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Achtes Kapitel.

Die Wogen stürzen herein.
Die lecken Balken zittern,
Ein Grab wird bei Meer uns sein.

Seelied.

 

Ich will, da es unsere Erzählung nur aufhalten würde, ohne zu ihrem Verständnisse durchaus nöthig zu sein, nicht bei den Folgen des Kampfes verweilen, der bald nachher mit sehr geringem Vortheile für uns entschieden wurde. Die Soldaten wurden wieder eingeschifft, die Fahrzeuge aus dem Bereich der feindlichen Geschütze geholt und ein Kriegsrath zusammenberufen, der einstimmig erklärte, daß es jetzt nichts mehr zu thun gebe. Depeschen gingen nach England ab – sie differirten ohne Zweifel ein wenig, aber das hatte nichts zu bedeuten. Die Gesammtsumme der Getödteten und Verwundeten bewies, daß ein hitziger Kampf vorgefallen, und war daher für die Nation ausnehmend befriedigend. Beiläufig gesagt, John Bull ist in dieser Beziehung etwas delikat; er glaubt nämlich, ein außerordentliches Gefecht müsse auch den Verlust vieler Menschenleben zur Folge haben. Da er nun keinen andern Maßstab kennt, so beurtheilt er jeden Kampf nach der Liste der Getödteten und Verwundeten. Ein Kaufmann mit Leib und Seele, glaubt er, eine jede Sache sei nur so viel werth, was sie gekostet, und bildet sich ein, das, was man leicht und wohlfeil erlangt habe, könne auch nicht hoch anzuschlagen sein. Gerade diese eigenthümliche Art zu urtheilen hat schon sehr häufig die Offiziere bewogen, höchst unbedeutende Quetschungen, die ein Boxer verachten würde, sorgfältig zu bemerken, um durch eine recht große Anzahl von Verwundeten die Erwartung der ehrlichen Leute desto besser zu befriedigen.

Doch fahren wir fort. Wie es gewöhnlich beim Mißlingen einer Expedition der Fall ist, so gab es auch kleine Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen. Das Landheer meinte, die Flotte hätte zehn Fuß dicke steinerne Wälle niederwerfen sollen, und die Flotte wunderte sich, daß das Landheer eben diese Wälle, die dreißig Fuß hoch waren, nicht erstiegen hatte. Einige von den Schiffen klagten andere an, nicht eine hinreichende Anzahl Getödteter und Verwundeter zu haben; und so oft die Mannschaften der Boote am Ufer auf einander trafen, schlugen sie sich auf Leben und Tod, als ob es für die Ehre des Vaterlandes durchaus nothwendig wäre, noch mehr Blut zu vergießen. Dieß dauerte jedoch nur drei Wochen; da bewirkte ein glücklicheres Unternehmen, daß sie einander die Hände schüttelten und sich wunderten, warum sie gezankt hatten.

Ein Vorfall, der während des Kampfes sich zugetragen hatte, wurde indeß nicht vergessen. Der Schiffskapitän war Zeuge davon gewesen, und Offiziere und Soldaten machten ihn zu einem Gegenstand ihrer Unterhaltung und Bewunderung. Dieß war die kühne That unseres kleinen Helden, als er die Bombe über Bord rollte.

Kapitän M–, der neue Kommandeur, erkundigte sich, sobald seine wichtigeren Geschäfte es erlaubten, bei den Offizieren (da er selbst auf dem Schiffe fremd war) nach Willy. Seine kurze, jedoch traurige Geschichte war bald erzählt, und der trostlose Knabe wurde vom Halbdeck heraufgerufen, wo er neben Adams Leiche saß, die gleich vielen andern, mit Nationalflagge bedeckt, in der Hängematte lag und gegen Abend unter Beobachtung der christlichen Bestattungsbräuche in die Tiefe gesenkt werden sollte.

Da der Kapitän wußte, daß Adams der einzige Beschützer des Kleinen gewesen war, so beschloß er, voll Mitleid, den Verlassenen und Verwaisten, dessen frühen Muth er nicht wenig bewunderte, unter seine eigene Obhut zu nehmen und als Offizier auf das Halbdeck, wo er sich so sehr ausgezeichnet hatte, zu versetzen. Willy stand, dem erhaltenen Befehle gehorsam, mit dem Hut in der Hand vor dem Kapitän.

»Wie heißt du, mein Junge?« fragte der Kapitän, indem er aufmerksam die stolze und wohlproportionirte Gestalt des Knaben betrachtete.

»Willy, Sir.«

»Dein anderer Name?«

»Königs-Eigen, Sir.«

Diesen Theil von des Knaben Geschichte erklärte dann der zweite Lieutenant, der an die Stelle des ersten verwundeten getreten war, dem Kapitän.

»Er muß einen Namen haben,« erwiederte der Kapitän. »Willy Königs-Eigen kann er nicht heißen. Ist er in der Liste eingetragen?«

»Nein, Sir, das ist er nicht; soll ich ihn als William Jones oder William Smith einschreiben?«

»Nein, nein, diese Namen sind zu gewöhnlich; der Kleine hat weder Vater, noch Mutter, noch einen uns bekannten Namen, und da wir ihn also nennen können, wie wir wollen, so wollen wir ihm einen schönen Namen geben. Ich habe gehört, daß ein Mann, der einen schönen Namen hat, oft bei romanlesenden Mädchen sein Glück macht. Es liegt etwas Romantisches in der Geschichte des Knaben, wir wollen ihm also auch einen romantisch klingenden Namen geben.«

»Ja, ja, Sir,« erwiederte der Lieutenant. – »Heda, Soldat, sag' meinem Burschen, er solle einen Band von den Romanen in meiner Kajüte herausbringen.«

Das Buch wurde auf's Halbdeck gebracht.

»Vielleicht, Sir, finden wir hier einen,« sagte der Lieutenant, während er dem Kapitän das Buch darreichte.

Der Kapitän lächelte, indem er dasselbe in die Hand nahm.

»Wir wollen sehen,« sagte er, darin blätternd – »Delamere! Ist zu albern; Fortescue! der gefällt mir auch nicht. Seymour! Ja, der ist recht – ist nicht zu vornehm und doch altadelig und hübsch. Midshipman, sagen Sie Mr. Hinchen, dem Schreiber, er solle den Kleinen als Mr. William Seymour in's Schiffbuch eintragen. Und nun, Knabe, will ich für deine Equipirung Sorge tragen und den Tisch auf ein Jahr für dich bezahlen; dann wirst du, wie ich hoffe, mit deinem Solde und dem Prisengelde dich allein fortbringen können. Doch wie es auch kommen mag, so lange du dich meines Schutzes würdig beweisest, werde ich dich nie vergessen.«

Willy, den Strohhut in der einen Hand und die andere noch zum Ueberflusse an seinem lockigten Kopf emporstreckend, machte nach Art und Gebrauch des Seevolks mit dem linken Beine einen Kratzfuß; kurz er verbeugte sich, so gut er konnte, ganz nach dem Rezepte, das ihm sein abgeschiedener Freund Adams mitgeteilt hatte. D'Egville hätte vielleicht die Nase darüber gerümpft; allein Kapitän M– war vollkommen damit zufrieden; denn war die Verbeugung des Kleinen auch nicht zierlich, so war sie doch dankbar gewesen.

Unser junger Offizier ward nicht in die Kajüte der Seekadetten hinunter geschickt. Sein guter und verständiger Kapitän wußte wohl, daß ein Bursche, der durch die Klüsenlöcher hineinkriecht, das heißt, einer, der vom Maste aus befördert wird, am Midshipmentische besonders von denjenigen Mitgliedern der Gesellschaft, die wegen ihres niedrigen Herkommens am wenigsten Grund hätten, sich zu beklagen, nicht gerne gesehen wird. Er wurde daher der Fürsorge des Constabels überlassen.

So aufrichtig die Beglückwünschungen der Offiziere und der Mannschaft auch sein mochten, war Willy doch über den Verlust seines freundlichen Beschützers so betrübt, daß er dieselben mit Gleichgültigkeit entgegennahm und die Lobsprüche, die man seinem Muthe zollte, nur mit Thränen in den Augen anhörte, die der Erinnerung an den Vorfall galten, der ihn zu dieser That bewogen hatte. Als der Tag sich neigte, sah er mit zitternden Lippen und schmerzendem Kopfe den Leichnam seines alten Freundes der Tiefe überantworten, und als derselbe in die klaren Wogen sank, fühlte er sich so verlassen in der Welt, als ob er nichts mehr hätte, das er lieben und an das er sich anschließen könnte.

Wir würdigen die Gefühle, von denen die Kinder sich leiten lassen, nicht gehörig, weil sie in ihrem zarten Alter noch keine Worte finden können, um dieselben deutlich auszusprechen. Man behandle ein Kind auf dem Fuße der Gleichheit, und in kurzer Zeit wird man finden, wie der Grund seines kindischen Wesens Hauptsächlich darin bestand, daß man es bisher als ein Geschöpf von untergeordneten Fähigkeiten und Gefühlen betrachtet hatte. Es ist wahr, die Gefühle der Kinder werden in den früheren Jahren oft durch Dinge erregt, die uns unbedeutend vorkommen; aber wir müssen in aller Demuth bedenken, daß unsere eigenen Bestrebungen eben so eitel, eben so unbedeutend und eben so selbstsüchtig sind – »wir sind nur erwachsene Kinder.«

Das Geschwader kreuzte fortwährend an der französischen Küste, in der Absicht, den Feind zu beunruhigen und bei der ersten besten Gelegenheit einen glücklichen Angriff zu machen. Am vierten Tage, seitdem Willy auf das Halbdeck befördert war, zeigte sich früh Morgens eine große Convoy von chasse marées (kleine, wie Lugger ausgerüstete Küstenfahrzeuge), die eine niedrige, nicht ganz drei Meilen von dem Geschwader entfernte Landspitze umsegelten. Augenblicklich ward das Signal zur Verfolgung derselben gegeben; nach einer halben Stunde befanden sich die englischen Kriegsschiffe mitten unter ihnen und gaben eine Lage nach der andern auf die unglücklichen Fahrzeuge, die zum Zeichen der Unterwerfung ihre Segel in allen Richtungen einzogen. Die englischen Kriegsschiffe sahen aus wie Falken, die auf einen Zug kleiner Vögel herunter schießen, und die Fahrzeuge glichen mit ihren eingezogenen, im Winde flatternden Segeln eben so vielen auf dem Boden zappelnden, zerrissenen oder vor Schrecken gelähmten Schlachtopfern der Raubgier des Feindes. Einige entkamen in das seichte Wasser, andere strandeten, wieder andere gingen unter, und ungefähr zwanzig wurden von dem Geschwader in Besitz genommen. Es zeigte sich, daß sie zu einer mit Wein beladenen und nach der Garonne bestimmten Convoy gehörten.

Eines dieser Schiffe, welches größer war als die übrigen, und einen Wein von besserer Qualität führte, schickte der Kommodore nach England. Die Weintonnen an Bord der anderen wurden auf die verschiedenen Schiffe gehißt und unter die Mannschaften vertheilt. Kapitän M– hielt den Abgang der Prise nach England für eine gute Gelegenheit, unseren Helden zu seiner Equipirung dahin zu schicken, indem er ohne Uniform nicht wohl als Offizier auf dem Halbdeck erscheinen konnte. Er ertheilte daher dem Schiffsmeisters-Gehülfen, der die Prise überbringen sollte, den Auftrag, William mitzunehmen, und schrieb auch an seine Freunde in Portsmouth, wohin das Fahrzeug bestimmt war, ihn mit allem Nöthigen zu versehen und mit dem ersten Schiffe, das zu dem Geschwader stoßen sollte, wieder zurückzuschicken. Die Prise ward verproviantirt, der Offizier empfing seine schriftlichen Befehle, wurde mit unserem Helden und drei Soldaten an Bord gebracht und verließ das Geschwader.

Der Schiffsmeistersgehülfe, welcher das Fahrzeug nach Portsmouth führte, war der uneheliche Sprößling des ersten Lieutenants eines Linienschiffes und eines jungen Frauenzimmers von dem Bumboote, das heißt, dem Fahrzeuge, welches die Schiffsmannschaft mit den nöthigen Lebensmitteln und auch mit Luxusartikeln versieht, wenn sie solche bezahlen können. Natürlich geht das Bestreben einer Menschenklasse, die ihren Lebensunterhalt sich auf solche Art erwerben muß und in Betreff desselben gänzlich von der Flotte abhängig ist, immer dahin, sich die Schiffsoffiziere geneigt zu machen. Gewöhnlich führt ein solches Bumboot ein schönes Mädchen mit sich, das, obgleich gegen die jüngeren Offiziere sehr spröde, doch gegen den ersten Lieutenant nichts als Freundlichkeit blicken läßt und zum Vortheile ihrer Herrschaft Kleinigkeiten eben nicht hoch anschlägt. Schönheit für Männer – Gold für Frauen! Dieß ist der glänzende Köder, wodurch sich in dieser Welt beide Geschlechter vom Pfade der Pflicht oder der Klugheit ablocken lassen.

Diese Art von Bestechung gab auch der Flotte den Offizier, von welchem hier die Rede ist. Sein muthmaßlicher Vater hatte genug Einfluß, um ihn auf das Halbdeck zu bringen; und bei Erwerb seiner Mutter, die, nachdem sie ihre Lehrjahre überstanden hatte, bis zur Würde einer Marketenderschiffs-Herrin vorgerückt und eine dicke holdselige Matrone von ungefähr vierzig Jahren geworden war, reichte vollkommen hin, dem Sohne in seinem untergeordneten Range das Nothwendige zu verschaffen. Seine Erziehung und seine natürlichen Anlagen waren jedoch nicht von der Art, daß sie ihm Freunde oder Beförderung hätten erringen können. Er blieb deßwegen in der Stellung eines Schiffsmeistersgehülfen und mußte dieses wahrscheinlich noch lange bleiben, wenn er nicht in Folge einer Hauptschlacht in einer allgemeinen, der Anciennität nach vorgenommenen Beförderung eingeschlossen wurde. Er war ein kleiner Mann mit ganz gemeinem Gesichte, scharfen Zügen und einer sehr rothen Nase, welches letztere von der Neigung zu vielem Trinken herkam, das er nicht blos auf Kosten seiner eigenen Portion, sondern auch der Portionen aller jungen Burschen im Schiffe betrieb, denen er entweder schmeichelte, oder gegen die er schwadronirte.

Sein größter Stolz und sein eifrigstes Studium war das Matrosenwelsch, worin er bedeutende Fortschritte machte. Er führte immer ein Colt (ein anderthalb Fuß langes Seil mit einem Knoten an dem einen Ende, und am andern zu einer Handhabe zusammengezogen) zum Besten der jungen Bursche, deren grausamster Tyrann er war, in seiner Tasche mit sich. Im Uebrigen war er höchst unwissend und verstand durchaus kein Schiff zu führen. Kapitän M– hatte ihm bloß deßwegen die Prise anvertraut, weil er noch keine Zeit gehabt hatte, die Offiziere gehörig zu würdigen, und dieß der älteste Schiffsgehülfe war.

Die Prise hatte kaum die Segel aufgespannt und in die See gestochen, als Mr. Bullock, der Schiffsmeistersgehülfe, unsern Helden zu sich rief und ihn mit folgenden zierlichen Worten anredete:

»He, du Rebellenbrut – nimm deinen Hut ab, Kerl!« (dabei schlug er dem armen Willy seinen einzigen Hut so heftig vom Kopfe, daß er leewärts und über Bord flog) »merk' auf, was ich sage; denn ich meine es so gut wie ein Vater mit dir. Du bist noch kein Offizier, und wenn du es auch wärest, so würde mich das wenig bekümmern – nur keine Fratzen geschnitten! Du siehst, ich habe außer mir bloß drei Leute im Schiffe; die müssen die drei Wachen versehen; es ist also deine Pflicht, mir in der Kajüte aufzuwarten. Du mußt mir meinen Zuckerclaret kochen – ich trinke jede halbe Stunde ein Krügchen von diesem Weine, damit mir der böse Wind nicht schadet; und wenn er nicht stets bereit und nicht gut ist – siehst du dieß? Hier zog er das Colt aus der Tasche. »Aber warte, es wird am besten sein, wenn du es einmal zu fühlen bekommst; dann weißt du gleich, wie es schmeckt, und wirst Sorge tragen, deine Stagen gehörig straff zu ziehen.« So sprechend versetzte er unserem Helden, der bereits in die Sitten und Bräuche auf einem Kriegsschiffe gehörig eingeweiht war, um die Bedeutung des Sprüchworts wohl zu würdigen: »je weniger Worte, desto eher aus der Klemme«, drei bis vier tüchtige Hiebe auf Rücken und Schultern.

In eines der Claretfässer, welche auf dem Verdecke lagen, war bereits ein Hahn eingesetzt, und da das kleine Fahrzeug in der Bai von Biscaya sehr durch die Brandung litt, so hatte unser Held mit Bewachung des Clarettopfes, um ihn bei der starken Bewegung des Schiffes vor dem umstürzen zu bewahren und beständig das Feuer unter demselben zu erhalten, vollauf zu thun. Regelmäßig reichte Willy jede halbe Stunde diesen Trank seinem kommandirenden Offizier, der unserem Helden, wenn der Wein zu süß oder nicht süß genug war, oder wenn er das ganze Quantum nicht zu trinken vermochte, immer zu dessen größter Belästigung den Rest davon in's Gesicht schüttete und ihm sagte, da habe er seinen Theil.

Bei dieser Anordnung blieb es unnachsichtlich drei Tage und drei Nächte. Jede Nacht wurde Willy fünf- bis sechsmal aufgeweckt, um Mr. Bullock die bestimmte Dosis heißen Claret zu reichen, welche derselbe sich selbst verordnet hatte. Er glich, so dünn und mager er war, gewissermaßen seiner ganzen Konstitution nach, einem von oben bis unten hohlen Bambusrohre, so daß er im Stande war, das Maß von Flüssigkeiten zu verschlingen, welches er in vierundzwanzig Stunden hinunterschüttete, Trunkenheit schien bei ihm eine unmögliche Sache; denn aus langer Gewohnheit glich er einem widerspenstigen Schiffe, das immer sich auf die Seite legt und sich lieber die Masten wegwehen läßt, als daß es eine gerade Richtung annähme. Am vierten Tage erhob sich aus Nordwest ein heftiger Sturm und die See ging sehr hoch. Die Chasse-Marée, nicht gebaut, es mit den stürmischen Wogen der Bai von Biscaya aufzunehmen, sondern nur gewohnt, an der Küste hinzukriechen und bei der ersten Anzeige ihrer Wuth sogleich Schutz zu suchen – die überdieß noch auf dem Verdecke eine schwere Ladung führte – hatte nicht Kraft genug, sich auf die Spitze der Wogen zu erheben, welche immer über sie herstürzten, so daß die Leute durch Nässe und Rauhigkeit des Wetters völlig erschöpft wurden.

Am dritten Tage, seitdem sich der Sturm erhoben, und am siebenten der Abfahrt des Schiffes traf eine Bö den Hauptmast und warf ihn über Bord; eine ungeheure Welle stürzte auf das Verdeck herein und spielte die drei im Takelwerk beschäftigten Leute mit sich fort. Mr. Bullock, der Schiffsmeistersgehülfe, stand am Steuerruder – Willy war, wie gewöhnlich, unten mit Bereitung des Clarets beschäftigt, der bei diesem schlechten Wetter mehr als je verlangt wurde.

Der Schiffsmeistersgehülfe verließ das Steuer und rannte fort, um den Matrosen, die im Wasser aus allen Kräften gegen das Fahrzeug hinarbeiteten, ein Seil zuzuwerfen. Er fand eines; zwei von ihnen ergriffen es (der dritte war untergesunken) und sogleich wurde es durch ihr starkes Anklammern straff, während Bullock zu seinem großen Entsetzen bemerkte, daß er sich in dem Seile verwickelt und daß es sich siebenmal um seinen Leib geschlungen hatte, so daß die Leute ihn über Bord zogen. »Laßt los, oder ich falle über Bord!« war für Ertrinkende ein erfolgloser Zuruf. Sie hielten fest, und auch der Schiffsmeistersgehülfe hielt sich an das Takelwerk; durch die Anstrengungen der Ertrinkenden aber wurden seine Beine endlich emporgehoben, und jetzt hing er sich in horizontaler Richtung voll Verzweiflung an die Wandtauen. »Willy, Willy, ein Messer – schnell, schnell!« brüllte er in seiner Todesangst. Willy, der seinen Namen und den Ruf »schnell, schnell!« hörte, glaubte nichts Anderes, als daß eine so ungewöhnliche Eile nur dem Claret gelten könne. Er verweilte deswegen, ehe er der Aufforderung Folge leistete, noch einige Augenblicke, um Zucker hineinzuwerfen und ihn umzurühren. Alsdann stürzte er, den Topf in der Hand, die Lucke hinauf.

Aber diese wenigen Minuten hatten über Mr. Bullock's Schicksal entschieden, und als Willy's Kopf durch die Lücke auftauchte, so versank der des Schiffsmeistersgehülfen in einem seinen Gewohnheiten so sehr widersprechenden Grabe. Er hatte den vereinten Kräften der Ertrinkenden nicht länger Widerstand leisten können, und Willy kam gerade noch recht, um ihn untersinken und sich selbst verlassener als je zu sehen. Mit der einen Hand sich an den Wandtauen und mit der andern den Clarettopf haltend, heftete er seine Augen lange auf die Stelle, wo sein tyrannischer Gebieter verschwunden war, und fühlte nun, alles Erlittene vergessend, tiefen Kummer über den Verlust desselben. Abermals stürzte eine Welle über das Verdeck des führerlosen Fahrzeuges her und erweckte ihn aus seinen melancholischen Träumen. Er ließ den Topf fallen und klammerte sich mit beiden Händen an das Takelwerk, indem das Wasser ihm bis über die Knie ging. Hierauf benützte er einen günstigen Augenblick und eilte wieder in die Kajüte hinunter, wo er sich niedersetzte und bitterlich weinte – bitterlich über den Verlust des Schiffsmeistersgehülfen und der Matrosen, denn er hatte ein liebevolles und gutes Herz – bitterlich über seine eigene traurige und verlassene Lage.

Der alte Adams hatte nicht vergessen, ihn beten zu lehren, und Willy hatte oft in der Bibel lesen müssen, die der alte Mann, so gut er konnte, ihm erklärte. Das Fahrzeug arbeitete und ächzte, von den Wogen hin- und hergestoßen, der Wind heulte, die Wellen schlugen an die zitternden Seiten des Schiffes und stürmten über seine Verdecke hin. Mitten in diesem wilden Elementenkampfe blieb die schwache Stimme des knieenden, von der übrigen Welt getrennten und mit einem jähen Untergang bedrohten Kindes nicht ungehört oder unbeachtet von einem allwissenden und allmächtigen Gott, der ja gesagt hat, daß ohne seinen Willen nicht ein Sperling zur Erde falle.

Willy machte seinem Gebete und seinen Thränen ein Ende. Da er sich durchnäßt und erkältet fühlte, so bedachte er, daß dasselbe Getränk, welches seinen abgeschiedenen Freund, den Schiffsmeistersgehülfen, erwärmte, wahrscheinlich auch bei ihm die gleiche Wirkung hervorbringen würde. Er kroch mit einem andern zinnernen Topfe die Luke hinauf, zapfte etwas Wein aus der Tonne und kehrte wieder in die Kajüte zurück. Nachdem er denselben über dem Feuer gekocht und ihn nach Mr. Bullock's oft angewandtem Recepte mit Zucker versüßt hatte, trank er mehr davon, als er vielleicht unter andern Umständen gethan hätte, legte sich in ein an der Wand der Kajüte stehendes Bett nieder und sank bald in einen tiefen Schlaf.


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