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Viertes Kapitel.

Vorüber war der Kampf, entschieden das Loos der Schlacht;
Die Meuterer waren vernichtet, zerstreut in Ketten gebracht,
Oder priesen im Elend der Todten Glück.

Byron.

 

Der Tag brach heiter und glänzend an und goß seine Strahlen durch das eiserne Gitter der Zelle, worin Peters und seine Gattin, einander in die Arme schließend, ohne zu schlafen, aber in stummer Betäubung und von entsetzlichen Leiden gänzlich abgemattet lagen. Peters brach zuerst das Schweigen, indem er Helene sanft berührte und sie beim Namen rief. Sie hatte eine Zeitlang ihren in seinem Busen verborgenen Kopf nicht erhoben und wußte deswegen nichts davon, daß die Dunkelheit bereits der Tageshelle gewichen war. Als sie sich nun auf seinen Ruf aufrichtete und das blendende Licht ihre eingesunkenen Augen traf, so fiel ihr plötzlich ein, daß der verhängnißvolle Morgen herangekommen sei.

Mit einem Schrei des Entsetzens begrub sie wieder ihr Gesicht in dem Busen ihres Gatten.

»Helene, wenn du mich lieb hast,« sagte Peters, »so betrübe mich nicht in meiner letzten Stunde. Ich habe noch viel zu thun, bevor ich sterbe, und ich bedarf deines Beistandes, deiner Unterstützung. Stehe auf, meine Liebe, damit ich an meinen Vater schreiben kann, denn das Wohl unseres Kindes darf nicht vernachlässigt werden.«

Zitternd erhob sie sich, strich ihr schönes Haar, das sie schon lange nicht mehr in Ordnung gebracht hatte und welches jetzt von Thränen durchnäßt war, zurück und reichte ihrem Gatten Schreibmaterialien. Dieser zog die hölzerne Bank so vor sich hin, daß sie ihm als Tisch dienen konnte, und schrieb folgenden Brief, während seine Gattin in starrer Verzweiflung neben ihm saß:

» Theurer Vater!

Ja auch jetzt noch, theurer Vater – ehe Ihnen diese Zeilen zu Gesichte kommen, werden Sie kinderlos sein. Ihr ältester Sohn starb auf dem Felde der Ehre. Ihr jüngster und letzter wird diesen Morgen einen schimpflichen, aber wohlverdienten Tod auf dem Schaffot erleiden. Sie werden also kinderlos sein, aber wenn Ihr Sohn den Tod eines Hochverräters stirbt, so weiß doch Niemand außer Ihnen, daß der unglückliche Peters, der Rädelsführer auf einem meuterischen Schiffe, der Sprößling einer Familie ist, die so lange einen unbefleckten Namen geführt hat. Gerne hätte ich Ihren Gefühlen eine so grausame Marter erspart – gerne Sie in Unwissenheit über mein Mißgeschick gelassen, doch ich habe eine Handlung der Pflicht gegen Sie und mein Kind zu erfüllen; gegen Sie, damit Ihre Besitzungen nicht auf entfernte und Seitenverwandte übergehen; gegen mein Kind, damit es einst seine Rechte geltend machen kann. Vater, ich vergebe Ihnen; ich möchte sagen – aber nein – es möge Alles in Vergessenheit begraben bleiben; und wenn Sie diesen Brief lesen und an mein unglückliches Schicksal denken, so vergießen Sie eine Thräne der Erinnerung an das einst glückliche Kind, welches Sie so oft auf Ihren Knieen wiegten – und sprechen Sie von Herzen: ›Ich vergebe ihm.‹

»Ich habe meinen Knaben seinem Könige und Vaterlande geweiht; wenn Sie mir vergeben und Ihren Enkel in Schutz nehmen wollen, so ändern Sie nichts in der Laufbahn, für die ich ihn bestimmte. Betrachten Sie dieselbe als einen feierlichen Vertrag zwischen Gott und mir; und Sie müssen diese letzte dringende Bitte eines Sterbenden eben so gewiß erfüllen, als Sie in jenem Leben Gnade und Seligkeit hoffen.

Die unglückliche Mutter des Kindes sitzt neben mir; ich würde Sie ersuchen, auch auf diese Ihre Zärtlichkeit auszudehnen, aber ich fürchte, sie bedarf bald keines irdischen Schutzes mehr. Doch erheitern sie ihre letzten Augenblicke durch das Versprechen, sich des verwaisten Kindts annehmen zu wollen, dann möge Sie Gott für Ihre Güte segnen.

Ihr
treu ergebener Sohn
Edward

Peters hatte kaum diesen Brief beendigt, als Adams mit dem Knaben auf dem Arme eintrat.

»Peters, ich komme um deinen letzten Willen anzuhören und dir zu sagen, was ich gestern Abend mit dem Jungen vorgenommen habe. Der ist vom rechten Schlage – hat gar nicht gezuckt. Du sagtest, er sollte ein Eigenthum des Königs sein und ich dachte, es wäre dir lieb, wenn ich ihn so zeichnete. Dieses Merkmal hier macht ihn jederzeit kenntlich,« fuhr Adams fort, indem er die Schulter des Knaben entblößte und auf die Gestalt des breiten Pfeiles hinzeigte, welcher jetzt entzündet aussah, wie es stets einige Tage nach der Operation der Fall zu sein pflegt. »Ich ließ nicht merken, was ich vorhatte, weil Helene vielleicht damit unzufrieden gewesen wäre; aber ich hoffe, dir wird es recht sein.«

»Tausend Dank,« erwiederte Peters, öffnete seinen bereits zusammengelegten, aber noch nicht versiegelten Brief und fügte eine Nachschrift hinzu, worin er das Zeichen, an dem der Knabe erkannt werden könnte, bemerklich machte.

»Du hättest mir keinen größern Gefallen erweisen können, Adams, und nun mußt du mir noch das Versprechen geben, dich um meine arme Helene annehmen zu wollen, wenn –«

»Ich verstehe, mein lieber Kamerad, und verspreche es dir. Draußen steht der Kaplan und ist zu deinem Dienste bereit, wenn du ihn sehen willst,« fuhr der Alte fort, indem er mit der Hand seine feuchten Augen abwischte.

»Bitte ihn, hereinzukommen, Adams; es ist ein guter Mann, der seinem Amte Ehre macht; ich freue mich, ihn zu sehen.«

Adams ging nach der Thüre und kehrte bald mit dem Kaplan zurück. Dieser grüßte Peters, der sich ehrfurchtsvoll vor ihm verneigte und sagte: »Ich habe längst mit Gott und Menschen meinen Frieden gemacht und bin bereit, Sir, so gut es nur ein Sterblicher sein kann, als ein sündhafter Mensch im Glauben und in der Liebe gegen Alle in den Tod zu gehen. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Güte, Sir; aber Sir, Sie können hier dennoch nützlich sein; können Sie« – hier bebte seine Stimme – »können Sie vielleicht jener armen, jungen Frau helfen, Sir? Können Sie ihr nicht Ruhe und Ergebung in den Willen Gottes einsprechen? O, thun Sie dies, Sir, und Sie werden mir einen großen Gefallen erweisen.«

Der Kaplan näherte sich Helene, die in einem Zustande völliger Verwirrung auf dem Verdecke lag. Er redete sie in mildem Tone an, rieth ihr aufzustehen und auf der Bank Platz zu nehmen; endlich gelang es ihm durch freundliches Zureden, sie bis an das Kerkergitter zu bringen, wo Helene Peters Aufregung nicht mehr gewahr werden konnte. Dann versuchte er mit leiser, aber doch nachdrücklicher und überzeugender Stimme, ihr Geduld und Ergebung einzusprechen. Seine Bemühungen waren jedoch vergebens. Von Zeit zu Zeit sah sie ihn mit einem leeren, starren Blicke an, aber ihre Gedanken waren ganz anders wo. Unterdessen hatte Peters Zeit, sich den Bart abzunehmen und reine Kleider anzuziehen, um sich auf den Tod vorzubereiten. Der festgesetzte Zeitpunkt kam schnell heran. Es hatte halb neun Uhr geschlagen und als es neun Uhr schlug, ward er zu seiner Hinrichtung abgeholt. Der Geistliche erhob sich von seinen nutzlosen Bemühungen. – »Laßt uns beten,« sprach er und sank auf seine Kniee. Peters, Adams und das Kind folgten seinem Beispiele, zuletzt auch die arme Helene, deren Bewußtsein wieder zurückgekehrt schien. Allein unfähig, sich auf ihren Knieen zu halten, fiel sie gegen den Geistlichen hin, welcher, indem er sie mit seinem Arme stützte, in glühenden und beredten Worten für den Unglücklichen, der im Begriffe stand, nun bald vor seinem Schöpfer zu erscheinen, und für diejenigen betete, die er im Jammer zurückließ. Kaum hatte er sein Gebet vollendet, als die Thüre sich öffnete und der Profoß hereintrat, um den Gefangenen abzuholen.

Die Worte des Kaplans schienen in Helenens Ohren noch nachzutönen, und sie wurde noch immer von dem würdigen Manne unterstützt, während sie von Zeit zu Zeit einzelne Theile seines Gebetes hermurmelte. Unterdessen nahm man ihrem Gatten die Fesseln ab. Alles war nun bereit. Schweigend zog Peters das Kind an seine Brust, warf nur einen einzigen Blick auf seine theure Helene, die noch immer in einem Zustande der Betäubung lag, und versagte sich, so wehe es auch seinem Herzen thun mochte, die letzte Umarmung, um sie nicht zum Bewußtsein ihres Elendes zu erwecken. Dann verließ er die Zelle und der Kaplan, welcher Helene sanft in Adams Arme legte, folgte nach, um Peters in seinem letzten Augenblicke zur Seite zu stehen.

Ehe die Hinrichtung vor sich ging, brachte man den Gefangenen auf das Halbdeck. Kapitän A. las sein Urtheil vor – und so lieblos die Bemerkung auch scheinen mag, es lag in seiner Miene offenbar eine übelverhehlte Freude, als er an die Stelle kam, wo der Tod des Gefangenen ausgesprochen wurde. Peters hörte ihn mit Standhaftigkeit an und bat um Erlaubniß, noch eine Anrede an die Schiffsmannschaft halten zu dürfen. Der Kapitän verweigerte ihm zuerst die Bitte, aber auf die Fürsprache der Offiziere und die Versicherung des Kaplans, daß er dafür bürge, Peters habe keine andere Absicht, als seine Schiffsgenossen zum Gehorsam zu vermahnen, wurde ihm dieselbe endlich gewährt. Nachdem Peters zuerst gegen den Kapitän und die Offiziere sich verbeugt hatte, wandte er sich an die Schiffsmannschaft, die an den Spieren und der Laufplanke versammelt war, und redete sie mit folgenden Worten an:

»Kameraden, es wird wohl die Zeit kommen, wo unser Vaterland Frieden hat und euerer Dienste nicht mehr bedarf; dann aber, wenn ihr euern Kindern die Folgen dieser unseligen Meuterei erzählt, vergeßt ja nicht, die Unterhaltung auch lehrreich zur machen, indem ihr ihnen sagt, wie die Empörung mit dem schimpflichen Tode der Rädelsführer endete; erzählt ihnen, daß vor euern Augen einer derselben auf dem Halbdeck die Gerechtigkeit seines Urtheiles anerkannte und dem Könige für die Gnade dankte, daß er andern verzieh, die sich zu demselben Vergehen hatten verleiten lassen. Ermahnet sie, ihre Pflicht zu thun, muthig für König und Vaterland zu streiten, und haltet ihnen als eine Warnung unser Beispiel –«

In diesem Augenblicke hatte sich Willy, nachdem er die Wachsamkeit des alten Adams, welcher der fast leblosen Helene beizustehen bemüht war, getäuscht – einen Weg zwischen den Beinen der Seesoldaten, die auf dem Quarterdeck in Reih und Glied standen, hindurch gebahnt, lief auf seinen Vater zu, hing sich an die weiten Matrosenbeinkleider desselben, und sah ihm ängstlich und fragend in's Gesicht. Peter's Stimme zitterte; vergebens machte er den Versuch, in seiner Rede an die Mannschaft fortzufahren; mit der Hand winkend und auf das Kind hinzeigend, erklärte er dadurch schweigend den Grund seiner Verwirrung, und nachdem er sich umsonst Mühe gegeben hatte, die überströmenden Gefühle des Vaterherzens zu betäuben, beugte er sich, in Thränen ausbrechend, über den Knaben nieder.

Dies hatte eine elektrische Wirkung. Der Schlag theilte sich Allen mit; kein Auge blieb trocken; man hörte lautes Schluchzen in dem Haufen; die ältesten Offiziere wandten sich weg, um ihre Bewegung zu verbergen; die jüngeren und noch weicheren bedeckten ihr Gesicht und lehnten sich an die Brüstung; die Seesoldaten vergaßen die Disciplin und erhoben ihre Hände, um die Augen zu wischen; mancher längst für hermetisch versiegt gehaltene Quell brach wieder auf, mancher schon lange trockene Bach ergoß sich in Strömen; sogar Kapitän A– war gerührt.

Durch ein sonderbares Zusammentreffen der Umstände waren die Parteien fast eben so gruppirt, wie zur Zeit, als wir unsern kleinen Helden den Lesern zum erstenmale vorführten. Die Offiziere und Seesoldaten standen hinten auf dem Verdecke; die Schiffsmannschaft vornen und der kleine Willy in der Mitte. Er nimmt dieselbe Stellung ein; aber wie ganz andere Gefühle sind jetzt herrschend; als wäre er ein kleiner Engel gewesen, waren auf den Wink seines Talismans die bösen Leidenschaften, welche bei der vorigen Scene losgelassen stürmten, in ihre dunkelsten Schlupfwinkel zurückgekehrt, und alle besseren menschlichen Gefühle rege geworden, sich in dem reinen, allgemeinen, unverstellten, freiwilligen Tribute äußernd, der der düstern und ergreifenden Scene dargebracht wurde.

Willy brach zuerst das Schweigen. »Wo willst du hingehen, Vater, und warum trägst du deine Nachtmütze?«

»Ich will schlafen gehen, mein Kind – auf ewig schlafen! Gott segne und beschütze dich,« sagte Peter«, indem er den Knaben auf den Arm nahm und küßte. »Jetzt, Sir, bin ich bereit,« fuhr Peters fort, nachdem er seine Fassung wieder erlangt hatte. »Kapitän A., ich vergebe Ihnen, wie ich selbst auf Vergebung hoffe. Mr. –,« sagte er zu dem ersten Lieutenant, »nehmen Sie dieses Kind bei der Hand, und erlauben Sie ihm nicht, weiter vorwärts zu gehen; bedenken Sie, der Kleine ist des Königs eigen.« Alsdann verbeugte er sich gegen den Kaplan, der sich kaum von den Eindrücken, welche diese Scene auf ihn gemacht hatte, erholen konnte, gab dem Profoß mit den Augen ein Zeichen, trat an die Laufplanke hin – die Schlinge wurde befestigt – die Kanone abgefeuert und in einem Augenblicke war Alles vorbei.

Trotz dem lauten Knall des Geschützes hörten doch diejenigen, welche das widrige Geschäft übernehmen mußten, mit dem Seile, das Peters an die Nocke emporhob, auf dem Hauptdeck nach hinten zu laufen, einen Schrei, den selbst der betäubende Lärm nicht übertönen konnte. Mit ihm entfloh Helenens Seele, um sich mit der ihres Gatten zu vereinigen, und ehe der Tag zu Ende war, lagen beider Leichen in einem und demselben Grabe –

»Wo die Armen nichts mehr quält
Und die Müden Ruhe finden.«


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