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Neunundvierzigstes Kapitel.

– Wo in der Tiefe
Der ungeheure Leviathan schläft und schwimmt,
Gleich einem Vorgebirge ausgestreckt.

Milton.

 

Wünsche mir Glück, Leser, daß, obwohl ich gegen Wind und Fluth kämpfend, das heißt, bei dem Schwanken meines Schiffes, bei Kopfweh und Magenleiden, lauter Uebel, welche das eingeschränkte und unnatürliche Leben eines Seemanns mit sich bringt, dieses Buch schreiben mußte, ich doch an meinem letzten Kapitel angelangt bin. Diese Behauptung wird dir sonderbar vorkommen, da du dich erst in der Mitte des dritten Bandes befindest; allein es ist doch wahr. Ohne Zweifel wirst du dir vorstellen, ich habe die Erzählung nach der gewöhnlichen Methode mit dem Anfang angefangen und werde sie nun auch mit dem Ende beendigen. Hätte ich das gethan, so würde dieses Werk seinem Schlusse nicht so nahe sein, als es, Gott sei Dank, jetzt ist. Bisweilen bin ich fröhlich gewesen, bisweilen betrübt; ich mußte daher ganz meiner Laune gemäß schreiben, die so veränderlich wie der Wind, selten lange in der gleichen Richtung sich hält. Ich habe bei diesem Buche das nämliche Verfahren beobachtet, wie wenn ich ein Schiff zu bauen hätte. Die Dimensionen jedes einzelnen Stückes konnte ich nach dem vor mir liegenden Grundrisse berechnen. Es war daher Einerlei, wo ich beginnen wollte, indem Alles vorher zugehauen werden mußte, ehe ich es zusammenfügen konnte. Ich nahm die einzelnen Stücke, wie sie mir unter die Hand kamen, und ordnete sie nach ihrem besonderen Gebrauche. Der Kiel liegt auf der Rhede und der hintere Theil des Schiffes ist aufgerichtet. Diese Stücke eignen sich zu Auslangern, jene zu Deckbalken. Diese lege ich zu Katspieren bei Seite und aus jenen knorrigen Eichenstücken will ich die Kniehölzer hauen. Es ist von keinem Belange, wo ich meine Axt ansetze. – So brachte ein Anfall von Melancholie die letzte Hälfte des dritten Bandes hervor, und meine Hinterstößen, meine Heckbalken und Randsomhölzer waren fertig, fast ehe ich die Bauchstücke legte.

Du wirst jedoch begreifen, daß dieses gar keinen Unterschied macht; alle Stücke sind jetzt zusammengefügt, und wenn noch ein wenig gehobelt, geglättet und angemalt wird, so ist mein Schiff segelfertig.

Es ist jetzt Alles in Bereitschaft. – Gib mir die Flasche Wein – und sobald es auf das Meer der öffentlichen Meinung, nach welcher sein Verdienst erwogen wird, hinaussteuert, gebe ich ihm den Namen Königs-Eigen.

Da es jetzt flott ist, muß ich offen gestehen, daß ich nicht recht damit zufrieden bin. Um einen technischen Ausdruck zu gebrauchen, so ist sein Bugbild nicht erhaben genug: das heißt, einfach gesagt, ich finde, indem ich die verschiedenen Kapitel durchblättere, daß mein Held, wie ich ihn oft genannt habe, eigentlich nicht recht der Held meiner Geschichte ist. Sobald er an Bord des Kriegsschiffes kommt, wird er so unbedeutend, als ein Midshipman seiner untergeordneten Stellung zufolge nothwendig sein muß. Ich erkenne den Fehler und kann ihn doch nicht verbessern, ohne das ganze Dienstreglement umzustoßen, wozu ich mich selbst in einer Dichtung nicht entschließen kann. Durch den Dienst beschränkt, kann ich nur das als einen Fehler zugeben, was, ohne von Neuem anzufangen, sich nicht ändern läßt; denn Alles und Alle finden an Bord eines königlichen Schiffes ihre bestimmte Sphäre.

Doch ich habe noch einen Trost – Sir Walter Scott war ebenfalls mit seinen Helden nie glücklich; oder mit andern Worten: seine besten Charaktere sind nicht diejenigen, welche man die Helden des Stücks zu nennen pflegt. Ich fürchte, seine preux chevaliers leiden an einer unverbesserlichen Abgeschmacktheit.

Ich muß jedoch die Aspasia wieder aufsuchen. Dort ist sie, mit beigesetzten Leesegeln, etwa fünfzig Meilen nordwärts vom Cap der guten Hoffnung, und ich denke, daß der Leser, wenn er dieses Kapitel beendigt hat, auf die Vermuthung gerathen werde, der Verfasser sowohl als die Aspasia habe sicherlich das Cap umschifft Ein unübersetzbares Wortspiel, indem double the Cape das Cap umschiffen und sich eine Zweite Flasche Cap-Wein kommen lassen bedeutet. Anm. des Uebers..

Die Fregatte segelte vor einem leichten Winde her und legte in der Stunde vier bis fünf Knoten zurück. Kapitän M. stand an der Laufplanke, in einem Gespräch mit dem ersten Lieutenant begriffen, als die Wache aus dem Mastkorbe herunterrief; »Ein Fels am Leebug!« Die Telemach-Sandbank, welche sich irgendwo südlich vom Cap befinden soll, deren Lage aber noch nicht ausgemittelt ist, hatte so eben den Gegenstand ihrer Unterhaltung gebildet. Bei dieser Nachricht fuhr der Kapitän schnell auf, ließ die Leesegel einreffen, rief den im Mastkorbe sitzenden Matrosen an und fragte, wie weit der Felsen von dem Schiffe entfernt sei.

»Ich kann ihn von der Fockraa aus erblicken,« antwortete Pearce, der Schiffer, welcher gleich bei der ersten Meldung das Takelwerk erklettert hatte.

Der erste Lieutenant stieg jetzt hinauf und erblickte den Felsen schon von den untern Webeleinen. Nach wenigen Minuten konnte man ihn vom Verdecke der Fregatte aus sehen.

Der Lauf des Schiffes wurde nun, um aller Gefahr zu entgehen, um drei bis vier Striche verändert. Der Kapitän befahl den Leuten im Takelwerke, genau Acht zu geben, ob das Wasser keine andere Farbe annehme, und ließ das Schiff der vermeintlichen Gefahr in schiefer Richtung zusteuern.

Der Fels schien sechs bis sieben Fuß über das Wasser hervorzuragen und einen Durchmesser von vier bis fünf Fuß zu haben. Zur größten Verwunderung Aller zeigte sich an dem Wasser keine Veränderung, die auf eine Untiefe hätte deuten können, und als sie dem Gegenstande ihrer Neugierde sich auf zwei Kabeltau-Längen genähert hatten und ein Kutter hinabgelassen war, um denselben in Augenschein zu nehmen, fanden sie, daß er sich bewege. Dieß konnte man ganz deutlich sehen, und seine Richtung ging quer am Hintertheil des Schiffes vorüber.

»Ich glaube, es ist ein Fisch,« bemerkte Seymour; »ich sah, wie er den Schwanz aus dem Wasser ein wenig emporhob.«

Dieß zeigte sich auch, als derselbe kurz nachher in der Entfernung von einer halben Kabellänge vorüberschwamm. Es war ein großer Walfisch, auf dessen Kopf irgend eine Krankheit einen ungeheuer großen schwammigen Auswuchs gebildet hatte, welcher ihm das Aussehen eines Felsen gab. Der Fisch war dadurch so leicht, daß er nicht untertauchen konnte, obwohl er es in der Nähe des Schiffes mehrere Male versuchte. Kapitän M. ließ nun die Segel wieder aufhissen und die Fregatte setzte ihren Lauf fort.

»Es ist ein höchst sonderbarer und zugleich wichtiger Umstand,« bemerkte er, »daß gewisse Krankheiten sich nicht leicht auf ein einziges Individuum beschränken, sondern der ganzen Gattung eigen sind. Aus diesem Umstande lassen sich vielleicht die zahlreichen Felsen erklären, welche man in verschiedenen Gegenden der südlichen Halbkugel gesehen haben will, die aber nachher nimmer zum Vorschein kamen. Eine vollkommenere Täuschung habe ich noch nie erlebt.«

»Hätten wir uns ohne Untersuchung schnell entfernt,« bemerkte der erste Lieutenants »so würde ich mit der größten Zuversicht behauptet haben, wir hätten einen Felsen gesehen.«

Kapitän M. begab sich hinab und setzte sich bald mit dem ersten Lieutenant und Macallan, den er eingeladen hatte, zu Tische. Nach dem Essen wurde das Gespräch wieder auf den nämlichen Gegenstand gelenkt.

»Ich trage großes Bedenken, Sir,« sagte der erste Lieutenant, »diesen Vorfall in England zu erzählen. Man würde es niemals glauben.«

» Le vrai n'est pas toujours le vraisemblable,« entgegnete Kapitän M., »und ich fürchte, daß man die Reisenden nur zu oft unbillig behandelt – denen, nachdem sie ungeheuren Schwierigkeiten und Gefahren Trotz geboten haben, nach ihrer Rückkehr die Kränkung widerfährt, daß man ihnen keinen Glauben schenkt. Obgleich man sich vor Leichtgläubigkeit in Acht nehmen soll, so kenne ich doch kein größeres Merkmal von Unwissenheit, als wenn Jemand irgend einem Umstande, weil er nicht genau mit seinen eigenen Vorstellungen übereinstimmt, den Glauben verweigert. Je beschränkter diese zufolge einer fehlerhaften Erziehung oder mangelhaften Unterrichts find, desto mehr neigt man sich zum Unglauben hin. Die unternehmendsten Reisenden neuerer Zeit, Bruce und Le Vaillant, wurden bei ihrer Rückkehr ausgelacht und fanden keinen Glauben. Die nachfolgenden Reisenden, welche den nämlichen Weg, wie der Erstere, einschlugen, in der Absicht, ihn zu widerlegen, fühlten sich gedrungen, seine Angaben zu bestätigen, und Alle, welche dem Letzteren gefolgt sind, haben die Richtigkeit seiner Beschreibung zugestanden.

»Ihre Bemerkungen erinnern mich an die Geschichte der alten Frau und ihres Enkels,« sagte der erste Lieutenant. »Sie erinnern sich hoffentlich derselben?«

»Wirklich nicht,« antwortete der Kapitän; »haben Sie die Güte, dieselbe zu erzählen.«

Der erste Lieutenant erzählte hierauf mit vielem Humor folgende Geschichte:

»Ein Bursche, der einige Jahre auf der See sich aufgehalten hatte, kehrte nach Hause zu seiner alten Großmutter zurück, die natürlich neugierig war, seine Abenteuer zu hören.

»›Nun, Jack, erzähle mir, was du gesehen hast, und sage mir zuerst das Wunderbarste.‹

»›Ja, Großmütterchen. Als wir im rothen Meere waren, warfen wir ganz nahe am Ufer Anker, und als wir den Anker wieder aufwanden, hing ein Wagenrad daran.‹

»›Oh, Jack, Pharao und sein Heer ertranken ja, wie du weißt, im rothen Meere; dieß beweist, daß die Bibel wahr ist. Nun, Jack, was hast du sonst noch gesehen?‹

»›Nun, Großmütterchen, als ich in Westindien war, sah ich ganze Berge von Zucker und die Flüsse zwischen ihnen waren lauter Rum.‹

»›Richtig, richtig,‹ sagte die Alte, die Lippen zusammenziehend; ›du weißt ja, wir bekommen allen Zucker und Rum von dort. Sag' mir, Jack, hast du nicht auch ein Meerfräulein gesehen?‹

»›Nein, Großmutter, aber ein Meermännchen.‹

»›Nun, so erzähle mir's.‹

»›Als wir eines Sonntag Morgens nordwärts von St. Katherine vor Anker lagen, rief uns eine Stimme an die Schiffsseite, und als wir über das Verdeck hinaussahen, tauchte gerade ein Meermännchen aus dem Wasser auf. Er strich sein Haar glatt und fuhr vor dem Kapitän mit der Hand vor den Kopf, gerade wie wir es mit unseren Hüten machen. Dann sagte er zu dem Kapitän, er möchte den Anker, welcher gerade vor seiner Hausthüre heruntergelassen sei, ein wenig auf die Seite rücken, sonst könne er die Thüre nicht aufmachen und seine Frau würde zu spät in die Kirche kommen.‹

»›Ei du mein Gott!‹ rief die alte Frau; ›so, das sind Christen! – Und nun, Jack, erzähle mir noch weiter.‹

»Jack, dessen Einbildungskraft jetzt wahrscheinlich erschöpft war, erzählte ihr nun, er habe Hunderte von fliegenden Fischen gesehen.«

»›He! he! Jack, jetzt willst du mir etwas weismachen,‹ sagte die Alte – ›du mußt deiner alten Großmutter keine solchen Fabeln aufbinden. An das Wagenrad kann ich glauben, weil es wahrscheinlich ist; daß es mit dem Zucker und Rum sich so verhält, weiß ich; auch an den Meermann glaube ich, denn ich habe ihn schon auf Gemälden gesehen. Aber fliegende Fische – nein, das glaube ich nicht, Jack; das heißt gelogen!‹«

»Ausgezeichnet!« sagte Kapitän M.; »also das einzig Wahre an der ganzen Erzählung kam ihr als Lüge vor, während sie die albernsten Lügen als baare Münze hinnahm.«

»Wenn irgend ein Unbekannter,« bemerkte Macallan, »und nicht Kapitän Cook, das Dasein eines Thieres, wie das Ornithorynchus oder des entenschnäbeligen Platypus berichtet hätte, ohne ein Exempel davon nach Hause zu bringen, wer würde seine Angabe für wahr gehalten haben?«

»Kein Mensch,« erwiederte Kapitän M. »Und dennoch ist die Zweifelsucht unserer Zeit so groß, daß Reisende zufrieden sein dürfen, wenn man ihnen wenigstens nach ihrem Tode Gerechtigkeit widerfahren läßt.«

»Das ist jedoch ein schlechter Trost, Sir,« erwiederte der erste Lieutenant, indem er vom Tische aufstand. Seinem Beispiele folgten alsbald auch die andern Gäste, machten eine Verbeugung und verließen die Kajüte Es ist sonderbar, daß die fast unglaubliche Geschichte in diesem Kapitel vielleicht die einzige Thatsache in meiner ganzen Erzählung ist. Man kann sie in den Schiffsbüchern von sämmtlichen Offizieren aufgezeichnet finden, und doch möchten vielleicht manche meiner Leser geneigt sein, ihr den Glauben zu verweigern, und dagegen annehmen, es sei ein beträchtlicher Theil des Uebrigen aus dem Leben gegriffen. Wenn sie das Letztere glauben, so werden sie der alten Frau gleichen..


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