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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Viele sind durch Vertrauen, Wenige durch Mißtrauen verloren.

Lord Brook.

Auf unbekannten Wegen
Muß wohl man um sich schau'n
Und nicht ohn' Ueberlegen
Jedwedem Pfad vertrauen.

Donne.

 

Als die Luken an Bord des Kapers geöffnet waren, wurden die Gefangenen, so wie sie heraufkamen, in die Boote geschafft. Jerry stand mit dem Säbel in der Hand an der Laufplanke, und machte, als sie zum Vorscheine kamen, sarkastische Bemerkungen. Nach kurzer Zwischenzeit, als man vermuthete, es seien schon Alle oben, kroch noch ein langer, hagerer Mann, dessen Kleidung durchaus keinen Seemann verrieth, die Luke heraus.

»Holla!« schrie Jerry, »Mr. Longus! wen haben wir da? Das ist gewiß der Pater. Ich sage Ihnen, Mounsieer, ich denke gar, que vous êtes, was man nennt einen Beichtvater; n'est-ce pas? Ein köstlicher Gedanke. Ein Kaper mit einem Pfaffen! Wie hoch stehen Sie im Solde, Mounsieer? – natürlich auch euren Zehnten. Blutwenig für die Aufsicht über die Seelen einer solchen Schurkenbande. Nun gut, Mounsieer, vous êtes prisonnier, ohne geistliche Privilegien; hüpfen Sie nur dort in das Boot. Wie? da kommt noch Einer?« fuhr Jerry fort, als ein Zweiter die Luke heraufkam. »Das ist natürlich der Küster, denn er folgt dem Pfarrer nach. Nur herauf, Mont Arrivo Jack! Was für ein Schielauge der Schlingel hat.«

Während dieser artigen Anrede, die jedoch sicherlich mehr seiner eigenen Unterhaltung als der Erbauung der Fremden gelten sollte, indem Jerry eben der Meinung war, daß sie dem Kaper angehörten, blickten Beide, da sie Jerry natürlich nicht verstehen konnten, bald diesen, bald einander selbst mit Verwunderung an, bis sich der zuerst Heraufgekommene zu seinen Kameraden mit den Worten wandte: »Ich bitte, Paul, haben Sie je ein solches Geschöpf gesehen? Ich will des Teufels sein, wenn der Kerl nicht einer Sechspfennigpfeife gleichsieht – mehr Lärmen, als Holz.«

»Jerry sah jetzt sogleich seinen Irrthum ein und erinnerte sich, daß man ihm gesagt hatte, es seien zwei englische Kaufleute von dem Kaper in der Hoffnung auf Lösegeld gefangen worden; allein erbittert über die Bemerkung, welche der eine von ihnen über ihn gemacht, entgegnete er:

»Aber ich möchte Ihnen nicht rathen, auf mir zu spielen.«

»Oh, das will ich gar nicht; ich würde Sie nur zum Quieken bringen.«

»Sie sind gewiß die beiden auf dem Kaper gefangen gehaltenen Gentlemen,« sagte Pearce, der Schiffer, welcher an Bord gekommen war, um die nöthigen Anordnungen zur Einsendung des Kapers zu treffen.

»Das sind wir und müssen uns bei Ihnen selbst einführen; ich heiße Mr. Peter Capon, mein Freund hier, den der junge Gentleman dort ein Schielauge nannte, heißt Mr. Paul Contract. Würden Sie uns wohl den Gefallen erweisen, uns in einem Boote an Bord der Fregatte zu bringen, weil wir mit dem Kapitän zu sprechen wünschen.«

»Mit Vergnügen. Springen Sie in den ersten Kutter hier. Ich bedaure sehr, meine Herren, daß Sie sich in einer so unangenehmen Lage befanden. Wenn Sie wenigstens nur früher auf das Verdeck gekommen wären.«

»Peter rückte mit dem wahren Grunde nicht heraus. Dieser war kein anderer, als daß sie ihr Eigenthum im untern Schiffsraume vor der Plünderung durch die Mannschaft des Kapers hatten sichern wollen; er sagte nur, um Jerry für seinen Muthwillen büßen zu lassen:

»Ach, wir blickten mehrmals durch die Luken hinauf; aber es lag so etwas Zurückschreckendes, ich möchte sagen, so etwas Unenglisches in der Miene jenes Offiziers mit gezogenem Säbel, daß wir in Furcht geriethen; wir konnten uns nicht vorstellen, in welche Hände das Fahrzeug gefallen sei – glaubten, es wäre von den Yahoos genommen worden.«

»Wahrscheinlicher von den Houyhnkums. Sie werden in mir so ein Stück von einem Pferde finden,« erwiederte Jerry erbost.

»Beim Jupiter, dann sind Sie blos auf dem Schindanger gut,« bemerkte der schieläugige Herr; »ich würde Ihnen befehlen –«

»Würden Sie? Jetzt werde ich Ihnen befehlen, Sir,« entgegnete der Midshipman, dessen Aerger ihn die Gegenwart seines kommandirenden Offiziers ganz vergessen ließ; »haben Sie die Güte, in das Boot da zu steigen.«

»Und ich werde Ihnen befehlen, Mr. Jerry,« bemerkte der Schiffer barsch; »ich verlange jetzt, daß Sie in das Boot gehen, diese Herren an Bord nehmen und Ihr Maul halten.«

»Ganz recht, Sir. Diesen Weg, Sir,« sagte Jerry zu Mr. Peter, indem er ihm ein höfliches Kompliment machte und auf das Boot an der Laufplanke zeigte – »dorthin, Sir, wenn es Ihnen beliebt ist,« fuhr Jerry gegen Mr. Paul steh verbeugend fort, und wies ihn nach der Windvierung der Schiffes.

»Warum denn nach dieser Richtung, Sir?« bemerkte Paul; »ich will an Bord der Fregatte.«

»Das weiß ich, Sir, und habe auch darauf gerechnet; ich gab dem schiefen Winkel in Ihrem Auge etwas zu; Sie werden auf diese Art gerade an das Boot kommen.«

Mr. Paul's Unwille war jetzt auf's Höchste gestiegen, und Pearce, der Schiffer, der über Jerry's gränzenlose Unverschämtheit, die Kapitän M. gewiß nicht ungetilgt würde gelassen haben, äußerst erbittert war, hielt das Boot auf einen Augenblick an, während er einige Zeilen an Price schrieb und ihn bat, den Ueberbringer bei Ablieferung des Billets wegen seines unverschämten Betragens in den Mastkorb zu schicken.

»Mr. Jerry, nehmen Sie dieß an Bord und überliefern Sie es mit meiner Empfehlung dem kommandirenden Offizier.«

»Sehr wohl, Sir,« erwiederte Jerry. »Stoßet ab! Vorwärts!«

Mr. Peter blickte Jerry eine Zeit lang ernsthaft in's Gesicht, während sie an Bord ruderten.

»Beim Henker, Sie gefallen mir, und wäre es auch nur um Ihrer gränzenlosen Impertinenz willen.«

»Eine Empfehlung negativer Art; aber ich glaube, daß es die einzige ist, die er hat,« brummte der Andere.

»Sehr schmeichelhaft, Sir,« sagte Jerry zu Mr. Peter, »daß Sie doch wenigstens etwas Anziehendes an mir finden; nur schade, daß ich das Kompliment nicht zurückgeben kann, denn an Ihnen gefällt mir auch gar nichts. In Bezug auf Ihren Freund da muß ich nur bemerken, daß mir alle schiefen Wege ein Gräuel sind. – Im Bug vorwärts! – Raum genug. Wenn Sie erlauben, meine Herren, will ich Ihnen den Weg weisen,« sagte der Midshipman, indem er an der Schiffsseite emporklomm.

Jerry, der bereits Argwohn geschöpft hatte, das Billet möchte nicht zu seinen Gunsten sein, erlaubte sich, da es unversiegelt war, die Freiheit, es unter dem Halbdeck zu lesen, indeß Price die beiden Gentlemen in die Kajüte einführte. Eine Dienstnote nicht zu überliefern, wäre ein Vergehen gewesen, das Kapitän M. mit Entfernung von dem Schiffe bestraft haben würde; aber gleich einem Affen Nachmittags im Mastkorbe zu hocken, während er Morgens wie ein Mann gefochten hatte, das wollte ihm keineswegs in den Kopf. Zu jeder andern Zeit würde er sich wenig darum bekümmert haben. Er kehrte wieder auf das Verdeck zurück und fand daselbst Prose an der Laufplanke stehend.

»Nun, mein lieber Prose, wie geht's Ihnen?«

»Meiner Seel', Jerry, ich bin sterbensmüde; siebenmal mußte ich nach dem verdammten Kaper hin und zurück rudern; jetzt ist mein Thee bereit, und ich habe schon wieder Befehl, da« Gepäcke dieser Herren zu holen.«

»Das ist freilich arg, ich will für Sie hinfahren; soll ich? Wo ist das Boot?«

»Schon in Bereitschaft an der Seite hier; nun, Jerry, ich muß sagen, das ist recht schön von Ihnen.«

Jerry ergriff das Laufstag und begann hinabzusteigen; dann stand er wieder plötzlich stille, als wenn er sich auf Etwas besänne, und sagte: »O beinahe hätte ich Etwas vergessen. Da ist eine Note vom Schiffer an Mr. Price. Uebergeben Sie es, Prose.«

»Mit Vergnügen, Jerry,« erwiederte Prose und begab sich auf die Seite des Halbdecks, wo Price seinen Dienst hatte, während Jerry in aller Eile mit dem Boote abstieß.

»Eine Note, Sir, vom Mr. Pearce, dem Schiffer.«

»Hm!« sagte Price, indem er es durchlief. »Mr. Prose, gehen Sie in den Mastkorb und bleiben Sie dort, bis ich Sie herabrufe.«

»Sir,« erwiederte Prose erschrocken.

»Keine Einwendungen, Sir; augenblicklich hinauf!«

»Aber Sir, es wurde –«

»Noch ein Wort, Sir, und Sie müssen die ganze Nacht droben bleiben,« rief Price, indem er wieder an die Besorgung seiner Dienstgeschäfte ging.

»Nun, das muß ich sagen, was habe ich denn gethan?« sagte Prose mit wimmernder Stimme, während er langsam das Takelwerk hinaufstieg, nicht unbeachtet von Jerry, der ihm vom Bord des Kapers aus zusah.

»Ich komme an Bord, um die Effekten dieser Herren abzuholen, Sir,« sagte Jerry, sich an Mr. Pearce wendend, der bei seinem Anblicke nicht wenig erstaunt war und ihn fragte:

»Erhielt Mr. Price meine Note?«

»Ja, Sir, er empfing sie.«

»Nun, ich ersuchte ihn, Sie in den Mastkorb zu schicken.«

»Danke, Sir, für Ihre Artigkeit,« erwiederte der Midshipman, an seinen Hut greifend.

Pearce war ärgerlich darüber, daß man seine Bitte nicht erfüllt hatte, und machte Price, als er Abends auf das Schiff zurückkehrte, Vorwürfe darüber.

Price erklärte, er habe Prose in den Mastkorb gesendet und ihn erst um acht Uhr wieder herunter gelassen. Die Sache klärte sich nun auf und Jerry wurde wegen seiner scharfsinnigen Kriegslist begnadigt, während der arme Prose sich am andern Morgen mit der Versicherung trösten lassen mußte, es sei ein Mißverständniß vorgefallen.

Die Prise war jetzt segelfertig; Kapitän M. übergab Courtenay den Befehl darüber und ließ ihn zwei von den Midshipmen zu seiner Begleitung auswählen. Seine Wahl fiel auf Seymour und Jerry; den Letzteren nahm er mehr zu seiner Unterhaltung mit, als weil er als Offizier viel taugte. Der Weg nach Jamaika, wohin er segeln sollte, war nicht weit; von dort aus sollte er alsdann mit seiner Mannschaft eine Ueberfahrt nach Barbados suchen; Kapitän M. wollte der Fregatte nicht zu viel Leute entziehen; er erlaubte daher Courtenay nur zehn Matrosen mitzunehmen, zu denen er noch sechs Gefangene an Bord schickte, damit sie beim Steuern Hülfe leisten könnten.

Mr. Capon und Mr. Contrakt wurden auf ihre Bitte als Passagiere mitgenommen.

Nachmittags, sobald Lebensmittel an Bord gebracht waren, erhielt Courtenay seine schriftlichen Befehle, und nach wenigen Stunden war ihnen die Fregatte aus dem Gesichte. Sie hatten kaum Zeit, Alles an den gehörigen Ort zu stauen und das Nöthige anzuordnen, als sich ein heftiger Nordwind erhob und der trübe Horizont zwar die Fortdauer des günstigen Windes, aber zugleich auch Sturm verkündigte. Dieß traf ein. Der Wind wurde immer stärker und die Matrosen hatten kaum Zeit, nicht ohne Schwierigkeit die Segel einzuziehen. Vor Dunkelwerden blies der Sturm sehr stark, aber nicht anhaltend, sondern stoßweise und mit bedeutender Heftigkeit, und als die Sonne in die Wogen hinabsank, warnte sie durch ihren rothen, feurigen Schein vor dem Zunehmen der Kühlte. Der Schooner flog mit gekürzten Segeln vor ihr her, bald das Schanddeck in die Tiefe senkend, bald schwerfällig überhellend, wenn seine Windvierung von den sich thürmenden Wogen emporgehoben wurde. Alles war für die Nacht wohlverwahrt; die Wache stand auf ihrem Posten und Seymour ging auf dem Verdecke hin und her, während Courtenay und die Andern nach der Kajüte hinunterstiegen und sich zeitig zu Bette begaben.

Unter die Gründe, weßwegen Courtenay unsern Helden zu seinem Begleiter auserwählt hatte, gehörte auch der, daß derselbe sehr gute Kenntnisse in der französischen Sprache besaß, was beim Verkehr mit den französischen Gefangenen, die er an Bord hatte, von Nutzen sein konnte. Jerry hatte ebenfalls, da er mit der Prise zu gehen wünschte, sich seiner Talente in diesem Punkte gerühmt, und obwohl der Leser nach der Probe, welche ihm davon vorgelegt wurde, nicht gar zu geneigt sein möchte, die Versicherungen desselben auf Treu' und Glauben hinzunehmen, so war doch Courtenay, der noch nie ein französisches Wort von ihm gehört hatte, der Meinung, er sei mit dieser Sprache sehr gut vertraut.

Bald, nachdem sie sich von der Fregatte getrennt hatten, weigerten sich die französischen Gefangenen sämmtlich, den Befehlen Courtenay's zu gehorchen und beim Einziehen der Segel behülflich zu sein. Seymour war gerade damals nicht auf dem Verdecke; er mußte die Vorkehrungen unten im Schiffe leiten, und obwohl er von dem Benehmen der Gefangenen gehört, so hatte er doch nicht mit ihnen gesprochen. Zwei derselben saßen gerade unter der Leeseite der Wetterbrüstung, als Seymour auf dem Verdecke auf- und abging. Sie führten ein lebhaftes Gespräch, als Seymour sich ganz in ihre Nähe stellte, nachlässig über die Windvierung sich lehnte und in die Wogen hinausblickte. Da hörte er Einen von ihnen zu dem Andern sagen: » Taisez-vous, peut-être qu'il nous entend;« » Nous verrons,« entgegnete der Andere, der sogleich sich erhob und Seymour in Beziehung auf das Wetter französisch anredete. Nach dem, was er bereits gehört, hielt es unser Held für das Beste, den Kopf zu schütteln, indem er fortwährend über die Windvierung hinausschaute. Als Seymour auch auf eine weitere Frage nur englisch und zwar verneinend antwortete, so hielten es die Gefangenen nicht der Mühe werth, sich von ihm zu entfernen, sondern damit zufrieden, daß er ihre Sprache nicht verstehen konnte, setzten sie sich nieder und nahmen ihr voriges Gespräch wieder auf. Das Schwanken des Schiffs war für Seymour ein hinreichender Grund, auf dem Verdecke nicht herumzugehen; doch machte er, um allen Verdacht zu entfernen, einige Schritte auf und ab, dann hielt er sich wieder an den Tauen ganz in dir Nähe der Franzosen. Der heftige Wind erlaubte ihm jedoch nur von Zeit zu Zeit ein paar Worte aufzufangen; aber was er vernehmen konnte, machte ihn höchst begierig, noch mehr zu erlauschen.

» Ils ne sont que seize, avec ce petit misère,« bemerkte der Eine. – » et nous sommes« – den übrigen Theil der Rede konnte er nicht verstehen. Seymour überzählte die Engländer an Bord und brachte mit Billy Pitt, den Courtenay von Macallan zu seiner Bedienung erhalten hatte, genau die genannte Zahl heraus, Das Beiwort petit misère galt, wie er mit gutem Grund annehmen durfte, seinem Freunde Jerry. Einige Minuten nachher vernahm er die Worte: – »sie werden uns über Bord werfen, wenn wir nicht siegen – im andern Falle aber stürzen wir sie über Bord.« » Courage, mon ami, il n'y aura pas de difficulté; nous sommes trop forts;« erwiederte der Andere, während sie ihr Gespräch abbrachen, sich erhoben und weggingen.

Unser Held sah wohl ein, daß die Gefangenen etwas im Schilde führten, aber dabei konnte er durchaus nicht begreifen, wie sechs Mann nur auf den Gedanken kommen sollten, das mit sechszehn Engländern bemannte Schiff wieder wegzunehmen, und wie sie sich für so stark halten konnten, daß sie ihrerseits auf einen glücklichen Erfolg rechneten. Entschlossen, Courtenay das, was er gehört, zu berichten, blieb Seymour, bis er abgelöst wurde, noch auf dem Verdecke und ging dann in seine Hängematte hinunter.

Der Wind hatte während der Nacht zugenommen. Da er jedoch günstig, der Himmel hell und die Sonne glänzend war, so wurde er, als sich die Leute zum Frühstück versammelten, freudig begrüßt. Nur Peter und Paul klagten, daß die heftige Bewegung des Schiffes ihnen allen Appetit genommen hätte.

Seymour machte Courtenay mit dem, was er von den Franzosen gehört hatte, bekannt, und so chimärisch der Gedanke an eine Wiedereroberung des Schiffes auch erscheinen mochte, so stimmte Courtenay ihm doch darin bei, daß ihrerseits Vorsicht erforderlich sei. Aber da es sich durchaus nicht mit dem englischen Charakter vertragen haben würde, gegen sechs Gefangene offene Maßregeln zu treffen, während sie selbst zahlreicher waren, so hielt er für hinreichend, die Munition und alle Waffen in die Kajüte stauen zu lassen und zu befehlen, daß die Gefangenen, wenn sie nicht mehr arbeiten wollten, nach Dunkelwerden sich nicht mehr auf dem Verdecke zeigen dürften; somit ließ er die Sache beruhen. Seymour wußte, daß, obgleich es seine Pflicht gewesen war, Courtenay mit dem Gehörten bekannt zu machen, ihm doch nicht das Recht zustehe, denselben noch zu weiteren Maßregeln zu bewegen, da, wie er annehmen müßte, der kommandirende Offizier seine Pflicht im Befehlen zu erfüllen wissen würde. Aber er war doch nicht ruhig. Er hatte eine unerklärliche Ahnung, daß nicht Alles ganz richtig sei. Er machte sich über die Sache allerlei Gedanken, bis Billy Pitt zum Mittagessen rief und dadurch seinen Träumereien ein Ende machte.

Die heftige schaukelnde Bewegung des Fahrzeuges war nicht wenig hinderlich, an dem Tische eine sichere Stellung zu gewinnen. Hätte man das ganze Mittagsmahl, als Schüsseln u. s. w., auf einmal aufgetragen, so würde man dasselbe einer sichern Zerstörung preisgegeben haben; ein Teller und ein Löffel zur Suppe war Alles, was Billy Pitt als Hausmeister den Leuten anvertrauen konnte. Paul, welcher gerade nicht der beste Seemann in der Welt war, hatte seinen Sitz an der Windseite genommen, und eben dadurch traf ihn das Loos, die Erbsensuppe zu serviren, die auf der Wetterseite des Tisches stand. Um Zeit zu ersparen und das Zerbrechen der Teller zu verhindern – zwei wichtige Artikel bei einer Schiffsmahlzeit – hatten Alle ihre Teller in der Hand, die sie dann hart an die Suppenschüssel hielten, um ihren Antheil in Empfang zu nehmen. Paul hatte die ihm zunächst Sitzenden bedient und erhob sich nun von seinem Stuhle, um die Teller auf der andern Seite des Tisches zu füllen. Er beugte sich etwas herüber, so daß sein Schwerpunkt bedeutend die Perpendikularlinie verlor, als eine Stoßwelle sich auf das Schiff stürzte, wodurch es beinahe ganz auf die Seite gelegt und Paul leewärts über den Tisch geschleudert wurde. Sammt der Suppenschüssel, die er mitzunehmen nicht vergessen hatte, flog er Jerry in die Arme, und Beide rollten mit einander auf dem Boden umher. Der Inhalt der Schüssel entleerte sich rasch in den offenen Busen Jerry's, der, so schnell er konnte, sich aus der Umarmung seines Freundes unter allgemeinem Gelächter losmachte.

»Nun, Sie baten um Suppe,« bemerkte Courtenay.

»Ja, und mein Freund hat mich sehr freigebig bedient,« erwiederte Jerry, der seine gute Laune nie ganz verlor, außer wenn er mit seinen eigenen Waffen geschlagen wurde. In der Zwischenzeit hatte sich Paul, der von dem Anstoßen seines Kopfes etwas betäubt war, fortwährend auf dem Boden in der Erbsensuppe herumgekugelt und versuchte es, gerade wieder auf die Beine zu kommen.

»Sie haben Alles für sich selbst genommen, Mr. Paul, und da Sie ein Suppenfreund zu sein scheinen, so wünschen Sie vielleicht auch einen Löffel,« sagte Jerry, indem er ihm zugleich einen hinbot.

»Ich muß sagen, Paul, Sie würden einen trefflichen Hanswurst abgeben,« bemerkte Peter.

Paul, der wieder auf die Beine gekommen war und sich an dem Tische anklammerte, antwortete ihm mit einem schauderhaft schielenden Blicke, als wenn er diesen Scherz nicht sehr bewundere; doch nahm er seinen Sitz am Tische wieder ein.

Nun wurde das Essen durch keinen weiteren Unfall unterbrochen, und als es zu Ende war und die Flasche die Runde machte, wobei Jeder sein Glas sogleich austrinken, und um es vor dem Zerbrechen zu bewahren, in die Seitentasche stecken mußte, befanden sich Alle in einer heitern und seligen Stimmung. »Ach,« sagte Jerry, nachdem er seinen Käse gegessen, sich streichelnd, als wenn er ein Fallstaff wäre, »ein Kätzchen dürfte jetzt mit mir spielen.«

Als aber der zweite Abend herannahte, war der Himmel mit schweren Wolken bedeckt. Die niedrigen Dünste wurden pfeilschnell dahingejagt – die Wogen thürmten sich berghoch auf und die Kühlte brüllte durch das Takelwerk des Schooners, der mit eingezogenen Segeln vor ihr herschoß. Es drohte ihnen wirklich Gefahr. Die Luken waren vornen und hinten mit Latten versehen – auch die Stückpforten ausgeschlagen, um dem Wasser einen Durchgang zu lassen, welches, in solcher Menge auf das Schiff hereinstürzte, daß es ohne eine solche Vorsichtsmaßregel versenkt worden wäre. Courtenay und seine Mannschaft blieben auf dem Verdecke bis gegen Tagesanbruch, wo die Kühlte ihre Heftigkeit allmälig zu verlieren schien.

Courtenay befahl Seymour und Jerry, schlafen zu gehen und ihn um acht Uhr abzulösen. Unser Held und Jerry gingen in die Kajüte hinunter, wo sie die beiden Passagiere trafen, welche, obgleich sie während der Nacht nicht auf's Verdeck gekommen waren, sich doch nicht zu Bette begeben hatten. Peter saß auf dem Schranke an der Windseite und hatte ein sehr blasses und seekrankes Aussehen. Paul lag auf dem Boden der Kajüte und klammerte sich mit der einen Hand an den Tischfuß, während er mit der andern seine Branntweinflasche hielt. Sein Gebetbuch war ihm in Folge eines plötzlichen Schreckens entfallen und schwamm nun in den Leespeigaten umher. Jerry war innerlich entzückt, nahm aber eine betrübte Miene an.

»Wie steht's?« bemerkte Paul, den seine Angst fast von Sinnen gebracht hatte.

»Immer schlechter,« erwiederte Jerry. »Das Wasser steht schon neun Zoll hoch im Pompensod.«

»O Gott!« schrie Paul, dessen nautische Kenntnisse nicht weit her waren, – das eine Auge zum Himmel erhebend, während er das andere auf die Branntweinflasche heftete.

»Aber warum gehen Sie nicht zu Bette?« fragte Jerry; »wir können im Bette mit eben so vielem Behagen, als anderswo, zu Grunde gehen.«

»Ich stimme Ihnen darin bei.« erwiederte Peter, der schon oft zur See gewesen und sehr wohl wußte, daß Alles gut stände, weil die beiden Midshipmen vom Verdecke herunter kamen. »Meine Mutter prophezeiete mir einst, ich würde nicht im Bette sterben, aber ich bin fest entschlossen, es zu thun.«

»Sie thäten besser, wenn Sie zu Bette gingen, Mr. Paul,« mahnte Seymour freundlich, »ich will dem Aufwärter klingeln.«

Billy Pitt erschien. »Bei Gott, Herre, der verdammte Schooner unter Wasser.«

»Unter Wasser!« schrie Paul ganz erschrocken; dann setzte er die Flasche an den Mund, als hätte er den festen Entschluß gefaßt, dem Elemente, das, wie er erwartete, jeden Augenblick in seinen Leib hineinströmen möchte, so wenig als möglich Raum zu lassen.

Mit Billy's Beistand wurde Paul in eines von den an der Seite stehenden Betten der Kajüte gebracht. Jerry stellte die Branntweinflasche an die Seite des Kopfkissens, indem er ihm den freundlichen Wink gab, er habe auf diese Art Gelegenheit, wenigstens noch einige Züge zu thun, ehe er unterginge, denn das Wasser reiche jetzt erst bis an die Kniehölzer. Peter lag bereits in dem zunächst stehenden Bette; auch Seymour und Jerry legten sich unausgekleidet in Courtenay's Bett, auf der andern Seite der Kajüte. Ehe sie einschliefen, hörten sie Paul rufen: »Peter! Peter!«

»Was fehlt Ihnen?«

»Glauben Sie, daß noch Hoffnung vorhanden sei?«

Peter, der seinem Reisegefährten Schrecken einjagen wollte, antwortete ernsthaft: »Oh, ich habe keine Angst; – aber, Paul, ich überlegte so eben die Sache. Wir beide haben die Vierzig schon auf dem Rücken; wir haben unsere Jugend, die glücklichste Zeit unsers Lebens, genossen. Jetzt geht es den Berg hinunter, dem Alter, der Gebrechlichkeit und Krankheit zu – was würden uns noch ein paar Jährchen helfen, gesetzt, daß wir auch dieses Mal mit dem Leben davon kämen? Finden Sie meine Bemerkungen nicht tröstlich?«

Paul seufzte und gab keine Antwort; aber das Krachen der Balken konnte das Gluck! Gluck! Gluck! nicht übertönen, wenn er den Branntwein aus seiner Flasche in seine Kehle hinuntergurgelte.


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