschiedenheit der Intelligenz stattfinde; aber ich denke, daß der thierische Instinkt, so gut als der Verstand des Menschen, einer Schärfung fähig ist. Ich gebe allerdings zu, daß Ameisen auf dem Lande von ihrem Instinkte eben so geleitet werden könnten. Erfordert es aber die Noth nicht, so kommt dieser Instinkt nicht zum Vorschein, und die Ameisen haben deswegen, wie ich eben bemerkt, nicht die geistigen Hülfsquellen, welche gegenwärtig meine kleine Kolonie besitzt.

Jetzt will ich einen Käfer für sie tödten; es macht mir unglücklicherweise keine Mühe, einen zu fangen, denn sie zernagen mir Alles, was ich habe. Es gibt keine Thierklasse, die in ihrer Nahrung so wenig wählerisch wäre; denn sie machen sich an Papier, Seife, Tabak und Kleider; kurz, sie zernagen wie die Zeit Alles. Sie haben mir beinahe zwei Dutzend antigastrischer Pillen gefressen. Nun, hier ist einer, ein recht schöner Käfer. Ich werfe seinen zerdrückten Leichnam auf das Deck und bemerke, daß die Ameisen ihr Nest in dem Balken über meinem Kopfe angelegt haben, woraus ich den Schluß ziehe, daß genannte Balken nicht so gesund sind, als sie sein sollten. Eine Ameise ist an dem Leichname vorüber gekommen und wird jetzt im Galopp Nachricht davon ertheilen. Sie trifft unterwegs zwei bis drei andere, steht einen Augenblick still, und eilt dann weiter. Es ist noch keine Minute vorüber, seitdem ich den Käfer auf das Deck warf, und schon ist er von mehreren hundert Ameisen umringt. Welch' ein Getümmel! Welch' ein Hin- und Herrennen! Ich glaube, daß sie jetzt Befehle ertheilen. Seht, da sind wenigstens fünfzig, die sich über jedes Bein des Ungeheuers, dem an Masse achttausend von ihnen gleichkommen, hermachen. Schnell geht es jetzt mit dem ungeheuren Körper vorwärts, und sie haben bereits die Seite der Kajüte erreicht. Jetzt geht es an's Hinaufsteigen, Seht, wie diejenigen, welche bisher an den Hinterbeinen gehalten haben, dieselben jetzt verlassen, und hinüber eilen, um den andern bei den Vorderbeinen Hülfe zu leisten. Da nicht Raum für Alle ist, um die Beine des Käfers zu fassen, so klammern die, welche dieses nicht können, ihre Zangen um die Leiber der andern herum. Vorwärts geht es, jetzt wieder hinauf, an der Schiffsseite; sie ziehen tüchtig und – alle zugleich. Aber jetzt wird die Arbeit gefährlicher; denn sie müssen den Leichnam in ihr Nest schaffen, das, drei Fuß von der Schiffsseite entfernt, sich gerade über meinem Kopfe befindet. Wie ist es möglich, ein so unermeßliches Gewicht fortzuschaffen, während sie, den Kopf nach unten gekehrt und die Füße an die Decke klammernd, sich vorwärts bewegen? Seht, wie sorgfältig sie über den Winkel wegzukommen suchen – was für ein Getümmel und Durcheinander, während sie die nöthigen Anordnungen treffen! Jetzt wird angehalten. Sie haben den Leichnam in eine solche Lage gebracht, daß alle seine Beine, in der Richtung, die sie einschlagen wollen, einander gerade entgegen stehen. Eines von den Vorderbeinen wird seiner ganzen Länge nach ausgestreckt, während alle anderen ihre Stellung behalten. Das Bein bleibt stehen, und es wird ein anderes von den Vorderbeinen ausgestreckt. So fahren sie fort, bis alle Vorderbeine ausgestreckt sind, und der Körper des Thieres ganz auf seinen Beinen steht. Dann gehen sie an die Hinterbeine, und verfahren auf die nämliche Art. Durch dies geschickte Manöver haben sie den Leichnam fast einen Zoll an der Decke vorwärts gebracht. Abermals wird eines der Vorderbeine ausgestreckt, und das nämliche Verfahren beobachtet.

Hätten Landameisen dies wohl ausführen können? Ich habe ihnen oft als Knabe zugesehen, weil meine Großmutter mich dazu anhielt – in späteren Jahren, weil ich bei ihrem Fleiß und ihrer Beharrlichkeit Vergnügen fand; aber ach! nie machte ich mir ihr Beispiel zu Nutzen.

»Nun, Freddy,« sagte die alte Frau, ihre Brille abwischend, wenn sie an einem schönen Sommerabende, nach fünf Uhr, sobald sie den Thee getrunken, in der Sonne saß; »hole ein Butterbrod, dann wollen wir den Ameisen zuschauen. – Ach Gott, der Junge hat eine ganze Schnitte davon fallen lassen! Warum verderbst du die guten Lebensmittel auf solche Art? Wer wird es denn noch essen, wenn es im Sande gelegen hat? Brich da ein Stückchen ab und wirf es hin. Lege das Uebrige wieder auf den Teller; dann hat doch die Katze noch Etwas.«

Aber diese Ameisen konnten so wenig eine Vergleichung mit den meinigen aushalten, als ein gemeiner Arbeiter mit einem Ingenieur, der die bergeweghebenden mechanischen Kräfte leitet. Meine alte Großmutter ließ mich nie fortlaufen, als bis sich das Stück Butterbrod im Ameisenhaufen befand und, was noch schlimmer war, ich mußte auch noch moralische Lehren anhören, welche daraus gezogen wurden und mehr Zeit wegnahmen, als die Ameisen brauchten, um das Butterbrod in ihre Löcher zu schaffen. Sie sprach immer von Fleiß und ich weiß nicht, von was Allem – eine lange Geschichte, theils von ihr selbst, theils von Salomo entlehnt; aber es war Alles in den Wind gesprochen. Ich konnte nicht begreifen, warum ich mein Buch lieben sollte, weil die Ameisen Brod und Butter liebten. Sie war eine alte treffliche Frau; aber dessenungeachtet hegte ich oft einen ähnlichen Gedanken, wie der Knabe auf der Karrikatur, der bei seiner alten Großmutter und der Katze sitzt und sagt: »Ich wünschte, Eines von uns Drei wäre todt. Ich bin es nicht und du wirst es auch nicht, Miez.«

Nun, sie starb endlich, reich an Jahren und Ehre, und ich wurde aus der Schule geholte um ihrem Leichenbegängnisse beizuwohnen. Mein Oheim war sehr ergriffen, denn sie war eine ausgezeichnete Mutter gewesen. Das mag sein; aber ich undankbarer Junge konnte ihre Verdienste als Großmutter nicht begreifen und zeigte eine große Seelenstärke bei dieser Gelegenheit. Ich erinnere mich eines Umstandes, der bei ihrem Leichenbegängnisse vorkam und in Verbindung mit einem nachfolgenden mich seither oft zu ernsten Betrachtungen über die geringfügigen Ursachen veranlaßt hat, welche auf das menschliche Gemüth einwirken, wenn es bereits von Leiden niedergedrückt ist. Die Ueberreste meiner Großmutter wurden in einem alten Familiengewölbe nicht fern vom Strome beigesetzt. Als die letzten Ceremonien vorüber waren und der Sarg in die tiefe Gruft versenkt wurde, wo schon so viele Geschlechter hinabgestiegen waren, blickte ich hinunter und sah, wie dieselbe fast bis an den Bogen des Gewölbes voll Wasser war. Als mein Oheim meine Verwunderung bemerkt hatte und den Grund derselben erfuhr, so war er wegen dieses Umstandes sehr betrübt; aber zu spät – man hatte die Seile schon wieder heraufgezogen, und meine Großmutter war auf den Grund gesunken. Nach Beendigung der Begräbnißfeier befragte mein Oheim den Meßner über diese Sache.

»Nun ja, Sir, es kommt nur daher, weil das Wasser im Strome jetzt hoch steht. Vor Abends wird sie ganz auf dem Trocknen sein.«

Dies verschlimmerte jedoch die Sache nur. Wenn Sie am Abende trocken lag, so mußte sie am Morgen wieder schwimmen. Es war also keine Ruhestätte mehr und der Schmerz meines Oheims vergrößerte sich bei diesem Gedanken um Vieles; denn noch lange nachher schien er zur Fluthzeit ungemein nachdenkend.

Obschon die Zeit seinen Kummer allmälig milderte, so war doch dieser Eindruck nicht zu vertilgen. Viele Jahre darauf mußte eine schöne Cousine die Welt verlassen, bevor sie noch Zeit gehabt, die ihrem Geschlechte zukommenden Pflichten zu erfüllen, oder durch bittere Erfahrungen sich zu überzeugen, daß Sterben Gewinn ist. Damals bemerkte ich, daß mein Oheim sich eine Art Postmortem-Wasserscheu zugezogen hatte. Er ließ mit großen Kosten in einer auf dem Gipfel eines Hügels gelegenen Kirche, gerade unter der Kanzel derselben, ein Gewölbe in festem Kalkstein hauen. Dort würde man, wie er glaubte, nicht blos im Trockenen liegen, sondern auch vor dem Regen geschützt sein. Das Gewölbe war vollendet, und Thränen, die letzte Nässe, der die Hingeschiedene ausgesetzt war, wurden über sie von Denen vergossen, welche sie innig geliebt hatten. Als die Begräbnißfeier zu Ende war, blickte mein Oheim mit einer gewissen Zufriedenheit in das Gewölbe hinunter. »Da,« sagte er, »wird sie im Trocknen liegen bis zum jüngsten Tage.« Und ich glaube in der That, daß diese Ueberzeugung ihn mehr beruhigte, als die Trostgründe der Religion oder die Theilnahme der Freunde. Er kam häufig darauf zu sprechen, und so oft er es that, dachte ich an meine alte Großmutter und an Ebbe und Fluth.

Ich hatte vorige Nacht einen höchst sonderbaren Traum von meinem eigenen Begräbnisse und dem darauffolgenden Zustande, welcher den Vorstellungen meines Oheims von dem, was comfortable ist, so schnurstracks zuwiderläuft, daß ich ihn hier mittheilen will:

Ich war todt; aber der Geist verweilte, ich weiß nicht, aus Höflichkeit oder Zuneigung, noch bei dem Körper und wollte ihn nicht verlassen, obwohl das Band zwischen ihnen getrennt war. Ich war im Gefechte gefallen und der erste Schiffslieutenant las mit gemischten Gefühlen des Kummers und der Freude – des Kummers über meinen Tod – ein Tribut, den ich nie von ihm erwartet hätte und der Freude über seine nunmehrige Beförderung (denn das Gefecht hatte einen glücklichen Ausgang genommen) – die Begräbnißgebete, worauf ich mit einigen zwanzig Anderen, die gleich mir in Hängematten eingenäht waren, in das Meer versenkt wurden, wo wir mit einander zugleich rasch untersanken.

Es kam mir vor, als ob wir uns von einander trennten, und ich sank fast ganz allein immer tiefer, tiefer, tiefer, bis ich endlich nicht mehr weiter sinken konnte. Ich war gleichsam in schwebender Stellung und lag schwimmend auf dem verdichteten und mich tragenden Wasser, viele hundert Faden unter der Oberfläche. Ich dachte bei mir selbst: »Da mußt du also eingepöckelt liegen bis zum jüngsten Tage.« Es war ganz finster, aber durch den Geist sah ich so gut, wie bei hellem Sonnenschein, und ich bemerkte Gegenstände im Wasser, die allmählig größer wurden. Es waren Haifische, die nach Beute umhersuchten. Wüthend griffen sie mich an, und während sie mich aus meinem Leintuche herauszuzerren suchten, wurde ich von ihren platten Nasen fortwährend herum gewirbelt. Endlich erreichten sie ihren Zweck. In einem Augenblicke war ich zerrissen, ohne den geringsten Schmerz zu erleiden; denn diesen hatte ich auf der Welt, von der ich erlöst war, zurückgelassen. Der eine biß mit seinen scharfen Zähnen ein Bein ab und schoß nach Norden; der andere einen Arm und steuerte nach Süden; jeder nahm seinen Theil und alle schienen in verschiedenen Richtungen davon zu eilen, um einander bei der Verdauung nicht zu stören.

»Bedienen Sie sich nach Belieben, meine Herren, bedienen Sie sich nach Belieben,« rief ich im Geiste aus; aber wenn Young in seinen » Nachtgedanken« Recht hat, wie sollte ich meine Gebeine am Tage der Auferstehung zusammenbringen? Es war nichts mehr vorhanden, als mein Kopf, und dieser fuhr, des größeren Gewichtes wegen, jetzt fort, kräuselnd hinunter zu sinken, so daß mir ganz schwindlich wurde. Aber es stand nicht lange an, als ein Hai, der seinen Antheil noch nicht bekommen, senkrecht auf ihn herunterschoß, und als das letzte Stück von mir in seinen ungeheuren Rachen hineinrollte, da entfloh der Geist und Alles war Finsterniß und Bewußtlosigkeit.

Aber ich bin toller Weise von der Ideenverkettung abgeschweift. Die Ameise ließ mich an meine Großmutter – meine Großmutter an meinen Oheim – mein Oheim an meine Cousine – und ihr Tod an meinen Traum denken; denn wir sind aus gleichem Stoffe, wie die Träume gemacht, und unser kurzes Leben begrenzt ein Schlaf. Aber ich bin noch nicht mit Allem zu Ende, was ich über die Thiere sagen wollte. Am Bord eines Kriegsschiffes wird nicht blos ihr Instinkt geschärft, sondern ihre Natur erleidet durch unmittelbare Berührung mit menschlichen Wesen fast eine Umwandlung, und sie werden in einem unglaublich kurzen Zeitraume zahm. Der Mensch ist Herr über die Thiere des Feldes; die wildesten von der Katzenart greifen ihn nicht an, sondern entfliehen, wenn sie nicht vom Hunger auf's Aeußerste getrieben werden; und es ist eine wohlbekannte Thatsache, daß das menschliche Auge eine Gewalt besitzt, der alle anderen Geschöpfe sich beugen. In welchem Falle muß sich also ein Thier befinden, das an Bord gebracht wird und in unmittelbare Berührung mit Hunderten kommt, deren furchtlose Augen den seinigen überall begegnen, und deren Benehmen ihren unerschrockenen Blicken entspricht. Ein solches Thier ist sogleich unterjocht. Ich erinnere mich eines Leoparden, der, nachdem er drei Tage lang an Bord gewesen, frei herum laufen durfte, obgleich man anfangs es für nöthig erachtet hatte, ihn in einen eisernen Käfig zu sperren. Er war kaum vierzehn Tage auf dem Schiffe, als ich wahrnahm, wie ein Matrose die Nase des Thiers auf dem Verdecke rieb, da es sich in irgend Etwas vergangen hatte.

»Nun, Sie haben diesen Gentlemen sehr manierlich gemacht,« bemerkte ich; »er ist so zahm wie ein junger Hund.«

»Zahm? Ja, Sir, das Thier weiß, daß es ihm sonst schlecht bekäme. Ich wünschte, der Kaiser von Marokko schickte uns ein Rhinoceros-Männchen an Bord – wir würden es in Einer Woche zähmen.«

Ich glaube, der Mann hatte Recht.

Das merkwürdigste Beispiel von Gewohnheitsveränderung, das ich je gesehen, kaum während des letzten Krieges bei einem Widder an Bord einer Fregatte vor. Er war von einer Heerde, die der Kapitän, aus Veranlassung einer langen Kreuzerfahrt, an Bord genommen, und da er der einzige Ueberlebende war, so durfte er, während das Schiff ausgebessert wurde, auf den Decks frei umherlaufen: er war so sehr der Liebling der Schiffsmannschaft geworden, daß der Gedanke, ihn zu tödten, selbst dann, als es an frischer Kost gebrach, dem Kapitän nie in den Sinn kam. Jack (dies war sein Name) lebte ganz vertraulich mit den Leuten und wurde von den verschiedenen Tischen aus mit Zwieback gefüttert. Er verstand das Pfeifen der Hochbootsmannsgehülfen sehr gut, und lief sogleich hinunter, wenn zum Frühstück, Mittag- oder Abendessen gepfiffen wurde. Unter andern Vorzügen kaute er auch Tabak und trank Grog. Darf man sich daher wundern, wenn er ein Liebling der Matrosen war? Daß er es Anfangs nicht aus freien Stücken that, ist möglich; aber gleichwohl wurde er ein so großer Freund des Grogs, als irgend einer von den Leuten. Wenn nun die Pfeife das Zeichen zur Grogaustheilung gab, so lief er nach der Tonne und wartete, bis er an die Reihe kam – denn mit allgemeiner Zustimmung wurde stets extra eine halbe Pinte Wasser in die Grogtonne geschüttet, damit Jack immer seine regelmäßige Portion erhielte. Aus langer Gewohnheit wußte das Thier pünktlich, wenn es an die Reihe kam. Auf dem Schiffe befanden sich achtzehn Tischgenossenschaften, und wenn sie von dem Steward oder dem Sergeanten nach einander aufgerufen wurden – erster Tisch, zweiter Tisch u. s. w. und man zuletzt auch Jack rief, so lief dieser an die Tonne und holte seine Portion.

Nun kam es bisweilen auch vor, daß man einen Tisch, wenn er aufgerufen wurde, überging, weil der zur Empfangnahme des Grogs bestimmte Mann nicht gegenwärtig war, wo dieser alsdann erst nach den übrigen Tischen bedient wurde. Aber ein Vorfall dieser Art gab immer zu großer Belustigung Anlaß; denn der Widder, welcher wohl wußte, daß nach dem achtzehnten Tisch an ihn die Reihe komme, stieß jeden weg, der noch vor ihm an das Faß zu gehen versuchte; und wenn man Jack nicht vor diesem befriedigte, so wurde er ganz wüthend, sprang auf den Beleidiger los und stieß ihn nach der Schiffsküche, oft auch die Luke hinunter, ehe sein Grimm beschwichtigt werden konnte – woraus offenbar hervorging, daß das Thier ein leidenschaftlicher Liebhaber des Grogs war. Dies halte ich bei einem wiederkäuenden Thiere für eine Umwandlung der Natur, so groß es nur eine geben kann.

Ich könnte noch viele Beispiele dieser Art erwähnen, aber ich will sie aufsparen, bis ich älter geworden bin. Dann werde ich ein eben so großer Schwätzer sein, wie Montaigne. Aber es ist mir, als ob ich den Leser sagen hörte: »Alles dies mag ganz wahr sein; aber was hat es denn mit unserer Erzählung zu thun?« O gar nichts; aber es hat sehr viel mit dem Büchermachen zu schaffen – denn ich habe ein ganzes Kapitel mit Nichts vollgeschrieben.


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