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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Und siehe da! während er gerade eine seiner salbungsreichsten Reden hielt, gab der Fußdeckel, auf welchem der gute Mann stand, nach, und der Prediger verschwand vor den Augen der ganzen Gemeinde im Fasse.

Leben des hochwürdigen Mr. Smith.

 

Seymour, der Kapitän M's. beständiger Begleiter war, mochte es nun Belehrung oder Unterhaltung geben, verließ jetzt die mit der Untersuchung Beschäftigten, um sich Macallan anzuschließen, der noch immer auf dem Felsen saß und über das merkwürdige Zusammentreffen nachdachte, von welchem der Bootsmann erzählt hatte, und das allein schon hinreichte, die Matrosen noch auf weitere hundert Jahre in ihrem Aberglauben zu bestärken. Seine Gedanken schweiften natürlich auch auf den anderen Punkt hin, in welchem die Seeleute ebenfalls abergläubisch sind; nämlich die unglücklichen Folgen des Absegelns an einem Freitage. Den Ursprung dieses Aberglaubens kann man sehr leicht aus den frühesten Zeiten des Katholicismus erklären, wo die Leute von ihren Geistlichen aus Ehrfurcht vor dem Tage der Welterlösung angewiesen würden, die morgende Sonne zu erwarten. »So ist,« rief Macallan im Geiste aus, »die Religion in Aberglauben ausgeartet, und ein Gebrauch, der wegen der Reinheit seines Ursprungs uns Hochachtung abnöthigen würde, verdient jetzt nur noch unsere Verachtung. Unsere Handlungen müssen nach ihren Beweggründen erwogen werden. Was einst ein Opfer religiöser Ehrfurcht und Liebe war, ist jetzt ein dem Aberglauben und der Furcht dargebrachter Tribut. Nun, Seymour,« sagte er, sich an seinen Gefährten wendend, »wie gefällt dir die Untersuchung der Felsen?«

»Nicht allzusehr; die Sonne scheint sehr heiß und ihr grelles Licht blendet mich fast. Wie Schade ist es, daß hier nicht einige Bäume stehen, die uns vor der Hitze Schatten gewähren könnten. Ich möchte wohl einige pflanzen zum Besten Derjenigen, die nach uns kommen.«

»Ein richtiges Gefühl, mein Lieber; allein es würden hier keine Bäume wachsen – es fehlt an Boden.«

»Es ist eine Menge da von dieser oder jener Sorte – eben dort, wo wir mit der Untersuchung beschäftigt waren.«

»Ja, von der See ausgeworfener Sand und Muscheln- und Felsentheilchen, die von den Wogen zerrieben oder durch die abwechselnde Wirkung der Elemente zersetzt wurden; aber es mangelt an vegetabilischen Stoffen, ohne den keine Pflanze fortkommen kann. Merke dir, Willy, das Skelet dieser Erde ist aus Felsen und Bergen gebildet, die ihre Häupter stolz in die Wolken erheben oder in finsterer Majestät unter dem Wasser liegen, seit der Schöpfung der Welt, wo sie dort von dem allmächtigen Baumeister befestigt wurden, um so lange zu bleiben, bis keine Zeit mehr sein wird. Ueber ihnen finden wir die Trümmer einer frühern Welt, meist eben so schön, eben so dicht bevölkert, aber gedankenloser und schlimmer, als die jetzige – und die durch die Sündfluth, jener schrecklichen Offenbarung des himmlischen Zorns, in ein allgemeines Chaos versank. Aber sie ist längst untergegangen und über den Trümmern der früheren Schöpfung stehen wir da auf einer andern, die mit Leben schwanger ist, und ihre Früchte, wie die frühern, hervorbringt. Aber, Willy, die Mittel zur Erzeugung des Lebens finden sich nicht in den vorweltlichen Felsen- oder vorsündfluthlichen Ueberresten. Aus der Oberfläche der dünnen Kruste, womit die Erde bedeckt ist und die aus den Ueberresten einer frühem Welt besteht, zieht die thierische Schöpfung ihren Lebensunterhalt, und es ist eines der großen Weltgesetze, daß thierisches Leben nur durch thierische Ueberreste bestehen kann. Vom kleinsten Insekte, das auf der Erde kriecht, bis zum Menschen in seiner Vollkommenheit, wird das Leben durch animalische und vegetabilische Nahrung erhalten, und ohne den wieder zur Erde gewordenen Stoff würde die hohe Ceder ihre Aeste nicht ausstrecken, noch das bescheidene Veilchen seinen Wohlgeruch ausströmen können. Diese Welt ist eine Welt ewiger Wiedererzeugung und ewigen Verfalles – ein endloser Cyclus der lebendigen vom Tode sich nährenden Geschöpfe – ein Phönix, der jährlich, täglich und stündlich sich in erneuerter Kraft und Schönheit aus der Asche erhebt. Die Pflanze, die aus ihrem Boden hervorsprießt, blüht, bringt Samen und stirbt, um Raum für die aus ihr erzeugten Pflanzen zu lassen, welche sich von den Ueberresten ihrer Erzeugerin ernähren – sie ist ein Ausdruck des unwandelbaren Gesetzes, das die ganze Natur und den Menschen selbst beherrscht, welcher ebenfalls fort muß, um einem kommenden Geschlechte Platz zu machen.«

Das von dem Schiffe zurückkehrende Boot erschien gleich einem schwarzen Punkte auf dem Wasser und verkündete, daß die Stunde zum Diner gekommen sei. Price und der Zahlmeister, die mit Macallan an's Land gegangen waren, gesellten sich jetzt zu ihm und Willy, die mit einander am Rande des Ufers auf dem Felsen saßen.

»Wahrhaftig, Macallan, es ist etwas Schönes um einen Philosophen. Was sagt Milton? Warten Sie einmal! – Die – ja so etwas – die göttliche Philosophie – ich weiß die Worte nicht mehr so genau. Was haben Sie da gefangen?«

»Wenn Sie nichts gefangen haben, so sind Sie besser daran, als ich,« sagte der Zahlmeister, indem er seine Stirne abtrocknete; »denn ich habe mir Kopfweh geholt.«

»Ich habe mich sehr gut unterhalten,« erwiederte Macallan.

»Ach ja, ich denke, wir – nun, wie heißt es doch – im Walde – wissen Sie's nicht?«

»Nein, in der That nicht.«

»Sie wissen es nicht? Meiner Seele – Sie wissen, die Steine reden und Gutes ist in allen Dingen. – Ich habe vergessen, wie die Verse lauten. Sind sie vielleicht Ihnen nicht bekannt?«

»O'Keefe?« fuhr Price fort, dem Zahlmeister laut in's Ohr sprechend.

»Nein, er ist mir nicht bekannt. Ich habe ihn nie gesehen,« antwortete der Zahlmeister, nahm neben Macallan Platz und sagte zu ihm: »Ich kann nicht begreifen, was es Ihnen für Vergnügen machen sollte, so an den Felsen umher zu kriechen.«

»Das macht mir allerdings Vergnügen, O'Keefe, das will ich hoffen.«

»Ich Sie foppen, mein Bester? O daran dachte ich nicht.«

»Ich bitte um Verzeihung, Sie haben mich unrecht verstanden. Es war meine Schuld, ich sprach nicht laut genug. Und dann ist eine Entschuldigung vollends unnöthig.«

»Was? Eine Beschuldigung – o gewiß nicht; ich fragte blos, was Sie für ein Vergnügen daran finden könnten? – Das ist Alles.«

»Was für ein Vergnügen?« erwiederte Macallan, indem er von seinem Sitze aufstand, voll Verdruß über diese von allen Seiten gegen sein Lieblingsstudium gerichteten Angriffe.

»Hören Sie mich an und ich will Ihnen erklären, wie Forschung die Mutter sowohl der Unterhaltung, als Belehrung ist. Was ist das für ein Felsen, auf dem ich stehe? Ist er hier seit Jahrhunderten von den wilden Wogen des Oceans gepeitscht? Oder ist er erst seit Kurzem aus der Tiefe hervorgetaucht, die stille Schöpfung der unermüdlichen Zoophiten? Betrachten Sie seine Seiten, schauen Sie die Mannigfaltigkeit der Seegewächse an, womit er bedeckt ist. Gehören Sie zur Klasse der ulvae, confervae oder fuci? Sind es willkommene alte Bekannte, oder sind sie bisher noch nicht entdeckt, so daß man sie in das endlose Verzeichniß der Naturprodukte eintragen muß? Und was sind jene Korallen, die gleich winzigen Waldbäumen ihre Zweige ausbreiten? Schauen Sie dort die Mannigfaltigkeit der Muscheln, die an den Felsen herum hängen. Bemerken Sie die Pastellae, wie fest sie sich an dieselben anhängen, um nicht von den Wellen weggespült zu werden! Welch' eine Quelle endlosen Vergnügens! welch' ein Feld tiefer Betrachtung ist die Erforschung dieses einzigen kleinen Felsens. Wenn man die Natur der verschiedenen Gattungen betrachtet und die ihnen verliehenen Kräfte, welche ihren Bedürfnissen so angemessen sind – wird alsdann das Auge nicht entzückt, das Herz nicht erweitert und die Gefühle harmonisch gestimmt? Untersucht die Werke der Natur und ihr werdet eine Wüste in eine bevölkerte Stadt verwandeln, einen unfruchtbaren Felsen in eine Quelle der Bewunderung und des Entzückens! Ja, erforscht die Natur nur wenige Augenblicke, so werdet ihre bessere Menschen werden. Taucht hinein –«

Es ist nicht bekannt, wie der Doktor seine Rhapsodie beendigt haben würde, denn indem er zu nachdrücklich auf das Seegras am Felsenrande stampfte, glitt sein Fuß aus, und er verschwand plötzlich in perpendikulärer Richtung, wie ein Senkblei im Wasser.

Marshall, der Beischiffsführer, welcher, über seine Rede erstaunt, ihm mit offenem Munde zugehört hatte, obwohl er nichts davon begreifen konnte, vergaß bei diesem unerwarteten Vorfalle, die einem Offizier gebührende Achtung gänzlich.

»Wache! Wache!« rief er; dann warf er sich auf den Boden und wälzte sich vor Lachen. Price und Willy, der an Heiterkeit fast eben so ausgelassen war, eilten indeß zu Hülfe und ergriffen ihn beim Kragen, als er wieder auftauchte; denn das Wasser war bedeutend tief. Der taube Zahlmeister, welcher den Worten des Doktors mit auf den Boden gehefteten Augen höchst aufmerksam zugehört, aber seines schwachen Gehöres wegen das durch den Sturz verursachte Geräusch nicht vernommen hatte, fragte, als er zur Hülfe herbeieilen sah, verwundert: »Wo ist der Doktor?«

Die Felswände waren so schlüpfrig, daß Price's und Seymour's vereinigte Anstrengungen (denn ihre Kräfte hatten sich durch die ausgelassene Heiterkeit nicht wenig erschöpft) nicht hinreichten, um Macallan auf die terra firma herauszuholen. »Marshall! kommen Sie doch gleich hieher und helfen Sie uns,« rief Willy – ein Befehl, welchen der Beischiffsführer, der indessen wieder zu sich gekommen war, augenblicklich befolgte.

»Geben Sie mir Ihre Hand, Mr. Macallan,« sagte Marshall, als der Wundarzt sich am Seegrase festhielt. »Es ist nicht räthlich, sich an diesen schlüpfrigen Thieren zu halten. Jetzt, Mr. Price – nur recht angezogen.«

»Ja, und nur bald, wenn's beliebt,« rief der boshafte Nachenführer aus – »ich sah vor einer Minute einen großen Haifisch.«

»Schnell, schnell!« schrie der Wundarzt, der sein Bein von den Zähnen des gefräßigen Thieres schon erfaßt glaubte. Durch ihre vereinigten Bemühungen wurde Macallan endlich glücklich an's Land gezogen – und nach vielem Ausspeien, Blasen und Pusten bereitete er sich auf eine nicht gar freundliche Rede an den Beischiffsführer vor, als der Zahlmeister ihn unterbrach:

»Bei der Allmacht, Doktor, Sie haben den rechten Weg eingeschlagen, um alle die schönen Sachen, von denen Sie uns erzählten, recht genau zu erforschen; jetzt aber geben Sie uns auch den Schluß Ihrer Rede – Sie haben uns bereits praktische Begriffe vom Untertauchen beigebracht.«

»Was für eine Empfindung hatten Sie, Doktor?« fragte Price. »Sie wissen, wie Shakspeare sagt – und ›o welche Pein ist wohl es, zu ertrinken?‹ Laßt mich 'nmal sehen – ja, so Etwas –«

»Bitte, Price, pressen Sie ihr Gedächtniß nicht; es gleicht unserm Vaterlande – da ist auch nichts mehr zu erpressen.«

»Dieß ist das Bitterste, was Sie je, seit wir mit einander segeln, gesagt haben. Sie sind übler Laune, Doktor. Nun, Sie wissen, was Shakspeare sagt: ›Es gab noch niemals einen Philosophen‹ – dann kommt so etwas von Zahnweh. Ich weiß die Worte nimmer genau.«

Diese Angriffe waren keineswegs geeignet, Macallan's gute Laune wieder herzustellen, die allerdings durch die Ereignisse des Morgens bedeutende Störungen erlitten hatte. Er machte indeß den Gescheidten und gab keine Antwort mehr. Das Boot stieß ab, die Gesellschaft kehrte an Bord zurück, und als Macallan sich seiner ungemächlichen Kleider entledigt hatte und in der Mitte seiner Tischgenossen beim Diner erschien, hatte er auch seine gewöhnliche Heiterkeit wieder erlangt und stimmte selbst in das Gelächter ein, welches auf seine Kosten erhoben wurde.


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