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Zwölftes Kapitel.

»Liebst du mich, so liebst du auch meinen Hund.«

Sprüchwort.

 

Diejenigen, welche immer zu betrügen gewohnt waren, haben das Unglück, daß sie sich fortwährend einbilden, Andere bedienen sich derselben unehrlichen Kunstgriffe. Eine Zeitlang glaubte M'Elvina fest, unser kleiner Held habe bei seiner Erzählung sich nicht ganz an die Wahrheit gehalten, und erst nachdem er ihn zu wiederholten Malen in das Gebet genommen, und Willy bei seinem ersten Berichte, so befremdend und mährchenhaft auch derselbe klingen mochte, fest stehen geblieben war, glaubte er, der Knabe sei redlich und aufrichtig, wovon ihn schon das gewinnende Gesicht desselben hätte überzeugen können. Er gelangte jedoch endlich zu dieser Ueberzeugung, und unser Held, der das Glück zu haben schien, nicht so bald einen Beschützer zu verlieren, als er schon wieder einen andern fand, wurde der Liebling und Gefährte seines neuen Kapitäns, statt sein Diener zu werden, wie es anfänglich beabsichtigt gewesen war. Ein Knabe von Willy's Alter, dem eine gütige und schonende Behandlung zu Theil wird, schließt sich bald an und gewöhnt sich leicht an jeden Wechsel der Umstände. Unser Held fragte nichts danach, ob er sich auf dem Halbdeck eines Kriegsschiffes oder in der Kajüte einer Schmuggler-Schaluppe befand; zufrieden mit seinem gegenwärtigen Loose, ließ er bei dem glücklichen Leichtsinn der Jugend sich weder seine Ruhe noch seine Verdauung stören.

Willy hatte ungefähr einen Monat zu Cherbourg verweilt, als M'Elvina's Schaluppe eine neue Ladung einnahm.

»Willy,« sagte M'Elvina, als sie eines Abends auf ihrem Zimmer in der Schenke beisammen saßen, »morgen werde ich höchst wahrscheinlich nach der englischen Küste segeln. Ich habe darüber nachgedacht, was ich mit dir anfangen soll; ich trenne mich ungern von dir; allein bei genauerer Ueberlegung halte ich es doch für besser, wenn du hier bleibst. Du kannst uns nichts nützen und möchtest uns vielleicht hinderlich sein, wenn wir genöthigt wären, uns in's Boot zu flüchten.«

Willy that gegen diesen Vorschlag kräftige Einrede. »Ich habe nie einen Freund gehabt, den ich nicht gleich wieder verlieren müssen,« sagte der Knabe; und Thränen traten ihm dabei in die Augen.

»Ich hoffe, du wirst mich nicht verlieren, mein lieber Junge,« erwiederte M'Elvina, durch diesen Beweis von Zuneigung gerührt, »allein ich muß dir erklären, warum ich dich verlasse. Zuerst,« fuhr er lachend fort, »würde es Hochverrath sein, wenn man dich mit jenem Zeichen auf deiner Schulter bei mir fände; doch diese Gefahr würde ich gerade nicht hoch anschlagen; ich habe gewichtigere Gründe. Wenn nämlich diese Fahrt glückt, so werde ich nimmer nach Cherbourg zurückkehren. Ich habe bedeutende Geschäfte in London, welche meine Anwesenheit in der Hauptstadt und in der Umgegend für einige Wochen nöthig machen. Du weißt bereits, daß ich in Kurzem das Kommando eines ganz andern Schiffes übernehmen werde, als diese elende Schaluppe ist, und zwar für einen weit gefahrvolleren Dienst. In vier bis fünf Monaten wird es segelfertig sein, und während dieser Zeit habe ich alle Hände voll zu thun, und würde kaum wissen, was ich mit dir anfangen sollte. Nun aber, Willy, kennst du die Vortheile der Erziehung noch nicht; ich hingegen kenne sie, und da ich die meinige fremden Leute verdanke, so will ich dafür an dir so viel thun, als in meinen Kräften steht. Du mußt deßhalb bis zu meiner Rückkunft eine Schule besuchen. Du wirst wenigstens die französische Sprache lernen, was dir späterhin nicht von geringem Nutzen sein wird.«

Willy, an die Disciplin und an blinden Gehorsam gewöhnt, unterwarf sich ohne alle weitete Einwendung. Debriseau trat ein und alle drei brachen auf, um unsern Helden in eine Pension zu bringen, die man ihm empfohlen hatte. Nach diesem kamen sie überein, sich bis Sonnenuntergang auf dem Place d'Armes zu ergehen. Daselbst setzten sie sich auf eine Bank nieder. M'Elvina und Debriseau zündeten ihre Cigarren an und rauchten schweigend, während Willy sich damit unterhielt, die vorübergehenden Spaziergänger zu mustern.

Sie hatten kaum einige Minuten da gesessen, als ein Pudelhund, bien tondu und weiß, wie ein Schaf, wenn es am Tage vor der Schur aus der Wäsche kommt, mit schnüffelnder Schnauze auf sie zulief und M'Elvina scharf in's Auge faßte.

M'Elvina nahm seine Cigarre aus dem Munde und hielt sie dem Hunde hin, der auf sie zustürzte und daran roch. Als das brennende Ende mit seiner kalten Schnauze in Berührung kam, erhob das Thier ein lautes Geheul und lief weit schneller, als es gekommen war, zu seinem Herrn zurück, indem es bald mit der einen, halb mit der andern Vorderpfote, gleichsam um den Schmerz wegzuwischen, auf eine so lächerliche Weise über seine Nase fuhr, daß darüber nicht bloß die auf der Bank sitzenden, sondern auch die andern Zuschauer ein lautes Gelächter anstimmten.

»Dies war für die Naseweisheit,« sagte M'Elvina, noch immer lachend. Der Eigenthümer des Hundes, ein junger, ganz en calicot gekleideter Franzose, schien indeß mit dem Spasse nicht sehr zufrieden zu sein; er setzte seinen Hut keck auf die Seite warf sich in die Brust, schritt en grand militaire herbei und rief M'Elvina zu: »› Comment, monsieur, vous avez fait une grande bêtise la – vous m'insultez.‹« –

»Ich halte es für's Beste, wenn ich kein Französisch verstehe,« sagte M'Elvina leise zu Debriseau.

Hierauf wendete er sich mit ernstem Gesichte und einer Miene, als wenn er gar nichts verstanden hätte, zu dem Franzosen. –

»Was sagten Sie, Sir?«

»Ah, Sie sind ein Engländer? Sie sprech nicht französisch?« – M'Elvina schüttelte den Kopf und nahm seine Cigarre wieder in den Mund.

»Wenn das is, mein Err, wenn Sie nicht sprech die französisch Sprach, ich spreche die englisch, wie ein Eingeborner, und sag' Ihnen mein Err: Que vous m'avez insulté. God verdamm' – Sie verbrannt hat mein Und die Nas; was das sein, mein Err?«

»Der Hund hat sich seine Nase selbst verbrannt,« antwortete M'Elvina in sanftem Tone.

»Was Sie sag'? Der Und brennt hat selbst sein Nas! Wie ein Und brennen können sich selbst sein Nas? Mein Err, Sie die Cigarr gehalten an mein Und Nas; ich haben muß Satisfaction oder Entschuldigung tout de suite.«

»Aber, Sir, ich habe Sie nicht beleidigt.«

»Mein Err, Sie beleidigt mein Und; der ist ein und dasselbe Sachen – mon chien est un chien de sentiment. Er fühlen die Beleidigung alles ganz wie mich; ich fühlen die Beleidigung alles ganz, wie ihn. Vous n'avez qu'à choisir, monsieur.«

»Zwischen Ihnen und Ihrem Hunde,« antwortete M'Elvina. »Ja, dann schlage ich mich lieber mit dem Hunde.«

»Bah, schlagen den Und – der Und nicht können schlagen sich selbst, mein Err, mais je suis son maître est son ami, und ich wollen duelliren ihn.«

»Nun gut, mein Herr, ich muß gestehen, daß ich Ihren Hund beleidigt habe, und ich will ihm Satisfaction geben, auf welche Weise Sie es verlangen.«

»Und wie will Sie geben Satisfaction dem Und?«

»Mein Herr, Sie haben so eben gesagt, daß er un chien de beaucoup de sentiment sei; wenn dem so ist, so wird er meine Entschuldigung annehmen und gehörig zu würdigen wissen.«

»Ah, mein Err,« erwiederte der Franzose, und das Runzeln seiner Augenbrauen ließ allmälig nach, » s'est bien dit; Sie will machen Entschuldigung dem Und. Sans doute, er sein beleidigt Theil und ich sein Sekondant. C'est une affaire arrangée. Moustache, viens ici, Moustache (der Hund sprang an seinem Herrn hinauf). » Monsieur est très-fâché de t'avoir brûlé le nez.«

» Monsieur Moustach,« sagte M'Elvina, indem er den Hut abnahm und mit verstellter Gravität sich an den Hund wandte, der aber stets in ehrerbietiger Entfernung sich hielt, » je vous demande mille excuses.«

» Ah! que c'est charmant!« riefen einige von dem schönen Geschlechte, welche gleich den Männern stille gestanden, um diese Scene mit anzusehen. » Que monsieur l'Anglais est drôle! et voyez Moustache, comme il a lair content! – vraiment, c'est un chien d'esprit.«

» Allez, Moustache,« sagte sein Herr, der jetzt die Freundlichkeit selbst war, » donnez la patte à monsieur – donnez donc. Ach, mein Err, er vergebe ihm, ich das weiß – il n'a pas de malice; aber er fürchten den Cigarr: der gebrannt Kind fürchten die Wasser, wie Ihr groß Shakspeare sagen.«

» C'est un chien de talent: il a beaucoup de sentiment. Je suis bien faché de l'avoir blessé, monsieur.«

» Et monsieur parle français?«

»Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich Ihre Sprache so gut redete, wie Sie die meinige,« erwiederte M'Elvina auf französisch.

Dies Kompliment, in Gegenwart so vieler Zuhörer, gewann das Herz des eitlen und reizbaren Franzosen völlig.

»Ah, mein Err, Sie ist zu complaisant, ich hoffen, ich haben werden das Vergnügen, Ihren Bekanntschaft zu machen. Je m'apelle monsieur Auguste de Poivre. Je l'honneur de vous présenter une carte d'adresse. Ich leben auf die Kopf von mein Mutter, – sur l'entresol. Meine Mutter wohnen auf die Erde – rez-de-chausée. Madame ma mère wird sein erfreut, ein Monsieur von so viel Witz und Artigkeit zu sehen bei Ihr.«

Mit diesen Worten entfernte sich Monsieur Auguste de Poivre, begleitet von Moustache, der mit ihm »ein und dasselbe Sachen« war.

»Wahrlich, wir leben und lernen;« sagte M'Elvina lachend, sobald der Franzose in einiger Entfernung sich befand, »ich hätte nie geglaubt, daß ich mich bei einem Hunde entschuldigen würde.«

»Oh,« erwiederte Debriseau, »Sie vergessen ja, daß es un chien de sentiment war.«

»Sie haben aus meinem Benehmen schließen können, daß ich ihn für ein weit klügeres Geschöpf hielt, als seinen Herrn; denn er lief vor dem Feuer weg, während sein Herr sich alle mögliche Mühe gab, um in dasselbe hineinzurennen. Wie Manche unserer Landsleute würden ihm freilich willfahrt und ein Lustspiel in ein Trauerspiel verwandelt haben; – ich aber schlage mein Leben etwas höher an und mag es nicht bei solchen Kleinigkeiten auf's Spiel setzen.«

»Es ist, so viel ich mich erinnere, schon mehr als Ein werthvolles Leben um einen Hund verloren gegangen,« sagte Debriseau. »Ich meine übrigens, daß Sie sich auf verständigere Weise benahmen, um sich aus der Sache zu ziehen; aber Sie würden doch noch besser daran gethan haben, dem Hunde die Nase gar nicht zu verbrennen.«

»Allerdings,« erwiederte M'Elvina, »und umso mehr, da mit Ausnahme unserer Kinder und unseres eigenen Selbst's wohl kein Ding auf der Welt ist, bei welchem das Mein so stark und das Dein so schwach wäre. Man liebkost seinen eigenen Hund und tritt einen fremden, man freut sich über das kläffende Gebell seines eigenen Köders, und wünscht dasselbe, wenn es von einem andern kommt, zum Teufel. Es geht uns in diesem Falle beinahe, wie einer Mutter, der ihr eigener häßlicher Junge, in Vergleichung mit andern, wie ein Cherub und sein Geschrei wie Sphären-Musik vorkommt. Der Grund davon ist, weil kein Thier der Selbstliebe seines Herrn so schmeichelt, wie der Hund. Demüthig unterwirft er sich den Schlägen, die man im Augenblicke der Gereiztheit ihm zutheilt, und leckt die Hand, welche ihn züchtigt. Er hegt keine Rachegedanken und liebkost seinen Herrn, sobald die gute Laune desselben zurückkehrt. Er ist das, was wir unter unsern Nebenmenschen vergeblich suchen: ein treuer, nie wiedersprechender Freund – das vollkommene Ideal eines Sklaven; seine unterwürfige Demuth, welche ihm unsere Verachtung zuziehen könnte, wird zum Verdienste, sobald wir seinen Muth, seine Treue und seine Dankbarkeit erwägen. Ich kann daher nicht begreifen, warum Mahomed ihn als unrein bezeichnete.«

»Ei,« sagte Debriseau, »ich stimme Mahomed bei, daß die Hunde unreinlich sind, besonders die jungen. Man sehe nur einmal die kleine Bestie bei Monsieur Picardon. Ich erkläre –«

»So meine ich es nicht,« unterbrach ihn M'Elvina lachend – »ich meine, daß der Hund in einem despotischen Staate als ein Muster der Nachahmung für seinen Herrn aufgestellt werden, und halte dafür, daß der Moslem auf seinem Banner anstatt des Halbmondes den Hund führen sollte, als ein Sinnbild der Treue und schweigsamen Unterwerfung!«

»Das ist wohl wahr,« sagte Debriseau, »aber dessen ungeachtet wünsche ich, daß Mademoiselle's junges Hündchen entweder Mores lernte, oder über den Quai geworfen würde.«

» Ce n'est pas un chien de sentiment,« erwiederte M'Elvina lachend. »Aber es wird schon ziemlich dunkel. Allons au cabaret.«

Sie kehrten nach der Schenke zurück, und als am folgenden Morgen ein sehr starker und günstiger Wind wehte, so begleiteten Willy und Debriseau M'Elvina nach dem Hafen. Die Schaluppe war bereits segelfertig, er ging an Bord und war nach einer Stunde ihren Blicken entschwunden.

Am folgenden Tage ging Kapitän Debriseau mit Willy nach der Pension, in welcher unser Held fast fünf Monate blieb. Der Kapitän aus Guernsey besuchte ihn hier zuweilen, wenn er von seinen Schmuggelfahrten zurückkehrte. Seltener erhielt er Briefe von M'Elvina, der seine Ladung glücklich an's Land gebracht hatte und sich zuletzt in Havre aufhielt, um die Ausrüstung seines neuen Fahrzeuges zu beaufsichtigen. Unser Held machte während dieser wenigen Monate gute Fortschritte und als M'Elvina zurückkehrte, um ihn abzuholen, sprach er nicht nur allein das Französische vollkommen fertig, sondern hatte auch im Lesen, Schreiben und Rechnen bedeutende Kenntnisse erlangt.

Der Lugger, welcher für M'Elvina auf Kosten seines Prinzipals gebaut wurde, war jetzt segelfertig und unser Held und sein Beschützer reisten, nachdem sie dem Cherbourger Schmuggler Debriseau Lebewohl gesagt en diligence nach Havre.


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