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Sechsundfünfzigstes Kapitel.

Mit unerschrock'ner Kühnheit
Und mit geschwung'nem Degen stürzten sie auf ihn
Und lassen allen Rum zu Boden laufen;
... obwohl der Führer und die ganze Schaar
Lautdrohend das Signal zum Kampfe geben.

Milton.

 

Die von Mr. Hardsett erhaltene Nachricht bewog unsern Helden, sein Gespräch mit Debriseau abzubrechen, und er verließ augenblicklich die Hütte. Eine Schaar von wildem Aussehen lief zwischen den Felsen hinunter. Ihre Knittel schwangen sie mit lautem Geschrei über ihren Köpfen. Bald hatten sie sich der Hütte auf wenige Schritte genähert, und schienen Seymour und den Hochbootsmann, die sich, nebst zwölf Matrosen, wieder angekleidet hatten, zu ihrem Erstaunen mehr mit feindlicher, als brüderlicher Miene anzuschauen. Ihre Absichten wurden indessen bald deutlich, indem sie über die zum Trocknen ausgehangenen Kleidungsstücke der Matrosen herstürzten, dieselben zusammenpackten und unter den Arm nahmen, während sie drohend ihre Shillelahs schwangen.

»Halt, Jungen!« rief der Hochbootsmann; »was gehen euch diese Kleider an?«

Geschrei und durcheinander gewischte Antworten in irischer Sprache war die unverständliche Erwiederung.

»Conolly,« rief Seymour, »Ihr könnt mit ihnen reden. Fragt, was sie für eine Absicht haben.«

Collony redete sie auf Irisch an, und wechselte einige Worte mit ihnen.

»Blutiger Tod den Räubern!« rief Conolly, zu unserem Helden sich wendend. »Nicht uns, sondern sich selbst wollen sie helfen. Sie sagen, auf Alles, was von einem Wrack an's Land geworfen werde, haben sie ein Recht und verlangen es. Sie fragten mich nach dem Inhalt des Fäßchens; ich sagte es ihnen und sie sagen, man müsse es ihnen geben und alles Andere obendrein; und wenn wir es ihnen nicht gutwillig gäben, so wollen sie uns das Leben nehmen.«

Seymour, der wohl wußte, daß die Sache bös ablaufen dürfte, wenn den Irländern die Mittel zur Berauschung überliefert würden, wendete sich zu seinen Leuten, die außen vor der Hütte standen und sich beim ersten Anschein von Feindseligkeiten mit Sparren und andern Bruchstücken von dem Wrack bewaffnet hatten; er befahl ihnen, das Rumfaß in die Hütte zu wälzen und sich zur Vertheidigung zu rüsten. Die englischen Matrosen, empört über eine solche Verletzung der Gastfreundschaft, so wie über den Verlust ihrer Kleider, leisteten sogleich seinem Befehle Folge, und ließen sich in ihrem Grimme nur mit großer Mühe von einem augenblicklichen Angriffe abhalten.

Ein Ungeheuer mit buschigen Haaren, der Führer der feindlichen Schaar, wie es schien, redete abermals Conolly auf irisch an.

»Er will wissen, ob ihr das Rumfäßchen gutwillig hergeben oder darum kämpfen wollt. Nicht ein Paar Hosen, nicht einmal meine eigenen wollen sie wieder hergeben, obwohl ich ein Irländer und dazu noch aus Galway gebürtig bin. Bei Jesus! Mr. Seymour, Sie werden doch hoffentlich den Rum nicht gutwillig aufgeben.«

»Nein,« erwiederte Seymour. »Sagt ihnen, daß sie denselben nicht bekommen, und überdieß für den Diebstahl bestraft werden sollen, welchen sie bereits begangen haben.«

»Kommt und holt ihn!« brüllte Conolly auf Irisch dem feindlichen Haufen entgegen.

»Jetzt, Jungen,« rief Seymour aus, »müßt ihr wacker dafür kämpfen – sie werden wenig Mitleid zeigen, wenn sie Sieger bleiben.«

Der Hochbootsmann steckte seine Bibel in die Tasche, ergriff einen Jollenmast, hob ihn mit beiden Händen empor, um den Fuß desselben als Mauerbrecher anzuwenden, und schritt vor seinen Leuten her.

Die Irländer stürzten mit lautem Geschrei heran, und das Handgemenge begann mit unbeschreiblicher Wuth. An Zahl waren sich beide Parteien ungefähr gleich; allein die Irländer hatten bessere Waffen, indem Jeder mit seinem Shillelah aus hartem Holze Versehen war, das er gut zu führen verstand.

Der Hochbootsmann jedoch verrichtete wahre Heldenthaten, indem er mit seinem Maste so kaltblütig und so gut zielte, daß er aus jeden Schlag einen Irländer zu Boden streckte. Nachdem der Kampf einige Minuten gedauert hatte, wurden die Engländer nach der Hütte zurückgeschlagen. Hier aber sammelten sie sich wieder und setzten das Gefecht fort. Seymour, vor Allem besorgt, daß die Irländer sich nicht des Rumes bemächtigen möchten, befahl Robinson, dem Vorderkastell-Kapitän, in die Hütte zu gehen, den Spund aus der Tonne zu ziehen und den Inhalt auslaufen zu lassen. Dieser Befehl wurde befolgt, während draußen der Kampf fortwährte, bis endlich M'Dermot, der Führer der Irländer, seinen Leuten zurief, sie möchten innehalten, um zu einem erneuerten Angriffe Athem zu schöpfen.

»Wenn euch nach dem Rum gelüstet,« rief Conolly seinen Landsleuten zu, »so mußt ihr flink sein. Da läuft er schon unter der Hüttenthüre heraus.

Diese Ankündigung brachte jedoch eine ganz andere Wirkung hervor, als Seymour beabsichtigt hatte. Ergrimmt über den Verlust des Rums und in der Hoffnung, sich des Fäßchens bemächtigen zu können, ehe es ausgelaufen wäre, wiederholten die Irländer den Angriff mit erneuerter Wuth und trieben die Engländer auf die entgegengesetzte Seite der Hütte, während sie selbst die Thüre erbrachen, um ihre Beute zu erobern. Etwa acht bis zehn waren in die Hütte gestürzt und hatten das bereits erst zur Hälfte ausgelaufene Fäßchen ergriffen, als der unter der Thür der Hütte hervorströmende Rum mit dem außen angezündeten Feuer in Berührung kam und sich entzündete. Schnell wie ein Blitz verbreitete sich die Flamme und setzte auch das Fäßchen in Brand, welches mit schrecklichem Krachen zersprang und die brennende Flüssigkeit in der ganzen Hütte umherschleuderte, worauf sogleich das Dach und in Kurzem alle Theile des Gebäudes zusammenbrannten.

Das Jammergeschrei der unglücklichen Kranken, als das Feuer sich den Segeln, aus welchen sie lagen, mitgetheilt hatte und der ganze Raum ein Gluthmeer schien, glich dem von Milton beschriebenen Pandämonion. – Das Schreien der in der Hütte befindlichen Irländer, die vergebens wieder an die Thüre zu gelangen suchten, während sie sich in den Flammen ihrer Kleider wandten, die wie das Hemd des Nessus in ihr Fleisch fraßen; das brennende Dach, welches emporgeschleudert wurde und jetzt in Feuerflocken auf die Leute vor der Hütte herunterstürzte, die bei der schrecklichen und unerwarteten Katastrophe bestürzt umher standen – die schwarzen und erstickenden Rauchsäulen, die aus jeder Spalte hervordrangen – Alles dies bildete eine Schreckensscene, welche keine Feder zu schildern vermag. Aber in kurzer Zeit war Alles vorüber. Das Geschrei und Gewimmer war erstickt und die Flammen hatten in ihrem Grimme Alles mit einer solchen Schnelligkeit vernichtet, daß sie aus Mangel an weiterer Nahrung erloschen. In wenigen Minuten war nichts mehr übrig, als die rauchenden Wände und die innerhalb derselben befindlichen Leichen.

Unglückliche! Ihr waret dem Blitzstrahl entronnen, aus den Alles verschlingenden Wogen gerettet – und hattet wohl nicht geahnt, daß ihr einen noch grausameren Feind treffen würdet – Euern Mitbruder – den Menschen.

Die ersten Gefühle Seymours und seiner Genossen, sobald sie sich von den Eindrücken des schrecklichen Ereignisses wieder erholt hatten, waren die des Mitleids, welches jedoch nur kurze Zeit dauerte –

Denn bald erhob der Durst nach Rache sich,
Die donnernd zog ihr blutgetränktes Schwert.

Die rauchenden Trümmer bildeten den Altar, an welchem sie ihre Gelübde empfing und zu weiterem Opfer anspornte.

Rache beseelte auch die Gemüther der feindlichen Partei, welche über den Verlust ihrer Kameraden empört und über die Vernichtung des sehnlich Gewünschten ergrimmt war.

Debriseau, der bei dem vorigen Scharmützel nicht den müssigen Zuschauer gespielt hatte, war der erste, welcher auf's Neue den Kampf begann. Mit all' jener theatralischen Geberdung, die den Franzosen selbst in der größten Noth nicht verläßt, rief er aus: » Mes braves compagnons, vous serez vengés!« und stürzte sich auf M'Dermot, den Führer der irischen Wilden.

Ein halbverkohlter Holzbrand, womit er nach M'Dermot zielte, zerschmetterte an der Keule, welche derselbe, um den Wurf zu pariren emporhielt. Debriseau stürzte auf ihn zu, schlang die Arme um seinen Nacken, schlug seine starken Zähne mit der Kraft und Wildheit eines Tigers in das Fleisch des Feindes, und beide fielen, mit Strömen Blutes bedeckt und um Sieg und Leben ringend, zu Boden. Ein Amerikaner von der Mannschaft der Aspasia packte jetzt auf die nämliche Weise einen andern irischen Desperado und wickelte, als sie zu Boden stürzten, die Seitenlocken an den Schläfen desselben um seine Finger, damit er auf diese Art eine Stütze für seinen Hebel erhielt. Dann zwängte er ihm die Daumen tief in die Augenhöhlen, drückte ihm die Augen heraus und ließ ihn in Nacht und Verzweiflung liegen.

»Das Schwert des Herrn,« brüllte der Hochbootsmann, indem er mit herkulischer Stärke einem Dritten den Schädel mit seinem Bootsmaste einschlug.

»Kämpft, Ihr Leute der Aspasia; es gilt euer Leben,« rief Seymour, der überall vornen sich befand und jetzt gerade das noch brennende Ende einer großen Spiere seinen Gegnern in's Gesicht schleuderte, worauf dieselben vor Schmerz und fast erstickt zurückwichen. Es war in der That ein mörderischer Kampf; die Wuth beider Parteien hatte sich bis zum Wahnsinn gesteigert. Die unglücklichen Matrosen empfanden, durch die Leidenschaft aufgestachelt, weder Schmerz noch Ermüdung. Aus Mangel an andern Waffen nahmen sie Taschenmesser zu Hülfe, was auch die Irländer thaten, und tödtliche Wunden wurden jetzt ausgetheilt und empfangen.

M'Dermot, der irische Anführer, hatte so eben Debriseau überwältigt, sich auf ihn hingeworfen und ihm die Finger dermaßen in die Kehle gedrückt, daß sie tief in das Fleisch eingedrungen zu sein schienen. Der Guernseyer war schwarz im Gesichte und seine Augen traten aus ihren Höhlen heraus. Nach wenigen Minuten wäre er vielleicht nicht mehr gewesen, wenn nicht der Mast des Hochbootsmanns den Kopf des Irländers getroffen und ihm das Hirn zerschmettert hätte.

Im nämlichen Augenblicke stieß ein Irländer Seymour sein Messer in die Seite, worauf dieser, von seinem eigenen Blute überströmt, zu Boden fiel. Das Schicksal ihres Offiziers, welches die Aufmerksamkeit der Matrosen erregte, und andererseits M'Dermot's Fall, dem die Irländer augenblicklich zu Hülfe eilten, so wie die allgemeine Ermattung hatte einen einstweiligen Stillstand der Feindseligkeiten zur Folge. Ihre Todten und Verwundeten hinwegschleppend zogen sich die keuchenden Gegner einige Schritte von einander zurück – ermüdet, aber doch nicht von ihrer Rache gesättigt und in der festen Absicht, den Kampf gleich wieder zu beginnen, sobald sie ihre Kräfte einigermaßen wieder erlangt hätten. Kaum waren einige Minuten verflossen, als ein dritter Haufe ihre Aufmerksamkeit rege machte. Man vernahm Pferdegetrapp und gleich darauf erschien eine Dame zu Pferde, die im Galopp herumsprengte und ihren Renner in der Mitte zwischen beiden streitenden Parteien anhielt.

»Es ist die Tochter des Hauses!« riefen die Irländer voll Bestürzung.

Es war kein Kontrast nöthig, wie die beschriebene Scene ihn darbot, um den Glanz ihrer Schönheit zu vermehren oder ihre Reize zu erhöhen. Schön, wie frischer Schnee, die Wangen geröthet von dem schnellen Ritte und der Aufregung – das glänzende Haar in langen Locken über ihren Hals herunterfallend und theilweise aufgelöst mit den schmeichelnden Lüften spielend – ihr Auge, welches bald von Mitleid strahlte, bald vor Entrüstung blitzte, je nachdem es sich auf die eine oder die andere Seite wandte – ihre symmetrische Gestalt, in dem enganliegenden Reitkleide zierlich hervortretend – ihre anmuthigen Bewegungen, wenn sie bisweilen ihren raschen Grauschimmel zügelte, dies Alles, sowie ihre plötzliche und unverhoffte Erscheinung, brachte den Hochbootsmann und seine Leute auf den Gedanken, es sei ein überirdisches Wesen.

»Sie ist ein Engel des Lichts,« murmelte der Hochbootsmann vor sich hin.

Zuerst wandte sie sich zu den Irländern und redete sie in nachdrücklichem Tone auf Irisch an. Die Engländer konnten ihre Worte nicht verstehen, aber die Wirkung davon that sich augenblicklich kund. Die Irländer warfen ihre Waffen weg und ließen bestürzt ihre Köpfe sinken. Dann wollten sie sich entfernen; aber wenige Worte der Dame genügten, sie zurückzuhalten.

Jetzt kamen zu der schönen Reiterin noch zwei andere Personen heran, die hinter ihr zurückgeblieben waren. Der Hochbootsmann hatte sie, während sie die Irländer anredete, mit Erstaunen betrachtet; als sie sich aber jetzt gegen ihn umwandte, entsann er sich plötzlich, daß einige seiner Leute sich gerade nicht in einem Kostüme befanden, worin sie unter die Augen einer Dame kommen durften. Er setzte seine Pfeife an den Mund, pfiff laut und rief: »Alle ihr ohne Hosen, hinter die Hütte, hurtig!« Augenblicklich gehorchten die ihrer Kleidungsstücke beraubten Leute diesem Befehle.

Conolly, der die Worte der Dame verstanden hatte, rief, während er sich hinter die Hütte begab, auf Irisch: »Jetzt werdet ihr uns wohl unsere Lappen wieder herausgeben, ihr niederträchtigen Schurken! bringt sie nur geschwind!«

Augenblicklich war dieser Aufforderung Folge geleistet, indem zwei von den Irländern die Kleidungsstücke zusammenrafften und sie den Leuten hinter der Hütte brachten.

Mr. Hardsett ließ die Frage der Damen nicht lange unbeantwortet, sondern schilderte kurz die tragischen Scenen, welche vorgefallen, während die Damen, vor Mitleid und Aufregung zitternd, seiner traurigen Erzählung zuhörten.

»Ist von der Fregatte, außer Ihnen, kein Offizier mehr am Leben?« fragte die Dame.

»Ja, Madame,« erwiederte der Hochbootsmann; »auch der dritte Lieutenant lebt noch; aber da liegt er, der arme Junge, schwer verwundet von diesen Leuten, von denen wir Beistand hofften.«

»Wie hieß Ihre Fregatte?«

»Aspasia, Kapitän M–.«

»O Himmel!« rief das Mädchen, während es sich zitternd an dem Rockkragen des Hochbootsmanns hielt. »Und wie heißt der verwundete Offizier?«

»Seymour.«

Alle schrien laut auf vor Schrecken, als die schöne Fragende im Sattel wankte und in die Arme des Hochbootsmanns herunterstürzte.

Aber schon nach wenigen Minuten erholte sie sich und konnte wieder stehen. »Geschwind, geschwind, führt mich zu ihm.«

Auf Hardsett's Arm sich stützend, wankte sie zu der Stelle, wo Seymour lag. Er hatte, durch den Blutverlust erschöpft und ohnmächtig, die Augen geschlossen. Robinson und Debriseau suchten ihm Beistand zu leisten.

Sie kniete über ihm nieder, ergriff seine Hand, drückte sie und rief ihn beim Namen.

Kaum hatte Seymour den Ton ihrer Stimme vernommen, so fuhr er auf, öffnete die Augen und erkannte in der schönen Gestalt, welche sich über ihn herabbeugte, seine geliebte Emilie.


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