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Einundzwanzigstes Kapitel.

Mit Erlaubniß, Bassanio, ich bin halb Euer Selbst und muß ohne Rückhalt die Hälfte von Allem haben, was dieses Papier Euch bringt.

Shakspeare.

 

Das von Mr. Rainscourts Vorfahren erbaute und zu den Feudalzeiten einst starke und bedeutende Schloß lag etwa zwei Meilen von der Stadt A... in der Grafschaft Galway auf der Westküste Irlands. Als Mr. Rainscourt dahin zurückkehrte, fand sich, wie er ganz richtig vermuthete, kein Gerichtsdiener, der die Frechheit gehabt hätte, sein Leben bei einem Versuche, ihn gefangen zu nehmen, auf's Spiel zu setzen, indem der Graf von einem wilden und blind ergebenen Landvolke umringt war, das keinen Anstand nahm, Blut zu vergießen.

Eingemauert in ihre Wälle, lebten Mr. und Mrs. Rainscourt fast zwei Jahre lang ohne vielen Aufwand und ohne in Versuchung zu Geldverschwendung zu gerathen. Die Juwelen der Mrs. Rainscourt und alle nur irgend werthvollen Gegenstände waren verkauft worden und ihre Börse nun wieder völlig leer. Die Zuneigung der Pächter auf dem verpfändeten Gute hatte das mißfällige Paar einige Zeit lang mit den nöthigsten Lebensbedürfnissen unterstützt; allein jeder Tag mehrte ihre Verlegenheiten und somit ihren gegenseitigen Haß und ihre Verzweiflung.

Sie saßen gerade bei Tische, nachdem sie so eben ein Mahl beendigt hatten, das aus Wildpret bestand, welches Mr. Rainscourt erlegt hatte und das mit geringer Abwechslung seit dem Anfang der Jagdzeit ihre Hauptnahrung gewesen war, als die alte Wärterin, ihre noch einzige übrige Dienerin, wahrscheinlich weil sie die einzige war, die ohne Lohn bleiben wollte, in's Zimmer trat.

»Hier ist ein Brief an den Herrn. Barney, der Postjunge, brachte ihn soeben.«

»Gut, wo ist er?« erwiederte Rainscourt.

»Er sagt, daß zwei Dreizehner dafür bezahlt werden müssen, und der schmutzige Schlingel von Postmeister habe ihm gesagt, er dürfe Ihnen den Brief nicht eher übergeben, als bis er das Geld dafür in der Hand habe.«

»Sag' Barney, er solle herein kommen.«

»Haben Sie vielleicht zwei Schillinge, Mr. Rainscourt?«

»Nicht einen,« erwiederte er der Lady traurig.

Die Wärterin kehrte mit Barney zurück.

»Nun, Barney, wo ist der Brief, laß mich ihn sehen.«

»Meiner Treu', Euer Gnaden, ich verweigere Ihnen denselben nicht; aber der Meister sagte mir – Barney,« sagte er, »wenn du Seiner Gnaden den Brief gibst, ehe die zwei Dreizehner in deiner Faust sein, so hast du eine gute Tracht Prügel zu erwarten.«

»Gut, Barney, aber laß mich wenigstens das Postzeichen sehen. Ich werde dann gleich wissen, ob ich ihn annehmen soll oder nicht.«

»Gesetzt aber, daß Euer Gnaden wünschen wollten, den Brief zu öffnen? Herren, wie Sie, können einer solchen Versuchung nicht wiederstehen; – und dann die zwei Dreizehner, Euer Gnaden.«

»Nun, Barney, da du mir nicht trauest und ich kein Geld habe, so mußt du den Brief wieder mitnehmen. Er bringt mir vielleicht gute Neuigkeiten – ich habe in der letzten Zeit nur schlechte erhalten.«

»Ja, das könnte der Fall sein. Nun, nehmen Euer Gnaden den Brief nur, und ich will die Tracht Prügel über mich ergehen lassen.« Hiermit zog der gutmüthige Bursche den Brief aus der Tasche und gab ihn Rainscourt.

Rainscourt, der vor Allem sich zu überzeugen wünschte, ob es einer der gewöhnlichen Mahnbriefe sei, untersuchte das Postzeichen und die Adresse, um ihn im letzteren Falle uneröffnet zurückzugeben und dem armen Barney die Prügel zu ersparen, die derselbe um seinetwillen freiwillig übernehmen wollte. Allein die Handschrift war ihm unbekannt und das Postzeichen so undeutlich und unleserlich, daß er es nicht entziffern konnte. Er sah an den Seiten des Briefes hinein, und die wenigen Worte, die er lesen konnte, steigerten seine Neugierde.

»Ich fürchte, Barney, daß ich ihn öffnen muß.«

»Glück dazu, Euer Gnaden! Möge er Ihnen nur viel Gutes bringen.«

Der Brief wurde geöffnet und sein Inhalt verbreitete einen seit langer Zeit selten gesehenen Schimmer der Freude auf dem Gesichte des Lesenden. Seine Gattin beobachtete seine Miene.

»Barney!« rief Rainscourt voll Freude, »komm morgen wieder, dann will ich dir eine Guinee geben.«

»Euer Gnaden hat Glück und ich auch,« erwiederte Barney grinsend und sich aus dem Zimmer zurückziehend. »Ich will nun meine Prügel holen.«

Um jedoch den Inhalt dieses Briefes zu erklären, müssen wir Ereignisse erzählen, die, während wir unsern Helden auf seiner Laufbahn begleiteten, unsern Augen entrückt wurden.

Etwa drei Wochen nach Admiral De Courcy's Tode war das Linienschiff, auf dem unser Held unter der Obhut des alten Adams sich befunden hatte, in den Hafen zurückgekehrt. Der Vikar, welcher sehnlichst die Ankunft erwartete, machte sich augenblicklich dahin auf, um bei Willy seine Ansprüche als Vormund geltend zu machen. Als er die Adresse Kapitän M.'s erhalten hatte, begab er sich zu diesem und bat um Erlaubniß, den Knaben an's Land bringen zu dürfen. Wie er jedoch im Begriffe stand, zu erzählen, welch' glücklicher Wechsel in den Aussichten seines Mündels eingetreten sei, wurde er von dem Kapitän unterbrochen, der ihm zuerst die näheren Umstände über den Tod des alten Adams auseinandersetzte, dann Willy's wackeres Benehmen dabei rühmte und ihm sagte, er habe den Knaben seiner Equipirung wegen auf einer Prise nach Hause geschickt. Es machte Kapitän M. nicht wenig Kummer, noch hinzufügen zu müssen, das Fahrzeug sei, da man seither nicht mehr von ihm gehört, wahrscheinlich untergegangen.

Bestürzt über eine Nachricht, welche ihm gerade in dem Augenblicke mitgetheilt wurde, wo sein Herz sich freudig bei dem Gedanken erweiterte, das seinem Schützling bisher widerfahrene Unrecht gut machen zu können, fand der Vikar es nicht für nöthig, einem Fremden Familienangelegenheiten mitzuteilen, und entfernte sich, ohne auch nur seinen Namen und Wohnort dem Kapitän anzugeben. Als nach drei Jahren, wie wir bereits erzählt haben, Willy wieder zum Vorschein kam, war Kapitän M. nicht im Stande, einem Manne Nachricht davon zu ertheilen, der, wie er natürlich aus dessen Nachforschungen schloß, einen bedeutenden Antheil an der Wohlfahrt unseres Helden nehmen mußte.

Inzwischen bot der Vikar, obwohl er den Tod des Knaben mit Gewißheit annehmen zu dürfen glaubte, doch jedes erdenkliche Mittel auf, um sich von der Wirklichkeit seiner Vermuthung zu überzeugen. Lange Zeit hindurch mußten seine Agenten die genauesten Nachforschungen anstellen, ob nicht ein gekapertes Fahrzeug an der französischen Küste Schiffbruch gelitten habe. Die Gefangenen zu Verdun und in andern Depots wurden befragt und Belohnungen auf die Entdeckung des Knaben gesetzt; aber Alles ohne Erfolg. Nach zweijährigem Warten schien jede Hoffnung verschwunden, und der Brief, den Mr. Rainscourt erhalten, war vom Vikar, welcher ihn mit dem Stand der Dinge bekannt machte und zur Uebernahme der Güter des Admirals aufforderte.

»Mr. Rainscourt, darf ich nach dem Inhalte eines Briefes fragen, der Sie nicht nur so freigebig macht, sondern auch wohl die Mittel an die Hand gibt, Ihr Versprechen halten zu können?«

Wenn wir glücklich, und besonders, wenn wir es unerwartet sind, so fühlen wir uns zum Wohlwollen gegen Andere gestimmt. Für den Augenblick schien Rainscourt alle Zwistigkeiten mit seiner Gattin vergessen zu haben, und er benachrichtigte sie eben so bereitwillig von seinem Glücke, als er es bei einer frühern Gelegenheit in Beziehung auf seine schmerzliche Täuschung gethan hatte.

»Meine liebe Clara, der Enkel des Admirals ist todt und wir sind nun Eigenthümer seiner Güter.«

Meine liebe Clara! Eine solche Anrede war seit der ersten Woche ihrer Verheirathung nie mehr gehört worden. Ueberwältigt von der frohen Botschaft, noch mehr aber von dem liebevollen Ausdruck ihres Gatten, der ihr die Tage zurückrief, wo sie ihn zärtlich liebte, brach Mrs. Rainscourt in Thränen aus, verbarg ihr Gesicht auf seinen Knieen und dankte schluchzend dem Himmel für die wieder erwachte Zuneigung ihres Gatten.

Ihre Tochter, Emilie, jetzt zehn Jahre alt, stürzte, erstaunt über einen so ungewöhnlichen Auftritt und gleichsam durch Instinkt getrieben, herbei, hing sich an ihren Vater und vollendete so die Familiengruppe. Rainscourt war gerührt, küßte seine Tochter auf die Stirne und wünschte ihr Glück, daß sie jetzt eine Erbin geworden sei.

»Ich hätte mir's nicht träumen lassen, daß Geld so viel Gutes bewirken könnte,« bemerkte das Kind in Beziehung auf die scheinbare Aussöhnung seiner Eltern.

Mrs. Rainscourt erhob sich aus ihrer knieenden Haltung, setzte sich an den Tisch und stützte das Gesicht mit den Händen.

»Ich fürchte, es ist zu spät,« sagte sie kummervoll, indem die in Gleichgültigkeit und Zwietracht verlebten Jahre ihr wieder in Erinnerung kamen.

Mrs. Rainscourt's Vermuthung war nur zu wahr. Die gegenseitige Hochachtung war längst entschwunden, und ohne sie konnte die Liebe nicht mehr zurückkehren. Das Gefühl der erneuerten Zuneigung mußte eben so plötzlich vorübergehen, als es entstanden war.

»Ich muß sogleich nach England,« bemerkte Rainscourt; »ich denke, es wird keine Schwierigkeit haben, von der Bank Geld zu erhalten, wenn ich diesen Brief vorzeige. Der alte A. wird mir jetzt mit der größten Bereitwilligkeit seine Noten zustellen.«

»Sollen wir nicht mit Ihnen gehen, Mr. Rainscourt?«

»Nein; Sie thun besser, so lange hier zu bleiben, bis ich die Angelegenheiten einigermaßen in Ordnung gebracht habe. Ich muß mich mit drei verwünschten Geldverleihern abfinden und die Schuldscheine bei T– einlösen. Der kleine Hallunke wird jetzt wohl recht höflich sein.«

»Nun, Mr. Rainscourt, wir wollen uns in Ihren Willen fügen; aber weder Emilie, noch ich, sind gehörig mit Kleidern versehen, und Sie werden wohl nicht geschickt genug sein, unsere Aufträge zu besorgen.«

»Und werde deßhalb gar keine übernehmen.«

»So gedenken Sie, uns als in Lumpen gehüllte Bettler zurückzulassen, während Sie sich selbst in London amüsiren?« entgegnete Mrs. Rainscourt mit Bitterkeit. »Bei Ihren veränderten Glücksumständen wird es Ihnen nicht an Gesellschaft fehlen, weder an männlicher, noch an weiblicher,« fuhr die Lady, das letzte Wort scharf betonend, fort – »und eine Gattin würde Ihnen wahrscheinlich nur zur Last fallen.«

»Eine so liebevolle und zärtliche, wie Sie sind, gewiß nicht,« erwiederte der Gentleman spöttisch. »Indeß muß ich doch auf das Vergnügen Ihrer Gesellschaft verzichten, bis ich Zeit gehabt habe, mich ein wenig umzusehen.«

»Mr. Rainscourt, Sie ziehen vielleicht eine abgesonderte Einrichtung vor, jetzt, da Sie im Stande sind, eine solche zu bieten? Ist dieß der Fall, so bin ich geneigt, auf jeden Vorschlag einzugehen.«

»Das ist eine sehr kluge Bemerkung von Ihnen, meine Liebe, und ich werde sie gehörig in Erwägung ziehen.«

»Je eher, desto besser,« antwortete die gereizte Lady, während Mr. Rainscourt das Zimmer verließ.

»Mein liebes Kind,« sagte Mrs. Rainscourt zu ihrer Tochter, »du siehst, wie grausam mich dein Vater behandelt. Er ist ein schlimmer Mann, und du mußt nie auf das Acht geben, was er sagt.«

»Papa sagte mir dasselbe von Ihnen, Mama – gestern morgen, als Sie im Garten spazieren gingen.«

»Das that er? der Elende – will mein eigenes Kind gegen mich aufhetzen!« rief Mrs. Rainscourt aus, obgleich sie sich soeben des nämlichen Vergehens schuldig gemacht hatte, das sie ihrem Gatten vorwarf.


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